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Produktdetails
  • Sammlung Vandenhoeck
  • Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
  • Seitenzahl: 215
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 234g
  • ISBN-13: 9783525014325
  • ISBN-10: 3525014325
  • Artikelnr.: 24084204
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1996

Freud, wir und der Tod
Bernd Nitzschke liefert Kabinettstücke der Deutungskunst

Der Titel entstammt einem lange verschollen geglaubten Vortrag Sigmund Freuds vor einer Wiener B'nai B'rith-Loge aus dem Jahre 1915: "Wir und der Tod". Genauer betrachtet, hätte dessen Wiederentdecker, Bernd Nitzschke, für seine Sammlung eigener Arbeiten zu Freuds "Leben und Werk" eher das Motto "Wir und Freud" wählen sollen. Sehr häufig ist hier vom Verhältnis der Nachgeborenen, insbesondere der geistigen Enkel, zum Schöpfer der Psychoanalyse und seiner Lehre die Rede. Und wenn der Band ein wenig inhomogen wirkt, so hängt das in erster Linie mit der unterschiedlichen Wesensart der Beiträge zusammen. Manche sind im Grunde umfangreichere Kritiken von Sekundärliteratur und Briefeditionen, andere wiederum kommen rein polemisch daher. Beides hinterläßt gemischten Eindruck. In der vornehmlich rezensierenden Abteilung bewährt sich Nitzschke als höchst produktiver Leser mit der Neigung zu einprägsamer, zuweilen sogar heftig zupackender Metaphorik. Daß die Aufsätze trotzdem nicht das Format echtbürtiger "Essays" erreichen, wie im Untertitel suggeriert wird, ist keineswegs dem Verfasser, sondern dem Genre anzulasten. Kommentierte Bibliographie bleibt kommentierte Bibliographie oder: Was in Zeitungen und Zeitschriften überzeugt, imponiert in Buchform naturgemäß in weit geringerem Maße.

Daß der Psychoanalytiker Nitzschke ein streitbarer, streitlustiger Autor sein kann, wissen und schätzen wir seit Jahren. Wer freilich mit der Materie vertraut ist (und das läßt sich beim Zielpublikum annehmen), der wird einen gewissen Mangel an Souveränität beklagen. Soll der Gründer der Freud-Archive und Goethe-Biograph K. R. Eissler tatsächlich "spießiger Freud-Idolatrie" geziehen werden dürfen, wie das Vorwort nahelegt? Im Finale seines Bandes hadert Nitzschke dann mit Eisslers Attacke auf eine vielsagende Fehlleistung am Wiener Freud-Denkmal. Zugleich unterstellt er ihm, obwohl und indem er solche Absicht leugnet, ebenfalls einen entlarvenden Irrtum, nämlich die falsche Zitiertung eines klassischen Freud-Texts, die für jeden Kenner zweifelsfrei auf einem Versehen der zuständigen Redaktion beruht. Auf ähnlichem, nicht gerade erwachsenem Niveau wäre Nitzschke vorzuhalten, daß Freuds Geburtsort Freiberg und nicht "Freiburg" heißt.

Warum das ganze Gemäkel? Damit das Lob um so glaubwürdiger erscheint. Denn Nitzschkes Essays im eigentlichen Verständnis sind Kabinettstücke der Deutungskunst. Da argumentiert kein Analytiker, der auch schreibt, sondern ein psychoanalytischer Schriftsteller. Die Erzählung eines Kapitels aus Freuds Lebens-"Roman" - "Liebe, Tod und Trauer" - verbindet denkbar behutsame Literaturinterpretation mit biographischen Motiven zu schlackenloser Einheit. In diesem buchstäblich einleuchtenden Porträt gelingen dem immer glänzenden Stilisten Bernd Nitzschke Einsichten und Formulierungen von Rang: Sie blenden nicht, sie erhellen und zeigen mit unabweisbarer Klarheit, was zuvor bloß diffuse Ahnung war. Das Komplizierte vermag Nitzschke einfach auszudrücken, und doch schwingen dabei stets jene Obertöne mit, die wissenschaftlicher Nüchternheit erst die Würde emotionalen Ernstes gibt. Mehr kann man von Prosa außerhalb des Poesiebezirks kaum verlangen. ULRICH WEINZIERL

Bernd Nitzschke: "Wir und der Tod". Essays über Sigmund Freuds Leben und Werk. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, Zürich 1996. 216 S., br., 39,- DM.

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