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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2009

Brasiliens Aufstieg
Ein persönliches Porträt eines wichtigen Schwellenlands

Eigentlich hätte dieses Buch über den Aufstieg Brasiliens zu einer globalen Wirtschaftsmacht schon vor einem Jahr erscheinen sollen. Der Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise ließ es freilich angezeigt erscheinen, abzuwarten, wie Brasilien sich schlagen würde. Viel zu ändern brauchte der Autor nicht. Seine Hauptthese von der rasch wachsenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung des Amazonaslandes hat sich in den letzten zwölf Monaten vielmehr bekräftigt.

"Brasilien wird aus der Krise gestärkt hervorgehen", schreibt Alexander Busch, der als Journalist seit 16 Jahren aus Brasilien unter anderem für das "Handelsblatt" und die "Wirtschaftswoche" berichtet. Denn Brasilien verfüge über Trümpfe, die jetzt besonders wichtig seien: einen großen Binnenmarkt mit einer rasch wachsenden Mittelschicht, solide aufgestellte Unternehmen und Banken, einen gesunden Mix aus Rohstoffkonzernen, Dienstleistern und verarbeitender Industrie mit eigener Forschung, eigenen Produkten und Marken, gewaltige Rohstoffvorkommen, weltweit das größte landwirtschaftliche Potential, gleichmäßig über alle Weltregionen verteilte Exportziele sowie eine ausgewogene Balance zwischen Markt und Staat.

Gerade in der jetzigen Krise hat Brasilien gezeigt, dass es alte Schwächen überwunden und neue Stärken entwickelt hat. Noch vor eineinhalb Jahrzehnten steckte Brasilien in einem Wirtschaftschaos aus Inflation und Überschuldung. Heute leiht es Geld an den Internationalen Währungsfonds. Sehr anschaulich und oft aus einer ganz persönlichen Perspektive beschreibt Busch, wie die Stabilisierungspolitik, die Marktöffnung und die Privatisierungen unter dem früheren Staatspräsidenten Fernando Henrique Cardoso in den neunziger Jahren den Boden für den Aufschwung bereiteten.

Wie aus verschlafenen Staatsbetrieben unter privater Ägide innerhalb nur eines Jahrzehnts Welmarktführer vom Schlage der Ölgesellschaft Petrobras, des Bergbaukonzerns Vale oder des Flugzeugherstellers Embraer wurden. Neben diesen renommierten Konzernen stellt Busch viele noch kaum bekannte Aufsteiger vor, die auf dem Weg zur Weltspitze sind oder dies schon längst geschafft haben, wie der weltgrößte Fleischproduzent JBS, der Elektromotoren-Hersteller WEG oder die Großbanken Bradesco und Itaú Unibanco.

Auch politisch gewinne Brasilien immer stärker an Gewicht. Als historischen Wendepunkt sieht Busch die Welthandelsgespräche 2003 in Cancún. Dort schmiedete Brasilien eine Allianz, die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung vertrat und mit ihrer kompromisslosen Forderung nach einer Öffnung der Agrarmärkte in den reichen Ländern die Verhandlungen scheitern ließ.

In der G-20-Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gibt Brasilien mit den Ton an. Auch in der Klimadiskussion hat Brasilien eine Schlüsselposition. Denn einerseits ist das Amazonasland durch das Abbrennen des Regenwaldes einer der größten Treibhausgasproduzenten. Andererseits hat Brasilien bei der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen vor allem bei Biotreibstoffen weltweit eine Vorreiterrolle.

Als großen Pluspunkt gerade im Vergleich zu anderen Schwellenländern lobt Busch die gefestigte Demokratie Brasiliens. Trotz großer Mängel wie Korruption und Schwerfälligkeit sorge Brasiliens politisches System mit seinem ständigen Zwang zu Kompromissen für eine Kontinuität, die Brasilien wohltuend von Ländern wie Venezuela, Bolivien oder Argentinien unterscheide. So hielt Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva entgegen manchen Befürchtungen an der Stabilitätspolitik seines Vorgängers fest. Den wirtschaftlichen Rückenwind des Rohstoffbooms nutzte Lula, um mit seiner Sozialpolitik Millionen Brasilianer aus dem Elend zu holen.

Dennoch sieht Busch in den krassen sozialen Gegensätzen und der dadurch alimentierten Gewalt und Kriminalität weiter das größte Entwicklungshemmnis. Vor allem an dieser Stelle wünscht man sich, das Buch würde auch in Brasilien gelesen. Denn zu Recht hat Busch kein Verständnis dafür, dass Lulas Politik des sozialen Ausgleichs von den Bessergestellten des Landes nicht gewürdigt wird. Die größte Stärke des Buches sind die zahlreichen Fallbeispiele und Porträts, mit denen Busch in höchst lebendiger Weise schildert, wie von den Armen bis zu den neuen Milliardären alle Brasilianer von dem Aufschwung profitieren. Hier schreibt ein Kenner, der von Brasilien fasziniert ist. Das wirkt ansteckend. Mitunter droht der fast schon "brasilianische" Optimismus dieses Buches etwas überzuborden.

Busch kennt und nennt die großen Schwächen Brasiliens, doch er relativiert sie gern. Es stimmt schon, dass vieles, was an Brasilien immer wieder kritisiert wurde, das Land in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise vor Ansteckung geschützt hat. Aber der wieder zunehmende Staatseinfluss auf die Unternehmen oder die strukturell hohen Zinsen, die die Banken davor bewahrten, im Ausland anzulegen, sind dennoch keine ideale Grundlage, dauerhaft hohes Wachstum zu erreichen.

Seiner These, Brasilien werde in Deutschland unterschätzt und zu wenig wahrgenommen, widerspricht Busch teilweise selbst. So beschreibt er die Schlüsselposition deutscher Unternehmen in der brasilianischen Industrie, die dort mehr investiert haben als in China. Er beschreibt auch den jüngsten Zustrom deutscher Mittelständler und die vielschichtigen Verbindungen in der Zivilgesellschaft, die von mehreren Millionen deutschsprachigen Brasilianern getragen werden. Doch die Politik nutze diese hervorragende Ausgangsbasis bisher zu wenig, meint Busch. Und vor allem: Deutsche Unternehmen hätten keine Strategien und Produkte für die unteren Einkommensschichten, die in Brasilien (und vielen anderen Schwellenländern) heute das größte Nachfragewachstum bringen.

CARL MOSES

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