1943, in den Trümmern Kölns: Der 17-jährige Paul ist in den Augen der Nationalsozialisten Halbjude. Als er in ein Lager gebracht werden soll, taucht er in der zerbombten Stadt unter. Auf seiner Flucht lernt er Franzi, deren Bruder und einige andere Jungen kennen, die mit der HJ nichts zu tun haben wollen. Sie treffen sich am alten Bunker, rauchen und erzählen sich Naziwitze. Manchmal verteilen sie auch Flugblätter oder planen Sabotageakte. Als einer von ihnen bei einem Überfall erschossen wird, nimmt ihr Leben eine dramatische Wende: Sie geraten ins Visier der Gestapo. Ein spannendes Jugendbuch über den Widerstand im Nationalsozialismus.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Elisabeths Zöllers neuen Jugendroman "Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife" möchte Rezensentin Maria Frise auch älteren Lesern dringend ans Herz legen. Gebannt liest die Kritikerin hier die noch viel zu wenig bekannte Geschichte der jugendlichen Widerstandsgruppe der Edelweißpiraten, die sich in den letzten Kriegsjahren zusammenschlossen, um nicht nur durch Flugblätter mit Antikriegsparolen und dem Abhören feindlicher Sender dem NS-Terror Widerstand zu leisten, sondern auch Juden und Deserteure zu verstecken und mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Der Autorin gelinge es meisterhaft, aus authentischen Dokumenten, wie etwa der Autobiografie des im April verstorbenen Edelweißpiraten Fritz Theilen, einen spannenden Thriller zu machen, lobt die Rezensentin, die hier in dramatischen Szenen auch erfährt, wie brutal Gestapo und SS gegen die Edelweißpiraten vorgingen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2012Je näher das Kriegsende rückt, desto größer wird der Terror
Ein großer Stoff ist nicht alles: Zwei Romane über die Widerstandsgruppe "Edelweißpiraten" hinterlassen zwiespältige Eindrücke
Einen "Tatsachen-Thriller" nennt Elisabeth Zöller ihr neues Buch im Untertitel. Wahrhaftig: Ihre Geschichte der Kölner Edelweisspiraten ist spannend von der ersten bis zur letzten Zeile, und die Tatsachen, auf denen sie gründet, betreffen eines der wichtigsten und gleichzeitig ein immer noch zu wenig bekanntes Zeugnis des Widerstands Jugendlicher gegen den NS-Terror in den schrecklichen letzten Kriegsjahren. Noch leben einige von ihnen, die sich 1933 weigerten, in die Hitlerjugend einzutreten und sich dem Zwang dort zu unterwerfen; sie schlossen sich zu eigenen, nur lose verbundenen, subversiven Gruppen zusammen und nannten sich Edelweißpiraten oder Navajos. Insgesamt waren es im Rhein-Ruhr-Gebiet ein paar tausend Jungen und Mädchen von zwölf bis achtzehn Jahren. Aus anfangs eher harmlosen Raufereien mit der verhassten HJ entstand aktiver Widerstand: Sabotage, Flugblätter mit Antikriegsparolen, Abhören feindlicher Sender, Diebstahl von Lebensmittelmarken. Die Edelweißpiraten versteckten Deserteure und Juden und versorgten sie - wenn möglich auch Ostarbeiter - mit Nahrungsmitteln. Bald wurden sie von der Geheimen Staatspolizei, der SS, Feldjägern und HJ-Streifen mit aller Härte verfolgt. Ihnen drohte Misshandlung, Folter und sogar der Tod.
Authentische Aufzeichnungen und einige historische Studien sind das Material, auf das sich die Autorin Elisabeth Zöller stützen konnte. So hat sie aus der Autobiographie des im vergangenen April verstorbenen Edelweißpiraten Fritz Theilen mit seinem Einverständnis Bastian, eine der Hauptfiguren ihres Romans, verdichtet. Nicht zuletzt, weil fast alles mit realen Ereignissen übereinstimmt, überzeugt und fasziniert dieses Jugendbuch und könnte generationsübergreifend für Diskussionen sorgen. Auch im Unterricht wäre das Buch eine ideale Lektüre.
