Dass Soldaten aus der DDR in den Westen flüchteten, weiß jeder. Dass Nato-Soldaten in die DDR überliefen, ist weitgehend unbekannt. Dabei hatten die Deserteure oft gute Gründe. Da ist der anscheinend überzeugte Sozialist William D. Adkins aus Indianapolis, der sich willig in die Arme der Stasi begibt, Karriere macht und am Ende spurlos verschwindet. Richard Coffman sucht in der DDR Asyl, um dem Kriegsgemetzel in Korea zu entgehen - und kehrt dennoch in einem Zinnsarg in die USA zurück. Der Afroamerikaner Charles Lucas will dem Rassismus in der US Army entkommen - und nimmt ein unglückliches Ende. Peter Köpf widmet sich in seinem packend erzählten Sachbuch diesem vergessenen Kapitel des Ost-West-Konflikts und beleuchtet zehn Schicksale von Deserteuren, die die Stasi 'Freunde' nannte, aber wie Feinde behandelte. Es sind private Geschichten des Kalten Krieges aus einer ungewohnten, neuen Perspektive.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2013Schönes neues Bautzen?
Soldaten der Nato als Überläufer und Asylanten in der DDR
Bis zum Mauerbau desertierten knapp 6000 Soldaten der DDR-Streitkräfte, die meisten von ihnen in die Bundesrepublik. Dieses Faktum ist bekannt und wissenschaftlich untersucht. Kaum bekannt ist dagegen, dass auch nicht wenige Soldaten aus Nato-Streitkräften in die DDR überliefen und dort um politisches Asyl baten. Diesem Phänomen spürt jetzt der Publizist Peter Köpf für die 1950er Jahre nach. Aus der dreistelligen Zahl der Überläufer hat er zehn Fälle ausgewählt und erzählt deren Geschichten unter Heranziehung von Quellen, vornehmlich Stasi-Akten.
Die Motive für die Flucht waren so unterschiedlich wie die Personen. Einige wollten sich dem möglichen Kriegseinsatz in Korea oder Vietnam oder - als Schwarze - dem in den Vereinigten Staaten verbreiteten Rassismus entziehen. Andere hatten Eheprobleme oder Konflikte mit Vorgesetzten, auch die Furcht vor Sanktionen nach Straftaten löste bisweilen die Flucht aus, fast alle Deserteure erhofften sich in der DDR auch ein besseres Leben.
Nach ihrer Festnahme erfolgte zunächst das Verhör durch sowjetische Behörden, danach wurden die Überläufer dem MfS zur "Filtration" überstellt. Dabei sollten Informationen aus der bisherigen militärischen Tätigkeit sowie die Motivation für die Desertion ausgeforscht werden. Wo immer möglich wurde die Flucht in den DDR-Medien propagandistisch verwendet. Danach verbrachte man die zum Teil mit Familienangehörigen geflohenen Nato-Soldaten nach Bautzen. Dort sollten "die Freunde" beruflich Fuß fassen und durch politische Schulung zu "Kämpfern für den Sozialismus" weitergebildet werden.
In und um die Stadt in der Oberlausitz lebten Mitte der fünfziger Jahre zeitweise über 50 Ausländer, permanent - aber mit mäßigem Erfolg - von der Stasi überwacht. Oft gingen deren Erwartungen nicht in Erfüllung, nur knapp die Hälfte ließ sich integrieren. Viele waren beruflich unzufrieden, hatten als verkrachte Existenzen Beziehungs- oder Alkoholprobleme, auch Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung blieben nicht aus. Einige wurden straffällig und zu Haftstrafen verurteilt. Einzelne Deserteure sahen nur im Suizid den Ausweg.
Peter Köpf leuchtet mit seinem gut recherchierten und aus der doppelten Perspektive von Überläufern und dem Ministerium für Staatssicherheit spannend geschriebenen Sachbuch ein bisher dunkles Kapitel des Kalten Krieges aus.
