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Otfried Höffes neues Buch versteht sich als Beitrag zu einer eminent praktischen und politischen Ethik. Nach grundsätzlichen Überlegungen zu den drei Rollen jeden modernen Bürgers geht es zu so aktuellen Fragen über wie: Braucht es für Manager einen hippokratischen Eid? Läßt sich die repräsentative mit direkter Demokratie verbinden? Was sagt die Toleranz zum Kopftuchstreit? Ist die Türkei schon europäisch? Hegemonie der USA oder eine faire Weltrechtsordnung?
Die Politische Philosophie argumentiert noch immer vornehmlich in Begriffen von Interessen und Macht, von Institutionen und Verfassungen. Otfried Höffe entwirft in seinem neuen Buch die notwendige Ergänzung: eine Theorie der verantwortlichen Subjekte, der Bürger und ihrer Bürger- bzw. Zivilgesellschaft. Das Buch beschreibt und analysiert nacheinander die drei Rollen, in denen die politischen Akteure auftreten. Der Wirtschaftsbürger schafft die materiellen und finanziellen Voraussetzungen, ohne die kein Gemeinwesen leben kann. Bei der zweiten Bürgerrolle, dem Staatsbürger, plädiert Höffe für eine Ausweitung der Bürgerbeteiligung und stellt Bürgertugenden und Werte für ein demokratisches Bildungswesen vor. Der immer noch wachsende globale Handlungsbedarf macht eine dritte, kosmopolitische Rolle erforderlich, und zwar nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu den beiden anderen Rollen: den Weltbürger.
Otfried Höffes neues Buch versteht sich als Beitrag zu einer eminent praktischen und politischen Ethik. Nach grundsätzlichen Überlegungen zu den drei Rollen jeden modernen Bürgers geht es zu so aktuellen Fragen über wie: Braucht es für Manager einen hippokratischen Eid? Läßt sich die repräsentative mit direkter Demokratie verbinden? Was sagt die Toleranz zum Kopftuchstreit? Ist die Türkei schon europäisch? Hegemonie der USA oder eine faire Weltrechtsordnung?
Die Politische Philosophie argumentiert noch immer vornehmlich in Begriffen von Interessen und Macht, von Institutionen und Verfassungen. Otfried Höffe entwirft in seinem neuen Buch die notwendige Ergänzung: eine Theorie der verantwortlichen Subjekte, der Bürger und ihrer Bürger- bzw. Zivilgesellschaft. Das Buch beschreibt und analysiert nacheinander die drei Rollen, in denen die politischen Akteure auftreten. Der Wirtschaftsbürger schafft die materiellen und finanziellen Voraussetzungen, ohne die kein Gemeinwesen leben kann. Bei der zweiten Bürgerrolle, dem Staatsbürger, plädiert Höffe für eine Ausweitung der Bürgerbeteiligung und stellt Bürgertugenden und Werte für ein demokratisches Bildungswesen vor. Der immer noch wachsende globale Handlungsbedarf macht eine dritte, kosmopolitische Rolle erforderlich, und zwar nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu den beiden anderen Rollen: den Weltbürger.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2013Werktagsglück oder Sonntagsglück?
Stets gibt er verständliche Hinweise auf das Vertretbare: Der Philosoph Otfried Höffe führt in die Ethik ein
Die philosophische Ethik hat es nicht leicht. Zwar wird sie vielfach nachgefragt, für Kommissionen beispielsweise, die der Politik Rat geben sollen. Fast jeder gesellschaftliche Konflikt scheint Moralfragen aufzuwerfen: Tierethik, Medizinethik, Umweltethik. Sogar Unternehmen beanspruchen, ethische Standards einzuhalten. Doch ob die Beteiligung an der Produktion der entsprechenden Gütesiegel selbst moralisch vertretbar ist, daran melden sich Zweifel.
Verzieren nicht vielleicht Politik und Wirtschaft nur, was sie für mehrheitsfähig halten, mit güldener Wertarbeit? Und ist das Gute wirklich ein Wissen, eine Frage des richtigen Durchdenkens, der besseren Begründung? Soll man sich den guten Menschen als besonders begründungsstark vorstellen? Zugleich hat die moderne Gesellschaft gemischte Erfahrungen mit dem Guten gemacht.