Jener Bastian fühlt sich, seit sein Vater im Emsland in "Schutzhaft" ist, für seine Familie verantwortlich. Als Sohn eines Belasteten muss er besonders vorsichtig sein, wenn er sich mit den Freunden hinter dem Luftschutzbunker, auf dem Friedhof oder im Schrebergarten des Großvaters trifft. Nicht nur nachts ist Fliegeralarm, Bomben zerstören ganze Stadtviertel. Als Hilfsfeuerwehrmann kämpft Bastian bis zur Erschöpfung gegen die Flammen, rettet Verschüttete aus Trümmern und tröstet seine Mutter und die kleine Schwester. Elisabeth Zöller beschreibt, wie Menschen damals in Köln hungerten, starben oder in Ruinen überlebten. Wer untertauchen musste wie der jüdische Junge Paul, die zweite Hauptfigur dieses Thrillers, war verloren, wenn er nicht Freunde fand, die ihn versteckten, ihm Unterkunft, Arbeit und falsche Papiere besorgten. Nach anfänglichem Misstrauen nehmen die Piraten Paul auf, vor allem Franzi, das einzige Mädchen, setzt sich für ihn ein.
Flugblätter verteilen, Lebensmittelkarten und Nahrungsmittel stehlen, ein illegal geschlachtetes Schwein in einem Sarg transportieren oder Kisten mit Ersatzteilen für Wehrmachtsfahrzeuge beim Verladen in den Kanal stürzen - das alles sind noch Abenteuer, allerdings höchst gefährliche. Als aber beim Versuch, einen Güterwagen zu überfallen, einer der Edelweißpiraten erschossen wird, als zwei andere im Gestapo-Gefängnis zusammengeschlagen werden, um sie geständig und bereit zum Verrat weiterer Namen zu machen, wird es ernst. Die noch verschont gebliebenen Freunde müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Längst werden auch ihre Verstecke in den Kellern zerstörter Gebäude kontrolliert. Je näher das Kriegsende rückt, desto größer wird der Terror.
Es ist verbürgt, dass im November 1944 zur Abschreckung dreizehn Widerständler, darunter sechs Jugendliche, ohne Gerichtsverfahren in Köln gehenkt worden sind. Elisabeth Zöller macht daraus eine hochdramatische Szene: Paul, der seine Freunde retten will, erschießt den gefürchteten Gestapokommissar, der die Hinrichtung leitet. Im darauf ausbrechenden Chaos gelingt es zumindest Bastian zu fliehen und weitere gefährliche Stationen zu überwinden, bis er endlich bei Kriegsende seine evakuierte Familie im Allgäu wiederfindet. Pauls Schicksal bleibt ungewiss.
Erst spät, in den achtziger Jahren, wurden die Edelweisspiraten als Widerstandskämpfer anerkannt. Unruhestifter und Kriminelle seien sie gewesen, keine Oppositionellen behaupteten Behördenvertreter. Noch 1962 lehnten sie den Antrag der Mutter des sechzehnjährigen Bartholomäus Schink auf Rehabilitierung ihres Sohnes als politisch Verfolgter mit der Begründung ab, es habe sich bei den Jugendlichen - die meisten waren Arbeiterkinder - um eine "Verbrecherbande" gehandelt. Eine Bürgerinitiative erreichte endlich vor wenigen Jahren, dass eine Gedenktafel in der Nähe der Bahngleise von Köln-Ehrenfeld angebracht wurde, wo im November 1944 die Galgen errichtet worden waren. Zur Abschreckung hatte man die Hingerichteten, darunter auch Bartholomäus Schink, tagelang dort hängen lassen.
Im Nachwort eines zweiten Romans über die Edelweisspiraten, der in diesem Herbst erschienen ist, finden sich derlei sachliche Informationen. Auch der Historiker Dirk Reinhardt stützt sich wie Elisabeth Zöller auf Gespräche und Aufzeichnungen von Überlebenden. Zum Teil sind es dieselben spektakulären Ereignisse. Auch er zeichnet ein Bild dieser Zeit und einer Gruppe von Jugendlichen, die todesmutig ihrem Gewissen folgten. Reichlich unglaubwürdig ist allerdings sein dramaturgisches Verfahren: Reinhardt erfindet einen alten Mann, der Tagebuch geführt hat und es nun, am Ende seines Lebens, einem Jungen übergibt, um ihm begreiflich zu machen, was die toten Freunde wollten. Gewiss, lesenswert ist auch Dirk Reinhardts Konstruktion, doch es fehlt ihr die erzählerische Qualität, über die Elisabeth Zöller mühelos verfügt.
MARIA FRISÉ
Elisabeth Zöller: "Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife".
Hanser Verlag, München 2012. 351 S., geb., 16,90 [Euro]. Ab 12 J.
Dirk Reinhardt: "Edelweißpiraten".
