Eine völlig neue Sicht auf unsere bepelzten und gefiederten Verwandten
Klinisch depressive Gorillas, Rennmäuse, die sich nachts heimlich vollfressen, und von halluzinogenen Pilzen betörte Rentiere. Die Tiere, die im Urwald, im Meer oder in unserer Wohnung leben, werden manchmal krank an Leib und Seele - genau wie wir. Tierärzte sehen und behandeln diese Erkrankungen bei einer Vielzahl verschiedener Arten, und die meisten Humanmediziner ignorieren das bis heute. Das ist ein riesiger blinder Fleck, denn wir könnten die Gesundheit aller Arten verbessern, wenn wir wüssten, wie Tiere in ihrem natürlichen Umfeld leben und sterben, krank und wieder gesunde werden.
Klinisch depressive Gorillas, Rennmäuse, die sich nachts heimlich vollfressen, und von halluzinogenen Pilzen betörte Rentiere. Die Tiere, die im Urwald, im Meer oder in unserer Wohnung leben, werden manchmal krank an Leib und Seele - genau wie wir. Tierärzte sehen und behandeln diese Erkrankungen bei einer Vielzahl verschiedener Arten, und die meisten Humanmediziner ignorieren das bis heute. Das ist ein riesiger blinder Fleck, denn wir könnten die Gesundheit aller Arten verbessern, wenn wir wüssten, wie Tiere in ihrem natürlichen Umfeld leben und sterben, krank und wieder gesunde werden.
"Die beiden Autorinnen werben intensiv dafür, die Trennung zwischen Mensch und Tier zu überbrücken." -- Josef H. Reichholf
"Natterson-Horowitz und Bowers' glänzendes Buch ist ein inspirierender und starker neuer Ansatz für unsere Gesundheit. Ein Buch, das Grenzen einreißt und Mythen zerschmettert." -- Neil Shubin
"Natterson-Horowitz und Bowers' glänzendes Buch ist ein inspirierender und starker neuer Ansatz für unsere Gesundheit. Ein Buch, das Grenzen einreißt und Mythen zerschmettert." -- Neil Shubin
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2015Wenn Katzen sich selbst verletzen
Depressionen, Krebs, Warzen: Barbara Natterson-Horowitz zeigt, wie viele Krankheiten Menschen und Tiere teilen
Im Frühjahr 2005 wurde die kalifornische Kardiologin Barbara Natterson-Horowitz in den Zoo von Los Angeles gerufen. Ein Routineeinsatz, und nicht ihr erster: Wenn wertvolle Wildtiere an komplizierten Krankheiten leiden, greifen die Zoos weltweit gern auf Spezialisten aus der Humanmedizin zurück. Mit ihrer Visite bei einem herzkranken Kaiserschnurrbarttamarin, einem kleinen Primaten, begann allerdings diesmal für die Ärztin eine Reise ins Dickicht veterinärmedizinischer Forschungsergebnisse.
Der Zootierarzt bat sie damals beiläufig, das Äffchen nicht direkt anzusehen, es könne sonst eine "Fangmyopathie" erleiden. Wieder zurück an der University of California in San Francisco, wo sie lehrt, schlug Natterson-Horowitz den Begriff nach. Mit Fangmyopathie bezeichnet man den plötzlichen Herztod eines Tieres, ausgelöst durch schweren Stress, etwa durch das Gefangenwerden. Natterson-Horowitz fühlte sich sofort erinnert an die Takotsubo-Kardiomyopathie, eine lebensbedrohliche Herzerkrankung, ähnlich einem Infarkt. Betroffene haben beispielsweise einen geliebten Menschen sterben sehen oder sind vor dem Traualtar verlassen worden. Ähnlich wie bei einem Äffchen, das sich in einer ausweglosen Situation wiederfindet, lösen hier auch heftigste Emotionen die Herzsymptome aus.
Natterson-Horowitz' Interesse war geweckt. In dem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch, verfasst gemeinsam mit der Journalistin Kathryn Bowers, schildert sie, wie sie nach diesem Nachmittag im Zoo von Los Angeles unzähligen weiteren Parallelen zwischen Tier- und Humanmedizin auf die Spur kam. Die Suche begann an ihrem Computer, an dem sie nächtelang wissenschaftliche Datenbanken im Internet durchforstete: "Bekommen Tiere Brustkrebs? Stressbedingten Herzinfarkt? Leukämie? Schwarzen Hautkrebs?", fragte sie sich. "Nacht für Nacht, Krankheit für Krankheit erhielt ich dieselbe Antwort: ja. Die Ähnlichkeiten waren frappierend." Die Kardiologin sah sich einem Datenschatz gegenüber, den offenbar kaum jemand vor ihr zu heben versucht hatte. Der Grund dafür ist Natterson-Horowitz zufolge Arroganz. "Das humanmedizinische Establishment ist der Veterinärmedizin gegenüber voreingenommen, auch wenn es niemand zugibt", schreibt das Autorinnen-Duo. "Untereinander verhalten sich die Angehörigen dieser Zunft übrigens nicht besser. Großspurige Neurochirurgen, die mit dem freundlichen Praxisteam des Hausarztes oder den engagierten Assistenzärzten aus der Psychiatrie bei Kaffee und Kuchen zusammensitzen - undenkbar! Es gibt eine ungeschriebene Hierarchie."
