Die Vorlage zum Kino-Hit Die Tür der Versuchung
Liebe und Tod, Leidenschaft und Vergänglichkeit, Wirklichkeit und Fiktion sind die Pole, zwischen denen der Puls des neuen Romans von John Irving schlägt. Im Mittelpunkt steht die Schriftstellerin Ruth Cole, eine starke und verletzliche Frau, die mit ihren Büchern Erfolg und mit ihren Freunden Pech hat... Umwerfend komisch und aufwühlend.
Liebe und Tod, Leidenschaft und Vergänglichkeit, Wirklichkeit und Fiktion sind die Pole, zwischen denen der Puls des neuen Romans von John Irving schlägt. Im Mittelpunkt steht die Schriftstellerin Ruth Cole, eine starke und verletzliche Frau, die mit ihren Büchern Erfolg und mit ihren Freunden Pech hat... Umwerfend komisch und aufwühlend.
"Genug Stoff für ein halbes Dutzend Bücher." (Tages-Anzeiger)
"Schon Irvings allererster Satz in diesem Buch ist grandios und ein Paradebeispiel dafür, wie man einen Leser von der ersten Zeile an fesseln kann. Die letzten Seiten gipfeln in einem lange herbeigesehnten Wiedersehen, das so wunderschön geschrieben ist, daß wir dieselben Freudentränen vergießen wie bei der Schlußszene von Shakespeares Wintermärchen." (Sunday Telegraph)
"Wie immer umwerfend komisch und tragisch zugleich. Was für ein Roman!" (Süddeutsche Zeitung)
"Schon Irvings allererster Satz in diesem Buch ist grandios und ein Paradebeispiel dafür, wie man einen Leser von der ersten Zeile an fesseln kann. Die letzten Seiten gipfeln in einem lange herbeigesehnten Wiedersehen, das so wunderschön geschrieben ist, daß wir dieselben Freudentränen vergießen wie bei der Schlußszene von Shakespeares Wintermärchen." (Sunday Telegraph)
"Wie immer umwerfend komisch und tragisch zugleich. Was für ein Roman!" (Süddeutsche Zeitung)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.1999Die Wollust des Verbotenen
Unverschämtes Erröten: John Irving drängt sich die Liebe auf · Von Ingeborg Harms
Wie kommt es, daß ein Buch mit klebrigem Pennälerhumor, eindimensionalen Figuren und einer siebenhundertsechzig Seiten langen Handlung von unübersichtlicher Gesuchtheit zum Bestseller wird? Vielleicht liegt es an seiner erbarmungslos unverklemmten Verklemmtheit. "Witwe für ein Jahr" beginnt damit, daß ein vierjähriges Mädchen ihre Mutter beim Seitensprung überrascht, und derb enthüllend geht es weiterhin zu. Alle wichtigen Figuren sind Schriftsteller und haben ein schlüpfriges Geheimnis. Ted Cole verfaßt Kinderbücher und liebt es, frustrierte Mütter zu verführen. Seine Frau Marion schreibt autobiographische Romane und hat eine Affäre mit einem jungen Mann, der sie an ihre Söhne erinnert, die bei einem Unfall starben. Er heißt Eddie O'Hare und schreibt Bücher über junge Männer, die Affären mit älteren Frauen haben. Marions Tochter Ruth, die ihrer Mutter beim Akt a tergo zusah, verfaßt Romane, in denen Frauen Gewalt angetan wird und kindische Damen sich durch obszöne Späße an einem lieblosen Leben rächen. Alles in diesem Buch ist mit dem "Haha"-Effekt versehen. Die Erkenntnis, daß frühkindliche Traumata und Libidofixierungen der Stoff sind, aus dem Romane werden, ist in eine schwerfällige Struktur der Déjà-vus und Spiegelungen eingebettet.
Da Autor, Erzähler und Figur in einem Mise-en-abîme-Verfahren ineinandergeschachtelt werden, gibt die Psyche Ruths, die in der zweiten Hälfte zur Protagonistin wird, Aufschluß über die Konflikte, die das Buch belasten. Als Gestalt wird sie nicht deutlich; man erfährt, daß sie klug, pragmatisch, sportlich und mit einem großen Busen begabt ist. Mit ihrem Lektor und Verlobten diskutiert sie über die gemeinsamen Kinder, obwohl die beiden keine Nacht miteinander verbrachten. Ruth hat zur Sexualität ein theoretisches Verhältnis: etwas, das man hinter sich bringen muß. So schleppt sie aus keinem erkennbaren Motiv einen Bekannten ihres Vaters ab. Der Mann wird in der Nacht etwas grob. Nach amerikanischem Empfinden liegt der Tatbestand der Vergewaltigung vor. Die Squash-Spezialistin schlägt den Geliebten mit Vorhand, Rückhand und Volleys zum Krüppel. Dann wirft sie die "Handtücher, die sie und Scott benutzt hatten", in die Waschmaschine, stellt sich lange unter die Dusche und bezieht das Bett neu.