Aufbau Verlag, Berlin 2012. 253 S., geb., 14,99 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein großer Stoff ist nicht alles: Zwei Romane über die Widerstandsgruppe "Edelweißpiraten" hinterlassen zwiespältige Eindrücke
Einen "Tatsachen-Thriller" nennt Elisabeth Zöller ihr neues Buch im Untertitel. Wahrhaftig: Ihre Geschichte der Kölner Edelweisspiraten ist spannend von der ersten bis zur letzten Zeile, und die Tatsachen, auf denen sie gründet, betreffen eines der wichtigsten und gleichzeitig ein immer noch zu wenig bekanntes Zeugnis des Widerstands Jugendlicher gegen den NS-Terror in den schrecklichen letzten Kriegsjahren. Noch leben einige von ihnen, die sich 1933 weigerten, in die Hitlerjugend einzutreten und sich dem Zwang dort zu unterwerfen; sie schlossen sich zu eigenen, nur lose verbundenen, subversiven Gruppen zusammen und nannten sich Edelweißpiraten oder Navajos. Insgesamt waren es im Rhein-Ruhr-Gebiet ein paar tausend Jungen und Mädchen von zwölf bis achtzehn Jahren. Aus anfangs eher harmlosen Raufereien mit der verhassten HJ entstand aktiver Widerstand: Sabotage, Flugblätter mit Antikriegsparolen, Abhören feindlicher Sender, Diebstahl von Lebensmittelmarken. Die Edelweißpiraten versteckten Deserteure und Juden und versorgten sie - wenn möglich auch Ostarbeiter - mit Nahrungsmitteln. Bald wurden sie von der Geheimen Staatspolizei, der SS, Feldjägern und HJ-Streifen mit aller Härte verfolgt. Ihnen drohte Misshandlung, Folter und sogar der Tod.
Authentische Aufzeichnungen und einige historische Studien sind das Material, auf das sich die Autorin Elisabeth Zöller stützen konnte. So hat sie aus der Autobiographie des im vergangenen April verstorbenen Edelweißpiraten Fritz Theilen mit seinem Einverständnis Bastian, eine der Hauptfiguren ihres Romans, verdichtet. Nicht zuletzt, weil fast alles mit realen Ereignissen übereinstimmt, überzeugt und fasziniert dieses Jugendbuch und könnte generationsübergreifend für Diskussionen sorgen. Auch im Unterricht wäre das Buch eine ideale Lektüre.
Jener Bastian fühlt sich, seit sein Vater im Emsland in "Schutzhaft" ist, für seine Familie verantwortlich. Als Sohn eines Belasteten muss er besonders vorsichtig sein, wenn er sich mit den Freunden hinter dem Luftschutzbunker, auf dem Friedhof oder im Schrebergarten des Großvaters trifft. Nicht nur nachts ist Fliegeralarm, Bomben zerstören ganze Stadtviertel. Als Hilfsfeuerwehrmann kämpft Bastian bis zur Erschöpfung gegen die Flammen, rettet Verschüttete aus Trümmern und tröstet seine Mutter und die kleine Schwester. Elisabeth Zöller beschreibt, wie Menschen damals in Köln hungerten, starben oder in Ruinen überlebten. Wer untertauchen musste wie der jüdische Junge Paul, die zweite Hauptfigur dieses Thrillers, war verloren, wenn er nicht Freunde fand, die ihn versteckten, ihm Unterkunft, Arbeit und falsche Papiere besorgten. Nach anfänglichem Misstrauen nehmen die Piraten Paul auf, vor allem Franzi, das einzige Mädchen, setzt sich für ihn ein.
Flugblätter verteilen, Lebensmittelkarten und Nahrungsmittel stehlen, ein illegal geschlachtetes Schwein in einem Sarg transportieren oder Kisten mit Ersatzteilen für Wehrmachtsfahrzeuge beim Verladen in den Kanal stürzen - das alles sind noch Abenteuer, allerdings höchst gefährliche. Als aber beim Versuch, einen Güterwagen zu überfallen, einer der Edelweißpiraten erschossen wird, als zwei andere im Gestapo-Gefängnis zusammengeschlagen werden, um sie geständig und bereit zum Verrat weiterer Namen zu machen, wird es ernst. Die noch verschont gebliebenen Freunde müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Längst werden auch ihre Verstecke in den Kellern zerstörter Gebäude kontrolliert. Je näher das Kriegsende rückt, desto größer wird der Terror.