Es sind nicht zuletzt solche Beobachtungen aus dem Inneren eines Berufsstandes, die das Buch lesenswert machen. Das zentrale Element sind aber die tierischen Krankheitsgeschichten, die Natterson-Horowitz bei ihrer Suche in Fachjournalen, Tierkliniken und in der Wildnis aufgetan hat. "Wir sind Tier" ist kein Buch über Tierversuche. Es ist ein Buch über die Krankheiten, die im "ganz normalen" Leben von Wild- und Haustieren auftreten, und über die Möglichkeiten der Humanmedizin, durch den Blick auf deren Ursachen und Verläufe dazuzulernen.
Natterson-Horowitz entdeckt drogensüchtige Dickhornschafe, Seeotter in adoleszenten Krisen, sich selbst verletzende Katzen, unter Warzen leidende Gnus und Golden Retriever mit Brustkrebs. Sie findet heraus, dass über Letztere seit 2012 eine Langzeitstudie mit dreitausend Teilnehmern läuft, sämtliche Hunde sind in Privathand. Irgendwann werden die Forscher, die diese Tiere und ihre Halter über Jahre begleiten, wissen, ob diejenigen Hunde, die Krebs entwickelt haben, in der Nähe von Hochspannungsleitungen lebten oder in verrauchten Wohnungen, oder ob ihr Genom sich von dem anderer unterscheidet: eine Fundgrube auch für die Humanmedizin.
"Wir sind Tier" befasst sich - und das ist einer der vielen Vorzüge des Buches - nicht nur mit den "großen Killern" wie Krebs und Herzleiden. Gerade angesichts von noch kaum ergründeten Krankheiten fühlen sich die Autorinnen herausgefordert, im Tierreich nach Entsprechungen zu suchen. Wie es beispielsweise zum plötzlichen Kindstod beim Menschen kommt, liegt noch immer weitgehend im Dunkeln. Von Jungtieren vieler Arten weiß man aber, dass ihr Herz langsamer schlägt, wenn sie sich erschrecken, etwa durch plötzlichen Lärm. Bei menschlichen Säuglingen könnten ähnliche Umstände zumindest zu dem Phänomen beitragen, folgern Natterson-Horowitz und Bowers. Es sind die großen medizinischen Rätsel, denen sich die beiden Autorinnen nähern. Sie schreiben darüber mitreißend, vereinfachen nie, veranschaulichen immer.
Dass Parallelen zwischen Tieren und Menschen aufgezeigt werden und die Menschen fasziniert aufhorchen, ist nichts Neues, es ist inzwischen Teil des Showbiz. Die Zoo-Dokusoaps leben davon, dass Wölfe Depressionen bekommen oder Gorillas unglücklich verliebt sind. Doch Natterson-Horowitz und Bowers zeigen, dass in diesen Ähnlichkeiten mehr steckt als Amüsement oder Trost für den menschlichen Zaungast. Der speziesübergreifende Blick ist eine große Chance. Nach Erscheinen des in den Vereinigten Staaten von Kritik und Wissenschaft hochgelobten Buches formierte sich eine Gemeinschaft von Forschern, die sich dieses neuen Ansatzes annehmen wollen.
Vier Kongresse zum Thema "Zoobiquity" - so der Originaltitel des Buches - fanden bisher statt. Sie führen die von den beiden Autorinnen angestoßene Diskussion fort. Es geht den Wissenschaftlern darum, dass viele Krankheitsbilder beim Menschen schneller erforscht werden könnten, wenn man einbeziehen würde, was in der Veterinärmedizin oder in der Wildtierbiologie schon über das tierische Pendant bekannt ist. Takotsubo, das gebrochene Herz, wurde beispielsweise erst vor einem guten Jahrzehnt erstmals als eigenes Krankheitsbild beschrieben, man rätselte danach lange über die Zusammenhänge. Zu diesem Zeitpunkt saßen Veterinärmediziner schon lange auf einer ungenutzten Ressource: Sie kannten die Fangmyopathie seit Jahrzehnten.