Sie kennt die guten Folgen zweifelhafter Absichten: den Markt. Sie kennt die zweifelhaften Folgen guter Absichten: die Pädagogik. Und schließlich kennen wir die Unvermeidbarkeit der Doppelmoral, der Kasuistik. Otfried Höffe hat ein ganzes Philosophenleben der Ethik gewidmet. Duisburg, Fribourg und Tübingen waren dabei seine Stationen. Es gibt kein Moralgebiet, über das er nicht geschrieben hat, keine Tugend und keinen Wert, die von ihm nicht hochverständlich erläutert worden wären. Das Kopftuch und die Spitzengehälter, der Datenschutz und der Generationenvertrag, das Urheberrecht und der Föderalismus, Höffe hat zu all dem aus seinem Studium der Klassiker - für ihn vor allem Aristoteles, Kant und Rawls - Hinweise auf das Vertretbare gezogen.
Wenn Höffe, der heute siebzig Jahre alt wird, jetzt eine Einführung in die Ethik vorlegt, ist das ein neuerlicher Beweis dieser Unermüdlichkeit. Sie zeigt sich auch in seiner Ansicht, wer die Frage nach dem Gutsein einer Handlung vorzeitig abbreche, müsse sich rechtfertigen. Dass man, um zu handeln, aufhören muss zu reflektieren, Termindruck also oder "Endlichkeit" genügen Höffe nicht. Im Leben mag dieses Insistieren auf Begründungen zu Schwierigkeiten führen. Der herrliche Satz jener entnervten Mutter, deren Kind unnachgiebig gute Gründe fürs Zubettgehen verlangte, "Du gehst jetzt ins Bett! Ich werd dich später überzeugen", belegt den Sinn fürs vordiskursiv Notwendige.
Zum Prinzip erhoben, würde das aber jede Einführung in die Ethik stark abkürzen. Was uns Höffe statt dieser Abkürzung zeigt, ist ein zerklüftetes Gebiet. Das Gute ist teils an das Menschenmögliche gebunden. "Unmögliches ist nicht verlangbar", sagt der Jurist. Teils ist der Mensch aber auch zum guten Handeln wider seine Natur befähigt. Tugenden, sagen die einen, tun uns selber gut. Märtyrer, entgegnen die anderen, sind tugendhaft, ohne dass es ihnen guttäte. Und selbst wenn man sich auf hervorgebrachtes Glück als Kriterium für gute Taten einigen könnte - mehr als Dissens, worin es besteht, ist nicht zu erreichen. Die einen finden es im Frieden, die anderen würden ihn der Ehre nicht opfern wollen. Höffe schlägt die Unterscheidung von "Werktagsglück" und "Sonntagsglück" vor, aber man hört heraus, dass dem Kantianer in ihm das nicht gefallen kann.
So hinterlässt uns diese Einführung gerade dadurch, dass sie alle Positionen erwähnt, unentschieden. Das aber muss in Fragen der Ethik kein Nachteil sein. Denn erstens scheint guter Rat nicht teuer, sondern überreich vorhanden. Und zweitens verdeutlicht das Studium der ethischen Argumente, gerade weil es so viele davon gibt, dass Güte zumeist nicht auf ihnen beruht und Bösartigkeit wohl nur selten ein Mangel an Philosophie ist.
JÜRGEN KAUBE
Otfried Höffe: "Ethik". Eine Einführung.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 128 S., br., 8,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stets gibt er verständliche Hinweise auf das Vertretbare: Der Philosoph Otfried Höffe führt in die Ethik ein
Die philosophische Ethik hat es nicht leicht. Zwar wird sie vielfach nachgefragt, für Kommissionen beispielsweise, die der Politik Rat geben sollen. Fast jeder gesellschaftliche Konflikt scheint Moralfragen aufzuwerfen: Tierethik, Medizinethik, Umweltethik. Sogar Unternehmen beanspruchen, ethische Standards einzuhalten. Doch ob die Beteiligung an der Produktion der entsprechenden Gütesiegel selbst moralisch vertretbar ist, daran melden sich Zweifel.
Verzieren nicht vielleicht Politik und Wirtschaft nur, was sie für mehrheitsfähig halten, mit güldener Wertarbeit? Und ist das Gute wirklich ein Wissen, eine Frage des richtigen Durchdenkens, der besseren Begründung? Soll man sich den guten Menschen als besonders begründungsstark vorstellen? Zugleich hat die moderne Gesellschaft gemischte Erfahrungen mit dem Guten gemacht.