Ihr Verhalten ist für den Roman und die Rolle der Sexualität symptomatisch. Sie ist schmutzig, dämonisch, kriminell. Die Sprache, in der von ihr gehandelt wird, besudelt die körperliche Berührung und tritt letztendlich an deren Stelle. Alle Figuren sind in dieser Hinsicht von einem Geständnisdrang beseelt. Ruth treibt ihren Vater in den Selbstmord, indem sie ihm die Nacht mit Scott schildert und ihn wissen läßt, in welchem Ausmaß sie über seine Perversionen informiert ist. Der körperliche Akt und die Beichte gehören bei Irving zusammen. Die Sucht nach dreckigem Sex und seine Verdammung sind zwei Seiten einer Medaille. Der Puritanismus des Buches gipfelt in einer gespenstischen Szene: Ruth möchte einen Roman über eine Schriftstellerin schreiben, die sich derart über eine demütigende sexuelle Begegnung schämt, daß sie ihr Leben und ihren Charakter ändert. Sie sucht sich das Amsterdamer Rotlichtmilieu für ihre Studien aus. Dabei wird sie Zeugin eines Prostituiertenmords. Trotz des Squasharms, mit dem sie sich zuvor mühelos zu helfen wußte, schaut Ruth der Strangulierung reglos zu. Auch wenn sie sich später Vorwürfe macht, bleibt dieses Erlebnis die Bedingung für ihr schriftstellerisches Meisterwerk; es erlaubt ihr den Eintritt ins bürgerliche Leben. Sie heiratet und bringt ein Kind zur Welt.
Irvings Humor gefällt sich in der feixenden Zurschaustellung des Geschlechtlichen. Wenn Ruth und ihre männerfressende Freundin Hannah zum Ausdruck bringen wollen, daß ihnen ein Mann gefällt, dann fragt eine die andere: "Hast du dieses Geräusch gehört?" Auf die rituelle Verneinung sagt die Freundin: "Das war mein Höschen, das zu Boden geglitten ist - nein, geknallt!" "Meines auch", gestand Ruth errötend. Dieser Running-Gag steht in Verbindung zu einem düsteren Kinderbuch, das Ruths Vater schrieb. Eine Wendung darin spricht von einem "Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen"; dieses Geräusch schreckt ein schlafendes Kind auf. Es kommt nicht von einer Maus in der Wand, wie die Erzählung behauptet, sondern von gleitenden Höschen.
John Irving hat ein Buch über die heutige Seele geschrieben, die in einem erwachsenen Körper mit dem Entsetzen eines Kleinkindes das Sexuelle anstarrt. "Witwe für ein Jahr" handelt von einem Zustand, in dem der Körper nicht mehr und noch nicht befriedigt ist, von einer lüsternen Askese, die symptomatisch ist für eine erotisch aufgescheuchte Gegenwart, in der die Eloquenz in sexuellen Dingen von der eigenen Leiblichkeit dispensiert. Die besten Stellen in Irvings Roman sind Passagen der Kindererzählung. Hinter der Wand bringt das Palaver der frigiden Moderne noch die schöne Welt der Fiktionen hervor. Vor der Wand reicht es nur zum Striptease.
John Irving: "Witwe für ein Jahr". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Rumler. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 762 S., geb., 49,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unverschämtes Erröten: John Irving drängt sich die Liebe auf · Von Ingeborg Harms
Wie kommt es, daß ein Buch mit klebrigem Pennälerhumor, eindimensionalen Figuren und einer siebenhundertsechzig Seiten langen Handlung von unübersichtlicher Gesuchtheit zum Bestseller wird? Vielleicht liegt es an seiner erbarmungslos unverklemmten Verklemmtheit. "Witwe für ein Jahr" beginnt damit, daß ein vierjähriges Mädchen ihre Mutter beim Seitensprung überrascht, und derb enthüllend geht es weiterhin zu. Alle wichtigen Figuren sind Schriftsteller und haben ein schlüpfriges Geheimnis. Ted Cole verfaßt Kinderbücher und liebt es, frustrierte Mütter zu verführen. Seine Frau Marion schreibt autobiographische Romane und hat eine Affäre mit einem jungen Mann, der sie an ihre Söhne erinnert, die bei einem Unfall starben. Er heißt Eddie O'Hare und schreibt Bücher über junge Männer, die Affären mit älteren Frauen haben. Marions Tochter Ruth, die ihrer Mutter beim Akt a tergo zusah, verfaßt Romane, in denen Frauen Gewalt angetan wird und kindische Damen sich durch obszöne Späße an einem lieblosen Leben rächen. Alles in diesem Buch ist mit dem "Haha"-Effekt versehen. Die Erkenntnis, daß frühkindliche Traumata und Libidofixierungen der Stoff sind, aus dem Romane werden, ist in eine schwerfällige Struktur der Déjà-vus und Spiegelungen eingebettet.