Es ist verbürgt, dass im November 1944 zur Abschreckung dreizehn Widerständler, darunter sechs Jugendliche, ohne Gerichtsverfahren in Köln gehenkt worden sind. Elisabeth Zöller macht daraus eine hochdramatische Szene: Paul, der seine Freunde retten will, erschießt den gefürchteten Gestapokommissar, der die Hinrichtung leitet. Im darauf ausbrechenden Chaos gelingt es zumindest Bastian zu fliehen und weitere gefährliche Stationen zu überwinden, bis er endlich bei Kriegsende seine evakuierte Familie im Allgäu wiederfindet. Pauls Schicksal bleibt ungewiss.
Erst spät, in den achtziger Jahren, wurden die Edelweisspiraten als Widerstandskämpfer anerkannt. Unruhestifter und Kriminelle seien sie gewesen, keine Oppositionellen behaupteten Behördenvertreter. Noch 1962 lehnten sie den Antrag der Mutter des sechzehnjährigen Bartholomäus Schink auf Rehabilitierung ihres Sohnes als politisch Verfolgter mit der Begründung ab, es habe sich bei den Jugendlichen - die meisten waren Arbeiterkinder - um eine "Verbrecherbande" gehandelt. Eine Bürgerinitiative erreichte endlich vor wenigen Jahren, dass eine Gedenktafel in der Nähe der Bahngleise von Köln-Ehrenfeld angebracht wurde, wo im November 1944 die Galgen errichtet worden waren. Zur Abschreckung hatte man die Hingerichteten, darunter auch Bartholomäus Schink, tagelang dort hängen lassen.
Im Nachwort eines zweiten Romans über die Edelweisspiraten, der in diesem Herbst erschienen ist, finden sich derlei sachliche Informationen. Auch der Historiker Dirk Reinhardt stützt sich wie Elisabeth Zöller auf Gespräche und Aufzeichnungen von Überlebenden. Zum Teil sind es dieselben spektakulären Ereignisse. Auch er zeichnet ein Bild dieser Zeit und einer Gruppe von Jugendlichen, die todesmutig ihrem Gewissen folgten. Reichlich unglaubwürdig ist allerdings sein dramaturgisches Verfahren: Reinhardt erfindet einen alten Mann, der Tagebuch geführt hat und es nun, am Ende seines Lebens, einem Jungen übergibt, um ihm begreiflich zu machen, was die toten Freunde wollten. Gewiss, lesenswert ist auch Dirk Reinhardts Konstruktion, doch es fehlt ihr die erzählerische Qualität, über die Elisabeth Zöller mühelos verfügt.
MARIA FRISÉ
Elisabeth Zöller: "Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife".
Hanser Verlag, München 2012. 351 S., geb., 16,90 [Euro]. Ab 12 J.
Dirk Reinhardt: "Edelweißpiraten".
Aufbau Verlag, Berlin 2012. 253 S., geb., 14,99 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Spannend, berührend und unbedingt lesenswert." Isabelle Erler/Marianne Wellershoff, Kultur Spiegel, 10/12
"Ein sehr informativer und faszinierender ,Tatsachen-Thriller'." Ralf Husemann, Süddeutsche Zeitung, 09.10.12
"Autorin Elisabeth Zöller erzählt vor realistischem Hintergrund in diesem Roman, wie eine Gruppe von Edelweißpiraten versucht, sich dem Druck der Nazis zu entziehen. ... Ein eindringliches Buch über Mut in der Diktatur." Hauke Friederichs, Die Zeit, 15.11.12
"Ihre Geschichte der Kölner Edelweisspiraten ist spannend von der ersten bis zur letzten Zeile...Nicht zuletzt, weil fast alles mit realen Ereignissen übereinstimmt, überzeugt und fasziniert dieses Jugendbuch und könnte generationsübergreifend für Diskussionen sorgen." Maria Frisé, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.12.12
"Ein sehr informativer und faszinierender ,Tatsachen-Thriller'." Ralf Husemann, Süddeutsche Zeitung, 09.10.12
"Autorin Elisabeth Zöller erzählt vor realistischem Hintergrund in diesem Roman, wie eine Gruppe von Edelweißpiraten versucht, sich dem Druck der Nazis zu entziehen. ... Ein eindringliches Buch über Mut in der Diktatur." Hauke Friederichs, Die Zeit, 15.11.12
"Ihre Geschichte der Kölner Edelweisspiraten ist spannend von der ersten bis zur letzten Zeile...Nicht zuletzt, weil fast alles mit realen Ereignissen übereinstimmt, überzeugt und fasziniert dieses Jugendbuch und könnte generationsübergreifend für Diskussionen sorgen." Maria Frisé, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.12.12