Sie kennt die guten Folgen zweifelhafter Absichten: den Markt. Sie kennt die zweifelhaften Folgen guter Absichten: die Pädagogik. Und schließlich kennen wir die Unvermeidbarkeit der Doppelmoral, der Kasuistik. Otfried Höffe hat ein ganzes Philosophenleben der Ethik gewidmet. Duisburg, Fribourg und Tübingen waren dabei seine Stationen. Es gibt kein Moralgebiet, über das er nicht geschrieben hat, keine Tugend und keinen Wert, die von ihm nicht hochverständlich erläutert worden wären. Das Kopftuch und die Spitzengehälter, der Datenschutz und der Generationenvertrag, das Urheberrecht und der Föderalismus, Höffe hat zu all dem aus seinem Studium der Klassiker - für ihn vor allem Aristoteles, Kant und Rawls - Hinweise auf das Vertretbare gezogen.
Wenn Höffe, der heute siebzig Jahre alt wird, jetzt eine Einführung in die Ethik vorlegt, ist das ein neuerlicher Beweis dieser Unermüdlichkeit. Sie zeigt sich auch in seiner Ansicht, wer die Frage nach dem Gutsein einer Handlung vorzeitig abbreche, müsse sich rechtfertigen. Dass man, um zu handeln, aufhören muss zu reflektieren, Termindruck also oder "Endlichkeit" genügen Höffe nicht. Im Leben mag dieses Insistieren auf Begründungen zu Schwierigkeiten führen. Der herrliche Satz jener entnervten Mutter, deren Kind unnachgiebig gute Gründe fürs Zubettgehen verlangte, "Du gehst jetzt ins Bett! Ich werd dich später überzeugen", belegt den Sinn fürs vordiskursiv Notwendige.
Zum Prinzip erhoben, würde das aber jede Einführung in die Ethik stark abkürzen. Was uns Höffe statt dieser Abkürzung zeigt, ist ein zerklüftetes Gebiet. Das Gute ist teils an das Menschenmögliche gebunden. "Unmögliches ist nicht verlangbar", sagt der Jurist. Teils ist der Mensch aber auch zum guten Handeln wider seine Natur befähigt. Tugenden, sagen die einen, tun uns selber gut. Märtyrer, entgegnen die anderen, sind tugendhaft, ohne dass es ihnen guttäte. Und selbst wenn man sich auf hervorgebrachtes Glück als Kriterium für gute Taten einigen könnte - mehr als Dissens, worin es besteht, ist nicht zu erreichen. Die einen finden es im Frieden, die anderen würden ihn der Ehre nicht opfern wollen. Höffe schlägt die Unterscheidung von "Werktagsglück" und "Sonntagsglück" vor, aber man hört heraus, dass dem Kantianer in ihm das nicht gefallen kann.
So hinterlässt uns diese Einführung gerade dadurch, dass sie alle Positionen erwähnt, unentschieden. Das aber muss in Fragen der Ethik kein Nachteil sein. Denn erstens scheint guter Rat nicht teuer, sondern überreich vorhanden. Und zweitens verdeutlicht das Studium der ethischen Argumente, gerade weil es so viele davon gibt, dass Güte zumeist nicht auf ihnen beruht und Bösartigkeit wohl nur selten ein Mangel an Philosophie ist.
JÜRGEN KAUBE
Otfried Höffe: "Ethik". Eine Einführung.
Verlag C. H. Beck, München 2013. 128 S., br., 8,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Otfried Höffe hat sich an einer "Philosophie der Globalisierung" versucht, erklärt der Rezensent Hauke Brunkhorst. Doch bei seinem Versuch, das Übel der Globalisierung - Individualismus - mit Tugenden auszubalancieren, scheint Höffe gescheitert zu sein. In der Tat führe der Autor den müder werdenden Leser durch die "schwindelnden Höhen" der "reinen Ideen", bis dass selbst die Erinnerung an eine mögliche Bodenhaftung verblass, klagt der Rezensent. Das hauptsächliche Problem in Höffes Überlegungen sieht Brunkhorst darin, dass der Philosoph die Geschichte des politischen Denkens zu einer "Geschichte ohne Geschichte" mache, indem er die Denker außerhalb ihres ideengeschichtlichen Kontextes betrachte. So komme es dazu, dass an einer Stelle (etwa bei Kant) Mängel festgestellt werden, die der Autor dann "mit einem Griff in die Vorratskiste" der weltbesten Ideen (etwa Hobbes) behebe, was jedoch jeglichem historischen Verständnis zuwiderlaufe. Im juristischen Bereich zeigt sich Höffe ähnlich naiv, schreibt Brunkhost: Er wirft ihm eine Verwechslung von "Wesensgehalt der Verfassung" und der "konkreten Gestalt ihrer Institutionen" vor. Mit diesem Buch, so das bittere Fazit des Rezensenten, wird wieder einmal die Misere der neuen Philosophie demonstriert, die sich des Elends der Welt annehmen will, sich dabei aber auf "ethisches Räsonieren" beschränkt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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