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Der europäische Hochadel hat das meiste von seiner einstigen Macht und Größe eingebüßt, und heute sind die Ehestreitigkeiten am englischen Hof oder die Liebesaffären der monegassischen Prinzessinnen gerade noch Themen für die Klatschkolumnisten der Regenbogenpresse. Otto Krabs' Buch dagegen schildert das Leben an Europas Höfen, als sie noch Zentren der Macht waren. Anekdotenreich erzählt er, wie dort geliebt, geheiratet, gespeist, getanzt und regiert wurde.Von den Herrschern des Mittelalters bis zu den Preußenkönigen reicht seine kenntnisreiche Darstellung.

Produktbeschreibung
Der europäische Hochadel hat das meiste von seiner einstigen Macht und Größe eingebüßt, und heute sind die Ehestreitigkeiten am englischen Hof oder die Liebesaffären der monegassischen Prinzessinnen gerade noch Themen für die Klatschkolumnisten der Regenbogenpresse. Otto Krabs' Buch dagegen schildert das Leben an Europas Höfen, als sie noch Zentren der Macht waren. Anekdotenreich erzählt er, wie dort geliebt, geheiratet, gespeist, getanzt und regiert wurde.Von den Herrschern des Mittelalters bis zu den Preußenkönigen reicht seine kenntnisreiche Darstellung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Von Gottes Gnaden in den Abgrund
Schöne gesalbte Welt: Wiederholte Besuche beim europäischen Adel / Von Hans Pleschinski

Ab und zu treffe ich mich mit dem althochadligen Grafen von T. auf ein Bier. Der junge Mann ist eine disziplinierte Tragödie. Das Blut mächtiger europäischer Familien rollt durch seine Adern - er selbst schuftet für die Sozialabgaben an irgendeine Betriebskrankenkasse. Mit dem wendigen Grafen von T. kann man über alles plaudern. Nur nicht über Revolutionen: "Wir haben zu viel Blut unter der Guillotine gelassen. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Anderen mag es genützt haben. Ich bin durch diesen Fortschritt der Zivilisation zum Dinosaurier geworden. Auf meinen reichsunmittelbaren Ländereien hätten meine Leibeigenen vielleicht in schönster Ruhe gelebt. Wäre die Bastille nicht gefallen . . . es gäbe unter Umständen ein anderes Niveau in Europa." - Der demokratische Graf, mit Ahnen in römischen Senator-Familien, wird stets ein Kritiker der Massengesellschaft bleiben.

Wer mehr über Noblesse, Wohl und Wehe europäischer Eliten erfahren will, wird in diesem Herbst gut bedient. Von den Urgründen des Gottesgnadentums bis zu den letzten Zuckungen der Adelsgesellschaft vor dem polierten Fallbeilmesser bieten Verlage reichen Lesestoff. Dabei schärfen Blicke in die Vergangenheit wie von selbst das Gespür für die Gegenwart. Letztere besteht aus Sekundenbruchteilen, erstere ist fast die Welt.

"Gott ist nur eine Kopie des Königs." - Diese Huldigungsadresse von Franziskanermönchen aus der Provence ging selbst dem Sonnenkönig zu weit. Aber die meisten Menschen wollen unter einer schönen, höheren Ordnung leben. Diesem Drang, bereits auf Erden ein gerechtes, göttliches System zu spüren, geht Otto Krabs in seinem Werk "Wir, von Gottes Gnaden. Glanz und Elend der höfischen Welt" nach.

Nach anarchischen Jahrhunderten der Völkerwanderung waren es die Krönung und Salbung von Karl dem Großen, dann von Karl dem Kahlen 869 in Metz, die dem Abendland wieder ein Gefüge verliehen. Gott hatte jetzt Ordnungshüter auf Erden eingesetzt. Wundersame Tauben hatten das Salböl der französischen Könige aus den Himmeln getragen, und Deo Gratia, von Gottes Gnaden, konnten Herrscher nun ihre Herden zu weiden versuchen.

In fünf Kapiteln spannt Otto Krabs den Bogen von gottgegebenen Schicksalslenkern wie Friedrich II., dem herrlichen Staufer von natürlich-mythischer, jugendlicher Majestät, bis zur entzauberten Monarchie im Deutschland Wilhelms II. Der Weg führt von sakrosankter Macht über die geheimnisträchtige Isolation von Herrschern durch Rituale und Zeremonie bei den Herzögen von Burgund, schließlich von der Bravour einer Selbstaufwertung durch Pracht und Hofkultur bei italienischen Renaissance-Usurpatoren bis hin zum leeren Operettenzauber des Berliner Hofs um 1900.

