Mit den Problemen der Globalisierung werden wir tagtäglich konfrontiert. Viele Menschen empfinden die Globalisierung als Bedrohung, nicht nur ihrer wirtschaftlichen Existenz, sondern auch ihres kulturell-moralischen Selbstverständnisses; manche treten aus Protest ATTAC und vergleichbaren Organisationen bei. Auf internationalen Konferenzen führen diese Proteste zu Eskalationen. Die Autoren der hier gesammelten Beiträge ordnen die häufig intuitiven Einstellungen zur Globalisierung analytisch in verschiedene Problemdimensionen ein, damit diese dann wissenschaftlich bearbeitet und - nach Möglichkeit - wieder in ein Gesamtbild integriert werden können. Globalisierung hat unbestritten normative, kulturelle Dimensionen. Aber nicht selten werden diese Probleme unabhängig von den - oder in direkter Frontstellung gegen die - ökonomischen Dimensionen diskutiert. Die Kompetenzen der an diesem Band beteiligten Wissenschaftler garantieren, dass diese unfruchtbare Aufspaltung der Diskussion in normative Fragen und ökonomische Überlegungen überwunden werden kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2006Moral für den Menschen
Ein Sammelband über die Wirtschaftsethik der Globalisierung
"Wirtschaftsethik der Globalisierung" - ein solcher Titel mag vor einiger Zeit noch elektrisiert haben. Beide Themen indes verbreiten inzwischen Ermüdung. Die Wirtschaftsethik, weil ihre Vertreter es auch in mehr als zwei Jahrzehnten Diskussion nicht geschafft haben, die Akteure dazu zu bringen, sich moralischer zu verhalten. Und die Globalisierung, weil sie inzwischen zur Worthülse verkommen ist. Der Begriff wird wahlweise dämonisierend oder verherrlichend benutzt, als Synonym für räumliche Entgrenzung oder soziale Ausgrenzung, aber auch als Ausdruck akademischen Snobismus oder Inbegriff plumper Erpressungstaktiken. Man könnte diesen Sammelband der sechsten Jahrestagung des Forums für Wirtschaftsethik also getrost beiseite legen, wären da nicht einige der insgesamt 30 Autoren, die sich nicht zu eng an den Buchtitel klammern und gerade dadurch Anregendes aus ihren Spezialgebieten zum besten geben.
Gleich zu Beginn nimmt Gerhard Prisching die florierenden zeitdiagnostischen Entwürfe aufs Korn - also die Gesamtbeschreibungen postindustrieller Gesellschaften von der Risiko- über die Erlebnis- und Multioptionsgesellschaft bis zur "Entertainment Economy". Sein (vorläufiger) Schlußpunkt dieser schleichenden Entwicklung lautet: "strategische Verdummung". Hierzu paßt Michael Neuners Sorge über den zunehmenden "Deutungsimperialismus" der Medienwirtschaft. Anhand der Vermarktungsstrategie für "Harry Potter" zeigt er, wie sehr die verbindlich verordneten Deutungsvorschriften globaler Medienunternehmen zu uniformem und passivem Konsum zwingen. Den geläufigen Schlagworten wie "McDonaldisierung" und "Cocacolization" könnte man somit die "Potterisierung" hinzufügen. Frits Schipper müht sich durch die Begriffswelten von Transparenz, Offenheit und Integrität, überrascht jedoch am Ende mit einer durchaus praktischen Empfehlung für die gute Unternehmensführung (Corporate Governance). Anzustreben sei ein Gleichgewicht im Sinne von "Transparenz wenn nötig, Offenheit wo möglich, Integrität soll immer sein".
Rüdiger Waldkirch gelingt es, in der knappest möglichen Form darzulegen, wie die beiden anscheinend unversöhnlichen Ansätze des Shareholder Value und des Stakeholder Value einander ergänzen könnten. Der Shareholder-Value-Ansatz sei zwar gestaltbar, biete jedoch keine überzeugende Begründung, während umgekehrt der Stakeholder-Ansatz ethische Argumente liefere, jedoch Gestaltbarkeit vermissen ließe. Hier könnte ein Vorschlag von Alexander Brink hilfreich sein. Brink greift auf Edward Freeman zurück, den Vater der Stakeholder-Idee, und plädiert dafür, daß Stakeholder ihre Ansprüche zunächst legitimieren müßten - beispielsweise durch einen Stakeholder-Dialog, wie ihn der Schweizer Wirtschaftsethiker Peter Ulrich angeregt hat. Sodann sollten Unternehmen alle Aktivitäten unterlassen, die dergestalt legitimierte Stakeholder-Interessen in vitaler Weise verletzten.
Schweres Geschütz fährt Matthias Maring auf. Die aktuellen Produktionsbedingungen in der Automobilindustrie (Zitat eines Betriebsrats: "Mit Volldampf zurück in die Steinzeit") als Hintergrundfolie verwendend, zieht er gegen die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft als vermeintlichen Königsweg zur Lösung der Probleme bei Arbeitsbedingungen, Sozialstandards und Umweltschutz zu Felde. Solche Kodizes hätten nur dann Chancen auf Verwirklichung, wenn sie Eingang in das positive Recht fänden, zum Beispiel "über ausfüllungsbedürftige Generalklauseln wie etwa ,gute Sitten'".
Unfreiwillig irritierend wirkt der Abschnitt über die Globalisierung der Wissensgesellschaft. Es ist eben nicht anders zu erwarten: Philosophen, einmal von der Leine gelassen und am Wissensbegriff schnuppernd, können gar nicht anders, als sich darin zu verbeißen. Dabei bleiben sie oft dort stecken, wo viele Kongresse über Wissensmanagement enden - schon bei den Versuchen, "Wissen" überhaupt einmal zu definieren und nach einzelnen Erscheinungsformen zu unterscheiden.
Überaus lesenswert ist indes der Beitrag von Jesús Conill, der die ethischen Gedankenstränge des bengalischen Nobelpreisträgers Amartya Sen seziert. Sen gründet seine Ethik auf einer neuen, "modernen" Auffassung von "Fähigkeit". Sie drückt die Freiheit aus, die Menschen zur Verfügung steht, "um wertvolle Aktivitäten oder wertvolle Funktionsweisen zu verfolgen". Anders als das liberale Konzept von Freiheit, das eher die Nichteinmischung betont, legt Sen also auf eine "befähigte" Freiheit Wert, eine Freiheit, die gleichsam auf "Empowerment" beruht. Solange den Hilfsbedürftigen dieser Welt die Voraussetzungen für eine solche Freiheit vorenthalten blieben, würden sie durch die permanenten Entbehrungen und "die Dankbarkeit für kleine Gaben" mundtot gemacht, schreibt Conill über Sen.
Ein offenbar deutschlandmüder Wolfgang Buschlinger schreibt sich über den deutschen Generationenvertrag in Rage. Die Bedingungen der Globalisierung verstärken den ohnedies schon prekären Verlust von Bindungen jeglicher Art, und die Bundesrepublik trage noch eifrig dazu bei, "daß die Inder nicht kommen und die Deutschen gehen werden". Wer finanziert dann den Generationenvertrag?
Peter Koslowski rückt dann am Schluß des Buches alles wieder ins rechte Lot. Allerdings gießt er Wasser in den Wein der Konsenssüchtigen, indem er sich für eine Unternehmensverfassung ausspricht, die zwei Elemente miteinander verbindet: einen starken Druck von außen, am besten durch konkurrierende oder mit Übernahme drohende Managementteams, und eine Mitbestimmung als Repräsentation der Arbeitnehmer. Diese steigere die Lernfähigkeit der Organisation, jener beuge der im Korporatismus so heimischen Wohligkeit der Absprachen und Koalitionen vor. Koslowski bestätigt damit seinen Mitherausgeber Karl Homann, der in seiner Eröffnung meint: "Die Moral ist für den Menschen da und nicht der Mensch für die Moral."
HEINZ K. STAHL.
Karl Homann/Peter Koslowski/Christoph Lütge (Herausgeber): Wirtschaftsethik der Globalisierung. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2005, 402 Seiten, 79 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Sammelband über die Wirtschaftsethik der Globalisierung
"Wirtschaftsethik der Globalisierung" - ein solcher Titel mag vor einiger Zeit noch elektrisiert haben. Beide Themen indes verbreiten inzwischen Ermüdung. Die Wirtschaftsethik, weil ihre Vertreter es auch in mehr als zwei Jahrzehnten Diskussion nicht geschafft haben, die Akteure dazu zu bringen, sich moralischer zu verhalten. Und die Globalisierung, weil sie inzwischen zur Worthülse verkommen ist. Der Begriff wird wahlweise dämonisierend oder verherrlichend benutzt, als Synonym für räumliche Entgrenzung oder soziale Ausgrenzung, aber auch als Ausdruck akademischen Snobismus oder Inbegriff plumper Erpressungstaktiken. Man könnte diesen Sammelband der sechsten Jahrestagung des Forums für Wirtschaftsethik also getrost beiseite legen, wären da nicht einige der insgesamt 30 Autoren, die sich nicht zu eng an den Buchtitel klammern und gerade dadurch Anregendes aus ihren Spezialgebieten zum besten geben.
Gleich zu Beginn nimmt Gerhard Prisching die florierenden zeitdiagnostischen Entwürfe aufs Korn - also die Gesamtbeschreibungen postindustrieller Gesellschaften von der Risiko- über die Erlebnis- und Multioptionsgesellschaft bis zur "Entertainment Economy". Sein (vorläufiger) Schlußpunkt dieser schleichenden Entwicklung lautet: "strategische Verdummung". Hierzu paßt Michael Neuners Sorge über den zunehmenden "Deutungsimperialismus" der Medienwirtschaft. Anhand der Vermarktungsstrategie für "Harry Potter" zeigt er, wie sehr die verbindlich verordneten Deutungsvorschriften globaler Medienunternehmen zu uniformem und passivem Konsum zwingen. Den geläufigen Schlagworten wie "McDonaldisierung" und "Cocacolization" könnte man somit die "Potterisierung" hinzufügen. Frits Schipper müht sich durch die Begriffswelten von Transparenz, Offenheit und Integrität, überrascht jedoch am Ende mit einer durchaus praktischen Empfehlung für die gute Unternehmensführung (Corporate Governance). Anzustreben sei ein Gleichgewicht im Sinne von "Transparenz wenn nötig, Offenheit wo möglich, Integrität soll immer sein".
