Was verbindet einen Studenten aus dem Bologna des zwölften Jahrhunderts oder einen Scholaren aus dem Wittenberg Martin Luthers mit jemandem, der im Jahr 1999 in einem Hörsaal sitzt? Hartmut Boockmann "stellt Fragen, die den historisch interessierten Lesern auf der Zunge zergehen" (Journal für Geschichte), und er spürt ihnen mit erzählerischer Leichtigkeit und Leidenschaft nach, die selten sind in seiner Zunft. In seinem letzten, posthum erschienenen Werk schildert er die Geschichte der deutschen Universität von den Ursprüngen in die Gegenwart: von Bologna und Paris angefangen, über die erste landesfürstliche, politisch motivierte Gründung 1347 in Prag, den Wandel der mittelalterlichen Hohen Schulen unter dem Einfluß der Glaubenskämpfe im Zeitalter von Reformation und Humanismus, über die Reformuniversitäten Humboldtscher Prägung des frühen neunzehnten Jahrhunderts, Berlin, Halle und Göttingen, bis hin zu den Massenuniversitäten unserer Tage. Es ist eine Geschichte der Institution, der sich verändernden Inhalte, Konzepte und Methoden. Doch wer bestimmt, was gelehrt und worüber geforscht wird? Spätestens seit der Prager Universitätsgründung wird immer wieder, zuweilen erbittert, um die geistige Unabhängigkeit der Hochschulen gstritten. Die Geschichte des Wissens wird damit zugleich zu einer Geschichte des universitären Widerstandes gegen die Einflußnahme von außen - sei es von seiten des Staates und der Kirche, sei es von seiten privater Geldgeber.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Unsere Studenten singen nicht mehr
Aber das alte Lied vom Hochschulideal verzaubert noch / Von Konrad Adam
Nicht bloß Geschichte, sondern die eigene Geschichte zu schreiben ist riskant. Denn die Versuchung, private Vorlieben bis hin zur Idiosynkrasie zum Leitfaden der Darstellung zu machen, kann übermächtig werden. Jeder Universitätshistoriker, der es unternimmt, der Geschichte seiner Institution nachzugehen, befindet sich in dieser unkomfortablen Lage. Hartmut Boockmann, der 1998 verstorbene Mediävist aus Göttingen, scheint das geahnt zu haben, und dieses Ahnen hat ihn immun gemacht gegen die Gefahr. Seine nachgelassene Universitätsgeschichte ist von Anspielungen auf die Gegenwart durchsetzt, die nach Lage der Dinge nicht anders als resignativ oder boshaft ausfallen konnten. Aber weil er beides war, wacher Zeitzeuge und eminenter Historiker, und obendrein auch noch gut schreiben konnte, ist ein ebenso lehrreiches wie kurzweiliges Buch entstanden. Eines, das man all denen empfehlen möchte, die sich zu Hochschulpolitikern, Universitätspräsidenten oder Kultusministern berufen fühlen, ohne vom Anspruch, den sie übernehmen, eine blasse Vorstellung zu haben.
Boockmann hat eine Vorliebe für leichthin tot genannte Gegenstände wie etwa Urkunden, Gebäude und Gebrauchsgegenstände aus alter Zeit. Und er versteht es, sie ganz erstaunlich lebendig werden zu lassen. Er hat die Gabe, sich in fremde Ansichten und Gefühle hineinzuversetzen und damit Fragen in die Hand zu bekommen, die bisher noch niemals gestellt worden sind; um von den Antworten zu schweigen. Er liebt die Realien, bleibt aber nie bei ihnen stehen, sondern arrangiert sie so, dass sie von sich aus zu erzählen beginnen. Von den Platzhaltern seiner Zunft, den Verhältnissen, Bedürfnissen und Strukturen, die den Sozialhistorikern aus allen Verlegenheiten helfen, hält er nicht viel. Typisch für seine Art, Geschichte zu schreiben, ist das, was er über das Aufkommen der juristischen Studien an der Universität Bologna berichtet. An die Tatsache, dass die Digesten, der zweite Teil des Corpus juris, nur in einer einzigen Handschrift überliefert sind, schließt Boockmann eine kurze Betrachtung über die Rolle des Zufalls an, in dessen Wirksamkeit er eine Warnung erkennt, einfache Gleichungen herzustellen "und ein Panorama zu entwerfen, in dem das rasche Wachstum der Stadtwirtschaft . . . und das sich erneuernde Rechtsstudium in der schönsten Weise zueinander passen".
Das Buch ist voll von solchen Bemerkungen. Sie schmücken und lockern den chronologischen Gang durch die Jahrhunderte und sorgen dafür, dass der Leser nicht bloß über die Sache, sondern auch methodologisch belehrt wird. Die Darstellung beginnt bei den europäischen Urgründungen in Bologna, der Studentenuniversität, und Paris, der Professorenuniversität: zwei Modelle, die in der Folgezeit weniger kopiert als miteinander verbunden worden sind. Friedrichs II. Versuch, für sein italienisches Königreich eine Art Verwaltungshochschule zu stiften, misslang, sie war der Zeit voraus. Mit Prag, der Gründung Karls IV., setzte die Stiftungswelle ein, die sich über das ganze Spätmittelalter bis in die Reformationszeit hinein fortsetzte und für das Aufkommen des Protestantismus von kaum zu überschätzender Bedeutung war: Luther war Professor in Wittenberg, bevor er sich als Reformator einen Namen machte.
Die Fortdauer des Begriffs Universität ist dazu angetan, beim Rückschluss über die Jahrhunderte falsche Vorstellungen über das zu wecken, was damit anfänglich gemeint war. Denn "universitas" meinte zunächst nichts anderes als die Zunft oder die Gilde, eine Gemeinschaft also, die ihren Mitgliedern etliche Privilegien und in der Fremde Schutz gewährte: in unsicheren Zeiten Voraussetzung dafür, dass man es wagen durfte, zu Studienzwecken seine Heimat zu verlassen. Mehr als ein Dutzend Magister und ein paar hundert Studenten waren es nie, die sich an einem solchen Ort versammelten. Das Grundstudium vermittelte die Artistenfakultät, neben und über der sich die angeseheneren Fakultäten der Mediziner, der Juristen und der Theologen erhoben. Wer dort als Student eingeschrieben war, konnte oder musste bei den Artisten als Magister tätig werden. Diese Personalunion erklärt, warum es im Mittelalter auch Studenten zum Amt des Rektors bringen konnten, ziemlich oft sogar. Dass dieser Brauch ein paar Jahrhunderte später von Leuten, die viel wollten, aber nicht viel wussten, als früher Beweis für basisdemokratische Gebräuche ins Spiel gebracht wurde, war wie so vieles aus dieser unruhigen Zeit ein historisches Missverständnis.
Die große Zäsur kommt mit der Reformation. Sie gab dem Universitätsgedanken nur vorübergehend Auftrieb, langfristig hat sie ihm geschadet. Die traditionelle Vorherrschaft der Theologischen Fakultät verlangte jetzt die Zwei- und bald dann auch die Dreiteilung "der" Universität in katholische, lutherische und calvinistische Hochschulen. Wenn es einem Landesherrn gefiel, die Konfession zu wechseln, bekam das der einen, neu gegründeten oder sonstwie begünstigten Universität glänzend, den meisten anderen dagegen schlecht. Es war eine Folge der konfessionellen Spaltung, dass in Hessen wenige Kilometer vom calvinistisch gewordenen Marburg entfernt das lutherische Gießen gegründet wurde.
Nachdem der Dreißigjährige Krieg endlich vorüber war, machte sich das Wiedererwachen des geistigen Lebens in einer Serie von Universitätsgründungen bemerkbar, die das überlieferte Modell hinter sich ließen und neue Wege suchten. Den Anfang machte das pietistisch geprägte Halle, es folgten Göttingen und schließlich, mitten in den Napoleonischen Kriegen, Berlin. In Halle war ein Jurist, Thomasius, die führende Gestalt, in Göttingen ein Verwaltungsmann, der Baron von Münchhausen, in Berlin ein Liebhaber der Kultur und der Bücher, Wilhelm von Humboldt. Alle drei besaßen eine über die Zeit hinausweisende Vorstellung von dem, was eine Universität zu leisten habe, und unterschieden sich schon dadurch von all den späteren Gründerfiguren, die über das Quantitative und das Statistische, über hochgerechnete Jahrgangsgrößen und untertunnelte Studentenberge selten hinauskamen.
Wie neu Humboldts Prinzip, die Einheit von Forschung und Lehre, tatsächlich war, versteht man nur vor dem Hintergrund der von Boockmann geschilderten Tradition. Denn vorher ging es beim Universitätsbetrieb ja keineswegs um den Gewinn von neuem, sondern um die Weitergabe von altem Wissen, das als bewährt galt und festgehalten wurde. Jahrhundertelang erschöpfte sich der Lehrbetrieb im Studium der Klassiker und das hieß: in der Auslegung des Corpus juris, des Galen und des Avicenna, des heiligen Thomas und des heidnischen Aristoteles. Was darüber hinauslag, galt als unwichtig, wo nicht gar als Ketzerei.
Inzwischen deutet manches darauf hin, dass die Humboldtsche Einheit tatsächlich nur eine Episode war, weil das forschende Lehren und Lernen Ansprüche stellt, die sich mit dem modernen Hochschulzweck, der Massenausbildung, nicht vertragen. Für viele, erst jetzt ganz zu Recht so genannte Hochschullehrer ist die Forschung zur Ausrede geworden, um das Publikum mit allerlei Quisquilien zu langweilen oder gar nichts zu tun. Die neuen Zeiten begannen mit der Universitätsreform und ihrem dauerhaften Relikt, dem Hochschulrahmengesetz. Schon bald nach der wundersamen Stellenvermehrung im Zuge der Überleitung fragten sich Präsidenten und Rektoren in aller Öffentlichkeit, woher sie denn für ihre vielen Lehrer auch die viele Forschung nehmen sollten. Etliche Bundesländer haben die Frage so beantwortet, dass sie auf Trennung statt auf Einheit setzten. Sie lagerten die Forschung aus und machten aus den Universitäten höhere Lehranstalten. Das Land Nordrhein-Westfalen ist dabei besonders weit vorangekommen.
Den Bruch markiert das Jahr 1967. Bis dahin, meint auch Boockmann, "haben wir es bei den Universitäten in Deutschland mit jener Universität zu tun, die um 1200 erfunden worden war". Und danach? Danach kam eine neue Schicht ans Ruder, die Bürokraten und die Funktionäre: Leute, die Wissenschaft nicht mehr betrieben, sondern betreiben ließen. Sie haben die Chance, die ihnen durch Vordenker wie Jürgen Habermas zugespielt worden war, erkannt und ergriffen. Habermas hatte die Universitäten vor die Wahl gestellt, entweder der Kultusbürokratie das Feld zu überlassen oder sich als eine politisch handlungsfähige Einheit selbst zu konstituieren, also Gruppenuniversität zu spielen. Das war die falsche Alternative. Denn die hochpolitisierte, aber entscheidungsunfähige Universität war genau das, was die Ministerialverwaltung brauchte, um nach der Macht zu greifen.
Was fehlgelaufen ist, deutet Boockmann nur an, wenn er schreibt, dass zum beispiellosen Erfolg des Berliner, von Humboldt inspirierten Modells "wohl auch das vorbildliche Verhältnis zum Staat" beigetragen habe. Sichtbares Indiz dafür war eine außerordentlich erfolgreiche Berufungspolitik, für die in Preußen der Name Friedrich Althoffs steht. Althoff ist von den auf ihre Autonomie bedachten Universitäten angefeindet worden wie kaum ein Zweiter, hat aber auf Grund seiner intimen Personalkenntnis Berufungen ausgesprochen, die den Ruhm der deutschen Wissenschaft am Ausgang des Jahrhunderts begründeten. Es kommt immer auf die Personen an, war die stehende Rede eines in Hochschuldingen erfahrenen und erfolgreichen Wissenschaftspolitikers. Leider gilt das nicht nur im Guten, sondern auch, hélas, im Schlechten.