Sachkundig, mit schönen Verweisen auf die Dichtung, zeichnet Otto Krabs nach, mit welchen unterschiedlichen Strategien königliche Würde gesichert, Hierarchien verbürgt werden sollten. Die Übernahme des burgundischen Hofzeremoniells durch Karl V. am 15. August 1548 für sein Weltreich schuf unnahbare Majestät. Fast zeitgleich wurde am Hof von Urbino der graziöse, gebildete Hofmann, Il Cortegiano, erfunden, um die ideale Führungs- und Musterklasse, eine irdische Utopie zu verkörpern.

Menschliche Unrast, die Selbstfindung der Individuen zerstörten solche Weihen zu einem übergeordneten Menschen von Adel. Und es mutet schon wie ein Schlußpunkt an, wenn Friedrich der Große in seiner Villa Sanssouci schrieb: "Soll die monarchische Regierung sich der republikanischen überlegen zeigen, so ist die Richtschnur vorgegeben: . . . Er (der Fürst) ist nur der erste Diener seines Staates, ist verpflichtet, mit Redlichkeit, mit überlegener Einsicht und vollkommener Uneigennützigkeit zu handeln . . ." Aus dem Aristokraten mit seinem Edelmut oder seinem Gepränge konnte der Beamte werden, aus Philipp II. von Spanien schließlich ein Ministerpräsident . . . Krabs' Buch führt aus Märchenwelten in die Gegenwart.

Ich werde von einem Wahnsinnigen regiert. So könnte das Motto von Erik Midelforts hartnäckiger Studie "Wahn und Kummer in deutschen Herrscherhäusern" lauten. Es ist eine besondere Untersuchung, in der mit verblüffendem Spezialwissen 33 Fällen von Irresein oder Schein-Demenz in deutschen Schlössern und Burgen von 1490 bis 1610 auf den Grund gegangen wird.

Das Buch des Amerikaners hinterläßt ein anhaltendes Schwindelgefühl, wenn man erfährt, wie Friedrich von Ansbach wegen Wutausbrüchen eingelocht wurde, daß Anna von Sachsen wegen zu vieler Liebhaber und Vulgarität ins Verlies kam, wie Albrecht von Preußen über Jahre warme Tierinnereien auf den Kopf gebunden wurden, um ihn von der "blödigkeit des gemuitz" zu erlösen. Midelforts Gesamtthese zum Wahnsinn ist vorderhand etwas dünn: Wenn der Staat in Gefahr geriet, wurden Anomalien bei Mächtigen um 1500 schnell durch Wegsperren erledigt. Um 1600 jedoch versuchte man, wiederum bei den Mächtigen, zu kurieren, was Heilkunde, Kräuterweiber und Exorzismus hergaben. Zudem wird erwiesen, daß die antike Körpersäfte-Therapie - gut gelüftete Zimmer bei Melancholie - durch die experimentierfreudige Paracelsus-Alchemie ersetzt wurde. Wie beide Vorfrüh-Wissenschaften heute als Scheinwissenschaften dastehen, hinterläßt einen grausigen Eindruck. Jahrhundertelang wurde offenbar hauptsächlich ins Grab kuriert. Bei Blasensteinen oder Schwermut. Und wie sehr hat sich das gebessert? "Wenn eine Urinprobe von Johann Wilhelm (von Jülich-Kleve), die man über ein Feuer hielt, nicht aufschäumen sollte, war dies seiner (Pfarrer Inghovens) Meinung nach ein Zeichen dafür, daß er verhext war . . ."

Bedrückend klar wird aus dem Buch über Kranke oder Abweichler, Herrscher, die schießend durch ihre Städte rannten, daß Männern weitaus bessere Behandlung zuteil wurde als den selten erbberechtigten Frauen, daß katholische Herrscher ziemlich bald Satansaustreibung über sich ergehen lassen mußten, während protestantischen Rasenden die Psalmen Davids entgegengehalten wurden.

Wie Macht und Wahnsinn miteinander ins Spiel gebracht werden konnten, zeigt sich am Fall Kaiser Rudolfs II.: einen schwermütigen Imperator, der vor kostbaren astrologischen Uhren grübelte, sich mit Lutheranern umgab, mußte Bruder Matthias in Mißkredit bringen und entmachten. Auf dieser Basis konnte dann der 30jährige Krieg beginnen. Auch hier führt Midelforts Sammlung von rutschenden Seinsfällen in finsterste Gefilde.