Rüdiger Waldkirch gelingt es, in der knappest möglichen Form darzulegen, wie die beiden anscheinend unversöhnlichen Ansätze des Shareholder Value und des Stakeholder Value einander ergänzen könnten. Der Shareholder-Value-Ansatz sei zwar gestaltbar, biete jedoch keine überzeugende Begründung, während umgekehrt der Stakeholder-Ansatz ethische Argumente liefere, jedoch Gestaltbarkeit vermissen ließe. Hier könnte ein Vorschlag von Alexander Brink hilfreich sein. Brink greift auf Edward Freeman zurück, den Vater der Stakeholder-Idee, und plädiert dafür, daß Stakeholder ihre Ansprüche zunächst legitimieren müßten - beispielsweise durch einen Stakeholder-Dialog, wie ihn der Schweizer Wirtschaftsethiker Peter Ulrich angeregt hat. Sodann sollten Unternehmen alle Aktivitäten unterlassen, die dergestalt legitimierte Stakeholder-Interessen in vitaler Weise verletzten.
Schweres Geschütz fährt Matthias Maring auf. Die aktuellen Produktionsbedingungen in der Automobilindustrie (Zitat eines Betriebsrats: "Mit Volldampf zurück in die Steinzeit") als Hintergrundfolie verwendend, zieht er gegen die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft als vermeintlichen Königsweg zur Lösung der Probleme bei Arbeitsbedingungen, Sozialstandards und Umweltschutz zu Felde. Solche Kodizes hätten nur dann Chancen auf Verwirklichung, wenn sie Eingang in das positive Recht fänden, zum Beispiel "über ausfüllungsbedürftige Generalklauseln wie etwa ,gute Sitten'".
Unfreiwillig irritierend wirkt der Abschnitt über die Globalisierung der Wissensgesellschaft. Es ist eben nicht anders zu erwarten: Philosophen, einmal von der Leine gelassen und am Wissensbegriff schnuppernd, können gar nicht anders, als sich darin zu verbeißen. Dabei bleiben sie oft dort stecken, wo viele Kongresse über Wissensmanagement enden - schon bei den Versuchen, "Wissen" überhaupt einmal zu definieren und nach einzelnen Erscheinungsformen zu unterscheiden.
Überaus lesenswert ist indes der Beitrag von Jesús Conill, der die ethischen Gedankenstränge des bengalischen Nobelpreisträgers Amartya Sen seziert. Sen gründet seine Ethik auf einer neuen, "modernen" Auffassung von "Fähigkeit". Sie drückt die Freiheit aus, die Menschen zur Verfügung steht, "um wertvolle Aktivitäten oder wertvolle Funktionsweisen zu verfolgen". Anders als das liberale Konzept von Freiheit, das eher die Nichteinmischung betont, legt Sen also auf eine "befähigte" Freiheit Wert, eine Freiheit, die gleichsam auf "Empowerment" beruht. Solange den Hilfsbedürftigen dieser Welt die Voraussetzungen für eine solche Freiheit vorenthalten blieben, würden sie durch die permanenten Entbehrungen und "die Dankbarkeit für kleine Gaben" mundtot gemacht, schreibt Conill über Sen.
Ein offenbar deutschlandmüder Wolfgang Buschlinger schreibt sich über den deutschen Generationenvertrag in Rage. Die Bedingungen der Globalisierung verstärken den ohnedies schon prekären Verlust von Bindungen jeglicher Art, und die Bundesrepublik trage noch eifrig dazu bei, "daß die Inder nicht kommen und die Deutschen gehen werden". Wer finanziert dann den Generationenvertrag?
Peter Koslowski rückt dann am Schluß des Buches alles wieder ins rechte Lot. Allerdings gießt er Wasser in den Wein der Konsenssüchtigen, indem er sich für eine Unternehmensverfassung ausspricht, die zwei Elemente miteinander verbindet: einen starken Druck von außen, am besten durch konkurrierende oder mit Übernahme drohende Managementteams, und eine Mitbestimmung als Repräsentation der Arbeitnehmer. Diese steigere die Lernfähigkeit der Organisation, jener beuge der im Korporatismus so heimischen Wohligkeit der Absprachen und Koalitionen vor. Koslowski bestätigt damit seinen Mitherausgeber Karl Homann, der in seiner Eröffnung meint: "Die Moral ist für den Menschen da und nicht der Mensch für die Moral."
HEINZ K. STAHL.
Karl Homann/Peter Koslowski/Christoph Lütge (Herausgeber): Wirtschaftsethik der Globalisierung. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2005, 402 Seiten, 79 Euro.
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