Jerusalem 2002: Die 17jährige Palästinenserin Amal Rifa'i und die gleichaltrige Odelia Ainbinder leben in derselben Stadt, aber Welten voneinander entfernt. Vor drei Jahren begegneten sie sich auf einer Reise in die Schweiz, die von der Friedensorganisation "Peace Child Israel" initiiert wurde. Die Mädchen fanden sich sympathisch, doch kulturelle Missverständnisse und der erneute Ausbruch der Intifada verhinderten, dass zwischen ihnen eine Freundschaft entstand. Beide Mädchen sind froh, als die Journalistin Sylke Tempel den Kontakt zwischen ihnen wieder herstellt.
Zwei Mädchen, zwei Welten, ein gemeinsamer Traum
Odelia und Amal, beide 18, wachsen in Jerusalem auf nah beieinander, doch in völlig unterschiedlichen Welten. Die eine kann reisen, zieht in eine WG und hat beruflich die freie Auswahl. Die andere darf nicht einmal einkaufen, wo sie will, und hat keine Chance auf ihren Traumjob. Die eine ist Israelin, die andere Palästinenserin ...
Zwei Mädchen, zwei Welten, ein gemeinsamer Traum
Odelia und Amal, beide 18, wachsen in Jerusalem auf nah beieinander, doch in völlig unterschiedlichen Welten. Die eine kann reisen, zieht in eine WG und hat beruflich die freie Auswahl. Die andere darf nicht einmal einkaufen, wo sie will, und hat keine Chance auf ihren Traumjob. Die eine ist Israelin, die andere Palästinenserin ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2003Grenzverkehr
Eine Freundschaft in Israel
AMAL RIFA’I & ODELIA AINBINDER mit Sylke Tempel: Wir wollen beide hier leben. Eine schwierige Freundschaft in Jerusalem. Rowohlt, Berlin 2003. 160 Seiten, 14,90 Euro.
Auf die Entmachtung von Palästinenserführer Arafat in dieser Woche folgte prompt eine gewaltsame Antwort: Im Städtchen Kfar Saba sprengte sich ein Palästinenser in die Luft. Der Attentäter war 18 Jahre alt. Er riss einen Sicherheitsbeamten mit in den Tod, mindestens dreizehn Personen wurden verletzt. Unterdessen erschoss die israelische Armee in Ramallah zwei Jugendliche. Seit dem Zusammenbruch des Friedensprozesses sind solche Zwischenfälle zum Alltag geworden: Versöhnung zwischen den Konfliktparteien scheint ausgeschlossen.
In Kfar Saba lebt zur Zeit auch Odelia aus Jerusalem. Sie ist 18 Jahre alt und absolviert gerade ihr freiwilliges soziales Jahr in einer sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung. Sie will Schauspielerin werden und die Welt bereisen. Odelia ist mit der Überzeugung groß geworden, dass die Palästinenser ihren eigenen Staat bekommen müssen, und sie setzt sich gegen den Rassismus ein, den sie allenthalben zu spüren vermeint. Die Angst vor Terroranschlägen überschattet ihr Leben. Deshalb ist sie auch schon mal aus einem Bus wieder ausgestiegen, weil ihr jemand verdächtig vorkam: „Ich fühle mich schrecklich dabei, weil ich misstrauisch gegenüber jedem sein muss, der arabisch aussieht. Ein Rassist ist das Letzte, was ich sein will.”
Odelia engagiert sich bei „Peace Child Israel”, einem israelisch- palästinensischem Jugendprojekt, das zur Verständigung beitragen will. Hier begegnete sie der gleichaltrigen Palästinenserin Amal. Amal wohnt in einem Dorf bei Ost-Jerusalem. Ihre Familie ist konservativ, aber aufgeschlossen – sie hatte viele Jahre im Exil in Dubai gelebt. Amal geht es besser als dem Durchschnitt, sie ist kein Flüchtling und lebt nicht unmittelbar unter der Besatzung. Nach ihrem Abitur wollte sie Jura studieren, doch sie bestand den Eignungstest für die Universität nicht. Nun will sie Sonderpädagogin werden.
