Die erste umfassende Geschichte des politischen Kerns der Spitzenorganisation der deutschen Wissenschaften und Vorläufers der Max-Planck-Gesellschaft.Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft expandierte während des »Dritten Reiches« in erheblichem Maße und gewann im Zuge der forcierten Aufrüstung sowohl wissenschaftlich als auch politisch an Gewicht. Diese Entwicklung war wesentlich dem geschickten Wissenschaftsmanagement des KWG- (und späteren MPG-)Generalsekretärs Ernst Telschow und der Generalverwaltung des KWG zu verdanken, von denen die durch die Nationalsozialisten geschaffenen Verhältnisse als Chance begriffen wurden.Rüdiger Hachtmann untersucht die politischen und materiellen Dimensionen dieses »Erfolgs« und die institutionelle Expansion der KWG während der NS-Herrschaft. Er fragt nach ihrer Haltung gegenüber dem NS-Regime und dem nationalsozialistischen Antisemitismus, thematisiert die Selbstmobilisierung und den skrupellosen Pragmatismus der Generalverwaltung und geht deren Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationskanälen zu den politischen Instanzen der Hitler-Diktatur nach.In erster Linie eine politische und soziale Strukturanalyse, die auch die Vergangenheitsbearbeitung der KWG durch die Nachfolgeorganisation Max-Planck-Gesellschaft einschließt, wirft diese erste umfassende Geschichte des politischen Kerns der KWG zugleich zahlreiche biographische Schlaglichter auf herausragende Repräsentanten der KWG wie der deutschen Wissenschaftspolitik generell.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2008Selbstmobilisierung und Selbststilisierung
Die Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im "Dritten Reich"
Wozu braucht es ausgerechnet eine Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) im Nationalsozialismus, noch dazu erzählt auf annähernd 1400 engbedruckten Seiten, von denen noch dazu nicht weniger als vierzehn auf das Inhaltsverzeichnis entfallen? Rüdiger Hachtmann lässt diese Frage von vornherein nicht gelten. Am Beispiel der KWG, Deutschlands vornehmster Einrichtung zur Förderung speziell der Naturwissenschaften, die 1911 von Kaiser Wilhelm II. gegründet worden war, zeigt er so eindringlich wie kaum jemand vor ihm, welchen Versuchungen sich das Wissenschaftsmanagement im "Dritten Reich" ausgesetzt sah. Und während etwa Ernst Telschow, seit 1937 Generalsekretär der KWG, in seiner Eigenschaft als Generaldirektor der Max-Planck-Gesellschaft - der Nachfolgeorganisation der KWG - nach dem Krieg stets beteuerte, man habe während der schrecklichen braunen Jahre nur unschuldige Wissenschaft betrieben, lassen Hachtmanns Nachforschungen keinen Zweifel daran, dass das Wissenschaftsmanagement den Versuchungen der Zeit nicht nur kaum zu widerstehen vermochte, sondern ihnen vielmehr bereitwillig erlag.
Es war durchaus kein Zufall, dass der Generaldirektor der KWG, Friedrich Glum, im Herbst 1933 öffentlich den "nationalen Aufbruch" feierte, wie er durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten möglich geworden sei. Die Gesellschaft selbst befand sich - dank der forcierten Aufrüstung des Regimes - jedenfalls schon bald auf Expansionskurs und gewann in der Folge sowohl wissenschaftlich als auch politisch rasant an Gewicht. Wen wundert es da, wenn die Generalverwaltung den Staat Hitlers, wie Hachtmann nachdrücklich betont, trotz aller Irritationen mehr als Chance denn als Gefahr betrachtete? Zumal die Bilanz ihr vorderhand recht gab: Nicht nur der Gesamtetat wuchs in einem bis dahin unvorstellbaren Maß; auch zahlreiche neue Institute wurden gegründet, und nicht zuletzt behauptete die KWG, allen Begehrlichkeiten zum Trotz, ihre organisatorische Eigenständigkeit. Sie vermochte dies jedoch nicht allein deshalb, weil "selbst den borniertesten Nationalsozialisten bewusst" war, dass "moderne Kriege nur mit einer modernen Industrie und Wirtschaft zu führen" waren, sondern weil sie sich frühzeitig und entschlossen selbst mobilisierte.
