Wie kann man heute noch an Gott glauben? Welcher Gottesbegriff ist mit einer naturwissenschaftlichen Sicht der Welt vereinbar? Seit der Aufklärung hat die Religion an Einfluss verloren, nicht zuletzt, weil sie im Widerspruch zu den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft zu stehen schien.1991 in der berühmten Vorlesungsreihe Gifford Lectures in Edinburgh als Religion in an Age of Science präsentiert, bestimmt Barbour in diesem Buch den Ort der Religion im Zeitalter der Naturwissenschaft neu und legt eine Interpretation des Christentums vor, die sowohl dem biblischen Glauben als auch der zeitgenössischen Naturwissenschaft entspricht. Am Beispiel von Galilei, Newton, Hume, Kant, Darwin u. a. beschreibt er die Wechselwirkungen zwischen Naturwissenschaft und Religion seit dem 17. Jahrhundert.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.01.2004Der Geist in der Natur
Ian G. Barbour über das Verhältnis von Wissenschaft und Religion
Am 28. November 1660 fanden sich im Londoner Gresham College zwölf Männer zusammen, um eine Anstalt zur Förderung der physico-mathematischen experimentellen Gelehrsamkeit zu gründen. Wenige Jahre später wurde daraus „The Royal Society of London for Improving Natural Knowledge”. Dem satzungsmäßigen Ziel, ihre Forschung „zum Ruhme Gottes und zum Wohle der Menschheit” zu betreiben, war auch Isaac Newton verpflichtet, der von 1703 bis 1727 Präsident der Royal Society war. Am Anfang der naturwissenschaftlichen Revolutionierung des Weltbildes stand so eine eigentümliche Verquickung von religiöser Motivation und wissenschaftlicher Rationalität. Die daraus resultierende Dynamik der modernen Wissenschaften führte freilich zur Auflösung dieses engen Bundes mit der Religion. Aber auch wenn die alte Harmonie nicht mehr besteht, ist die Annahme einer nurmehr konfliktuösen Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Religion nicht gerechtfertigt.
Dies zu zeigen ist das Anliegen des amerikanischen Physikers und Theologen Ian G. Barbour, der zu den profiliertesten Kennern des theologisch-naturwissenschaftlichen Diskurses zählt. Nun liegt die deutsche Übersetzung seiner Studien vor, die aus Vorträgen anlässlich der berühmten „Gifford Lectures” zum Thema „Wissenschaft und Glaube” hervorgegangen sind. Neben Barbours doppelter Kompetenz in Sachen Theologie und Naturwissenschaft kommt der Darstellung vor allem seine historische Kenntnis zugute. Wer die Geschichte der Wechselwirkungen zwischen religiösem und naturwissenschaftlichem Denken kennt, dem sind Besserwissereien und gegenseitige Verwerfungen fremd. Es ist kennzeichnend, dass Barbours wohltuend unaufgeregte Darstellung nur an einem Punkt Widerwillen erkennen lässt, nämlich wenn es um die religiösen und naturwissenschaftlichen Positionen geht, die meinen, einander als überflüssig erweisen zu können.
Barbour nennt dies das Konflikt-Modell: Auf der einen Seite die wissenschaftlichen Materialisten, die die Realität einschließlich geistiger Phänomene auf das gesetzmäßige, wenn auch noch nicht vollständig entschlüsselte, aber grundsätzlich entschlüsselbare Zusammenwirken von Elementen nach Vorbild von Physik und Chemie zurückführen wollen. Auf der anderen Seite die Biblizisten, die die Aussagen der Bibel als unbedingte Wahrheiten ansehen, die eine Unterscheidung verschiedener Gültigkeitsbereiche nicht zulasse, wie im Falle der Bestreitung der Evolutionstheorie im Namen einer wortwörtlichen aufgefassten Bibel.
Schöpferische Teilhabe
Weit verbreiteter als diese konfligierenden Ansätze ist die Auffassung der Unabhängigkeit von Religion und Naturwissenschaft. Die religiösen Vorstellungen werden hier als Ausdruck menschlichen Gottvertrauens aufgefasst, während die wissenschaftlichen Aussagen zur gesetzmäßigen Erklärung beobachtbarer Naturphänomene zu Rate gezogen werden. Diese Haltung ist für die Moderne charakteristisch geworden. Barbour sieht in ihr einen „guten Ausgangspunkt”, möchte dabei aber nicht stehen bleiben. Barbour nennt eine „naturzentrierte Spiritualität”, der gerade die naturwissenschaftlich erforschte Geschichte des Universums Anlass zu Ehrfurcht und Bewunderung gibt. Auch die Reflexion auf metaphysische Hintergrundannahmen der Naturwissenschaften können Anlass zum Nachdenken ihre theologischen Implikationen werden. Albert Einstein hat dies so ausgedrückt: „Aller höheren naturwissenschaftlichen Arbeit liegt eine fast religiös zu nennende Überzeugung zugrunde, dass die Welt rational und verstehbar ist.”
Mit diesem Satz Einsteins ist eine weitreichende Hintergrundannahme verbunden, die für das dialogische Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft grundlegend ist. Sie besagt, dass religiöses und naturwissenschaftliches Denken historisch und kulturell bedingt sind. Beide sind menschliche Konstrukte, deren Aussagen an Verstehensbedingungen rückgebunden sind, die dem Wandel unterworfen sind. Es sind lediglich vorläufige Aussagen. Barbour sieht hier eine Ähnlichkeit zwischen der Position des „kritischen Realismus” mit seiner Auffassung naturwissenschaftlicher Modelle und hermeneutischer Reflexionen auf das religiöse Sprachspiel.
Auf dieser Folie möchte Barbour schließlich noch über den Dialog hinausgehen und verhandelt die Möglichkeit der Integration von religiöser und naturwissenschaftlicher Reflexion. Dazu entwickelt er Grundzüge einer „Theologie der Natur”, die an der Prozessphilosophie Alfred North Whiteheads orientiert ist. Ob in einer solchen mehrperspektivischen Kosmologie und ihrer Einzeichnung des handelnden Gottes als „schöpferischen Partizipieres” in der Evolution ein entscheidender Fortschritt im Verhältnis von Glaube und Wissenschaft erzielt ist, wird sich noch erweisen müssen.
Den Vertretern beider Kulturen, Religion und Naturwissenschaft, gibt die in ihren historischen und wissenschaftsgeschichtlichen Ausführungen äußerst klare Darstellung jedenfalls reichlich Material an die Hand, die stets notwendige Kreativität auch im Verhältnis zueinander zu erproben.
FRIEDEMANN VOIGT
IAN G. BARBOUR: Wissenschaft und Glaube. Historische und zeitgenössische Aspekte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003. 508 Seiten, 49,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ian G. Barbour über das Verhältnis von Wissenschaft und Religion
Am 28. November 1660 fanden sich im Londoner Gresham College zwölf Männer zusammen, um eine Anstalt zur Förderung der physico-mathematischen experimentellen Gelehrsamkeit zu gründen. Wenige Jahre später wurde daraus „The Royal Society of London for Improving Natural Knowledge”. Dem satzungsmäßigen Ziel, ihre Forschung „zum Ruhme Gottes und zum Wohle der Menschheit” zu betreiben, war auch Isaac Newton verpflichtet, der von 1703 bis 1727 Präsident der Royal Society war. Am Anfang der naturwissenschaftlichen Revolutionierung des Weltbildes stand so eine eigentümliche Verquickung von religiöser Motivation und wissenschaftlicher Rationalität. Die daraus resultierende Dynamik der modernen Wissenschaften führte freilich zur Auflösung dieses engen Bundes mit der Religion. Aber auch wenn die alte Harmonie nicht mehr besteht, ist die Annahme einer nurmehr konfliktuösen Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Religion nicht gerechtfertigt.
Dies zu zeigen ist das Anliegen des amerikanischen Physikers und Theologen Ian G. Barbour, der zu den profiliertesten Kennern des theologisch-naturwissenschaftlichen Diskurses zählt. Nun liegt die deutsche Übersetzung seiner Studien vor, die aus Vorträgen anlässlich der berühmten „Gifford Lectures” zum Thema „Wissenschaft und Glaube” hervorgegangen sind. Neben Barbours doppelter Kompetenz in Sachen Theologie und Naturwissenschaft kommt der Darstellung vor allem seine historische Kenntnis zugute. Wer die Geschichte der Wechselwirkungen zwischen religiösem und naturwissenschaftlichem Denken kennt, dem sind Besserwissereien und gegenseitige Verwerfungen fremd. Es ist kennzeichnend, dass Barbours wohltuend unaufgeregte Darstellung nur an einem Punkt Widerwillen erkennen lässt, nämlich wenn es um die religiösen und naturwissenschaftlichen Positionen geht, die meinen, einander als überflüssig erweisen zu können.
Barbour nennt dies das Konflikt-Modell: Auf der einen Seite die wissenschaftlichen Materialisten, die die Realität einschließlich geistiger Phänomene auf das gesetzmäßige, wenn auch noch nicht vollständig entschlüsselte, aber grundsätzlich entschlüsselbare Zusammenwirken von Elementen nach Vorbild von Physik und Chemie zurückführen wollen. Auf der anderen Seite die Biblizisten, die die Aussagen der Bibel als unbedingte Wahrheiten ansehen, die eine Unterscheidung verschiedener Gültigkeitsbereiche nicht zulasse, wie im Falle der Bestreitung der Evolutionstheorie im Namen einer wortwörtlichen aufgefassten Bibel.
Schöpferische Teilhabe
Weit verbreiteter als diese konfligierenden Ansätze ist die Auffassung der Unabhängigkeit von Religion und Naturwissenschaft. Die religiösen Vorstellungen werden hier als Ausdruck menschlichen Gottvertrauens aufgefasst, während die wissenschaftlichen Aussagen zur gesetzmäßigen Erklärung beobachtbarer Naturphänomene zu Rate gezogen werden. Diese Haltung ist für die Moderne charakteristisch geworden. Barbour sieht in ihr einen „guten Ausgangspunkt”, möchte dabei aber nicht stehen bleiben. Barbour nennt eine „naturzentrierte Spiritualität”, der gerade die naturwissenschaftlich erforschte Geschichte des Universums Anlass zu Ehrfurcht und Bewunderung gibt. Auch die Reflexion auf metaphysische Hintergrundannahmen der Naturwissenschaften können Anlass zum Nachdenken ihre theologischen Implikationen werden. Albert Einstein hat dies so ausgedrückt: „Aller höheren naturwissenschaftlichen Arbeit liegt eine fast religiös zu nennende Überzeugung zugrunde, dass die Welt rational und verstehbar ist.”
Mit diesem Satz Einsteins ist eine weitreichende Hintergrundannahme verbunden, die für das dialogische Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft grundlegend ist. Sie besagt, dass religiöses und naturwissenschaftliches Denken historisch und kulturell bedingt sind. Beide sind menschliche Konstrukte, deren Aussagen an Verstehensbedingungen rückgebunden sind, die dem Wandel unterworfen sind. Es sind lediglich vorläufige Aussagen. Barbour sieht hier eine Ähnlichkeit zwischen der Position des „kritischen Realismus” mit seiner Auffassung naturwissenschaftlicher Modelle und hermeneutischer Reflexionen auf das religiöse Sprachspiel.
Auf dieser Folie möchte Barbour schließlich noch über den Dialog hinausgehen und verhandelt die Möglichkeit der Integration von religiöser und naturwissenschaftlicher Reflexion. Dazu entwickelt er Grundzüge einer „Theologie der Natur”, die an der Prozessphilosophie Alfred North Whiteheads orientiert ist. Ob in einer solchen mehrperspektivischen Kosmologie und ihrer Einzeichnung des handelnden Gottes als „schöpferischen Partizipieres” in der Evolution ein entscheidender Fortschritt im Verhältnis von Glaube und Wissenschaft erzielt ist, wird sich noch erweisen müssen.
Den Vertretern beider Kulturen, Religion und Naturwissenschaft, gibt die in ihren historischen und wissenschaftsgeschichtlichen Ausführungen äußerst klare Darstellung jedenfalls reichlich Material an die Hand, die stets notwendige Kreativität auch im Verhältnis zueinander zu erproben.
FRIEDEMANN VOIGT
IAN G. BARBOUR: Wissenschaft und Glaube. Historische und zeitgenössische Aspekte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003. 508 Seiten, 49,90 Euro.
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'Ein Glücksfall von einem grundlegenden Buch.' (Torsten Habbel, Publik-Forum)
'Ein lesenswertes Buch, das in die fundamentaltheologische Abteilung der Bibliothek und in die Hand der Studierenden gehört, die dann durch ihren Kenntnisvorsprung hoffentlich auch ihre Professoren zur Lektüre herausfordern oder nötigen.' (Ulrich Lüke, Theologische Revue)
'Ein lesenswertes Buch, das in die fundamentaltheologische Abteilung der Bibliothek und in die Hand der Studierenden gehört, die dann durch ihren Kenntnisvorsprung hoffentlich auch ihre Professoren zur Lektüre herausfordern oder nötigen.' (Ulrich Lüke, Theologische Revue)
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Man hat sich daran gewöhnt, den Beginn der Aufklärung als Anfang einer seitdem eindeutig "konfliktuösen Beziehung zwischen Naturwissenschaft und Religion" wahrzunehmen. Ian G. Barbour sieht das anders und heimst dafür von Rezensent Friedemann Voigt viel Lob ein. Barbour ist nämlich beides, Physiker und Theologe, und rückt die beiden wieder enger aneinander, als das in der Gegenwart üblich ist. Voigt hebt Barbours fundierte Kenntnisse hervor und applaudiert ihm insbesondere zu seiner Ablehnung von "Besserwissereien und gegenseitigen Verwerfungen". Stattdessen gebe er nicht nur beiden Seiten Denkanstöße, sich gegenseitigen Verpflichtungen und Anknüpfungspunkten zu öffnen, sondern diskutiere darüber hinaus auch "die Möglichkeit der Integration von religiöser und naturwissenschaftlicher Reflexion". Ob eine solche "Theologie der Natur" fruchtbar für Wissenschaft und Religion sein kann, möchte der Rezensent nicht beantworten, doch was die Qualität von Barbours "wohltuend unaufgeregter Darstellung" angeht, ist er sich sicher: überaus lohnenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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