Auf einer gemeinsamen Gruppenreise in die Schweiz kamen sich die beiden Teenager aus Jerusalem nicht näher: Missverständnisse und Enttäuschungen bestimmten die erste Begegnung. Die palästinensischen Jugendlichen fühlten sich von den israelischen missachtet, die Israelis konnten die ablehnende Haltung der Palästinenser nicht verstehen. Nach ihrer Rückkehr war die Atmosphäre vollends vergiftet: Die Friedensverhandlungen waren abgebrochen, und die zweite Intifada hatte begonnen. Erst die deutsche Journalistin Sylke Tempel brachte die Mädchen wieder zusammen. Der Kontakt, der sich, von Tempel moderiert, über Briefe, E-Mails und persönliche Begegnungen zwischen ihnen entspann, ist in dem vorliegenden Buch dokumentiert.
Nach Themen geordnet, unterhalten Odelia und Amal sich über ihre unterschiedlichen Lebensvorstellungen, ihre Wünsche und Ziele; nur selten gleiten sie ins Kitschige ab. Aus ihren Erzählungen wird deutlich, wie verschieden die Wahrnehmungen und Wertungen der beiden sind. Für die Israelin ist der in Israel inhaftierte Fatah-Führer Marwan Barghouti wahrscheinlich ein Terrorist; für die Palästinenserin ist er einer, der „nur die Wahrheit gesagt hat”. Weist Odelia darauf hin, dass auch sie sich nicht frei in die palästinensischen Gebiete bewegen könne, erinnert Amal daran, dass die
Lebensverhältnisse der in Enklaven eingesperrten Palästinenser nicht mit denen der Israelis zu vergleichen seien. „Dass Menschen getötet werden, ist für uns so ,normal‘, wie es für andere Kinder
normal ist, Schokolade zu essen”, so Amal. Gemeinsam haben sie die Hoffnung, endlich ein normales Leben führen zu können.
Geradezu schmerzlich, mitunter auch ein wenig ärgerlich, entblößt das Buch die Asymmetrie zwischen Israelis und Palästinensern – Odelia wirkt klug, selbstbewusst und versöhnlich, Amal oft defensiv und vorwurfsvoll, manchmal unsicher. Amal schreibt unter Pseudonym - aus Angst vor Repressalien von israelischer oder palästinensischer Seite. Auf dem Umschlagfoto ist sie deshalb nicht zu erkennen. Das ist bittere Realität: Die Palästinenserin bleibt gesichtslos.
Ohne den Willen und die Bereitschaft der Teenager und ihrer Familien, welche dieses Projekt unterstützten, hätte der Dialog unter der Belastung der alltäglichen Ereignisse wohl nicht lange währen können. Gewiss repräsentieren sie in ihren beiden Gesellschaften nur eine Minderheit. Dennoch sind vergleichbare Begegnungen nicht selten, aber sie finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es ist ein Verdienst des Buches, hier einen Einblick in die positiven Seiten des tragischen Konflikts zu gewähren. Odelia und Amal zeigen exemplarisch, dass Versöhnung möglich ist, wenn man bereit ist, dem Anderen zuzuhören und dessen andere Version der historischen und aktuellen Geschichte zu akzeptieren.
ALEXANDRA SENFFT
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Eine Freundschaft in Israel
AMAL RIFA’I & ODELIA AINBINDER mit Sylke Tempel: Wir wollen beide hier leben. Eine schwierige Freundschaft in Jerusalem. Rowohlt, Berlin 2003. 160 Seiten, 14,90 Euro.
Auf die Entmachtung von Palästinenserführer Arafat in dieser Woche folgte prompt eine gewaltsame Antwort: Im Städtchen Kfar Saba sprengte sich ein Palästinenser in die Luft. Der Attentäter war 18 Jahre alt. Er riss einen Sicherheitsbeamten mit in den Tod, mindestens dreizehn Personen wurden verletzt. Unterdessen erschoss die israelische Armee in Ramallah zwei Jugendliche. Seit dem Zusammenbruch des Friedensprozesses sind solche Zwischenfälle zum Alltag geworden: Versöhnung zwischen den Konfliktparteien scheint ausgeschlossen.
In Kfar Saba lebt zur Zeit auch Odelia aus Jerusalem. Sie ist 18 Jahre alt und absolviert gerade ihr freiwilliges soziales Jahr in einer sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung. Sie will Schauspielerin werden und die Welt bereisen. Odelia ist mit der Überzeugung groß geworden, dass die Palästinenser ihren eigenen Staat bekommen müssen, und sie setzt sich gegen den Rassismus ein, den sie allenthalben zu spüren vermeint. Die Angst vor Terroranschlägen überschattet ihr Leben. Deshalb ist sie auch schon mal aus einem Bus wieder ausgestiegen, weil ihr jemand verdächtig vorkam: „Ich fühle mich schrecklich dabei, weil ich misstrauisch gegenüber jedem sein muss, der arabisch aussieht. Ein Rassist ist das Letzte, was ich sein will.”
Odelia engagiert sich bei „Peace Child Israel”, einem israelisch- palästinensischem Jugendprojekt, das zur Verständigung beitragen will. Hier begegnete sie der gleichaltrigen Palästinenserin Amal. Amal wohnt in einem Dorf bei Ost-Jerusalem. Ihre Familie ist konservativ, aber aufgeschlossen – sie hatte viele Jahre im Exil in Dubai gelebt. Amal geht es besser als dem Durchschnitt, sie ist kein Flüchtling und lebt nicht unmittelbar unter der Besatzung. Nach ihrem Abitur wollte sie Jura studieren, doch sie bestand den Eignungstest für die Universität nicht. Nun will sie Sonderpädagogin werden.
Auf einer gemeinsamen Gruppenreise in die Schweiz kamen sich die beiden Teenager aus Jerusalem nicht näher: Missverständnisse und Enttäuschungen bestimmten die erste Begegnung. Die palästinensischen Jugendlichen fühlten sich von den israelischen missachtet, die Israelis konnten die ablehnende Haltung der Palästinenser nicht verstehen. Nach ihrer Rückkehr war die Atmosphäre vollends vergiftet: Die Friedensverhandlungen waren abgebrochen, und die zweite Intifada hatte begonnen. Erst die deutsche Journalistin Sylke Tempel brachte die Mädchen wieder zusammen. Der Kontakt, der sich, von Tempel moderiert, über Briefe, E-Mails und persönliche Begegnungen zwischen ihnen entspann, ist in dem vorliegenden Buch dokumentiert.
Nach Themen geordnet, unterhalten Odelia und Amal sich über ihre unterschiedlichen Lebensvorstellungen, ihre Wünsche und Ziele; nur selten gleiten sie ins Kitschige ab. Aus ihren Erzählungen wird deutlich, wie verschieden die Wahrnehmungen und Wertungen der beiden sind. Für die Israelin ist der in Israel inhaftierte Fatah-Führer Marwan Barghouti wahrscheinlich ein Terrorist; für die Palästinenserin ist er einer, der „nur die Wahrheit gesagt hat”. Weist Odelia darauf hin, dass auch sie sich nicht frei in die palästinensischen Gebiete bewegen könne, erinnert Amal daran, dass die
Lebensverhältnisse der in Enklaven eingesperrten Palästinenser nicht mit denen der Israelis zu vergleichen seien. „Dass Menschen getötet werden, ist für uns so ,normal‘, wie es für andere Kinder
normal ist, Schokolade zu essen”, so Amal. Gemeinsam haben sie die Hoffnung, endlich ein normales Leben führen zu können.
Geradezu schmerzlich, mitunter auch ein wenig ärgerlich, entblößt das Buch die Asymmetrie zwischen Israelis und Palästinensern – Odelia wirkt klug, selbstbewusst und versöhnlich, Amal oft defensiv und vorwurfsvoll, manchmal unsicher. Amal schreibt unter Pseudonym - aus Angst vor Repressalien von israelischer oder palästinensischer Seite. Auf dem Umschlagfoto ist sie deshalb nicht zu erkennen. Das ist bittere Realität: Die Palästinenserin bleibt gesichtslos.
Ohne den Willen und die Bereitschaft der Teenager und ihrer Familien, welche dieses Projekt unterstützten, hätte der Dialog unter der Belastung der alltäglichen Ereignisse wohl nicht lange währen können. Gewiss repräsentieren sie in ihren beiden Gesellschaften nur eine Minderheit. Dennoch sind vergleichbare Begegnungen nicht selten, aber sie finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es ist ein Verdienst des Buches, hier einen Einblick in die positiven Seiten des tragischen Konflikts zu gewähren. Odelia und Amal zeigen exemplarisch, dass Versöhnung möglich ist, wenn man bereit ist, dem Anderen zuzuhören und dessen andere Version der historischen und aktuellen Geschichte zu akzeptieren.
ALEXANDRA SENFFT
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2003Keine wunderbare Freundschaft
Eine palästinensisch-israelische Begegnung in Jerusalem
Man hält es kaum für möglich: Aus Jerusalem kommt ausgerechnet in diesen Tagen ein ermutigendes Buch - nicht nur für Jugendliche. Die Journalistin Sylke Tempel konnte zwei achtzehn Jahre alte Mädchen in ein erstaunlich offenes Gespräch miteinander bringen, das auf seltene Weise klarmacht, um was es in dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern für die Menschen geht.
Die Palästinenserin Amal Rifa'i aus dem Osten der Stadt und die Israelin Odelia Ainbinder aus dem Westteil haben sich im Sommer 2000 auf einer Reise in die Schweiz kennengelernt, zu der eine Philanthropin jüdische und arabische Jugendliche aus Israel eingeladen hatte. Gleich nach ihrer Rückkehr brach die Al-Aqsa-Intifada aus. Der Kontakt zwischen den beiden Mädchen brach ab, und ohne die Bemühungen der Auslandskorrespondentin Sylke Tempel wäre er nicht erneuert worden - ein Beispiel dafür, daß sich die Nahost-Probleme ohne die Hilfe neutraler Vermittler kaum lösen lassen.
Das klug konzipierte Buch enthält Texte verschiedener Art: Briefe der beiden jungen Frauen während der schwierigen Annäherungsphase; Gedanken, die sie sich in schriftlichen Monologen machen; Geschichten ihrer Familien, wie sie von Eltern und Großeltern erzählt werden; schließlich direkte Gespräche. Ergänzt werden die Texte durch gut präsentierte Informationen über den Nahost-Konflikt.
Bei alledem werden die Schwierigkeiten nie verdrängt; es herrscht im Gegenteil eine große Offenheit zwischen den beiden Gesprächspartnerinnen. Ein wichtiger Unterschied wird gleich zu Anfang deutlich: Odelia heißt auch in der Buchfassung Odelia, während die Palästinenserin Amal unter Pseudonym auftritt und auf dem Einband des Buches nur von hinten zu sehen ist. Erklärt wird das von Amals Vater. "Was ist", fragt er, "wenn sie verhaftet wird wegen dem, was sie sagt? Und was ist, wenn jemand sie aus der Polizeiwache kommen sieht und denkt, sie ist eine Kollaborateurin?" Man muß das doppelt lesen - als Angst vor den Israelis, aber auch als Angst vor Palästinensern, die einen Annäherungsversuch sehr leicht übelnehmen.
Die Bedingungen der Besatzung verändern die Menschen auf beiden Seiten. Odelia gehört einer sozialistischen Jugendbewegung an, und sie wünscht sich nichts sehnlicher als Frieden zwischen den beiden Völkern. Von sich selbst aber sagt sie: "Ich habe nie viel über Politik und den Konflikt hier geredet. Bis ich mich für dieses Buch hingesetzt und darüber nachgedacht habe, hatte ich keine Ahnung, daß ich all diese Gedanken und Ideen dazu habe." Das ist merkwürdig und zugleich aufschlußreich. Die sozialistischen Jugendbewegungen in Israel waren immer politisch motiviert, unter dem Gewicht eines kollektiven Rechtsrucks aber geben sie heute - das haben die letzten Wahlen auf dem linken Flügel deutlich gezeigt - einen Teil der eigenen Tradition preis.
"Das geht mir genauso", antwortet Amal: Auch ihr ist vieles erst während der Beteiligung an dem Buchprojekt klar geworden. Doch bei ihr hat das andere Gründe. Amal ist eine Muslimin, die nach den Traditionen ihrer Religion lebt - in den Gesprächen geht es auch um die Tatsache, daß sie mit achtzehn Jahren bereits verlobt ist. Der Austausch mit Odelia läßt den Leser an einem schwierigen Erkenntnisprozeß teilnehmen. "In der Schule brachte man uns bei", erzählt sie, "daß die ersten Zionisten sich überhaupt nicht um ihre Religion scherten, sondern nur an der Errichtung ihres Staates interessiert waren. Das ganze Gerede über den Tempel in Jerusalem und die Klagemauer erscheint mir ein wenig aufgesetzt." Amal macht hier einen schmerzlichen Widerspruch sichtbar. Gerade das israelische Friedenslager muß sich von den biblischen Prämissen des Zionismus lösen, wenn man weiterkommen will; doch genau das macht Amal jetzt als eine Schwachstelle der Gegenseite aus.
"Es war nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft", sagt Sylke Tempel in ihrer Einleitung eher vorsichtig. Dennoch darf man dieses Buch als Musterbeispiel eines Vorgangs lesen, ohne den im Krisenherd Jerusalem nichts auszurichten ist. Nur das Gespräch der beiden (noch) fremden Seiten kann den Bewußtseinsprozeß in Gang setzen, der aller Veränderung eines unerträglichen Zustandes vorausgehen muß.
Amal und Odelia leisten dazu ihren Beitrag. Er ist ein wohltuendes Gegengewicht zu den aufgeregten Stimmen in anderen Jugendbüchern, etwa dem der jungen Randa Ghazy, die Palästina nur aus dem Fernsehen kennt (F.A.Z. vom 1. Februar) und einen sehr pessimistischen Ton anschlägt. Odelia Ainbinder und Amal Rifa'i geben dagegen einer leisen Hoffnung Raum.
JAKOB HESSING
Amal Rifa'i und Odelia Ainbinder, mit Sylke Tempel: "Wir wollen beide hier leben". Eine schwierige Freundschaft in Jerusalem. Rowohlt Verlag, Berlin 2003. 175 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 13 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine palästinensisch-israelische Begegnung in Jerusalem
Man hält es kaum für möglich: Aus Jerusalem kommt ausgerechnet in diesen Tagen ein ermutigendes Buch - nicht nur für Jugendliche. Die Journalistin Sylke Tempel konnte zwei achtzehn Jahre alte Mädchen in ein erstaunlich offenes Gespräch miteinander bringen, das auf seltene Weise klarmacht, um was es in dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern für die Menschen geht.
Die Palästinenserin Amal Rifa'i aus dem Osten der Stadt und die Israelin Odelia Ainbinder aus dem Westteil haben sich im Sommer 2000 auf einer Reise in die Schweiz kennengelernt, zu der eine Philanthropin jüdische und arabische Jugendliche aus Israel eingeladen hatte. Gleich nach ihrer Rückkehr brach die Al-Aqsa-Intifada aus. Der Kontakt zwischen den beiden Mädchen brach ab, und ohne die Bemühungen der Auslandskorrespondentin Sylke Tempel wäre er nicht erneuert worden - ein Beispiel dafür, daß sich die Nahost-Probleme ohne die Hilfe neutraler Vermittler kaum lösen lassen.
Das klug konzipierte Buch enthält Texte verschiedener Art: Briefe der beiden jungen Frauen während der schwierigen Annäherungsphase; Gedanken, die sie sich in schriftlichen Monologen machen; Geschichten ihrer Familien, wie sie von Eltern und Großeltern erzählt werden; schließlich direkte Gespräche. Ergänzt werden die Texte durch gut präsentierte Informationen über den Nahost-Konflikt.