Es ist das besondere Verdienst Rüdiger Hachtmanns, dass er die Etappen dieser Selbstmobilisierung, die sich mit der Verkündung des Vierjahresplans und der Entstehung des Reichsforschungsrats 1936/ 37, dem Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 sowie seinen Wendepunkten 1941/ 42 und 1942/43 verbinden, nicht ausschließlich auf der abstrakten Ebene der Institution, sondern auch auf der anschaulicheren Ebene der Akteure betrachtet. Weil er zeigen möchte, dass das Verhalten der Akteure aus einer spezifischen Weltsicht resultierte, rekonstruiert Hachtmann die corporate identity der KWG, die sich, gespeist aus einem kollektiven Leistungs- und Wissenschaftsethos, in einem elitären "Anspruch auf Sonderschätzung" (M. Rainer Lepsius) verdichtete. Als eine "Bruderschaft der Forscher" hatte Fritz Haber die KWG denn auch bereits in den zwanziger Jahren charakterisiert. Und an dieser Bruderschaft teilzuhaben wurde zum vorrangigen Ziel aller Angestellten der Generalverwaltung. Aus "Angst vor Deklassierung" - nicht nur der einflussreiche Ernst Telschow stammte aus einfachen Verhältnissen - versahen sie ihren "KWG-Habitus", so Hachtmann, mit besonderer "politischer wie habitueller Elastizität".
Diese Elastizität war umso leichter umzusetzen, als bereits in der Republik ein revisionistischer Nationalismus zur geistigen Grundausstattung der vermeintlich unpolitischen KWG gehörte. In ihrer Abneigung gegen das "Weimarer System", die sich durchaus als Suche nach einer "anderen Moderne" verstehen lässt, standen Glum und Telschow den nationalsozialistischen Parteikadern jedenfalls in nichts nach, und man wird Hachtmann daher zustimmen, wenn er die Auseinandersetzungen zwischen KWG und nationalsozialistischen Organisationen 1933/34 nicht als Ausdruck "politischer Differenzen" deutet, sondern als einen "habituellen Schock", in dem sich ein "tiefes Befremden über das plebejisch-respektlose Auftreten der Braunhemden" spiegelte.
Indem er solchermaßen das Selbstverständnis der Generalverwaltung rekonstruiert und ihren Handlungsspielraum durchmisst, räumt Rüdiger Hachtmann gründlich mit den lange Jahre erfolgreichen Verteidigungsstrategien auf, die die Beteiligten selbst nach 1945 aufbauten. Das gilt insbesondere mit Blick auf die prekäre Unterscheidung zwischen unpolitischer Grundlagenforschung und instrumentalisierbarer angewandter Forschung, war doch in einer Kriegsgesellschaft, wie sie den Nationalsozialisten vorschwebte, alle Forschung gleichermaßen anwendungsrelevant. Das gilt darüber hinaus für das Verhalten der industriellen Förderer der KWG sowie für die strategische Kooperation mit dem Regime, die aus dem Zweiten Weltkrieg auch einen Kampf um wissenschaftspolitische Einflusssphären machte, und nicht zuletzt für die Vergangenheitspolitik der frühen Max-Planck-Gesellschaft, die zur Verteidigung Telschows den "Popanz des ,echten Nationalsozialisten'" aufbaute.
