Sie wurden im selben Jahr 1889 geboren und im gleichen Alter 1911 von einer ungeheuren Leidenschaft des Philosophierens ergriffen, die ihre Denk- und Lebenswege beherrschte und einzigartig machte: Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein. Dabei waren sie der Herkunft nach grundverschieden: Wittgenstein entstammte einer großbürgerlichen Familie in der Metropole Wien, Heidegger kam aus einer badischen Kleinstadt und einfachen Verhältnissen. Aber beide gehören zu den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, und für beide wurde die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (auch Hitler war Jahrgang 1889) und den Katastrophen der Epoche ein zentrales Thema.
Bestsellerautor Manfred Geier geht den Biographien der beiden Denker nach und beschreibt, wie andersartig ihre Lebenswege waren und wie divergierend ihre Gedanken sich entwickelten. «Sein und Zeit» hieß der Hauptwerk des einen, «Tractatus logico-philosophicus» das des anderen Autors. Während Heideggers Denkenim Verlauf seines Lebens immer allgemeiner und abstrakter wurde, das Dasein hinter sich ließ und das «Sein» selbst zur Sprache bringen wollte, begann Wittgenstein, sich immer genauer und differenzierter den alltäglichen Sprachgebrauch anzuschauen und in den Zusammenhang menschlicher Lebensformen einzubinden.
Eine faszinierende Spurensuche mit überraschenden Einsichten und Ergebnissen.
Bestsellerautor Manfred Geier geht den Biographien der beiden Denker nach und beschreibt, wie andersartig ihre Lebenswege waren und wie divergierend ihre Gedanken sich entwickelten. «Sein und Zeit» hieß der Hauptwerk des einen, «Tractatus logico-philosophicus» das des anderen Autors. Während Heideggers Denkenim Verlauf seines Lebens immer allgemeiner und abstrakter wurde, das Dasein hinter sich ließ und das «Sein» selbst zur Sprache bringen wollte, begann Wittgenstein, sich immer genauer und differenzierter den alltäglichen Sprachgebrauch anzuschauen und in den Zusammenhang menschlicher Lebensformen einzubinden.
Eine faszinierende Spurensuche mit überraschenden Einsichten und Ergebnissen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2017Wovon man auf dem Feldweg sprechen kann
Sohn aus reichem bürgerlichen Haus gegen Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen: Manfred Geier spannt Wittgenstein und Heidegger zusammen.
Von Helmut Mayer
Ludwig Wittgenstein und Martin Heidegger sind die beiden Philosophen, die über das vorige Jahrhundert hinaus nicht nur als Autoren, sondern vor allem auch als Figuren präsent geblieben sind. Oder besser noch: immer präsenter wurden. Kein anderer Philosoph und keine Philosophin haben es nach ihnen zu vergleichbarer Ausstrahlung gebracht. Sie verdankt sich einer Wirkung, die über die akademischen Befassungen mit ihren Texten - und hier durchaus nicht nur in philosophischen Seminaren - weit hinausgeht.
Eine Wirkung, in der zudem die Texte mit den Figuren ihrer Autoren eng verknüpft bleiben. Zwar ist diese Verknüpfung der philosophischen Beiträge mit biographischen Elementen im Fall Wittgensteins noch um einiges deutlicher als im Fall Heidegger. Doch für beide gilt, dass man ihre Texte nicht einmal gut kennen muss, um doch mit dem einen wie dem anderen Vorstellungen von philosophischer Exemplarität zu verbinden.
Der Reiz dieses philosophischen Figurenpaars hat natürlich auch damit zu tun, dass es viele Kontraste verkörpert. Gemeinsamkeiten lassen sich zwar festhalten, so wie nun auch Manfred Geier in seinem Buch über die beiden Philosophen den von Heidegger behandelten Umstand, dass wir immer schon in die Welt verstrickt sind, mit Wittgensteins Beobachtungen zur Fundamentalität von Lebensformen und den ihnen assoziierten Sprachspielen zusammenspannt. Doch über einer solchen eher elementaren Übereinstimmung entfalten sich die Oppositionen, wie sie die von Geier parallel erzählten Biographien von Wittgenstein und Heidegger vor Augen führen.