Hartmut Boockmann: "Wissen und Widerstand". Geschichte der deutschen Universität. Mit einem Nachwort von Wolf Jobst Siedler. Siedler Verlag, Berlin 1999. 288 S., 58 Abb., geb., 49,90 DM.
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Aber das alte Lied vom Hochschulideal verzaubert noch / Von Konrad Adam
Nicht bloß Geschichte, sondern die eigene Geschichte zu schreiben ist riskant. Denn die Versuchung, private Vorlieben bis hin zur Idiosynkrasie zum Leitfaden der Darstellung zu machen, kann übermächtig werden. Jeder Universitätshistoriker, der es unternimmt, der Geschichte seiner Institution nachzugehen, befindet sich in dieser unkomfortablen Lage. Hartmut Boockmann, der 1998 verstorbene Mediävist aus Göttingen, scheint das geahnt zu haben, und dieses Ahnen hat ihn immun gemacht gegen die Gefahr. Seine nachgelassene Universitätsgeschichte ist von Anspielungen auf die Gegenwart durchsetzt, die nach Lage der Dinge nicht anders als resignativ oder boshaft ausfallen konnten. Aber weil er beides war, wacher Zeitzeuge und eminenter Historiker, und obendrein auch noch gut schreiben konnte, ist ein ebenso lehrreiches wie kurzweiliges Buch entstanden. Eines, das man all denen empfehlen möchte, die sich zu Hochschulpolitikern, Universitätspräsidenten oder Kultusministern berufen fühlen, ohne vom Anspruch, den sie übernehmen, eine blasse Vorstellung zu haben.
Boockmann hat eine Vorliebe für leichthin tot genannte Gegenstände wie etwa Urkunden, Gebäude und Gebrauchsgegenstände aus alter Zeit. Und er versteht es, sie ganz erstaunlich lebendig werden zu lassen. Er hat die Gabe, sich in fremde Ansichten und Gefühle hineinzuversetzen und damit Fragen in die Hand zu bekommen, die bisher noch niemals gestellt worden sind; um von den Antworten zu schweigen. Er liebt die Realien, bleibt aber nie bei ihnen stehen, sondern arrangiert sie so, dass sie von sich aus zu erzählen beginnen. Von den Platzhaltern seiner Zunft, den Verhältnissen, Bedürfnissen und Strukturen, die den Sozialhistorikern aus allen Verlegenheiten helfen, hält er nicht viel. Typisch für seine Art, Geschichte zu schreiben, ist das, was er über das Aufkommen der juristischen Studien an der Universität Bologna berichtet. An die Tatsache, dass die Digesten, der zweite Teil des Corpus juris, nur in einer einzigen Handschrift überliefert sind, schließt Boockmann eine kurze Betrachtung über die Rolle des Zufalls an, in dessen Wirksamkeit er eine Warnung erkennt, einfache Gleichungen herzustellen "und ein Panorama zu entwerfen, in dem das rasche Wachstum der Stadtwirtschaft . . . und das sich erneuernde Rechtsstudium in der schönsten Weise zueinander passen".
Das Buch ist voll von solchen Bemerkungen. Sie schmücken und lockern den chronologischen Gang durch die Jahrhunderte und sorgen dafür, dass der Leser nicht bloß über die Sache, sondern auch methodologisch belehrt wird. Die Darstellung beginnt bei den europäischen Urgründungen in Bologna, der Studentenuniversität, und Paris, der Professorenuniversität: zwei Modelle, die in der Folgezeit weniger kopiert als miteinander verbunden worden sind. Friedrichs II. Versuch, für sein italienisches Königreich eine Art Verwaltungshochschule zu stiften, misslang, sie war der Zeit voraus. Mit Prag, der Gründung Karls IV., setzte die Stiftungswelle ein, die sich über das ganze Spätmittelalter bis in die Reformationszeit hinein fortsetzte und für das Aufkommen des Protestantismus von kaum zu überschätzender Bedeutung war: Luther war Professor in Wittenberg, bevor er sich als Reformator einen Namen machte.
Die Fortdauer des Begriffs Universität ist dazu angetan, beim Rückschluss über die Jahrhunderte falsche Vorstellungen über das zu wecken, was damit anfänglich gemeint war. Denn "universitas" meinte zunächst nichts anderes als die Zunft oder die Gilde, eine Gemeinschaft also, die ihren Mitgliedern etliche Privilegien und in der Fremde Schutz gewährte: in unsicheren Zeiten Voraussetzung dafür, dass man es wagen durfte, zu Studienzwecken seine Heimat zu verlassen. Mehr als ein Dutzend Magister und ein paar hundert Studenten waren es nie, die sich an einem solchen Ort versammelten. Das Grundstudium vermittelte die Artistenfakultät, neben und über der sich die angeseheneren Fakultäten der Mediziner, der Juristen und der Theologen erhoben. Wer dort als Student eingeschrieben war, konnte oder musste bei den Artisten als Magister tätig werden. Diese Personalunion erklärt, warum es im Mittelalter auch Studenten zum Amt des Rektors bringen konnten, ziemlich oft sogar. Dass dieser Brauch ein paar Jahrhunderte später von Leuten, die viel wollten, aber nicht viel wussten, als früher Beweis für basisdemokratische Gebräuche ins Spiel gebracht wurde, war wie so vieles aus dieser unruhigen Zeit ein historisches Missverständnis.
Die große Zäsur kommt mit der Reformation. Sie gab dem Universitätsgedanken nur vorübergehend Auftrieb, langfristig hat sie ihm geschadet. Die traditionelle Vorherrschaft der Theologischen Fakultät verlangte jetzt die Zwei- und bald dann auch die Dreiteilung "der" Universität in katholische, lutherische und calvinistische Hochschulen. Wenn es einem Landesherrn gefiel, die Konfession zu wechseln, bekam das der einen, neu gegründeten oder sonstwie begünstigten Universität glänzend, den meisten anderen dagegen schlecht. Es war eine Folge der konfessionellen Spaltung, dass in Hessen wenige Kilometer vom calvinistisch gewordenen Marburg entfernt das lutherische Gießen gegründet wurde.
Nachdem der Dreißigjährige Krieg endlich vorüber war, machte sich das Wiedererwachen des geistigen Lebens in einer Serie von Universitätsgründungen bemerkbar, die das überlieferte Modell hinter sich ließen und neue Wege suchten. Den Anfang machte das pietistisch geprägte Halle, es folgten Göttingen und schließlich, mitten in den Napoleonischen Kriegen, Berlin. In Halle war ein Jurist, Thomasius, die führende Gestalt, in Göttingen ein Verwaltungsmann, der Baron von Münchhausen, in Berlin ein Liebhaber der Kultur und der Bücher, Wilhelm von Humboldt. Alle drei besaßen eine über die Zeit hinausweisende Vorstellung von dem, was eine Universität zu leisten habe, und unterschieden sich schon dadurch von all den späteren Gründerfiguren, die über das Quantitative und das Statistische, über hochgerechnete Jahrgangsgrößen und untertunnelte Studentenberge selten hinauskamen.
Wie neu Humboldts Prinzip, die Einheit von Forschung und Lehre, tatsächlich war, versteht man nur vor dem Hintergrund der von Boockmann geschilderten Tradition. Denn vorher ging es beim Universitätsbetrieb ja keineswegs um den Gewinn von neuem, sondern um die Weitergabe von altem Wissen, das als bewährt galt und festgehalten wurde. Jahrhundertelang erschöpfte sich der Lehrbetrieb im Studium der Klassiker und das hieß: in der Auslegung des Corpus juris, des Galen und des Avicenna, des heiligen Thomas und des heidnischen Aristoteles. Was darüber hinauslag, galt als unwichtig, wo nicht gar als Ketzerei.