Gerade das Beispiel Telschows, in politischer Hinsicht gewiss ein "Mann ohne Eigenschaften", ein Macher, der sich als technokratischer Nationalsozialist und hervorragender Wissenschaftsorganisator zugleich erwies, veranschaulicht die Gefahren, denen die Spitzenforschung und ihre Verwaltung ausgesetzt sind. Wenn Hachtmann, hieran anknüpfend, die paradoxe Einsicht formuliert, dass im Falle des Nationalsozialismus "ein Regime, wie es unfreier nicht zu denken ist, die Freiheit der Forschung bewusst förderte", dann wird aus der Studie zur Generalverwaltung der KWG schließlich eine politische Geschichte der nationalsozialistischen Wissensgesellschaft überhaupt. Und schon dazu hat es dieses durchweg auf hohem Niveau argumentierende, mustergültig aus den Akten gearbeitete, wohltuend unaufgeregt urteilende und bei alledem glänzend geschriebene Buch gebraucht.
CARSTEN KRETSCHMANN
Rüdiger Hachtmann: Wissenschaftsmanagement im "Dritten Reich". Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. 2 Bände. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 1397 S., 78,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im "Dritten Reich"
Wozu braucht es ausgerechnet eine Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) im Nationalsozialismus, noch dazu erzählt auf annähernd 1400 engbedruckten Seiten, von denen noch dazu nicht weniger als vierzehn auf das Inhaltsverzeichnis entfallen? Rüdiger Hachtmann lässt diese Frage von vornherein nicht gelten. Am Beispiel der KWG, Deutschlands vornehmster Einrichtung zur Förderung speziell der Naturwissenschaften, die 1911 von Kaiser Wilhelm II. gegründet worden war, zeigt er so eindringlich wie kaum jemand vor ihm, welchen Versuchungen sich das Wissenschaftsmanagement im "Dritten Reich" ausgesetzt sah. Und während etwa Ernst Telschow, seit 1937 Generalsekretär der KWG, in seiner Eigenschaft als Generaldirektor der Max-Planck-Gesellschaft - der Nachfolgeorganisation der KWG - nach dem Krieg stets beteuerte, man habe während der schrecklichen braunen Jahre nur unschuldige Wissenschaft betrieben, lassen Hachtmanns Nachforschungen keinen Zweifel daran, dass das Wissenschaftsmanagement den Versuchungen der Zeit nicht nur kaum zu widerstehen vermochte, sondern ihnen vielmehr bereitwillig erlag.
Es war durchaus kein Zufall, dass der Generaldirektor der KWG, Friedrich Glum, im Herbst 1933 öffentlich den "nationalen Aufbruch" feierte, wie er durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten möglich geworden sei. Die Gesellschaft selbst befand sich - dank der forcierten Aufrüstung des Regimes - jedenfalls schon bald auf Expansionskurs und gewann in der Folge sowohl wissenschaftlich als auch politisch rasant an Gewicht. Wen wundert es da, wenn die Generalverwaltung den Staat Hitlers, wie Hachtmann nachdrücklich betont, trotz aller Irritationen mehr als Chance denn als Gefahr betrachtete? Zumal die Bilanz ihr vorderhand recht gab: Nicht nur der Gesamtetat wuchs in einem bis dahin unvorstellbaren Maß; auch zahlreiche neue Institute wurden gegründet, und nicht zuletzt behauptete die KWG, allen Begehrlichkeiten zum Trotz, ihre organisatorische Eigenständigkeit. Sie vermochte dies jedoch nicht allein deshalb, weil "selbst den borniertesten Nationalsozialisten bewusst" war, dass "moderne Kriege nur mit einer modernen Industrie und Wirtschaft zu führen" waren, sondern weil sie sich frühzeitig und entschlossen selbst mobilisierte.
