Die feministischen Debatten der Gegenwart werfen ein hartes Licht auf die Kehrseite der Männerherrschaft: die Zustimmung der Frauen zu ihrer eigenen Unterwerfung. Diese wurde als philosophisches Tabu und blinder Fleck des Feminismus in der Komplexität der gelebten Existenz bislang nie im Detail analysiert.
Im direkten Dialog mit dem Denken Simone de Beauvoirs stellt sich Manon Garcia dieser Aufgabe und meistert sie mit philosophischer Bravour. Und sie macht deutlich, warum es wichtig ist, die Mechanismen der Selbstunterwerfung von Frauen zu verstehen. Denn dieses Verstehen ist die notwendige Voraussetzung für jede Emanzipation.
Im direkten Dialog mit dem Denken Simone de Beauvoirs stellt sich Manon Garcia dieser Aufgabe und meistert sie mit philosophischer Bravour. Und sie macht deutlich, warum es wichtig ist, die Mechanismen der Selbstunterwerfung von Frauen zu verstehen. Denn dieses Verstehen ist die notwendige Voraussetzung für jede Emanzipation.
»Manon Garcia dreht den Blick auf die Macht um.« Anja Kümmel L-MAG - Das Magazin für Lesben 20210827
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Carolin Wiedemann erkennt die Bedeutung des Buches der Philosophin Manon Garcia für den Befreiungsprozess der determinierten Frau. Zwar findet Wiedemann das Buch lückenhaft, wenn Garcia die patriarchale Ordnung und den Vorgang und das Fortbestehen der Unterwerfung der Frau bevorzugt mit Simone de Beauvoir analysiert und erläutert und gegenwärtige Entwicklungen und junge feministische Autorinnen außen vor lässt. Spannende Passagen über hetero- und homosexuelle Paarbeziehungen entdeckt Wiedemann allerdings schon. Vermisst hat sie Gedanken zur Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und konservativen gesellschaftlichen Strukturen sowie zu namhaften Gegenbewegungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.2021Schluss mit der freiwilligen Unterwerfung!
Manon Garcia erläutert, warum sogar emanzipierte Frauen oft vom männlichen Blick abhängig sind
Wie kann es sein, dass nur etwa zehn Prozent der Frauen, die in Deutschland und auch in Frankreich Opfer einer Vergewaltigung werden, Anzeige erstatten? Dass jede vierte Frau Gewalt durch ihren Partner erfährt und dass die meisten von ihnen in den gewaltsamen Beziehungen bleiben? Dass Frauen im Jahr 2021, selbst wenn sie gleichermaßen berufstätig sind, für ihre Männer kochen, waschen und sich allein um die gemeinsamen Kinder kümmern?
Auf diese Fragen will die französische Philosophin Manon Garcia mit ihrem Buch antworten - und sie macht es, das signalisiert schon der Titel, mit dem Verweis auf die patriarchale Ordnung, die unser Zusammenleben weiterhin strukturiert. Garcia legt den Fokus dabei auf die Frage nach der Unterwerfung, nach dem Akt, mit dem diejenigen, die zu Frauen gemacht werden, selbst zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung beitragen. Und allein diese Formulierung zeigt das komplizierte Zusammenspiel aus Passivität und Aktivität, aus Struktur und Handlung, Gesellschaft und Individuum, das letztlich dazu führt, dass einzelne Frauen sich Männern unterwerfen, ohne dafür aber moralisch verantwortlich zu sein.
Zunächst kümmert sich Garcia um Begriffsdefinitionen, die sie mit Bezügen zu herrschaftskritischen Theoretikern wie Marx und Foucault vornimmt: In jedem Verhältnis zwischen einzelnen Menschen oder zwischen Gruppen bestimme der Grad der Herrschaft, ob sich überhaupt von Unterwerfung sprechen lasse. Basiert die Herrschaft auf purer Gewalt, unterwerfe sich niemand, dann gebe es nämlich keine Wahl. Doch hier und jetzt, also in Frankreich, wo Garcia schreibt, und in anderen "westlichen" Ländern, auf die sie sich bezieht, gibt es für die meisten Frauen formal betrachtet eine Wahl - das mache das Thema umso interessanter.
Interessant sind dann auch die Thesen, die Garcia in diesen ersten Kapiteln einstreut, wie etwa, die heterosexuelle Paarbeziehung sei der Paradeort der Unterwerfung der Frauen schlechthin. In lesbischen Beziehungen gebe es keine ungleiche Verteilung in der Hausarbeit.
Sie wechselt allerdings schnell von den gegenwärtigen Phänomenen zur Relektüre von Simone de Beauvoirs Werk "Das andere Geschlecht". Denn niemand habe bislang so erhellend über die Formen der Unterwerfung, der Objektivierung der Frauen und ihrer Körper geschrieben wie Beauvoir. Die Aussagen, die Garcia mit Bezug auf Beauvoir trifft, sind alle immer noch richtig, etwa über das Leid junger Mädchen, "das durch die Erfahrung eines Körpers, genauer gesagt eines Fleisches hervorgerufen wird, das immer schon als Objekt der Begierde konstruiert ist", oder über die Versuche der Frauen, "sich durch ihre physische Erscheinung auszuzeichnen", was sie in "eine endlose Abhängigkeit von einem Blick von außen stürzt".
Doch gleichzeitig ignoriert die Autorin durch den Fokus auf Beauvoir manch gegenwärtige Entwicklung und manch wichtigen Bezug, zum Beispiel zu den Arbeiten jüngerer feministischer Autorinnen wie Laurie Penny oder Margarete Stokowski, die ebenfalls aufschlussreich über die Objektivierung derer schreiben, die als Frauen gelten. Mit Beauvoir erläutert Garcia vor allem zwei Gründe für die Fortdauer der (Selbst-)Unterwerfung von Frauen: Erstens seien jene Körper, die gebärfähig sind, dem Erhalt der Spezies klarer untergeordnet als die nichtgebärfähigen. Das scheint biologisch deterministisch, aber einen solchen Determinismus weist Garcia zurück. Ebenfalls mit Beauvoir betont sie, auch die körperlichen Erfahrungen ließen sich erst im Kontext der gesellschaftlichen Zuschreibungen an die Körper verstehen.
Sie geht dann jedoch nicht auf jene gesellschaftlichen Kräfte und Strukturen ein, die den Zugriff auf die gebärfähigen Körper aufrechterhalten, etwa auf Gesetze in modernen Staaten, die weiterhin Schwangerschaftsabbrüche kriminalisieren, oder auf rechte Parteien und Gruppen, deren antifeministische Ideologie genau darauf baut, gebärfähige Körper als Mittel zur Reproduktion des Volkes zu erachten. Genauso wenig tauchen in Garcias Buch Verweise auf die Initiativen auf, die unter dem Slogan "my body, my choice" seit Jahrzehnten für die Wiederaneignung jener Körper kämpfen, die im Pa- triarchat objektiviert werden. Garcia fragt nicht nach feministischen Bewegungen, und auch Menschen, die etwa gebärfähig, aber keine Frauen sind, bleiben unerwähnt.
Der zweite und mit dem ersten zusammenhängende Aspekt, den Garcia mit Beauvoir als Grund für das Weiterbestehen der patriarchalen Ordnung hervorhebt, ist das Muster der heterosexuellen romantischen und sexuellen Beziehungen, das Frauen die Unterwerfung immer wieder nahelege. Die ökonomische Abhängigkeit von Männern und speziell von Ehemännern sei zwar für Frauen nicht mehr gleichermaßen gegeben wie zu Zeiten Beauvoirs. Dennoch würden sie noch immer von klein auf lernen, einsam, nicht begehrt und ungeliebt zu sein, wenn sie sich Männern nicht unterwürfen. Es brauche eine Revision dieser gesellschaftlichen Geschlechternormen: "Wenn man begreift, dass die Frau ebenso wie der Mann ein Werden ist, ein historisches Wesen und nicht ein Anderes, von einer natürlichen Alterität und Unterlegenheit, begreift man die Unterwerfung auch als eine historische und nicht starre Haltung."
Dass 2021 noch eine vermeintlich natürliche Unterlegenheit von Frauen gegenüber Männern bestritten werden muss, ist deprimierend. Dass es notwendig ist, macht Manon Garcias Buch klar. Deshalb ist es trotz mancher Lücken von Bedeutung für die Befreiung jener Personen, die zu Frauen gemacht werden - und für die Emanzipation aller Menschen. CAROLIN WIEDEMANN
Manon Garcia: "Wir werden nicht unterwürfig geboren". Wie das Patriarchat das Leben von Frauen bestimmt.
Aus dem Französischen von Andrea Hemminger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 234 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Manon Garcia erläutert, warum sogar emanzipierte Frauen oft vom männlichen Blick abhängig sind
Wie kann es sein, dass nur etwa zehn Prozent der Frauen, die in Deutschland und auch in Frankreich Opfer einer Vergewaltigung werden, Anzeige erstatten? Dass jede vierte Frau Gewalt durch ihren Partner erfährt und dass die meisten von ihnen in den gewaltsamen Beziehungen bleiben? Dass Frauen im Jahr 2021, selbst wenn sie gleichermaßen berufstätig sind, für ihre Männer kochen, waschen und sich allein um die gemeinsamen Kinder kümmern?
Auf diese Fragen will die französische Philosophin Manon Garcia mit ihrem Buch antworten - und sie macht es, das signalisiert schon der Titel, mit dem Verweis auf die patriarchale Ordnung, die unser Zusammenleben weiterhin strukturiert. Garcia legt den Fokus dabei auf die Frage nach der Unterwerfung, nach dem Akt, mit dem diejenigen, die zu Frauen gemacht werden, selbst zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung beitragen. Und allein diese Formulierung zeigt das komplizierte Zusammenspiel aus Passivität und Aktivität, aus Struktur und Handlung, Gesellschaft und Individuum, das letztlich dazu führt, dass einzelne Frauen sich Männern unterwerfen, ohne dafür aber moralisch verantwortlich zu sein.
Zunächst kümmert sich Garcia um Begriffsdefinitionen, die sie mit Bezügen zu herrschaftskritischen Theoretikern wie Marx und Foucault vornimmt: In jedem Verhältnis zwischen einzelnen Menschen oder zwischen Gruppen bestimme der Grad der Herrschaft, ob sich überhaupt von Unterwerfung sprechen lasse. Basiert die Herrschaft auf purer Gewalt, unterwerfe sich niemand, dann gebe es nämlich keine Wahl. Doch hier und jetzt, also in Frankreich, wo Garcia schreibt, und in anderen "westlichen" Ländern, auf die sie sich bezieht, gibt es für die meisten Frauen formal betrachtet eine Wahl - das mache das Thema umso interessanter.
Interessant sind dann auch die Thesen, die Garcia in diesen ersten Kapiteln einstreut, wie etwa, die heterosexuelle Paarbeziehung sei der Paradeort der Unterwerfung der Frauen schlechthin. In lesbischen Beziehungen gebe es keine ungleiche Verteilung in der Hausarbeit.
Sie wechselt allerdings schnell von den gegenwärtigen Phänomenen zur Relektüre von Simone de Beauvoirs Werk "Das andere Geschlecht". Denn niemand habe bislang so erhellend über die Formen der Unterwerfung, der Objektivierung der Frauen und ihrer Körper geschrieben wie Beauvoir. Die Aussagen, die Garcia mit Bezug auf Beauvoir trifft, sind alle immer noch richtig, etwa über das Leid junger Mädchen, "das durch die Erfahrung eines Körpers, genauer gesagt eines Fleisches hervorgerufen wird, das immer schon als Objekt der Begierde konstruiert ist", oder über die Versuche der Frauen, "sich durch ihre physische Erscheinung auszuzeichnen", was sie in "eine endlose Abhängigkeit von einem Blick von außen stürzt".
Doch gleichzeitig ignoriert die Autorin durch den Fokus auf Beauvoir manch gegenwärtige Entwicklung und manch wichtigen Bezug, zum Beispiel zu den Arbeiten jüngerer feministischer Autorinnen wie Laurie Penny oder Margarete Stokowski, die ebenfalls aufschlussreich über die Objektivierung derer schreiben, die als Frauen gelten. Mit Beauvoir erläutert Garcia vor allem zwei Gründe für die Fortdauer der (Selbst-)Unterwerfung von Frauen: Erstens seien jene Körper, die gebärfähig sind, dem Erhalt der Spezies klarer untergeordnet als die nichtgebärfähigen. Das scheint biologisch deterministisch, aber einen solchen Determinismus weist Garcia zurück. Ebenfalls mit Beauvoir betont sie, auch die körperlichen Erfahrungen ließen sich erst im Kontext der gesellschaftlichen Zuschreibungen an die Körper verstehen.
Sie geht dann jedoch nicht auf jene gesellschaftlichen Kräfte und Strukturen ein, die den Zugriff auf die gebärfähigen Körper aufrechterhalten, etwa auf Gesetze in modernen Staaten, die weiterhin Schwangerschaftsabbrüche kriminalisieren, oder auf rechte Parteien und Gruppen, deren antifeministische Ideologie genau darauf baut, gebärfähige Körper als Mittel zur Reproduktion des Volkes zu erachten. Genauso wenig tauchen in Garcias Buch Verweise auf die Initiativen auf, die unter dem Slogan "my body, my choice" seit Jahrzehnten für die Wiederaneignung jener Körper kämpfen, die im Pa- triarchat objektiviert werden. Garcia fragt nicht nach feministischen Bewegungen, und auch Menschen, die etwa gebärfähig, aber keine Frauen sind, bleiben unerwähnt.
Der zweite und mit dem ersten zusammenhängende Aspekt, den Garcia mit Beauvoir als Grund für das Weiterbestehen der patriarchalen Ordnung hervorhebt, ist das Muster der heterosexuellen romantischen und sexuellen Beziehungen, das Frauen die Unterwerfung immer wieder nahelege. Die ökonomische Abhängigkeit von Männern und speziell von Ehemännern sei zwar für Frauen nicht mehr gleichermaßen gegeben wie zu Zeiten Beauvoirs. Dennoch würden sie noch immer von klein auf lernen, einsam, nicht begehrt und ungeliebt zu sein, wenn sie sich Männern nicht unterwürfen. Es brauche eine Revision dieser gesellschaftlichen Geschlechternormen: "Wenn man begreift, dass die Frau ebenso wie der Mann ein Werden ist, ein historisches Wesen und nicht ein Anderes, von einer natürlichen Alterität und Unterlegenheit, begreift man die Unterwerfung auch als eine historische und nicht starre Haltung."
Dass 2021 noch eine vermeintlich natürliche Unterlegenheit von Frauen gegenüber Männern bestritten werden muss, ist deprimierend. Dass es notwendig ist, macht Manon Garcias Buch klar. Deshalb ist es trotz mancher Lücken von Bedeutung für die Befreiung jener Personen, die zu Frauen gemacht werden - und für die Emanzipation aller Menschen. CAROLIN WIEDEMANN
Manon Garcia: "Wir werden nicht unterwürfig geboren". Wie das Patriarchat das Leben von Frauen bestimmt.
Aus dem Französischen von Andrea Hemminger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 234 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Es bleibt einiges zu tun. Auch das macht Garcia in ihrem ... glasklar argumentierten Buch deutlich.« Tom Wohlfarth neues deutschland 20211002