CHRISTINA HUCKLENBROICH
Barbara Natterson-Horowitz und Kathryn Bowers: "Wir sind Tier". Was wir von den Tieren für unsere Gesundheit lernen können. Aus dem Englischen von Susanne Warmuth. Knaus Verlag, München 2014. 448 S., geb. 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Depressionen, Krebs, Warzen: Barbara Natterson-Horowitz zeigt, wie viele Krankheiten Menschen und Tiere teilen
Im Frühjahr 2005 wurde die kalifornische Kardiologin Barbara Natterson-Horowitz in den Zoo von Los Angeles gerufen. Ein Routineeinsatz, und nicht ihr erster: Wenn wertvolle Wildtiere an komplizierten Krankheiten leiden, greifen die Zoos weltweit gern auf Spezialisten aus der Humanmedizin zurück. Mit ihrer Visite bei einem herzkranken Kaiserschnurrbarttamarin, einem kleinen Primaten, begann allerdings diesmal für die Ärztin eine Reise ins Dickicht veterinärmedizinischer Forschungsergebnisse.
Der Zootierarzt bat sie damals beiläufig, das Äffchen nicht direkt anzusehen, es könne sonst eine "Fangmyopathie" erleiden. Wieder zurück an der University of California in San Francisco, wo sie lehrt, schlug Natterson-Horowitz den Begriff nach. Mit Fangmyopathie bezeichnet man den plötzlichen Herztod eines Tieres, ausgelöst durch schweren Stress, etwa durch das Gefangenwerden. Natterson-Horowitz fühlte sich sofort erinnert an die Takotsubo-Kardiomyopathie, eine lebensbedrohliche Herzerkrankung, ähnlich einem Infarkt. Betroffene haben beispielsweise einen geliebten Menschen sterben sehen oder sind vor dem Traualtar verlassen worden. Ähnlich wie bei einem Äffchen, das sich in einer ausweglosen Situation wiederfindet, lösen hier auch heftigste Emotionen die Herzsymptome aus.
Natterson-Horowitz' Interesse war geweckt. In dem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch, verfasst gemeinsam mit der Journalistin Kathryn Bowers, schildert sie, wie sie nach diesem Nachmittag im Zoo von Los Angeles unzähligen weiteren Parallelen zwischen Tier- und Humanmedizin auf die Spur kam. Die Suche begann an ihrem Computer, an dem sie nächtelang wissenschaftliche Datenbanken im Internet durchforstete: "Bekommen Tiere Brustkrebs? Stressbedingten Herzinfarkt? Leukämie? Schwarzen Hautkrebs?", fragte sie sich. "Nacht für Nacht, Krankheit für Krankheit erhielt ich dieselbe Antwort: ja. Die Ähnlichkeiten waren frappierend." Die Kardiologin sah sich einem Datenschatz gegenüber, den offenbar kaum jemand vor ihr zu heben versucht hatte. Der Grund dafür ist Natterson-Horowitz zufolge Arroganz. "Das humanmedizinische Establishment ist der Veterinärmedizin gegenüber voreingenommen, auch wenn es niemand zugibt", schreibt das Autorinnen-Duo. "Untereinander verhalten sich die Angehörigen dieser Zunft übrigens nicht besser. Großspurige Neurochirurgen, die mit dem freundlichen Praxisteam des Hausarztes oder den engagierten Assistenzärzten aus der Psychiatrie bei Kaffee und Kuchen zusammensitzen - undenkbar! Es gibt eine ungeschriebene Hierarchie."
Es sind nicht zuletzt solche Beobachtungen aus dem Inneren eines Berufsstandes, die das Buch lesenswert machen. Das zentrale Element sind aber die tierischen Krankheitsgeschichten, die Natterson-Horowitz bei ihrer Suche in Fachjournalen, Tierkliniken und in der Wildnis aufgetan hat. "Wir sind Tier" ist kein Buch über Tierversuche. Es ist ein Buch über die Krankheiten, die im "ganz normalen" Leben von Wild- und Haustieren auftreten, und über die Möglichkeiten der Humanmedizin, durch den Blick auf deren Ursachen und Verläufe dazuzulernen.