Hier also der Sohn aus steinreichem bürgerlichen Haus, dort der Aufsteiger aus kleinen provinziellen Verhältnissen; hier der Autor, dem das Akademische tatsächlich äußerlich blieb, dort der Professor, der seine steile akademische Karriere mit antiakademischen Gesten zu verknüpfen wusste; hier der weltläufige schwierige Mann, der von Wien nach Cambridge ging, dort der Lobredner der bodenständigen Provinz; hier der Antibürgerliche aus großbürgerlich erworbener Selbstgewissheit, dort der verschmitzte Messkircher auf denkerisch bedeutsamem Feldweg; hier der nach Rassengesetzen zum "Dreiviertel-Juden" Gewordene, der die englische Staatsbürgerschaft annahm; dort der Freiburger Rektor, der 1933 allen Ernstes glaubte, seine verstiegenen Gedanken vom ursprünglichen deutschen Wesen vor den Karren der Nationalsozialisten spannen zu können (der den blauen Dunst zum braunen machte, wie Karl Kraus damals schrieb).
Hier der schnörkellos und knapp formulierende Autor; dort der gerade auch in privaten Aufzeichnungen tief in den Kitsch langende Kleinbürger; hier der Appell, ja nicht tief Verborgenes auszureizen, dort die tiefen Bedeutsamkeiten einer Seinsgeschichte; hier die unprätentiösen Dialogspiele der Spätphilosophie, dort die Denksprüche des auf Gott und den Untergang des amerikanisierten Westens wartenden Hüter des Seins.
Diese letzte Entgegensetzung ändert freilich nichts daran, dass beide, Wittgenstein wie Heideggger, zu unverwechselbar eigenen Darstellungsformen fanden. In Manfred Geiers Doppelbiographie werden Heideggers Tonfälle im Ganzen etwas deutlicher als jene Wittgensteins. Auch deshalb, weil der Autor kaum auf Distanz zu seinen Helden geht. Im Fall Heideggers führt das dazu, dass viele Verschmocktheiten und hochtönende Selbststilisierungen Heideggers, die als Zitat anzuführen ja jederzeit möglich gewesen wäre, in den Text von Geier einsickern.
Das klingt dann, wir sind bei Heideggers Kinderjahren mit seinem Bruder in Messkirch, etwa so: "Gerne spielten sie in den sonnigen Lichtungen, wo die Dinge sich zeigen konnten, wie sie sind, unverborgen durch das Dunkel des dicht verwachsenen Waldes." Später ist es der weidlich bekannte Feldweg, "an den der Philosoph immer wieder dachte, wenn er in seinem Denken nicht mehr weiterwusste" - was fast wörtlich eine Passage bei Heidegger aufnimmt, aber hier als Text des Biographen daherkommt.
Oder wechseln wir ins Jahr 1933, als Heidegger bereits zum Freiburger Rektor bestellt ist: "Heideggers Entschlossenheit, von der einsamen Höhe seines Philosophierens in die politischen Niederungen hinabzusteigen, führte ihn auf unsicheren Boden." Da steht zwar Heidegger nicht unmittelbar Pate, aber eine abgenutztere Wendung als jene von den einsamen philosophischen Höhen ist nicht leicht zu finden. Im Jahr 1938 angekommen, teilt uns Geier dann mit: "Es war wieder die hohe Zeit seines eigentlichen Philosophierens, in der Heidegger, fern vom Treiben der Menschen, sein Eigenstes denken konnte."
So eingestimmt geht es dahin, bei Wittgenstein immerhin droht kein hoher Ton à la Heidegger. Manfred Geier ist ein beflissener Erzähler, kennt seine Quellen und hat sich mit Fleiß durch die - natürlich nicht mehr überschaubare - Literatur gelesen. In neues Licht getaucht werden Wittgenstein und Heidegger bei ihm nicht, aber die parallel erzählte Geschichte ihrer philosophischen Parcours sorgt doch für Akzentsetzungen. Wo dann freilich auch die Fragen einsetzen: Ob man etwa wirklich bei Heidegger die "Austreibung" einer Ethik diagnostizieren kann - statt der Umgehung von einigermaßen substantiellen ethischen Überlegungen von früh an -, um ihn dem Ethiker Wittgenstein entgegenzusetzen. Allerdings meint man hier zumindest eine Parteinahme auszumachen, die man ansonsten in dieser wohltemperierten Doppeldarstellung fast vermisst, und sei es auch nur in Form einer spürbaren Versuchung, gegen die ein um Gleichbehandlung bemühter Autor anschreibt.