Da Autor, Erzähler und Figur in einem Mise-en-abîme-Verfahren ineinandergeschachtelt werden, gibt die Psyche Ruths, die in der zweiten Hälfte zur Protagonistin wird, Aufschluß über die Konflikte, die das Buch belasten. Als Gestalt wird sie nicht deutlich; man erfährt, daß sie klug, pragmatisch, sportlich und mit einem großen Busen begabt ist. Mit ihrem Lektor und Verlobten diskutiert sie über die gemeinsamen Kinder, obwohl die beiden keine Nacht miteinander verbrachten. Ruth hat zur Sexualität ein theoretisches Verhältnis: etwas, das man hinter sich bringen muß. So schleppt sie aus keinem erkennbaren Motiv einen Bekannten ihres Vaters ab. Der Mann wird in der Nacht etwas grob. Nach amerikanischem Empfinden liegt der Tatbestand der Vergewaltigung vor. Die Squash-Spezialistin schlägt den Geliebten mit Vorhand, Rückhand und Volleys zum Krüppel. Dann wirft sie die "Handtücher, die sie und Scott benutzt hatten", in die Waschmaschine, stellt sich lange unter die Dusche und bezieht das Bett neu.
Ihr Verhalten ist für den Roman und die Rolle der Sexualität symptomatisch. Sie ist schmutzig, dämonisch, kriminell. Die Sprache, in der von ihr gehandelt wird, besudelt die körperliche Berührung und tritt letztendlich an deren Stelle. Alle Figuren sind in dieser Hinsicht von einem Geständnisdrang beseelt. Ruth treibt ihren Vater in den Selbstmord, indem sie ihm die Nacht mit Scott schildert und ihn wissen läßt, in welchem Ausmaß sie über seine Perversionen informiert ist. Der körperliche Akt und die Beichte gehören bei Irving zusammen. Die Sucht nach dreckigem Sex und seine Verdammung sind zwei Seiten einer Medaille. Der Puritanismus des Buches gipfelt in einer gespenstischen Szene: Ruth möchte einen Roman über eine Schriftstellerin schreiben, die sich derart über eine demütigende sexuelle Begegnung schämt, daß sie ihr Leben und ihren Charakter ändert. Sie sucht sich das Amsterdamer Rotlichtmilieu für ihre Studien aus. Dabei wird sie Zeugin eines Prostituiertenmords. Trotz des Squasharms, mit dem sie sich zuvor mühelos zu helfen wußte, schaut Ruth der Strangulierung reglos zu. Auch wenn sie sich später Vorwürfe macht, bleibt dieses Erlebnis die Bedingung für ihr schriftstellerisches Meisterwerk; es erlaubt ihr den Eintritt ins bürgerliche Leben. Sie heiratet und bringt ein Kind zur Welt.
Irvings Humor gefällt sich in der feixenden Zurschaustellung des Geschlechtlichen. Wenn Ruth und ihre männerfressende Freundin Hannah zum Ausdruck bringen wollen, daß ihnen ein Mann gefällt, dann fragt eine die andere: "Hast du dieses Geräusch gehört?" Auf die rituelle Verneinung sagt die Freundin: "Das war mein Höschen, das zu Boden geglitten ist - nein, geknallt!" "Meines auch", gestand Ruth errötend. Dieser Running-Gag steht in Verbindung zu einem düsteren Kinderbuch, das Ruths Vater schrieb. Eine Wendung darin spricht von einem "Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen"; dieses Geräusch schreckt ein schlafendes Kind auf. Es kommt nicht von einer Maus in der Wand, wie die Erzählung behauptet, sondern von gleitenden Höschen.
John Irving hat ein Buch über die heutige Seele geschrieben, die in einem erwachsenen Körper mit dem Entsetzen eines Kleinkindes das Sexuelle anstarrt. "Witwe für ein Jahr" handelt von einem Zustand, in dem der Körper nicht mehr und noch nicht befriedigt ist, von einer lüsternen Askese, die symptomatisch ist für eine erotisch aufgescheuchte Gegenwart, in der die Eloquenz in sexuellen Dingen von der eigenen Leiblichkeit dispensiert. Die besten Stellen in Irvings Roman sind Passagen der Kindererzählung. Hinter der Wand bringt das Palaver der frigiden Moderne noch die schöne Welt der Fiktionen hervor. Vor der Wand reicht es nur zum Striptease.
John Irving: "Witwe für ein Jahr". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Rumler. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 762 S., geb., 49,90 DM.
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»Ein wirklich großer Geschichtenerzähler.« Thomas David / Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung