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In jüngerer Zeit wird vor allem in der analytisch geprägten Philosophie unter dem Stichwort 'Realismus/Antirealismus' eine Debatte geführt, die zwei auf den ersten Blick einfache Fragen zum Inhalt hat: Gibt es eine vom menschlichen Geist unabhängige, an sich existierende Realität, und wenn ja, wie und in welchem Umfang können wir sie erkennen? Realisten beantworten diese beiden Fragen auf die eine oder andere Weise positiv, Anti-Realisten hingegen geben eine negative Antwort. Der Band stellt diese Fragen im expliziten Bezug auf die Wirklichkeit des Heiligen, Schönen und Guten. Im Mittelpunkt…mehr

Produktbeschreibung
In jüngerer Zeit wird vor allem in der analytisch geprägten Philosophie unter dem Stichwort 'Realismus/Antirealismus' eine Debatte geführt, die zwei auf den ersten Blick einfache Fragen zum Inhalt hat: Gibt es eine vom menschlichen Geist unabhängige, an sich existierende Realität, und wenn ja, wie und in welchem Umfang können wir sie erkennen? Realisten beantworten diese beiden Fragen auf die eine oder andere Weise positiv, Anti-Realisten hingegen geben eine negative Antwort. Der Band stellt diese Fragen im expliziten Bezug auf die Wirklichkeit des Heiligen, Schönen und Guten. Im Mittelpunkt steht dabei die epistemologische Frage, ob es so etwas wie eine erkenntnisstiftende Wahrnehmung des Heiligen, Schönen, Guten gibt. Im ersten Teil geht es vor allem um verschiedene Varianten des sog. Argumentes von der religiösen Erfahrung in der gegenwärtigen Religionsphilosophie (Alston, Plantinga, Swinburne), mit dem behauptet wird, dass es religiöse (mystische) Wahrnehmung gibt und dass sie, bei allen Unterschieden, prima facie ebenso zuverlässig ist wie normale Wahrnehmung auch. Im zweiten Teil werden realistische und antirealistische Positionen zur Ästhetik vertreten. Auch hier lautet die Frage ähnlich: Gibt es so etwas wie einen Sinn für genuine ästhetische Qualitäten als Grundlage genuiner ästhetischer Urteile? Während die Existenz ästhetischer Qualitäten vermutlich stärker umstritten ist als die moralischer Werte oder normativer Urteile, ist umgekehrt, wie der dritte Teil zeigt, sehr zweifelhaft, ob es so etwas wie moralische Wahrnehmungen überhaupt gibt. Vielleicht ist das Gute also wirklich; aber ob wir es wahrnehmen, steht auf einem anderen Blatt.
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Autorenporträt
Elisabeth Heinrich, geb. 1959, Studium der Philosophie und Germanistik in Köln und Siegen, 1993-1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Philosophie an der Universität Siegen, 1998 Promotion. 1998-2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Alte Geschichte an der Universität Siegen, seit 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Philosophie an der Universität Siegen. - - - - - - - - - Dieter Schönecker, geb. 1965, Studium der Philosophie, Vergleichenden Religionswissenschaft und Neueren Deutschen Literaturwissenschaft; 1997 Promotion an der Universität Bonn, 1997-1999 Visiting Fellow an der Yale University. 2000-2002 wissenschaftlicher Assistent an der Universität Halle-Wittenberg; 2003-2005 Associate Professor am Stonehill College (USA). Seit 2006 Professor für Praktische Philosophie an der Universität Siegen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sind mystische Erfahrungen gerechtfertigt?

Eine Debatte der angelsächsischen, calvinistisch geprägten Religionsphilosophie hat den Kontinent erreicht. Die "reformierte Epistemologie" will religiöse Überzeugungen argumentativ begründen.

Philosophen stellen gerne Grundsatzfragen und ziehen Selbstverständliches in Zweifel. Das wirkt mitunter etwas weltfremd und ist nicht selten enervierend. Gleichwohl kann man anhand solcher Grundsatzdebatten eine Menge darüber lernen, wie Menschen denken und wie sie argumentieren. Die grundlegendste aller Grundsatzdebatten betrifft die Frage, ob es eine vom menschlichen Geist unabhängige, objektive Realität gibt. Philosophen, die diese Frage bejahen, heißen Realisten, ihre Gegenspieler entsprechend Antirealisten. Nun ist "Realist" zu sein keine erkenntnistheoretische Position. Interessant wird es erst, wenn man erfährt, was der Realist für real hält.

So sind die meisten zeitgenössischen Philosophen etwa bezüglich der Existenz der Außenwelt und ihrer Objekte Realisten, hinsichtlich kultureller Entitäten, also etwa ethischer oder ästhetischer Normen, allerdings Antirealisten. Moralische Urteile sind demnach hinsichtlich bestimmter Konventionen oder persönlicher Vorlieben wahr, nicht aber aufgrund objektiver moralischer Tatsachen, die unabhängig davon existieren, dass es Menschen gibt.

Vielleicht ist es nicht einmal überraschend, dass die stärksten argumentativen Impulse für einen neuen Realismus bezüglich nichtphysischer Entitäten in den vergangenen Jahrzehnten nicht von Ethikern oder Ästhetikern ausgingen, sondern von Religionsphilosophen. Namentlich Richard Swinburne, Alvin Plantinga und William Alston haben immer wieder mit Nachdruck für die Ansicht plädiert, dass es eine mystische Wahrnehmung Gottes gäbe, deren erkenntnistheoretischer Wert sich nicht von anderen alltäglichen Wahrnehmungen unterscheide. Daher seien religiöse Gewissheiten erkenntnistheoretisch genauso wertvoll wie nichtreligiöse Überzeugungen.

Von allgemeinem Interesse sind diese Überlegungen, weil die drei genannten Autoren behaupten, dezidiert erkenntnistheoretisch zu argumentieren. Da es zudem gute Gründe dafür gibt, davon auszugehen, dass religiöse Überzeugungen sich strukturell nicht von ethischen oder ästhetischen Überzeugungen unterscheiden, könnten realistische Argumente, die für die Gegenstände religiöse Rede gelten, auch auf die Objekte ethischer und ästhetischer Sätze übertragbar sein. Dies gilt umso mehr, als sich Alstons und Plantingas Ansatz als "reformed Epistemology" versteht, wobei das "reformed" allerdings nicht nur eine erneuerte Erkenntnistheorie bedeutet, sondern eben auch eine in calvinistischer Tradition.

Die Beiträge in dem von Elisabeth Heinrich und Dieter Schönecker (Siegen) herausgegebenen Sammelband "Wirklichkeit und Wahrnehmung des Heiligen, Schönen, Guten" (Mentis Verlag, Paderborn 2011) zeigen sich hinsichtlich der Gültigkeit und Tragweite der reformierten Erkenntnistheorie jedoch skeptisch, wie die Herausgeber schon in ihrer Einleitung betonen. Allerdings zeigt ein Scheitern der reformierten Erkenntnistheorie nicht automatisch die Ungültigkeit anderer realistischer Ansätze. Um die Möglichkeit solcher realistischer Theorien des Guten, Schönen oder Heiligen zu ergründen, ist es jedoch sinnvoll, zunächst darzulegen, wo die Probleme der reformierten Erkenntnistheorie liegen.

Winfried Löffler (Innsbruck) zeigt in seinem Beitrag "Die Rolle religiöser Erfahrung bei Swinburne, Plantinga und Alston", dass Plantingas und Alstons Argumentationsstrategie, bei allen Unterschieden im Detail, darauf basiert, nachzuweisen, dass religiöse Überzeugungen nicht irrationaler sind als andere allgemein akzeptierte Meinungen. Sah Plantinga in früheren Publikationen unser Wissen auf "properly basic beliefs" basiert, also auf evidenten fundamentalen Überzeugungen, so rückte in seinen späteren Arbeiten der Begriff des "warrant" in den Mittelpunkt. "Warrant" (Berechtigung, Befugnis, Garantie) ist eine positive erkenntnistheoretische Eigenschaft von abgeleiteten und basalen Meinungen. Diese haben "warrant", wenn das Erkenntnissystem des betroffenen Subjektes fehlerfrei funktioniert und nicht durch unpassende Erkenntnisumgebungen verzerrt wird. Mag man das noch akzeptieren, so sind Plantingas Bedingungen für religiöse Meinungen, die "warrant" sind, ungemein voraussetzungsreich und zirkulär: Mit Calvin postuliert Plantinga einen "sensus divinitatis", einen sechsten Sinn für religiöse Wahrnehmungen. Dieser sorgt dafür, dass religiöse Erfahrungen erkenntnistheoretisch nicht unplausibler sein sollen als herkömmliche Wahrnehmung. Allerdings setzt dieses Argument die Gültigkeit einer calvinistischen Anthropologie voraus. Zudem kommt der "sensus divinitatis" nicht einmal allen religiösen Menschen (Buddhisten etwa) zu - von Agnostikern ganz zu schweigen.

Auch Alston nivelliert den Unterschied zwischen herkömmlicher und religiöser Wahrnehmung, indem er zu zeigen versucht, dass mystische Erfahrungen gerechtfertigte rationale Meinungen (justified rational beliefs) begründen können, die sich nicht von anderen begründeten Meinungen unterscheiden. Allerdings beruht auch bei Alston die Rationalität und "Testbarkeit" religiöser Wahrnehmungen auf Voraussetzungen, die geeignet sind, jede Idiosynkrasie epistemisch auszuweisen - solange es nur eine Gruppe von Individuen gibt, die an sie glaubt.

Die argumentativen Schwachstellen Plantingas und Alstons sind jedoch nicht nur ihrer Religionsphilosophie oder Erkenntnistheorie geschuldet. Vielmehr zeigt Reinhold Schmücker (Münster) in seinem Beitrag "Warum ich kein ästhetischer Realist bin", dass der Kern des Problems im normativen Realismus selbst begründet liegt - auch wenn sich Schmücker selbst zu einem "minimalen moralischen Realismus" bekennt. Realistische Positionen scheitern an mehreren Punkten. Zunächst, so Schmücker, verwechseln viele Realisten Werturteile mit Eigenschaftszuschreibungen. Die Aussage, etwas sei schön, gut oder heilig ist eine Bewertung, keine Zuschreibung einer Eigenschaft. Zudem müssen Realisten von der absurden Möglichkeit ausgehen, dass es beispielsweise Dinge geben kann, die tatsächlich schön sind, ohne dass je ein Mensch sie für schön befunden hat. Vor allem aber ist, so Schmücker, unklar, wie reale Werte erkannt werden können. Wie Plantinga und Alston greifen viele Realisten zur Konstruktion eines speziellen Gefühls oder Sinns. Abgesehen von der Fragwürdigkeit eines solchen Sinns unterläuft dieser Rekurs den Allgemeingültigkeitsanspruch, den der Realist an seine Urteile stellen muss. Wertbegriffe verweisen letztlich immer auf die urteilende Subjektivität, auch wenn diese aus einem Reservoir kultureller Standards schöpft. Sie sind Konstruktionen, die ein Individuum auf der Basis vorhandener ethischer, ästhetischer oder religiöser Deutungsmuster unternimmt. Die Herausforderung besteht darin, zu zeigen, wie rationale Diskurse dennoch möglich sind.

ALEXANDER GRAU

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