Was ist ein Schloss? Wodurch unterscheidet es sich von einer Burg, einem Stadtpalais oder einem Herrenhaus? Eduard von Habsburg-Lothringen lädt in diesem Buch zur Besichtigung des 'idealen Schlosses' ein, in dem wir all dem begegnen, was sich in zahllosen Spielarten in den realen Schlössern unserer Lande wiederfindet. Tausende von Schlössern stehen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie haben die Größe eines besseren Hauses oder aber die Ausdehnungen einer Kleinstadt, sie sind viereckig, rund oder sechseckig, haben einen Innenhof oder nicht, werden von Wassergräben umgeben oder nicht. Auf einem imaginären Rundgang durch Salons und Gänge, Schlaf- und Speisezimmer, Bibliotheken und Schlossküchen, vorbei an Gemälden und Gobelins, Speichern und Gespenstern lernen wir das Schloss (und alle Schlösser) mitsamt seinen Bewohnern und Lebenswelten kennen. Wir übernachten in uralten Betten, räumen Zimmer leer und richten sie neu ein, schlagen uns mit nicht vorhandenen Kanalisationen und maroden Dächern herum - und beginnen nach und nach zu ahnen, warum im Schloss genau diese Möbel, diese Gerüche, diese Zimmerfluchten vorzufinden sind. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Schloss werden lebendig. All das ist gespickt mit Beispielen, Anekdoten, überraschenden Fakten, nützlichen Adressen und Insiderinformationen aus der Welt der Schlösser. Nicht zuletzt bekommen wir eine Ahnung davon, dass so ein Schloss gelegentlich ein recht unwohnlicher Ort sein kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2011Wann ist ein Schloss ein Schloss?
Der Ururenkel von Kaiser Franz Joseph muss es doch wissen. Zwei Begehungen in Österreich mit Eduard von Habsburg-Lothringen
Hier riecht man's!" Erhobenen Hauptes bleibt Eduard von Habsburg-Lothringen im Rittersaal von Schloss Grafenegg stehen. "Merken Sie's?" Habsburg ist auf der Suche nach dem, was er den "typischen Schlossgeruch" nennt - doch es ist zu kalt an diesem Frühlingstag. "Sie sollten im Sommer kommen!" Da riecht es dann nach altem Holz, Bohnerwachs und - Habsburg deutet auf die 160 Jahre alte Tapete - "Ziegenleder, sehr eigentümlich!".
Eduard von Habsburg-Lothringen, der Ururenkel von Kaiser Franz Joseph, weiß, was ein Schloss ausmacht. Nicht, weil er auf einem lebt oder auf einem aufgewachsen ist, er wohnt mit einer sechsköpfigen Kinderschar in einem Einfamilienhaus nahe St. Pölten in Österreich. Doch er hat als Schlossführer gearbeitet und auch mehrere geschrieben, darunter: "Wo Grafen schlafen". Darin entwirft er ein idealtypisches Schloss, ausgehend von der Frage, was ein Schloss zum Schloss macht. Ein oder mehrere Türme? Knarrende Treppen, heulende Öfen? Eine Eule auf dem Dachboden? Ein Gespenst?
Diese Frage hat sich Mitte des 19. Jahrhunderts auch der damalige Besitzer von Grafenegg gestellt. Dem Grafen Breunner-Enckevoirth mutete das damals noch recht schlichte Renaissanceschloss, Baujahr 1435, nicht mittelalterlich genug an. So stattete der Graf seinen Wohnsitz mit allen Accessoires aus, die gesteigertes Schlosserleben versprachen: spitze Türmchen, verwunschene Erker, steile Treppengiebel, gotische Portale. Und machte Grafenegg zu dem, was es heute ist: einer bisweilen bizarren Inszenierung eines Mittelaltertraums. Manche nennen Grafenegg sogar das Neuschwanstein Österreichs, doch dafür ist das Schloss dann doch zu schlicht.
Habsburg führt beschwingt von Saal zu Saal, als ehemaliger Reiseführer kennt er jeden Sims und jede Ofenkachel. Gekleidet ist er adelsmäßig leger mit gobelingrünem Sakko, zerschlissenem Hemdkragen, Jeans und Sonnenbrille, nebenbei tippt er auf seinem Blackberry herum. Der ständige Einsatz des Geräts ist seiner Arbeit als Pressesprecher des Bischoffs von St. Pölten geschuldet, genauso wie sein PR-Vokabular - Ahnen tituliert er als "große Player", und er bedauert, dass Grafenegg keine "Hospitality" habe, sprich: man dort nicht übernachten kann.
Der Stilmix ist beachtlich, Neorenaissance und Neobarock trennt meist nur eine Flügeltür, und vom üppig-düster getäfelten Ziegenlederrittersaal gelangt man mit einem Schritt in die weißbestuckte Klosterbibliothek. Einige der dämonischen Wasserspeier tragen die Züge des Grafen Breunner-Enckevoirth. Und im Treppenhaus blicken sich zwei mittelalterlich anmutende Fensterguckerskulpturen an: der Baumeister mit Zirkel und Plan, und sein Bauherr, mit Geldsäckel und einem einzelnen Taler. Teuer ist sie gewesen, die neogotische Aufrüstung, so teuer, dass der Bauherr nach einem Börsencrash 1873 ganz modern bankrott machte und die Umbauten abgebrochen wurden.
Doch Habsburgs Herz schlägt eigentlich für die weniger prächtigen Schlösser - die mit den lecken Dächern, den schiefen Wänden, dem abgewetzten Mobiliar und mit echten Schlossbewohnern. Grafenegg wird schon seit Jahrzehnten nicht mehr bewohnt. Der gegenwärtige Eigentümer, Tassilo Metternich-Sándor, hat hier noch ein Büro, ansonsten ist Grafenegg ein reines "Museums- und Eventschloss", wie Habsburg anmerkt. "Grafenegg ist ein totes Schloss", gibt Habsburg betrübt zu, während er, die Beine baumelnd, auf einem Ofensims sitzt, in den Saal blickt und sein Blackberry knetet.
Dann sitzen wir in seinem staubigen Volvo, die Rückbank ist mit Kindersitzen zugestellt, am Rückspiegel baumelt ein Rosenkranz. Durch wogende Veltlinerfelder fahren wir vom toten Schloss zu einem lebendigen: Schloss Mühlbach, bewohnt von Marilise Gräfin Gudenus, ihrem Mann und Schwiegervater Carl. Ein kleines Schloss mit schiefem grünem Tor, Ziehbrunnen und einem bescheidenen Turm, aber immerhin Baujahr 1070. Auch hier wurde historistisch aufgehübscht, aber es reichte nie zu einem Märchenschlosstraum wie bei Grafenegg.
Es ist ein Schloss ganz nach Habsburgs Geschmack. Die 60-jährige Hausherrin empfängt uns in der Küche, die einige Stufen treppab im Souterrain liegt. Der gewaltige Ofenherd wird noch mit Holz befeuert, darauf köcheln Griesnockerlnsuppe und Hirschgulasch und entlassen kleine Dampfwolken ins Gewölbe - so stellt sich das Schlossaroma ein, wie Habsburg befriedigt feststellt. Und es ist warm, zumindest in der Nähe des Ofens. Denn in der Rangfolge authentischen Schlosserlebens kommt gleich nach dem Geruch das zünftige Frieren. Wie die meisten Schlösser ist auch Mühlbach nur punktuell beheizbar, Konversationen mit Schlossbesitzern über Heizmethoden und -kosten können abendfüllend sein (bevor man dann mit Pulli und Mantel in sein klammes Bett steigt, wie Habsburg anschaulich schildert). Auf Mühlbach künden Kissenrollen zwischen den Innen- und Außenfenstern zudem von zugigen Verhältnissen.
Ein Schloss nach Habsburg-Geschmack ist Mühlbach auch deshalb, weil die Hausherrin es mit Mann und Schwiegervater allein bewirtschaftet und so eine Facette zum Vorschein bringt, die Habsburg gar nicht genug betonen kann: das Spartanische. Heutige Schlossbesitzer führen, ihrer einstigen Lebensgrundlagen verlustig gegangen, nur selten ein Leben im Luxus. 46 Zimmer, Salons und Kammern in Schuss zu halten, ist eine Lebensaufgabe. Gerade gestern, berichtet Gudenus, hat wieder ein Staubsauger den Geist aufgegeben, bei ihrem Versuch, zwanzig Zimmer zu saugen. "Das Schloss", sagt sie erschöpft, "ist größer als das eigene Leben, es verschlingt alles an Geld und Energie", dabei sei es fraglich, ob die nächste Generation noch Lust haben werde, sich damit abzuplagen.
Doch sie wohnt seit 41 Jahren gerne auf Mühlbach. Ihr neunzig Jahre alter Schwiegervater leistet uns auch nach dem Essen im Salon Gesellschaft. Als Kind hat er in diesem Zimmer geschlafen, erinnert er sich. Man wohnt seit Generationen mit den gleichen, immer wieder neu arrangierten Möbeln, in denselben, immer wieder umgewidmeten Zimmern. Über dem Tisch hängt eine riesige Lampe, der fadenscheinige Schirm war einstmals mit Troddeln besetzt. Heute baumeln noch zwei der Stoffbällchen vom Lampenschirm, der Rest fiel Generationen von Kinderhänden zum Opfer. Im Zeitalter von Ikea wirkt diese Unveränderlichkeit märchenhaft. "Wir haben viel Platz, also heben wir alles auf", sagt Gudenus. Abgesehen von dem weißen Sofa-Ensemble, auf dem wir sitzen, kann sie sich an keinen Möbelkauf erinnern.
Ganz einsam lebt sie auf ihrem Schloss indes nicht. Regelmäßig wird es von der im Laufe der Jahrhunderte ein wenig unübersichtlich gewordenen Verwandtschaft bevölkert. Früher quartierten sich Verwandte nicht selten auch für längere Zeit ein. "Wir nennen es ,Chateaunieren'", erzählt Marilise Gudenus, "man kommt zum Tee und bleibt für den Rest des Lebens." Und das wohlgemerkt nicht als Gespenst - auf Mühlbach gibt es nur einen schauerlich in den Angeln kreischenden Wetterhahn -, sondern in Form des Namens, den das Zimmer fortan trägt.
Wirklich kein Gespenst auf Mühlbach? Nun, es gibt ein Eckzimmer, in dem Gäste des Nachts Schritte hören - doch dieses Phänomen wurde schon längst als das Ächzen der Dielen entzaubert, die in der Reihenfolge ihrer letzten Belastung knacken.
Nach dem Tee im Salon begleitet Marilise Gudenus uns in den Hof. Als wir in Habsburgs Volvo durch das Schlosstor ins normale Leben zurückkehren, winkt sie uns freundlich nach. Bereits im Rückspiegel wirkt sie wie eine Figur aus einer fernen Zeit.
OLAF TARMAS
Schloss Grafenegg Mehr über Besichtigungen, Hochzeitsvermietungen, Picknicks im Schlosspark und Konzerte unter www.grafenegg.at. Höhepunkt der Konzertsaison ist das jährliche Festival im Spätsommer (19. August bis 7. September 2011).
Schloss Mühlbach Besichtigungen von innen sind nicht möglich. Schlosspark und Garten sind dagegen zugänglich, die Orangerie kann für Bankette und Hochzeiten gemietet werden. Mehr unter www.schloss-muehlbach.at oder bei Martin und Marilise Gudenus unter Telefon 0 29 57/3 01.
Literatur Eduard von Habsburg-Lothringen: "Wo Grafen schlafen - Was ist wo im Schloss und warum?". Verlag C. H. Beck 2011, 14,95 Euro
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Der Ururenkel von Kaiser Franz Joseph muss es doch wissen. Zwei Begehungen in Österreich mit Eduard von Habsburg-Lothringen
Hier riecht man's!" Erhobenen Hauptes bleibt Eduard von Habsburg-Lothringen im Rittersaal von Schloss Grafenegg stehen. "Merken Sie's?" Habsburg ist auf der Suche nach dem, was er den "typischen Schlossgeruch" nennt - doch es ist zu kalt an diesem Frühlingstag. "Sie sollten im Sommer kommen!" Da riecht es dann nach altem Holz, Bohnerwachs und - Habsburg deutet auf die 160 Jahre alte Tapete - "Ziegenleder, sehr eigentümlich!".
Eduard von Habsburg-Lothringen, der Ururenkel von Kaiser Franz Joseph, weiß, was ein Schloss ausmacht. Nicht, weil er auf einem lebt oder auf einem aufgewachsen ist, er wohnt mit einer sechsköpfigen Kinderschar in einem Einfamilienhaus nahe St. Pölten in Österreich. Doch er hat als Schlossführer gearbeitet und auch mehrere geschrieben, darunter: "Wo Grafen schlafen". Darin entwirft er ein idealtypisches Schloss, ausgehend von der Frage, was ein Schloss zum Schloss macht. Ein oder mehrere Türme? Knarrende Treppen, heulende Öfen? Eine Eule auf dem Dachboden? Ein Gespenst?
Diese Frage hat sich Mitte des 19. Jahrhunderts auch der damalige Besitzer von Grafenegg gestellt. Dem Grafen Breunner-Enckevoirth mutete das damals noch recht schlichte Renaissanceschloss, Baujahr 1435, nicht mittelalterlich genug an. So stattete der Graf seinen Wohnsitz mit allen Accessoires aus, die gesteigertes Schlosserleben versprachen: spitze Türmchen, verwunschene Erker, steile Treppengiebel, gotische Portale. Und machte Grafenegg zu dem, was es heute ist: einer bisweilen bizarren Inszenierung eines Mittelaltertraums. Manche nennen Grafenegg sogar das Neuschwanstein Österreichs, doch dafür ist das Schloss dann doch zu schlicht.
Habsburg führt beschwingt von Saal zu Saal, als ehemaliger Reiseführer kennt er jeden Sims und jede Ofenkachel. Gekleidet ist er adelsmäßig leger mit gobelingrünem Sakko, zerschlissenem Hemdkragen, Jeans und Sonnenbrille, nebenbei tippt er auf seinem Blackberry herum. Der ständige Einsatz des Geräts ist seiner Arbeit als Pressesprecher des Bischoffs von St. Pölten geschuldet, genauso wie sein PR-Vokabular - Ahnen tituliert er als "große Player", und er bedauert, dass Grafenegg keine "Hospitality" habe, sprich: man dort nicht übernachten kann.
Der Stilmix ist beachtlich, Neorenaissance und Neobarock trennt meist nur eine Flügeltür, und vom üppig-düster getäfelten Ziegenlederrittersaal gelangt man mit einem Schritt in die weißbestuckte Klosterbibliothek. Einige der dämonischen Wasserspeier tragen die Züge des Grafen Breunner-Enckevoirth. Und im Treppenhaus blicken sich zwei mittelalterlich anmutende Fensterguckerskulpturen an: der Baumeister mit Zirkel und Plan, und sein Bauherr, mit Geldsäckel und einem einzelnen Taler. Teuer ist sie gewesen, die neogotische Aufrüstung, so teuer, dass der Bauherr nach einem Börsencrash 1873 ganz modern bankrott machte und die Umbauten abgebrochen wurden.
Doch Habsburgs Herz schlägt eigentlich für die weniger prächtigen Schlösser - die mit den lecken Dächern, den schiefen Wänden, dem abgewetzten Mobiliar und mit echten Schlossbewohnern. Grafenegg wird schon seit Jahrzehnten nicht mehr bewohnt. Der gegenwärtige Eigentümer, Tassilo Metternich-Sándor, hat hier noch ein Büro, ansonsten ist Grafenegg ein reines "Museums- und Eventschloss", wie Habsburg anmerkt. "Grafenegg ist ein totes Schloss", gibt Habsburg betrübt zu, während er, die Beine baumelnd, auf einem Ofensims sitzt, in den Saal blickt und sein Blackberry knetet.
Dann sitzen wir in seinem staubigen Volvo, die Rückbank ist mit Kindersitzen zugestellt, am Rückspiegel baumelt ein Rosenkranz. Durch wogende Veltlinerfelder fahren wir vom toten Schloss zu einem lebendigen: Schloss Mühlbach, bewohnt von Marilise Gräfin Gudenus, ihrem Mann und Schwiegervater Carl. Ein kleines Schloss mit schiefem grünem Tor, Ziehbrunnen und einem bescheidenen Turm, aber immerhin Baujahr 1070. Auch hier wurde historistisch aufgehübscht, aber es reichte nie zu einem Märchenschlosstraum wie bei Grafenegg.
Es ist ein Schloss ganz nach Habsburgs Geschmack. Die 60-jährige Hausherrin empfängt uns in der Küche, die einige Stufen treppab im Souterrain liegt. Der gewaltige Ofenherd wird noch mit Holz befeuert, darauf köcheln Griesnockerlnsuppe und Hirschgulasch und entlassen kleine Dampfwolken ins Gewölbe - so stellt sich das Schlossaroma ein, wie Habsburg befriedigt feststellt. Und es ist warm, zumindest in der Nähe des Ofens. Denn in der Rangfolge authentischen Schlosserlebens kommt gleich nach dem Geruch das zünftige Frieren. Wie die meisten Schlösser ist auch Mühlbach nur punktuell beheizbar, Konversationen mit Schlossbesitzern über Heizmethoden und -kosten können abendfüllend sein (bevor man dann mit Pulli und Mantel in sein klammes Bett steigt, wie Habsburg anschaulich schildert). Auf Mühlbach künden Kissenrollen zwischen den Innen- und Außenfenstern zudem von zugigen Verhältnissen.
Ein Schloss nach Habsburg-Geschmack ist Mühlbach auch deshalb, weil die Hausherrin es mit Mann und Schwiegervater allein bewirtschaftet und so eine Facette zum Vorschein bringt, die Habsburg gar nicht genug betonen kann: das Spartanische. Heutige Schlossbesitzer führen, ihrer einstigen Lebensgrundlagen verlustig gegangen, nur selten ein Leben im Luxus. 46 Zimmer, Salons und Kammern in Schuss zu halten, ist eine Lebensaufgabe. Gerade gestern, berichtet Gudenus, hat wieder ein Staubsauger den Geist aufgegeben, bei ihrem Versuch, zwanzig Zimmer zu saugen. "Das Schloss", sagt sie erschöpft, "ist größer als das eigene Leben, es verschlingt alles an Geld und Energie", dabei sei es fraglich, ob die nächste Generation noch Lust haben werde, sich damit abzuplagen.
Doch sie wohnt seit 41 Jahren gerne auf Mühlbach. Ihr neunzig Jahre alter Schwiegervater leistet uns auch nach dem Essen im Salon Gesellschaft. Als Kind hat er in diesem Zimmer geschlafen, erinnert er sich. Man wohnt seit Generationen mit den gleichen, immer wieder neu arrangierten Möbeln, in denselben, immer wieder umgewidmeten Zimmern. Über dem Tisch hängt eine riesige Lampe, der fadenscheinige Schirm war einstmals mit Troddeln besetzt. Heute baumeln noch zwei der Stoffbällchen vom Lampenschirm, der Rest fiel Generationen von Kinderhänden zum Opfer. Im Zeitalter von Ikea wirkt diese Unveränderlichkeit märchenhaft. "Wir haben viel Platz, also heben wir alles auf", sagt Gudenus. Abgesehen von dem weißen Sofa-Ensemble, auf dem wir sitzen, kann sie sich an keinen Möbelkauf erinnern.
Ganz einsam lebt sie auf ihrem Schloss indes nicht. Regelmäßig wird es von der im Laufe der Jahrhunderte ein wenig unübersichtlich gewordenen Verwandtschaft bevölkert. Früher quartierten sich Verwandte nicht selten auch für längere Zeit ein. "Wir nennen es ,Chateaunieren'", erzählt Marilise Gudenus, "man kommt zum Tee und bleibt für den Rest des Lebens." Und das wohlgemerkt nicht als Gespenst - auf Mühlbach gibt es nur einen schauerlich in den Angeln kreischenden Wetterhahn -, sondern in Form des Namens, den das Zimmer fortan trägt.
Wirklich kein Gespenst auf Mühlbach? Nun, es gibt ein Eckzimmer, in dem Gäste des Nachts Schritte hören - doch dieses Phänomen wurde schon längst als das Ächzen der Dielen entzaubert, die in der Reihenfolge ihrer letzten Belastung knacken.
Nach dem Tee im Salon begleitet Marilise Gudenus uns in den Hof. Als wir in Habsburgs Volvo durch das Schlosstor ins normale Leben zurückkehren, winkt sie uns freundlich nach. Bereits im Rückspiegel wirkt sie wie eine Figur aus einer fernen Zeit.
OLAF TARMAS
Schloss Grafenegg Mehr über Besichtigungen, Hochzeitsvermietungen, Picknicks im Schlosspark und Konzerte unter www.grafenegg.at. Höhepunkt der Konzertsaison ist das jährliche Festival im Spätsommer (19. August bis 7. September 2011).
Schloss Mühlbach Besichtigungen von innen sind nicht möglich. Schlosspark und Garten sind dagegen zugänglich, die Orangerie kann für Bankette und Hochzeiten gemietet werden. Mehr unter www.schloss-muehlbach.at oder bei Martin und Marilise Gudenus unter Telefon 0 29 57/3 01.
Literatur Eduard von Habsburg-Lothringen: "Wo Grafen schlafen - Was ist wo im Schloss und warum?". Verlag C. H. Beck 2011, 14,95 Euro
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