Es ist das besondere Verdienst Rüdiger Hachtmanns, dass er die Etappen dieser Selbstmobilisierung, die sich mit der Verkündung des Vierjahresplans und der Entstehung des Reichsforschungsrats 1936/ 37, dem Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 sowie seinen Wendepunkten 1941/ 42 und 1942/43 verbinden, nicht ausschließlich auf der abstrakten Ebene der Institution, sondern auch auf der anschaulicheren Ebene der Akteure betrachtet. Weil er zeigen möchte, dass das Verhalten der Akteure aus einer spezifischen Weltsicht resultierte, rekonstruiert Hachtmann die corporate identity der KWG, die sich, gespeist aus einem kollektiven Leistungs- und Wissenschaftsethos, in einem elitären "Anspruch auf Sonderschätzung" (M. Rainer Lepsius) verdichtete. Als eine "Bruderschaft der Forscher" hatte Fritz Haber die KWG denn auch bereits in den zwanziger Jahren charakterisiert. Und an dieser Bruderschaft teilzuhaben wurde zum vorrangigen Ziel aller Angestellten der Generalverwaltung. Aus "Angst vor Deklassierung" - nicht nur der einflussreiche Ernst Telschow stammte aus einfachen Verhältnissen - versahen sie ihren "KWG-Habitus", so Hachtmann, mit besonderer "politischer wie habitueller Elastizität".
Diese Elastizität war umso leichter umzusetzen, als bereits in der Republik ein revisionistischer Nationalismus zur geistigen Grundausstattung der vermeintlich unpolitischen KWG gehörte. In ihrer Abneigung gegen das "Weimarer System", die sich durchaus als Suche nach einer "anderen Moderne" verstehen lässt, standen Glum und Telschow den nationalsozialistischen Parteikadern jedenfalls in nichts nach, und man wird Hachtmann daher zustimmen, wenn er die Auseinandersetzungen zwischen KWG und nationalsozialistischen Organisationen 1933/34 nicht als Ausdruck "politischer Differenzen" deutet, sondern als einen "habituellen Schock", in dem sich ein "tiefes Befremden über das plebejisch-respektlose Auftreten der Braunhemden" spiegelte.
Indem er solchermaßen das Selbstverständnis der Generalverwaltung rekonstruiert und ihren Handlungsspielraum durchmisst, räumt Rüdiger Hachtmann gründlich mit den lange Jahre erfolgreichen Verteidigungsstrategien auf, die die Beteiligten selbst nach 1945 aufbauten. Das gilt insbesondere mit Blick auf die prekäre Unterscheidung zwischen unpolitischer Grundlagenforschung und instrumentalisierbarer angewandter Forschung, war doch in einer Kriegsgesellschaft, wie sie den Nationalsozialisten vorschwebte, alle Forschung gleichermaßen anwendungsrelevant. Das gilt darüber hinaus für das Verhalten der industriellen Förderer der KWG sowie für die strategische Kooperation mit dem Regime, die aus dem Zweiten Weltkrieg auch einen Kampf um wissenschaftspolitische Einflusssphären machte, und nicht zuletzt für die Vergangenheitspolitik der frühen Max-Planck-Gesellschaft, die zur Verteidigung Telschows den "Popanz des ,echten Nationalsozialisten'" aufbaute.
Gerade das Beispiel Telschows, in politischer Hinsicht gewiss ein "Mann ohne Eigenschaften", ein Macher, der sich als technokratischer Nationalsozialist und hervorragender Wissenschaftsorganisator zugleich erwies, veranschaulicht die Gefahren, denen die Spitzenforschung und ihre Verwaltung ausgesetzt sind. Wenn Hachtmann, hieran anknüpfend, die paradoxe Einsicht formuliert, dass im Falle des Nationalsozialismus "ein Regime, wie es unfreier nicht zu denken ist, die Freiheit der Forschung bewusst förderte", dann wird aus der Studie zur Generalverwaltung der KWG schließlich eine politische Geschichte der nationalsozialistischen Wissensgesellschaft überhaupt. Und schon dazu hat es dieses durchweg auf hohem Niveau argumentierende, mustergültig aus den Akten gearbeitete, wohltuend unaufgeregt urteilende und bei alledem glänzend geschriebene Buch gebraucht.
CARSTEN KRETSCHMANN
Rüdiger Hachtmann: Wissenschaftsmanagement im "Dritten Reich". Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. 2 Bände. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 1397 S., 78,- [Euro].
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