Mit „Wo einst Leben war“ von Lena Wanke erwartet euch eine Dystopie, die anderen Dystopien in vielerlei Hinsicht ähnelt, die aber dennoch absolut aus der Masse heraussticht. Diese Geschichte ist wahrhaftig düster, hoffnungslos und erbarmungslos. Worum es geht: Die Menschen leben in Hochhäusern im
Land Kaimar D., das nach diversen Naturkatastrophen und Kriegen von Götz Kaimar regiert wird. Die…mehrMit „Wo einst Leben war“ von Lena Wanke erwartet euch eine Dystopie, die anderen Dystopien in vielerlei Hinsicht ähnelt, die aber dennoch absolut aus der Masse heraussticht. Diese Geschichte ist wahrhaftig düster, hoffnungslos und erbarmungslos. Worum es geht: Die Menschen leben in Hochhäusern im Land Kaimar D., das nach diversen Naturkatastrophen und Kriegen von Götz Kaimar regiert wird. Die Menschen sollen ein sorgloses Leben führen, zahlen dafür jedoch mit dem Verlust jeglicher Selbstbestimmung und Individualität. Von der alten Welt sind nur noch Trümmer übrig, die heiße Sonne hat die Landschaft versengt und alles Lebendige getötet. Durch diese Wüstengegend schleppen sich die Geschwister Jona, Tobias, Luki und Emma sowie Taube, ein kleines Mädchen, das sie unterwegs bei sich aufgenommen haben. Sie fliehen vor einem Leben in den Hochhäusern, sie wollen ihre Freiheit nicht aufgeben. Doch der Preis für diese Freiheit ist ein Leben in ständiger Angst.
Von ihren Eltern haben die Geschwister den Auftrag erhalten, den Weg zu einem sicheren Ort zu finden. Sie haben nur wenige Hinweise und wissen nicht, was sie am Ziel erwartet. Aber sie wissen, dass sie ankommen müssen, um endlich ohne den ständigen Begleiter Angst leben zu können. Und so laufen sie bereits seit vielen Jahren, immer auf der Hut vor anderen Menschen und nur die vage Aussicht auf eine Verbesserung ihrer Lage treibt sie an. Eines Tages verschwindet Tobias, der große Bruder von Jona und ihr Fels in der Brandung. Fortan muss sie die Verantwortung tragen, was ihr zusehends über den Kopf wächst. Als dann auch noch ein Fremder zu ihnen stößt, gerät alles außer Kontrolle.
An einer Stelle im Buch hatte ich mir einen Gedanken aufgeschrieben. Dieser lautete: Dieser Roman ist wie ein einziges langes Sterben, ein Sterben der Welt und ein Sterben der Menschen. Und das bringt mein Empfinden beim Lesen tatsächlich auch rückblickend ziemlich exakt auf den Punkt. „Wo einst Leben war“ ist eine Herausforderung an einen selbst – durchzuhalten, dabei zu bleiben, nicht schwach zu werden und abzubrechen, nicht aufzugeben. Vor allem waren es die verstörenden und emotional krassen Entwicklungen, die sich immer wieder aufs Neue wie ein Tritt in den Magen anfühlten. Hinzu kommen aber auch leider einige Längen, die zum Abbruch verleiten können.
Hält man diese Längen aus, ist „Wo einst Leben war“ ein intensives Leseerlebnis. Das liegt im ausdrucksstarken und dramatischen Schreibstil der Autorin begründet. Sie verliert sich in intensiven Schilderungen der Gemütslage von Jona, sie taucht ein in ihre Hoffnungslosigkeit, ihre Zweifel, ihre Furcht und ihre Trauer. Teils wurde es mir zu viel, ich wollte ihren Gedanken nicht mehr folgen und hielt ihre bedrückenden Emotionen nicht mehr aus. Doch gerade dadurch sticht dieser Roman, wie ich finde, extrem aus dem Genre heraus. Kein Vergleich zu „Die Bestimmung“ von Veronica Roth oder „Die Tribute von Panem“ von Suzanne Collins, wo ich mir immer noch ein klares Gefühl von „das ist Fiktion, am Ende wird es wieder besser“ bewahren konnte. Im Vergleich zu „Wo einst Leben war“ sind genannte Dystopien ein Feuerwerk der Hoffnung.
Was man hier demnach auch nicht bekommt, ist eine auflockernde Liebesgeschichte. Zwar nähern sich zwei Figuren etwas an, doch dies bleibt so sehr eine Nebenhandlung, dass sie quasi nicht ins Gewicht fällt. Unter Umständen liegt das aber auch daran, dass die Nebenfiguren durch die Ich-Perspektive von Jona recht blass bleiben. Die jüngeren Geschwister Emma, Luki und auch Taube sind beinahe durchgehend verängstigt oder besorgt. Darüber hinaus zeigen sie wenige Charakterzüge. Tobias bleibt ein ewiges Geheimnis, er ist zu verschlossen, um mehr von sich preiszugeben, und auch Oliver erlaubt wenig Einblicke in seine Gedanken- und Gefühlswelt. Schade, denn hier andere Blickwinkel kennenzulernen, wäre unter Umständen eine Bereicherung gewesen.