Über den politischen Kleinbürger Heidegger als Reversbild des in Höhe und Tiefen waltenden Philosophen darf man sich bei Geier nur eher blasse Passagen erwarten. Kampfplätze der Interpretation sind nicht das Feld dieser Doppelbiographie. Sie fällt solide, manchmal etwas betulich aus. Aber auf eigene Faust weiterlesen kann man ja dann, bei Wittgenstein wie bei Heidegger.
Manfred Geier:
"Wittgenstein und Heidegger".
Die letzten Philosophen.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
444 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sohn aus reichem bürgerlichen Haus gegen Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen: Manfred Geier spannt Wittgenstein und Heidegger zusammen.
Von Helmut Mayer
Ludwig Wittgenstein und Martin Heidegger sind die beiden Philosophen, die über das vorige Jahrhundert hinaus nicht nur als Autoren, sondern vor allem auch als Figuren präsent geblieben sind. Oder besser noch: immer präsenter wurden. Kein anderer Philosoph und keine Philosophin haben es nach ihnen zu vergleichbarer Ausstrahlung gebracht. Sie verdankt sich einer Wirkung, die über die akademischen Befassungen mit ihren Texten - und hier durchaus nicht nur in philosophischen Seminaren - weit hinausgeht.
Eine Wirkung, in der zudem die Texte mit den Figuren ihrer Autoren eng verknüpft bleiben. Zwar ist diese Verknüpfung der philosophischen Beiträge mit biographischen Elementen im Fall Wittgensteins noch um einiges deutlicher als im Fall Heidegger. Doch für beide gilt, dass man ihre Texte nicht einmal gut kennen muss, um doch mit dem einen wie dem anderen Vorstellungen von philosophischer Exemplarität zu verbinden.
Der Reiz dieses philosophischen Figurenpaars hat natürlich auch damit zu tun, dass es viele Kontraste verkörpert. Gemeinsamkeiten lassen sich zwar festhalten, so wie nun auch Manfred Geier in seinem Buch über die beiden Philosophen den von Heidegger behandelten Umstand, dass wir immer schon in die Welt verstrickt sind, mit Wittgensteins Beobachtungen zur Fundamentalität von Lebensformen und den ihnen assoziierten Sprachspielen zusammenspannt. Doch über einer solchen eher elementaren Übereinstimmung entfalten sich die Oppositionen, wie sie die von Geier parallel erzählten Biographien von Wittgenstein und Heidegger vor Augen führen.
Hier also der Sohn aus steinreichem bürgerlichen Haus, dort der Aufsteiger aus kleinen provinziellen Verhältnissen; hier der Autor, dem das Akademische tatsächlich äußerlich blieb, dort der Professor, der seine steile akademische Karriere mit antiakademischen Gesten zu verknüpfen wusste; hier der weltläufige schwierige Mann, der von Wien nach Cambridge ging, dort der Lobredner der bodenständigen Provinz; hier der Antibürgerliche aus großbürgerlich erworbener Selbstgewissheit, dort der verschmitzte Messkircher auf denkerisch bedeutsamem Feldweg; hier der nach Rassengesetzen zum "Dreiviertel-Juden" Gewordene, der die englische Staatsbürgerschaft annahm; dort der Freiburger Rektor, der 1933 allen Ernstes glaubte, seine verstiegenen Gedanken vom ursprünglichen deutschen Wesen vor den Karren der Nationalsozialisten spannen zu können (der den blauen Dunst zum braunen machte, wie Karl Kraus damals schrieb).
Hier der schnörkellos und knapp formulierende Autor; dort der gerade auch in privaten Aufzeichnungen tief in den Kitsch langende Kleinbürger; hier der Appell, ja nicht tief Verborgenes auszureizen, dort die tiefen Bedeutsamkeiten einer Seinsgeschichte; hier die unprätentiösen Dialogspiele der Spätphilosophie, dort die Denksprüche des auf Gott und den Untergang des amerikanisierten Westens wartenden Hüter des Seins.
