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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Atmen in einer eiskalten Welt
Wolfgang Bächler und ein Geburtstagsgeschenk: Eine Ausgabe mit Gedichten aus einem halben Jahrhundert
Wo die Wellenschrift endet, herrscht Windstille. Mit diesem Wort ist ein dreizeiliges Gedicht innerhalb der „Seestücke” überschrieben, die sich ihrerseits in Wolfgang Bächlers 1976 erschienenem Band „Ausbrechen” fanden. Er enthielt auch die frühen Gedichte, sodass der Untertitel „Gedichte aus 30 Jahren” heißen konnte. Eine reiche Ernte. Aber keine Windstille dauert: „Vergebens kämpften die Worte / gegen den Wind. ” Der Wind der Zeit hat das Gesammelte wieder verweht.
Heute begeht der seit Jahren verstummte Dichter seinen 75. Geburtstag. „Wer mein Schweigen nicht annimmt, / dem habe ich nichts zu sagen. ” Der wunderbare poetische Lakonismus aus „Nachtleben” (1982) steht unter den 34 Stücken, die der fabelhafte kleine Babel-Verlag als große Geburtstagsausgabe präsentiert. Noch einmal das Werk gesiebt, die Strophen gekeltert: Was zurückblieb, wird das meiste der redseligen Lyrik von heute überdauern.
„Ausgewählte Gedichte aus fünf Jahrzehnten”: Der Bogen spannt sich zurück zu jenem Tag im September 1947, als ein Häuflein abgerissener Männer und Frauen vor dem Weilheimer Bahnhof ziemlich hoffnungslos nach einem Vehikel Ausschau hielt, das sie zum Bannwaldsee bringen sollte – wo sie die „Gruppe 47” gründeten. Der 22-jährige Wolfgang Bächler war dabei, wie fast alle anderen ein vom Krieg Gezeichneter. „Die Erde bebt noch von den Stiefeltritten . . .”
Bächlers Sprachkunst, die in fünf Jahrzehnten nie etwas von ihrer beschwörenden Inbrunst verlor, steht im Dienst eines unermüdlichen Wiederbelebungsversuchs an einer von Eiseskälte bedrohten, der Erstarrung anheim fallenden Welt, zu der auch die eigene Gefühlszone gehört. Unter den Atemstößen seiner Verse werden die Dinge, werden Ich und Du ins Leben zurückgerufen, wenn auch nur für die Augenblicksdauer des Gedichts, das seinerseits der immer neuen Erweckung durch den Leser bedarf.
Die Liebe, die vor zweitausend Jahren
in Delphi begann, eine Schulbank,
die unbeschriebene Tafel,
eine Grammatik der griechischen
Sprache,
das Haupt der Medusa Rondanini,
ein Atlas, in dem das Meer
so blau war,
wie du es später nie mehr gesehen.
Das bei Meeresglätte „fragende Segel”, welches die „Antwort des Windes” erwartet, ist auch eine Metapher für das Gedicht selbst, das die Antwort des Lesers erwartet. Unser Geburtstagswunsch: dass sie nicht ausbleiben möge.
ALBERT VON SCHIRNDING
WOLFGANG BÄCHLER: Wo die Wellenschrift endet. Ausgewählte Gedichte aus fünf Jahrzehnten. Nachwort von Wieland Schmied. Babel Verlag, 86920 Denklingen 2000. 68 Seiten, 32 Mark.
Wolfgang Bächler, Mitbegründer der Gruppe 47.
Foto: Isolde Ohlbaum
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