Bei alledem werden die Schwierigkeiten nie verdrängt; es herrscht im Gegenteil eine große Offenheit zwischen den beiden Gesprächspartnerinnen. Ein wichtiger Unterschied wird gleich zu Anfang deutlich: Odelia heißt auch in der Buchfassung Odelia, während die Palästinenserin Amal unter Pseudonym auftritt und auf dem Einband des Buches nur von hinten zu sehen ist. Erklärt wird das von Amals Vater. "Was ist", fragt er, "wenn sie verhaftet wird wegen dem, was sie sagt? Und was ist, wenn jemand sie aus der Polizeiwache kommen sieht und denkt, sie ist eine Kollaborateurin?" Man muß das doppelt lesen - als Angst vor den Israelis, aber auch als Angst vor Palästinensern, die einen Annäherungsversuch sehr leicht übelnehmen.
Die Bedingungen der Besatzung verändern die Menschen auf beiden Seiten. Odelia gehört einer sozialistischen Jugendbewegung an, und sie wünscht sich nichts sehnlicher als Frieden zwischen den beiden Völkern. Von sich selbst aber sagt sie: "Ich habe nie viel über Politik und den Konflikt hier geredet. Bis ich mich für dieses Buch hingesetzt und darüber nachgedacht habe, hatte ich keine Ahnung, daß ich all diese Gedanken und Ideen dazu habe." Das ist merkwürdig und zugleich aufschlußreich. Die sozialistischen Jugendbewegungen in Israel waren immer politisch motiviert, unter dem Gewicht eines kollektiven Rechtsrucks aber geben sie heute - das haben die letzten Wahlen auf dem linken Flügel deutlich gezeigt - einen Teil der eigenen Tradition preis.
"Das geht mir genauso", antwortet Amal: Auch ihr ist vieles erst während der Beteiligung an dem Buchprojekt klar geworden. Doch bei ihr hat das andere Gründe. Amal ist eine Muslimin, die nach den Traditionen ihrer Religion lebt - in den Gesprächen geht es auch um die Tatsache, daß sie mit achtzehn Jahren bereits verlobt ist. Der Austausch mit Odelia läßt den Leser an einem schwierigen Erkenntnisprozeß teilnehmen. "In der Schule brachte man uns bei", erzählt sie, "daß die ersten Zionisten sich überhaupt nicht um ihre Religion scherten, sondern nur an der Errichtung ihres Staates interessiert waren. Das ganze Gerede über den Tempel in Jerusalem und die Klagemauer erscheint mir ein wenig aufgesetzt." Amal macht hier einen schmerzlichen Widerspruch sichtbar. Gerade das israelische Friedenslager muß sich von den biblischen Prämissen des Zionismus lösen, wenn man weiterkommen will; doch genau das macht Amal jetzt als eine Schwachstelle der Gegenseite aus.
"Es war nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft", sagt Sylke Tempel in ihrer Einleitung eher vorsichtig. Dennoch darf man dieses Buch als Musterbeispiel eines Vorgangs lesen, ohne den im Krisenherd Jerusalem nichts auszurichten ist. Nur das Gespräch der beiden (noch) fremden Seiten kann den Bewußtseinsprozeß in Gang setzen, der aller Veränderung eines unerträglichen Zustandes vorausgehen muß.
Amal und Odelia leisten dazu ihren Beitrag. Er ist ein wohltuendes Gegengewicht zu den aufgeregten Stimmen in anderen Jugendbüchern, etwa dem der jungen Randa Ghazy, die Palästina nur aus dem Fernsehen kennt (F.A.Z. vom 1. Februar) und einen sehr pessimistischen Ton anschlägt. Odelia Ainbinder und Amal Rifa'i geben dagegen einer leisen Hoffnung Raum.
JAKOB HESSING
Amal Rifa'i und Odelia Ainbinder, mit Sylke Tempel: "Wir wollen beide hier leben". Eine schwierige Freundschaft in Jerusalem. Rowohlt Verlag, Berlin 2003. 175 S., geb., 14,90 [Euro]. Ab 13 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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