Die vorliegende Briefsammlungenthalt BriefevonundanWolfgangPauliwahrend der Zeitspanne 1919 bis 1929. Viele Autoren haben diese Zeit mit Recht als die "goldene Periode der Physik"betrachtet. Bis zu dieser Zeithatten die Physiker eine ungeheure Menge von Fakten iiber die Eigenschaften der Atome angesammelt, insbesondere in den Resultaten der Spektralanalyse. AIle diese Resultate wider sprachen den Erwartungen der klassischen Physik. Zwar war das Bohrsche Atommodell, erganzt durch die Betrachtungen Sommerfelds, wohl im Stande, einige dieser Tatsachen zu beschreiben, solange es sich urn die einfachsten Atome handelte, in denen man bloB die Bewegung eines Elektrons in Betracht zu ziehen hatte, wie in Wasserstoffatomen oder in den Alkaliatomen. In allen Mehr Elektronensystemen und in den Fragen der Feinstruktur der Spektrallinien versagte aber dieses Modell vollig, und selbst in den Einzel-Elektron-Problemen erschienen die Grundlagen des Modells als plausible, aber willkiirliche Annahmen. Dan·n kam die Quantenmechanik und anderte alles mit einem Schlag. Die Ratsel waren gelost, das Verhalten der Atome konnte mit eindeutigen und logischen Mitteln erklart und im Prinzip berechnet werden. Selten, vielleicht noch nie in der Geistesgeschichte, haben so wenig Leute soviel in so kurzer Zeit geleistet. Innerhalb weniger Jahre, von 1925 bis 1928, waren die Prinzipien festgelegt, auf denen die Spezifitat und die Stabilitat der Atome beruhen; es wurden die Grundlagen der chemischen Bindung aufgedeckt und ebenso die Grundlagen der Struktur der Metalle und anderer Festkorper. Alles fiigte sich zusammen in ein logisches Gebaude, das auf ganz neuartigen Ideen beruhte, die den Grundideen der klassischen Physik in revolutionarer Weise widersprachen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.03.2005Es fehlen nur noch technische Details
Zwei Nobelpreisträger: Über Wolfgang Pauli, die Weltformel, Tizian und ein Buch von Gerald Edelman, der die Entstehung des Bewusstseins erklären will
Eine erfreuliche Meldung vom akademischen Buchmarkt: Die Gesamtausgabe von Wolfgang Paulis „Wissenschaftlichem Briefwechsel” ist fertig. Eine Schatzgrube, kompetent ediert, klar, schön und sündhaft teuer. Soeben erschienen die Briefe der letzten beiden Lebensjahre des höchst ungewöhnlichen Menschen und früh verstorbenen Physikers, der aus unergründlicher Bescheidenheit einen Großteil seiner Ideen nur in Briefen niedergeschrieben hat. Die Briefe jedoch sind weniger bescheiden; aus ihnen spricht der gefürchtete Großinquisitor der Naturwissenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts mit brutaler Offenheit, philosophischem Tiefsinn und beißendem Humor für und gegen jedermann.
Herrlich ist die Geschichte mit der Weltformel. Im März 1958 verschickt Wolfgang Pauli für die schwarzen Bretter von einem Dutzend physikalischer Institute eine von ihm selbst gemalte Zeichnung, mit der Überschrift in englischer Sprache: „Kommentar zu Heisenbergs Ankündigung im Radio. Hiermit soll der Welt gezeigt werden, dass ich wie Tizian malen kann.” Unter der Zeichnung steht dann der Satz: „Nur technische Details fehlen. W. Pauli”. Und was zeigt diese Zeichnung? Ein schlampig skizziertes Rechteck, das wohl einen leeren Bilderrahmen symbolisieren soll.
Es war Pauli selbst, der einige Monate zuvor die Kernideen hatte, wie sich die gesamte damals bekannte Physik in eine elegante Formel packen ließe. Mit Enthusiasmus macht er sich zusammen mit Heisenberg an die Ausarbeitung, bis Pauli erkennt, dass der ganze Ansatz nicht stimmt, während Heisenberg etwa gleichzeitig anfängt, die halbgaren Wunschvorstellungen an die Presse zu lancieren, die auch gleich in Massen schlecht recherchierte Sensationsartikel der Art „Prof. Heisenberg und sein Assistent Wolfgang Pauli haben die Grundgleichungen des Kosmos gefunden” druckt. Paulis Spott über Heisenbergs begierig angenommene Rolle als öffentlicher „Über-Einstein, Über-Faust und Über-Mensch” zieht sich durch viele Briefe. Einstein hatte in den Jahrzehnten vor seinem Tod 1955 auch in bunter Vielfalt stets neue Weltformeln der Öffentlichkeit vorgestellt.
Aber jetzt zu etwas völlig Anderem: Gerald Edelman hat erneut bekannt gegeben, dass er die biologischen Mechanismen des menschlichen Bewusstseins entdeckt hat. Auch Edelman ist Nobelpreisträger wie Heisenberg, Pauli und Einstein, allerdings noch nicht für seine Theorie des Bewusstseins, sondern schon seit 1972 für seinen Anteil an der Entdeckung der chemischen Struktur der Antikörper im Immunsystem von Säugetieren. Seither hat er die Disziplin gewechselt, das menschliche Bewusstsein erforscht und die Überzeugung gewonnen, dass es sich „mit naturwissenschaftlichen Methoden untersuchen lässt.”
Das neue Buch von Edelman wendet sich ohne Umwege an den wissenschaftlichen Laien. „Mein Anliegen dabei war, das Wesen des Bewusstseins so einfach wie nur möglich zu beschreiben, ohne dass dies auf Kosten der Genauigkeit geht.” Das Buch soll die Frage beantworten: „Wie können aus dem Feuern von Neuronen subjektive Eindrücke, Gedanken und Emotionen entstehen?” Edelmans Antwort überträgt, wie schon in zahlreichen Büchern zuvor, Darwins Evolutionstheorie auf die Formbildungsprozesse im Gehirn. Er nennt das, was dabei herauskommt, die „Theorie der neuronalen Gruppenselektion”.
Diese gründet sich auf drei Teilschritten: Bei der „Entwicklungsselektion” entstehen im Gehirn Varianten von „unterschiedlich aufgebauten Schaltkreisen oder Neuronengruppen”. Bei der „Erfahrungsselektion” erhalten „die einzelnen Synapsen des auf die Umwelt reagierenden Organismus unterschiedliche Erfahrungsinputs und werden dabei in sehr unterschiedlichem Maße gestärkt oder abgeschwächt.” Bei der anschließenden „reziproken Koppelung” kommt es zum „fortlaufenden rekursiven Austausch paralleler Signale zwischen Hirnarealen”.
Im größten Teil des Buches versucht Edelman, Merkmale des Bewusstseins in diesem Rahmen zu erklären, beispielsweise „die Fähigkeit, Bedeutung aus der Welt herauszulesen”, die Existenz subjektiver Gefühlszustände, so genannter „Qualia”, oder die Unterscheidung zwischen bewussten und unterbewussten Zuständen. Die Erklärungsarbeit liegt jeweils in einer komplexen Variation der Voraussetzungen, beispielsweise: „Die komplexe Integration des dynamischen Kerngefüges, die von der Verhaltensgeschichte und den Erinnerungen an individuelle Lernereignisse moduliert wird, führt zu adaptivem Verhalten, das zwangsläufig charakteristisch für den individuellen Organismus ist.”
Ein Merkmal des Bewusstseins, für das sich Edelman kaum interessiert, ist seine spezifische Ausformung. Zumindest bei Nicht-Hirnforschern sind Bewusstseinszustände normalerweise von der Art, dass sie sich von anderen Zuständen grundsätzlich unterscheiden. Den Gedanken an beispielsweise ein Gemälde von Tizian halten die meisten Menschen für etwas wesentlich anderes als den Gedanken an ein mit Bleistift gekritzeltes Rechteck. Eine Theorie des Bewusstseins müsste mithin mindestens den Versuch unternehmen, solchen Unterschieden gerecht zu werden, und die spezifischen Veränderungen im Gehirn benennen, die diese Unterschiede auszeichnen. Bei Edelmans Hirnmodell liegen diese Unterschiede indes in irgendwelchen nicht näher spezifizierten „verketteten reentranten Verschaltungswegen”. Das ist so wahr, dass es noch nicht einmal falsch sein kann. Freundlicherweise sollte man aber noch erwähnen, dass der englische Titel seines Buchs, angelehnt an ein Gedicht von Emily Dickinson, auch bloß „Wider than the sky. The phenomenal gift of consciousness” lautete.
Vorläufig muss man festhalten, dass Wolfgang Pauli bedeutend mehr in der klassischen Malerei geleistet hat als Gerald Edelman bisher in der Hirnforschung. Zumindest hatte Pauli wenigstens angefangen, ein paar Striche auf Papier zu bringen. Und Pauli besaß die Selbsterkenntnis, dass ihm für die hohe Kunst eines Tizian noch „technische Details” fehlen.
ULRICH KÜHNE
GERALD EDELMAN: Das Licht des Geistes. Wie Bewusstsein entsteht. Walter Verlag, Düsseldorf und Zürich 2004. 187 Seiten, 24,90 Euro.
WOLFGANG PAULI: Wissenschaftlicher Briefwechsel mit Bohr, Einstein, Heisenberg u. a. Band 4.4 in 2 Teilbänden: 1957-1958. Hrsg. von Karl von Meyenn. Springer Verlag, Heidelberg 2004. 1585 Seiten, 229 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Zwei Nobelpreisträger: Über Wolfgang Pauli, die Weltformel, Tizian und ein Buch von Gerald Edelman, der die Entstehung des Bewusstseins erklären will
Eine erfreuliche Meldung vom akademischen Buchmarkt: Die Gesamtausgabe von Wolfgang Paulis „Wissenschaftlichem Briefwechsel” ist fertig. Eine Schatzgrube, kompetent ediert, klar, schön und sündhaft teuer. Soeben erschienen die Briefe der letzten beiden Lebensjahre des höchst ungewöhnlichen Menschen und früh verstorbenen Physikers, der aus unergründlicher Bescheidenheit einen Großteil seiner Ideen nur in Briefen niedergeschrieben hat. Die Briefe jedoch sind weniger bescheiden; aus ihnen spricht der gefürchtete Großinquisitor der Naturwissenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts mit brutaler Offenheit, philosophischem Tiefsinn und beißendem Humor für und gegen jedermann.
Herrlich ist die Geschichte mit der Weltformel. Im März 1958 verschickt Wolfgang Pauli für die schwarzen Bretter von einem Dutzend physikalischer Institute eine von ihm selbst gemalte Zeichnung, mit der Überschrift in englischer Sprache: „Kommentar zu Heisenbergs Ankündigung im Radio. Hiermit soll der Welt gezeigt werden, dass ich wie Tizian malen kann.” Unter der Zeichnung steht dann der Satz: „Nur technische Details fehlen. W. Pauli”. Und was zeigt diese Zeichnung? Ein schlampig skizziertes Rechteck, das wohl einen leeren Bilderrahmen symbolisieren soll.
Es war Pauli selbst, der einige Monate zuvor die Kernideen hatte, wie sich die gesamte damals bekannte Physik in eine elegante Formel packen ließe. Mit Enthusiasmus macht er sich zusammen mit Heisenberg an die Ausarbeitung, bis Pauli erkennt, dass der ganze Ansatz nicht stimmt, während Heisenberg etwa gleichzeitig anfängt, die halbgaren Wunschvorstellungen an die Presse zu lancieren, die auch gleich in Massen schlecht recherchierte Sensationsartikel der Art „Prof. Heisenberg und sein Assistent Wolfgang Pauli haben die Grundgleichungen des Kosmos gefunden” druckt. Paulis Spott über Heisenbergs begierig angenommene Rolle als öffentlicher „Über-Einstein, Über-Faust und Über-Mensch” zieht sich durch viele Briefe. Einstein hatte in den Jahrzehnten vor seinem Tod 1955 auch in bunter Vielfalt stets neue Weltformeln der Öffentlichkeit vorgestellt.
Aber jetzt zu etwas völlig Anderem: Gerald Edelman hat erneut bekannt gegeben, dass er die biologischen Mechanismen des menschlichen Bewusstseins entdeckt hat. Auch Edelman ist Nobelpreisträger wie Heisenberg, Pauli und Einstein, allerdings noch nicht für seine Theorie des Bewusstseins, sondern schon seit 1972 für seinen Anteil an der Entdeckung der chemischen Struktur der Antikörper im Immunsystem von Säugetieren. Seither hat er die Disziplin gewechselt, das menschliche Bewusstsein erforscht und die Überzeugung gewonnen, dass es sich „mit naturwissenschaftlichen Methoden untersuchen lässt.”
Das neue Buch von Edelman wendet sich ohne Umwege an den wissenschaftlichen Laien. „Mein Anliegen dabei war, das Wesen des Bewusstseins so einfach wie nur möglich zu beschreiben, ohne dass dies auf Kosten der Genauigkeit geht.” Das Buch soll die Frage beantworten: „Wie können aus dem Feuern von Neuronen subjektive Eindrücke, Gedanken und Emotionen entstehen?” Edelmans Antwort überträgt, wie schon in zahlreichen Büchern zuvor, Darwins Evolutionstheorie auf die Formbildungsprozesse im Gehirn. Er nennt das, was dabei herauskommt, die „Theorie der neuronalen Gruppenselektion”.
Diese gründet sich auf drei Teilschritten: Bei der „Entwicklungsselektion” entstehen im Gehirn Varianten von „unterschiedlich aufgebauten Schaltkreisen oder Neuronengruppen”. Bei der „Erfahrungsselektion” erhalten „die einzelnen Synapsen des auf die Umwelt reagierenden Organismus unterschiedliche Erfahrungsinputs und werden dabei in sehr unterschiedlichem Maße gestärkt oder abgeschwächt.” Bei der anschließenden „reziproken Koppelung” kommt es zum „fortlaufenden rekursiven Austausch paralleler Signale zwischen Hirnarealen”.
Im größten Teil des Buches versucht Edelman, Merkmale des Bewusstseins in diesem Rahmen zu erklären, beispielsweise „die Fähigkeit, Bedeutung aus der Welt herauszulesen”, die Existenz subjektiver Gefühlszustände, so genannter „Qualia”, oder die Unterscheidung zwischen bewussten und unterbewussten Zuständen. Die Erklärungsarbeit liegt jeweils in einer komplexen Variation der Voraussetzungen, beispielsweise: „Die komplexe Integration des dynamischen Kerngefüges, die von der Verhaltensgeschichte und den Erinnerungen an individuelle Lernereignisse moduliert wird, führt zu adaptivem Verhalten, das zwangsläufig charakteristisch für den individuellen Organismus ist.”
Ein Merkmal des Bewusstseins, für das sich Edelman kaum interessiert, ist seine spezifische Ausformung. Zumindest bei Nicht-Hirnforschern sind Bewusstseinszustände normalerweise von der Art, dass sie sich von anderen Zuständen grundsätzlich unterscheiden. Den Gedanken an beispielsweise ein Gemälde von Tizian halten die meisten Menschen für etwas wesentlich anderes als den Gedanken an ein mit Bleistift gekritzeltes Rechteck. Eine Theorie des Bewusstseins müsste mithin mindestens den Versuch unternehmen, solchen Unterschieden gerecht zu werden, und die spezifischen Veränderungen im Gehirn benennen, die diese Unterschiede auszeichnen. Bei Edelmans Hirnmodell liegen diese Unterschiede indes in irgendwelchen nicht näher spezifizierten „verketteten reentranten Verschaltungswegen”. Das ist so wahr, dass es noch nicht einmal falsch sein kann. Freundlicherweise sollte man aber noch erwähnen, dass der englische Titel seines Buchs, angelehnt an ein Gedicht von Emily Dickinson, auch bloß „Wider than the sky. The phenomenal gift of consciousness” lautete.
Vorläufig muss man festhalten, dass Wolfgang Pauli bedeutend mehr in der klassischen Malerei geleistet hat als Gerald Edelman bisher in der Hirnforschung. Zumindest hatte Pauli wenigstens angefangen, ein paar Striche auf Papier zu bringen. Und Pauli besaß die Selbsterkenntnis, dass ihm für die hohe Kunst eines Tizian noch „technische Details” fehlen.
ULRICH KÜHNE
GERALD EDELMAN: Das Licht des Geistes. Wie Bewusstsein entsteht. Walter Verlag, Düsseldorf und Zürich 2004. 187 Seiten, 24,90 Euro.
WOLFGANG PAULI: Wissenschaftlicher Briefwechsel mit Bohr, Einstein, Heisenberg u. a. Band 4.4 in 2 Teilbänden: 1957-1958. Hrsg. von Karl von Meyenn. Springer Verlag, Heidelberg 2004. 1585 Seiten, 229 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH