Eileen, die Tochter irischer Einwanderer in New York, war schon als Kind unbedingt entschlossen, die ärmlichen Verhältnisse zu verlassen, in denen sie aufwuchs. Als sie sich mit 13 Jahren bei ihrem Job im Waschsalon fragte, ob sie je genug verdienen könnte, um aus der Armut herauszukommen,
symbolisierten die Häuser der Wohlhabenden für sie stets Sicherheit. Eileen steigt auf zur…mehrEileen, die Tochter irischer Einwanderer in New York, war schon als Kind unbedingt entschlossen, die ärmlichen Verhältnisse zu verlassen, in denen sie aufwuchs. Als sie sich mit 13 Jahren bei ihrem Job im Waschsalon fragte, ob sie je genug verdienen könnte, um aus der Armut herauszukommen, symbolisierten die Häuser der Wohlhabenden für sie stets Sicherheit. Eileen steigt auf zur Pflegedienstleiterin und arbeitet in verschiedenen Krankenhäusern, sie heiratet Ed Leary und wird in einem Alter Mutter, in dem andere Paare die Hoffnung auf ein Kind längst aufgegeben haben. Von Ed erwartet Eileen, dass er sie und den Sohn Connell mit seinem Erfolg nach oben tragen wird. Glück und Erfolg liegen für Eileen nicht im Sein oder im Können, sondern im Haben. Glück ist nicht, wenn Ed im Einklang mit sich und seiner Lehrtätigkeit lebt, sondern Glück wäre, wenn er Eileens Ziele verfolgen würde. Um die Frage, ob Ed mit dem Erreichten zufrieden ist oder im Universitätsbetrieb weiter aufsteigen möchte, kommt es zu ersten Unstimmigkeiten zwischen den beiden. Bereits vor seinem 50. Geburtstag zeigt Ed verstörende Anzeichen einer Persönlichkeitsveränderung, die eine schwere Krankheit vermuten lassen. Die ersten Symptome sprechen eine deutliche Sprache, die Eileen trotz ihrer Berufserfahrung in der Krankenpflege nicht wahrhaben will. Diesen Ereignissen vorausgehend, ist das Stadtviertel der Learys in Washington Heights gekippt; die vertrauten Nachbarn sind weggezogen, Geschäfte und Restaurants haben die Besitzer gewechselt. Eileen ist der Meinung, dass sie sich eine Adresse in diesem Viertel in ihrem Beruf nicht mehr leisten kann. Sie ist einerseits unbedingt entschlossen, einige hunderttausend Dollar für Connells Studium zurückzulegen, obwohl noch unklar ist, ob eine angesehene, kostspielige Universität überhaupt sein Ziel ist. Keiner der Ehepartner hat für den Fall der Berufsunfähigkeit vorgesorgt. Ed hat in seinem Alter erst Anspruch auf eine minimale Rente, Eileen hat noch keinen Rentenanspruch. Das Kippen des Wohnviertels könnte für beide eine Wertminderung ihres Hauses und damit ihrer Altersvorsoge bedeuten. Eileen argumentiert aber nicht mit der Entwicklung der Immobilienpreise; sie hat sich in den Kopf gesetzt, nun endlich ein Haus mit sieben Zimmern in einem angesehenen Viertel besitzen zu wollen. Sparen für ein Studium, Hauskauf, ein weiterer Weg zur Arbeit, Eds sich abzeichnende Krankheit – Eileen müsste dringend auf den Boden der Realität zurückfinden. Da Eileens Eltern beide Trinker waren, habe ich eine Weile damit gerechnet, dass sie in ihrer kompromisslosen Maßlosigkeit eine weitere Patientin in der Familie sein würde.
Wer den körperlichen und geistigen Verfall eines Demenzkranken miterlebt hat, ahnt zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Handlung, welchen Weg Eds Schicksal nehmen wird. „Wir sind nicht wir“ zeichnet als opulenter Familienroman dreier Generationen diese Entwicklung akribisch auf, behält aber auch Frau und Sohn des Patienten im Blick. Mit Eds Verfall vom Vater zum hilflosen Pflegefall muss Connell erst umgehen lernen – Eileen ist ihm dabei keine Hilfe. Seine Mutter, die mit dem Erreichten niemals zufrieden sein kann und die so viel Wert auf die Wahrung der Fassade legt, steht hier als gesellschaftliche Aufsteigerin in einer Einwanderer-Gesellschaft stellvertretend für die amerikanische Mittelschicht. Matthew Thomas schont seine Leser vor keinem ernüchternden Detail einer Alzheimer-Erkrankung; gerade die Entwicklung der betroffenen Angehörigen finde ich aufgrund seines sezierenden Blicks unbedingt lesenswert.