Natterson-Horowitz entdeckt drogensüchtige Dickhornschafe, Seeotter in adoleszenten Krisen, sich selbst verletzende Katzen, unter Warzen leidende Gnus und Golden Retriever mit Brustkrebs. Sie findet heraus, dass über Letztere seit 2012 eine Langzeitstudie mit dreitausend Teilnehmern läuft, sämtliche Hunde sind in Privathand. Irgendwann werden die Forscher, die diese Tiere und ihre Halter über Jahre begleiten, wissen, ob diejenigen Hunde, die Krebs entwickelt haben, in der Nähe von Hochspannungsleitungen lebten oder in verrauchten Wohnungen, oder ob ihr Genom sich von dem anderer unterscheidet: eine Fundgrube auch für die Humanmedizin.
"Wir sind Tier" befasst sich - und das ist einer der vielen Vorzüge des Buches - nicht nur mit den "großen Killern" wie Krebs und Herzleiden. Gerade angesichts von noch kaum ergründeten Krankheiten fühlen sich die Autorinnen herausgefordert, im Tierreich nach Entsprechungen zu suchen. Wie es beispielsweise zum plötzlichen Kindstod beim Menschen kommt, liegt noch immer weitgehend im Dunkeln. Von Jungtieren vieler Arten weiß man aber, dass ihr Herz langsamer schlägt, wenn sie sich erschrecken, etwa durch plötzlichen Lärm. Bei menschlichen Säuglingen könnten ähnliche Umstände zumindest zu dem Phänomen beitragen, folgern Natterson-Horowitz und Bowers. Es sind die großen medizinischen Rätsel, denen sich die beiden Autorinnen nähern. Sie schreiben darüber mitreißend, vereinfachen nie, veranschaulichen immer.
Dass Parallelen zwischen Tieren und Menschen aufgezeigt werden und die Menschen fasziniert aufhorchen, ist nichts Neues, es ist inzwischen Teil des Showbiz. Die Zoo-Dokusoaps leben davon, dass Wölfe Depressionen bekommen oder Gorillas unglücklich verliebt sind. Doch Natterson-Horowitz und Bowers zeigen, dass in diesen Ähnlichkeiten mehr steckt als Amüsement oder Trost für den menschlichen Zaungast. Der speziesübergreifende Blick ist eine große Chance. Nach Erscheinen des in den Vereinigten Staaten von Kritik und Wissenschaft hochgelobten Buches formierte sich eine Gemeinschaft von Forschern, die sich dieses neuen Ansatzes annehmen wollen.
Vier Kongresse zum Thema "Zoobiquity" - so der Originaltitel des Buches - fanden bisher statt. Sie führen die von den beiden Autorinnen angestoßene Diskussion fort. Es geht den Wissenschaftlern darum, dass viele Krankheitsbilder beim Menschen schneller erforscht werden könnten, wenn man einbeziehen würde, was in der Veterinärmedizin oder in der Wildtierbiologie schon über das tierische Pendant bekannt ist. Takotsubo, das gebrochene Herz, wurde beispielsweise erst vor einem guten Jahrzehnt erstmals als eigenes Krankheitsbild beschrieben, man rätselte danach lange über die Zusammenhänge. Zu diesem Zeitpunkt saßen Veterinärmediziner schon lange auf einer ungenutzten Ressource: Sie kannten die Fangmyopathie seit Jahrzehnten.
CHRISTINA HUCKLENBROICH
Barbara Natterson-Horowitz und Kathryn Bowers: "Wir sind Tier". Was wir von den Tieren für unsere Gesundheit lernen können. Aus dem Englischen von Susanne Warmuth. Knaus Verlag, München 2014. 448 S., geb. 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christina Hucklenbroich ist begeistert von dem Buch "Wir sind Tier" von der kalifornischen Kardiologin Barbara Natterson-Horowitz, das eine Brücke zwischen Human- und Veterinärmedizin schlägt und ein ganz neues Forschungsfeld aufmacht, das einige medizinische Mysterien lüften könnte, so die Rezensentin. Natterson-Horowitz war von einem Krankheitsbild zwischen einem Kaiserschnurrbarttamarin (einem Menschenaffen) an eine ähnliche Krankheit bei Menschen erinnert worden, die erst wesentlich kürzer bekannt ist, ging anschließend auf die Suche nach weiteren Parallelen und ist überall fündig geworden, erklärt Hucklenbroich. Sie hat "Seeotter in adoleszenten Krisen" und "drogensüchtige Dickhornschafe" gefunden und viele mehr, verrät die Rezensentin, die darin mehr als einen "Trost für den menschlichen Zaungast" sieht, nämlich eine Fundgrube für die zukünftige Forschung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Es sind die großen medizinischen Rätsel, denen sich die beiden Autorinnen nähern. Sie schreiben darüber mitreißend, vereinfachen nie, veranschaulichen immer." Frankfurter Allgemeine Zeitung, Christina Hucklenbroich