Diese letzte Entgegensetzung ändert freilich nichts daran, dass beide, Wittgenstein wie Heideggger, zu unverwechselbar eigenen Darstellungsformen fanden. In Manfred Geiers Doppelbiographie werden Heideggers Tonfälle im Ganzen etwas deutlicher als jene Wittgensteins. Auch deshalb, weil der Autor kaum auf Distanz zu seinen Helden geht. Im Fall Heideggers führt das dazu, dass viele Verschmocktheiten und hochtönende Selbststilisierungen Heideggers, die als Zitat anzuführen ja jederzeit möglich gewesen wäre, in den Text von Geier einsickern.
Das klingt dann, wir sind bei Heideggers Kinderjahren mit seinem Bruder in Messkirch, etwa so: "Gerne spielten sie in den sonnigen Lichtungen, wo die Dinge sich zeigen konnten, wie sie sind, unverborgen durch das Dunkel des dicht verwachsenen Waldes." Später ist es der weidlich bekannte Feldweg, "an den der Philosoph immer wieder dachte, wenn er in seinem Denken nicht mehr weiterwusste" - was fast wörtlich eine Passage bei Heidegger aufnimmt, aber hier als Text des Biographen daherkommt.
Oder wechseln wir ins Jahr 1933, als Heidegger bereits zum Freiburger Rektor bestellt ist: "Heideggers Entschlossenheit, von der einsamen Höhe seines Philosophierens in die politischen Niederungen hinabzusteigen, führte ihn auf unsicheren Boden." Da steht zwar Heidegger nicht unmittelbar Pate, aber eine abgenutztere Wendung als jene von den einsamen philosophischen Höhen ist nicht leicht zu finden. Im Jahr 1938 angekommen, teilt uns Geier dann mit: "Es war wieder die hohe Zeit seines eigentlichen Philosophierens, in der Heidegger, fern vom Treiben der Menschen, sein Eigenstes denken konnte."
So eingestimmt geht es dahin, bei Wittgenstein immerhin droht kein hoher Ton à la Heidegger. Manfred Geier ist ein beflissener Erzähler, kennt seine Quellen und hat sich mit Fleiß durch die - natürlich nicht mehr überschaubare - Literatur gelesen. In neues Licht getaucht werden Wittgenstein und Heidegger bei ihm nicht, aber die parallel erzählte Geschichte ihrer philosophischen Parcours sorgt doch für Akzentsetzungen. Wo dann freilich auch die Fragen einsetzen: Ob man etwa wirklich bei Heidegger die "Austreibung" einer Ethik diagnostizieren kann - statt der Umgehung von einigermaßen substantiellen ethischen Überlegungen von früh an -, um ihn dem Ethiker Wittgenstein entgegenzusetzen. Allerdings meint man hier zumindest eine Parteinahme auszumachen, die man ansonsten in dieser wohltemperierten Doppeldarstellung fast vermisst, und sei es auch nur in Form einer spürbaren Versuchung, gegen die ein um Gleichbehandlung bemühter Autor anschreibt.
Über den politischen Kleinbürger Heidegger als Reversbild des in Höhe und Tiefen waltenden Philosophen darf man sich bei Geier nur eher blasse Passagen erwarten. Kampfplätze der Interpretation sind nicht das Feld dieser Doppelbiographie. Sie fällt solide, manchmal etwas betulich aus. Aber auf eigene Faust weiterlesen kann man ja dann, bei Wittgenstein wie bei Heidegger.
Manfred Geier:
"Wittgenstein und Heidegger".
Die letzten Philosophen.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
444 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Michael Stallknecht freut sich, dass Manfred Geier die Parallelen im Leben und Denken von Wittgenstein und Heidegger in seinem Buch nicht überstrapaziert. Nüchtern und in der Beschreibung genau, weniger wertend, nennt Stallknecht das Vorgehen des Autors, der biografische Übereinstimmungen zwischen den beiden Philosophen wie den frühen Erfolg, den Hang zum Einsiedlerdasein und die Prägung durch den Ersten Weltkrieg laut Rezensent in seiner Doppelbiografie zwar behandelt, doch nicht systematisiert. Der Lebenschronik folgend, so erklärt Stallknecht, lässt der literaturwissenschaftlich ausgerichtete Geier auch die Unterschiede der beiden Solitäre scharf hervortreten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Manfred Geier verbindet definitorischen Scharfsinn mit stilistischer Eleganz. FAZ.NET