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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2002

Ein Zweig der Mathematik
Ökonomie für Modelliebhaber ohne Interesse an der Wirklichkeit

Hans-Peter Grüner: Wirtschaftspolitik. Allokationstheoretische Grundlagen und politisch-ökonomische Analyse. Springer-Verlag, Berlin 2001, 172 Seiten, 19,95 Euro.

Vorsicht: Dieses Buch handelt trotz seines Titels nicht wirklich von Wirtschaftspolitik. Als einführendes wirtschaftspolitisches Lehrbuch für Studenten ist es ungeeignet. Und der Laie, der sich einen systematischen Zugriff auf das Fach Wirtschaftspolitik erhofft, wie es im volkswirtschaftlichen Studium vermittelt wird, wird enttäuscht. Hans Peter Grüner, junger Ordinarius am renommierten Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik der Universität Mannheim, hatte offenbar auch nicht vor, ein Lehrbuch im klassischen Sinne zu schreiben. Der Leser solle, schreibt der Ökonom im Vorwort, einen Zugang zur neueren theoretischen Forschung über das Zustandekommen wirtschaftspolitischer Entscheidungen erhalten. Wer sich dafür interessiert, ist mit dem 170 Seiten starken Überblick wohl nicht schlecht bedient. Es ist für Grüners Studenten indes zu hoffen, daß der Inhalt des Buches nicht alles ist, was ihr Professor zum Thema Wirtschaftspolitik zu sagen hat.

Grüner folgt einer durchgängig politisch-ökonomischen Sichtweise, die Wirtschaftspolitik vor allem als Ergebnis der Einflußnahme von Interessengruppen begreift. Das ist nicht zu kritisieren, im Gegenteil: Das Zustandekommen politischer Entscheidungen gehört zweifellos ins Zentrum jeder modernen ökonomischen Analyse von Wirtschaftspolitik. Kritikwürdig ist aber das analytische Instrumentarium. Es mag schon sein, daß die von Grüner vorgestellten polit-ökonomischen Modelle zwecks analytischer Klarheit mathematisch formuliert sein müssen. Nur: Die empirische Relevanz der Modelle erschließt sich ganz und gar nicht. Sie ist für den Verfasser offenbar auch uninteressant, was sich besonders in den Übungsaufgaben offenbart. Diese erschöpfen sich fast vollständig in mathematisch-theoretischen Spielereien.

Auch jener Teil des Buches, der sich mit Anwendungen aus der Fiskal-, Wachstums-, Geld- und Arbeitsmarktpolitik beschäftigt, kann den Eindruck nicht korrigieren, daß Grüner die Anwendung seiner Theorien auf konkrete wirtschaftspolitische Fragen nicht weiter berührt. Auch in den "Anwendungen" beschränkt er sich darauf, Modelle aus den jeweiligen Politikbereichen vorzustellen, ohne daß diese je mit der empirischen Wirklichkeit konfrontiert würden. Wer versucht, damit Walter Riesters Arbeitsmarktpolitik, Hans Eichels Haushaltspolitik oder Alan Greenspans Geldpolitik zu erklären, wird scheitern.

Im schlechtesten Sinne unmodern ist der allokationstheoretische Teil. Zwar stellt Grüner die wirklichkeitsfernen Prämissen der allgemeinen Gleichgewichtstheorie vorsichtig in Frage. Dennoch sieht er in den beiden Hauptsätzen der Wohlfahrtstheorie offenbar immer noch einen brauchbaren Ausgangspunkt zur Beantwortung der Frage, wie eine "optimale" Wirtschaftspolitik aussehen sollte. Diese traditionellen Instrumente neoklassischer Allokationstheorie sind indes nicht nur deshalb unbrauchbar, weil sie das Marktgeschehen unangemessen vereinfachend abbilden. Gegen sie spricht vor allem, daß die daraus abgeleiteten Marktversagensbefunde viel zu rasch politische Eingriffe nahelegen - und mögliches Politikversagen vernachlässigen. Dieses thematisiert Grüner kaum, obwohl er der politisch-ökonomischen Analyse breiten Raum gibt.

Der Zürcher Wissenschaftler Bruno Frey, einer der Begründer der politischen Ökonomik, hat kürzlich geklagt, die Volkswirtschaftslehre verkomme immer mehr zu einem (wohl unbedeutenden) Zweig der Mathematik. Grüners Buch belegt diese These besonders anschaulich, gerade weil es sich angeblich mit Wirtschaftspolitik beschäftigt. Das Problem besteht nicht darin, daß die vorgestellten mathematischen Modelle zu hohe Anforderungen an den Leser stellten. Nachdenklich stimmt vielmehr, daß sich Grüner offenkundig noch nicht einmal Gedanken darüber macht, welchen Nutzen ein wirtschaftspolitischer Entscheidungsträger oder ein Beobachter praktischer Wirtschaftspolitik von der Lektüre seines Buchs haben könnte. Und deshalb muß man das Buch auch nicht gelesen haben.

WERNER MUSSLER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieses Buch "handelt nicht wirklich von Wirtschaftspolitik", warnt Rezensent Werner Mussler gleich am Anfang seiner Rezension, weshalb er es gleichermaßen für Studenten wie Laien, die sich grundsätzlich über Wirtschaftspolitik informieren wollen, "ungeeignet" findet. Wer sich allerdings einen "Überblick" über die "neuere Forschung über das Zustandekommen wirtschaftspolitischer Entscheidungen" erhofft, wird mit diesem Buch "nicht schlecht bedient", meint Mussler. Dann allerdings lässt er kräftig Kritik hageln: er moniert das "analytische Instrumentarium" des Autors und meldet grundsätzlich Zweifel an der Klarheit der von Grüner bemühten mathematischen Modelle an. Für den Rezensenten, dessen Ärger stetig wächst, sind das vor allem "mathematisch-theoretische Spielereien", die sich um ihren praktischen Nutzen nicht scheren. Dem "allokationstheoretischen Teil" kann er gleichfalls nicht viel abgewinnen, er geißelt ihn als "unmodern" und "unbrauchbar". Und so lautet sein abschließendes Verdikt, dass man dieses Buch "nicht gelesen haben" muss.

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