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Eigenartig sind sie, die Schweizer, und wollen es nach einem Diktum von Max Frisch gerne bleiben. Zu dieser Eigenart gehört, als Teil der demokratischen Kultur, immer auch das Eingreifen der Schriftsteller in die politische Debatte ihres Landes. Klara Obermüller versammelt die vielfältigen Stimmen wichtiger Schweizer Autoren, die eine Kritik am System, an der Regierung, an der Mentalität oder an der Gesinnung geharnischt bis liebevoll formulieren. Entstanden ist eine Sammlung von Klassikern und Fundstücken, deren Klugheit verblüfft und deren Aktualität fast immer überrascht. Mit Texten von…mehr

Produktbeschreibung
Eigenartig sind sie, die Schweizer, und wollen es nach einem Diktum von Max Frisch gerne bleiben. Zu dieser Eigenart gehört, als Teil der demokratischen Kultur, immer auch das Eingreifen der Schriftsteller in die politische Debatte ihres Landes. Klara Obermüller versammelt die vielfältigen Stimmen wichtiger Schweizer Autoren, die eine Kritik am System, an der Regierung, an der Mentalität oder an der Gesinnung geharnischt bis liebevoll formulieren. Entstanden ist eine Sammlung von Klassikern und Fundstücken, deren Klugheit verblüfft und deren Aktualität fast immer überrascht.
Mit Texten von Peter Bichsel, Walter M. Diggelmann, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Friedrich Glauser, Jeremias Gotthelf, Thomas Hürlimann, Meinrad Inglin
Hanna Johansen, Gottfried Keller, Hugo Loetscher, Niklaus Meienberg, Adolf Muschg, Paul Nizon, Carl Spitteler, Jean Rudolf von Salis u.a.
Autorenporträt
Klara Obermüller, geboren in St. Gallen, Studium der deutschen und französischen Literatur in Zürich, Hamburg und Paris, seit Mitte der 60er Jahre journalistische Arbeiten, u.a. für die Zeitschrift für Kultur 'du', die 'Neue Zürcher Zeitung' und die 'Weltwoche', daneben Redaktorin und Moderatorin von 'Sternstunde Philosophie' im Schweizer Fernsehen DRS.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2003

Im imaginären Gefängnis
Die Schweiz reizt: Eine Anthologie eidgenössischer Selbstkritik

Max Frisch hatte längst mit dem "System Schweiz" gebrochen. Mit Dürrenmatt schien es das Land sehr viel leichter zu haben - bis man noch zu seinen Lebzeiten erschreckt feststellen mußte, daß sein Denken möglicherweise subversiver war als die radikale Opposition seines Kollegen. "In weniger als einer Stunde", schreibt Klara Obermüller, die Herausgeberin dieser Anthologie über die Schweizkritik der Schriftsteller, "mutierte Dürrenmatt vom geehrten Dichter zum Staatsfeind": Er hatte, als Staatspräsident Václav Havel sein Land besuchte, die Schweiz mit einem Gefängnis verglichen, das von lauter Freiwilligen bewohnt werde. Auch Freunde des Dramatikers bekundeten Mühe, die Metapher zu verstehen - die man angesichts des geladenen Dichterpräsidenten, der das Gefängnis aus eigener Anschauung kennt, als geschmacklos empfinden konnte.

Wie ein "Aussätziger" sei Dürrenmatt beim anschließenden Empfang behandelt worden. Ein "Ausschlußmechanismus" kennzeichnet für Obermüller das Verhältnis von Macht und Kritik in ihrem Land: "Hätten sie Dürrenmatt etwas gründlicher gelesen, sie wären vermutlich weniger überrascht gewesen." Die Episode dient als Beleg für die Einschätzung, daß die Schriftsteller in der Schweiz "zwar gehört, aber nicht wirklich ernst genommen werden, sie werden diffamiert, aber ihre Interventionen bleiben ohne nachhaltige Wirkung." In diesem Zusammenhang ist die Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit einschlägig. Kritik war vielfach geäußert worden, als Aufarbeitung des Mythos von der widerständigen und antifaschistischen Eidgenossenschaft kann die ganze Kultur des Nachkriegs gedeutet werden - doch die offizielle Schweiz nahm die Vorwürfe erst ernst, als der Druck von außen kam und es um Geld ging: als die Begleichung offener Rechnungen eingefordert wurde.

Klara Obermüller hat Dürrenmatts Rede beim Staatsempfang für Havel in ihre Anthologie der "kritischen Texte von Schweizer Schriftstellern über ihr Land" aufgenommen - es ist sein bekanntester, aber sicher nicht bester Aufsatz über die Heimat. Die Essays und Werkauszüge der Sammlung gehen bis auf Keller und Gotthelf zurück. Der mahnende Aufruf "Unser Schweizer Standpunkt", den der Literaturnobelpreisträger Carl Spitteler zum Ersten Weltkrieg an die gespaltene Nation richtete, fehlt ebensowenig wie Paul Nizons Kritik an der "Enge" der Schweiz. Der jüngste Text stammt aus dem Jahre 1998: Für Adolf Muschg ist die Schweiz "keine Nation, aber ein Bündnis mit historischer Vergangenheit und einer möglichen Zukunft".

Jede Anthologie ist anfechtbar. Klara Obermüller hat ihre Auswahl nach politischen Kriterien getroffen. In der Einleitung skizziert die Herausgeberin nicht nur die Ohnmacht der Intellektuellen, sondern auch die "Wellenbewegung" ihrer Auseinandersetzung mit der Schweiz. Nach einem Jahrzehnt heftiger Debatten über die Beziehung zu Europa und die Kriegsvergangenheit herrscht gegenwärtig Ebbe. Der Triumph der Schweizerischen Volkspartei SVP und ihres politischen Führers Christoph Blocher, der auch schon mal das Buch eines Auschwitz-Leugners lobte und die Subventionen für die Kultur abschaffen will, fällt mit einem Nullpunkt der helvetischen Debatten zusammen.

Am Befund, den diese Dokumentation einer lebhaften Auseinandersetzung formuliert, ändert das - vorerst - nichts. Sie zitiert Peter von Matt: "Viel stärker als in der Literatur Deutschlands und Österreichs sind die literarischen Schlüsselfiguren der Schweiz von politisch-historischen Daten her zu bestimmen." Das gehört zum Sonderfall, den die Eidgenossen so hartnäckig kultivieren, und ist gewissermaßen seine kulturelle Dimension. Doch im Gegensatz zum Volk und den Politikern sind die Schriftsteller meist exemplarische Europäer. Sie streiten wie die Franzosen - und sie leiden wie einst die Deutschen an ihrem Heimatland.

JÜRG ALTWEGG.

Klara Obermüller (Hrsg.): "Wir sind eigenartig, ohne Zweifel". Die kritischen Texte von Schweizer Schriftstellern über ihr Land. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2003. 312 S., br., 19, 90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Etwas veteranenhaft findet Rezensent Hanno Helbling diese Anthologie. Nur einer der beitragenden Autoren sei unter sechzig Jahre alt. Mancher Beitrag findet als schweizerhellend lobende Erwähnung, darunter Texte von Karl Schmid, Paul Nizzon, Adolf Musch oder Karl Marti. Gelegentlich findet Helbing aber auch "ein nichtexistentes Klischee mit eigenen Klischees beschossen oder auch bloß mit Reizwörtern, die dazu dienen, den Eindruck eines Konflikts ... zu erwecken". Und vom lärmigen Recycling ideologischer Versatzstücke mancher Texte des Bandes hält unser Rezensent auch nicht viel.

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