Inzwischen deutet manches darauf hin, dass die Humboldtsche Einheit tatsächlich nur eine Episode war, weil das forschende Lehren und Lernen Ansprüche stellt, die sich mit dem modernen Hochschulzweck, der Massenausbildung, nicht vertragen. Für viele, erst jetzt ganz zu Recht so genannte Hochschullehrer ist die Forschung zur Ausrede geworden, um das Publikum mit allerlei Quisquilien zu langweilen oder gar nichts zu tun. Die neuen Zeiten begannen mit der Universitätsreform und ihrem dauerhaften Relikt, dem Hochschulrahmengesetz. Schon bald nach der wundersamen Stellenvermehrung im Zuge der Überleitung fragten sich Präsidenten und Rektoren in aller Öffentlichkeit, woher sie denn für ihre vielen Lehrer auch die viele Forschung nehmen sollten. Etliche Bundesländer haben die Frage so beantwortet, dass sie auf Trennung statt auf Einheit setzten. Sie lagerten die Forschung aus und machten aus den Universitäten höhere Lehranstalten. Das Land Nordrhein-Westfalen ist dabei besonders weit vorangekommen.
Den Bruch markiert das Jahr 1967. Bis dahin, meint auch Boockmann, "haben wir es bei den Universitäten in Deutschland mit jener Universität zu tun, die um 1200 erfunden worden war". Und danach? Danach kam eine neue Schicht ans Ruder, die Bürokraten und die Funktionäre: Leute, die Wissenschaft nicht mehr betrieben, sondern betreiben ließen. Sie haben die Chance, die ihnen durch Vordenker wie Jürgen Habermas zugespielt worden war, erkannt und ergriffen. Habermas hatte die Universitäten vor die Wahl gestellt, entweder der Kultusbürokratie das Feld zu überlassen oder sich als eine politisch handlungsfähige Einheit selbst zu konstituieren, also Gruppenuniversität zu spielen. Das war die falsche Alternative. Denn die hochpolitisierte, aber entscheidungsunfähige Universität war genau das, was die Ministerialverwaltung brauchte, um nach der Macht zu greifen.
Was fehlgelaufen ist, deutet Boockmann nur an, wenn er schreibt, dass zum beispiellosen Erfolg des Berliner, von Humboldt inspirierten Modells "wohl auch das vorbildliche Verhältnis zum Staat" beigetragen habe. Sichtbares Indiz dafür war eine außerordentlich erfolgreiche Berufungspolitik, für die in Preußen der Name Friedrich Althoffs steht. Althoff ist von den auf ihre Autonomie bedachten Universitäten angefeindet worden wie kaum ein Zweiter, hat aber auf Grund seiner intimen Personalkenntnis Berufungen ausgesprochen, die den Ruhm der deutschen Wissenschaft am Ausgang des Jahrhunderts begründeten. Es kommt immer auf die Personen an, war die stehende Rede eines in Hochschuldingen erfahrenen und erfolgreichen Wissenschaftspolitikers. Leider gilt das nicht nur im Guten, sondern auch, hélas, im Schlechten.
Hartmut Boockmann: "Wissen und Widerstand". Geschichte der deutschen Universität. Mit einem Nachwort von Wolf Jobst Siedler. Siedler Verlag, Berlin 1999. 288 S., 58 Abb., geb., 49,90 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Konrad Adam nimmt das nachgelassene Buch des Mediävisten zum Anlass für einen kulturpessimistischenStreifzug: Bis ins 20. Jahrhundert sei die Universität in Deutschland ihrem Herkommen aus dem Mittelalterverbunden gewesen. Dann habe aber nicht etwa die Austreibung des Geistes durch die Nazis, sondern die 68er-Bewegung ihr Ideal zerstört. Ihre Politisierung der Institution ermöglichte es nach Adam den Politikern und Ministerialräten, nach der Macht zu greifen. Dabei sei vor allem die Humboldtsche Einheit von Forschung und Lehre zerstört worden. Auch Boockmanns Universitätsgeschichte sei von Anspielungen auf die Gegenwart durchzogen und könne darum "