Das belletristische Sachbuchjuwel des Herbstes ist zweifelsohne Claus Süßenbergers Porträtkollektion "Abenteurer, Glücksritter und Maitressen. Virtuosen der Lebenskunst an europäischen Höfen". In funkelndem Stil, wie er selten in Deutschland zu finden ist, führt der Autor in den Spätfeudalismus, wo Abenteurergestalten wie Cagliostro, Casanova, Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte, aber auch der fulminante Papiergelderfinder und Bankrotteur John Law eine letzte Würze für Europas sich langweilende Oberschicht abgaben. Die Pompadour, der Magnetiseur Mesmer provozierten angenehm die Nerven, streiften angenehm Gesellschaftsgrenzen, irrlichterten über die Lebensbühne. "Heiter, mit Appetit soll der Abenteurer in die Welt drauflosmarschieren, neugierig auf das, was auf ihn zukommt, mit der Gewißheit, daß es allemal eine Chance sein wird und daß auch eine Niederlage nichts anderes als eine Abwechslung ist - und eigentlich ein Glück: das Glück nämlich, der Langweile entfliehen zu können, die im eben Erreichten, im eben noch Genossenen bereits lauert und Herr zu werden droht."

Klug setzt Süßenberger diese höfischen Abenteurer und Spiegelfechter von den Volkshelden ab, von Robin Hood oder Schinderhannes, die viel zu missionarisch auftraten, um mit dem Facettenreichtum etwa des allseitigen Magiers Cagliostro konkurrieren zu können. In Lyon gründete der Kabbalist, Rosenkreuzer und Selbsterfinder seiner Person Freimaurerlogen für Damen, in Kurland ließ er Knaben mit dem Jenseits parlieren, und er endete - müde wie viele Spielernaturen - in den Kasematten des Vatikan.

Bei seinen Glücksrittern und emanzipierten Glücksritterinnen, von kosmopolitischem Zuschnitt, wartet Süßenberger mit faszinierenden Dokumenten auf. Wer kennt schon Briefe, in denen die Pompadour zeitlos die Leere ihres Daseins beklagt oder den Erzbischof von Paris des geschmacklosen Glaubensfanatismus bezichtigt? "Ich wünschte mir, daß gewisse Prälaten ein Beispiel von Demut, Mäßigung und Friedensliebe geben mögen. Ich will gerne glauben, daß Ihre Beichtzettel eine ausgezeichnete Sache sind. Aber die Liebe ist noch köstlicher! . . . Denken Sie daran, daß Sie zunächst Untertan sind und dann erst Erzbischof."

Eine flirrende Welt taucht aus den Buchseiten auf. Gegenüber den Glücksutopisten des galanten Zeitalters kann für Süßenberger Karl Marx dann nur ein Trauerpinsel sein, der mangels höfischen Parketts und gesellschaftlicher Fähigkeiten mit bürgerlich-moderner Verbissenheit zu den Armen hinabstieg. Gerät das Buch manchmal zu süffig? Erdrücken Bonmots des Autors hin und wieder Seelenverfassungen? Diesen Mangel hätten die Geisterseher vor der Französischen Revolution hintangestellt. "Denn der extravagante Unterhaltungswert von Mesmers therapeutischem Theater war auch in Paris schnellstens zum Stadtgespräch geworden. Ihre unruhigen Leiber den magnetischen Strömungen des schweigsamen Deutschen auszusetzen behagte den Marquisen und Herzoginnen ungemein und galt beinahe als eine gesellschaftliche Pflicht."

Beim nächsten Treffen mit dem Grafen von T. sollte ich ihn vielleicht fragen, ob von all dem Feudalismus in diesem Buchherbst etwas zurückbleiben kann. Die gleichermaßen dezimierte Seitenlinie Seelenadel etwa?

Otto Krabs: "Wir, von Gottes Gnaden". Glanz und Elend der höfischen Welt. C. H. Beck Verlag, München 1996. 263 S., Abb., geb., 48,- DM.

H. C. Erik Midelfort: "Verrückte Hoheit". Wahn und Kummer in deutschen Herrscherhäusern. Aus dem Amerikanischen von Peter E. Maier. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1996. 272 S., Abb., geb., 38,- DM.

Claus Süßenberger: "Abenteurer, Glücksritter und Maitressen". Virtuosen der Lebenskunst an europäischen Höfen. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York 1996. 373 S., Abb., geb., 58,- DM.

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