HANS EHLERT
Peter Köpf: Wo ist Lieutenant Adkins? Das Schicksal desertierter NATO-Soldaten in der DDR. Ch.Links Verlag, Berlin 2013. 224 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Soldaten der Nato als Überläufer und Asylanten in der DDR
Bis zum Mauerbau desertierten knapp 6000 Soldaten der DDR-Streitkräfte, die meisten von ihnen in die Bundesrepublik. Dieses Faktum ist bekannt und wissenschaftlich untersucht. Kaum bekannt ist dagegen, dass auch nicht wenige Soldaten aus Nato-Streitkräften in die DDR überliefen und dort um politisches Asyl baten. Diesem Phänomen spürt jetzt der Publizist Peter Köpf für die 1950er Jahre nach. Aus der dreistelligen Zahl der Überläufer hat er zehn Fälle ausgewählt und erzählt deren Geschichten unter Heranziehung von Quellen, vornehmlich Stasi-Akten.
Die Motive für die Flucht waren so unterschiedlich wie die Personen. Einige wollten sich dem möglichen Kriegseinsatz in Korea oder Vietnam oder - als Schwarze - dem in den Vereinigten Staaten verbreiteten Rassismus entziehen. Andere hatten Eheprobleme oder Konflikte mit Vorgesetzten, auch die Furcht vor Sanktionen nach Straftaten löste bisweilen die Flucht aus, fast alle Deserteure erhofften sich in der DDR auch ein besseres Leben.
Nach ihrer Festnahme erfolgte zunächst das Verhör durch sowjetische Behörden, danach wurden die Überläufer dem MfS zur "Filtration" überstellt. Dabei sollten Informationen aus der bisherigen militärischen Tätigkeit sowie die Motivation für die Desertion ausgeforscht werden. Wo immer möglich wurde die Flucht in den DDR-Medien propagandistisch verwendet. Danach verbrachte man die zum Teil mit Familienangehörigen geflohenen Nato-Soldaten nach Bautzen. Dort sollten "die Freunde" beruflich Fuß fassen und durch politische Schulung zu "Kämpfern für den Sozialismus" weitergebildet werden.
In und um die Stadt in der Oberlausitz lebten Mitte der fünfziger Jahre zeitweise über 50 Ausländer, permanent - aber mit mäßigem Erfolg - von der Stasi überwacht. Oft gingen deren Erwartungen nicht in Erfüllung, nur knapp die Hälfte ließ sich integrieren. Viele waren beruflich unzufrieden, hatten als verkrachte Existenzen Beziehungs- oder Alkoholprobleme, auch Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung blieben nicht aus. Einige wurden straffällig und zu Haftstrafen verurteilt. Einzelne Deserteure sahen nur im Suizid den Ausweg.
Peter Köpf leuchtet mit seinem gut recherchierten und aus der doppelten Perspektive von Überläufern und dem Ministerium für Staatssicherheit spannend geschriebenen Sachbuch ein bisher dunkles Kapitel des Kalten Krieges aus.
HANS EHLERT
Peter Köpf: Wo ist Lieutenant Adkins? Das Schicksal desertierter NATO-Soldaten in der DDR. Ch.Links Verlag, Berlin 2013. 224 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2013„Weil ich
den Frieden will“
Peter Köpf über Deserteure, die in die DDR flüchteten
In den Debatten über die DDR und ihre Bevölkerung fällt eines immer wieder auf: Die, die nicht dabei waren, glauben am besten zu wissen, wie es gewesen sein muss. So aber entsteht ein nur künstlich homogenes Bild dieser Vergangenheit. Darin ist neben der Schilderung von Unrecht, Armut und Überwachung eigentlich kein Platz für andere, womöglich weniger eindeutige Erzählungen. Der Journalist Peter Köpf war nicht dabei, aber ein paar Erzählungen dieser Art hat er zusammengetragen.
Bekannt und gelernt und richtig ist, dass schon bald nach dem Krieg viele Menschen aus dem Ostblock versuchten, in den Westen zu flüchten. Bis zum Mauerbau desertierten zum Beispiel 6000 Soldaten der DDR-Streitkräfte. Kaum bekannt und überraschend und ebenfalls richtig ist, dass einige Nato-Soldaten ihrerseits in die DDR überliefen. Köpf hat in den Archiven der Stasi und des DDR-Innenministeriums Akten studiert, denen zufolge etwa 200 Deserteure in der DDR Zuflucht suchten. So widersinnig dieses Ansinnen in seiner Abstraktion zunächst klingen mag, so nachvollziehbar kann es im Einzelfall gewesen sein. Es gab Soldaten, die sich einem möglichen Einsatz in Korea oder Vietnam entziehen wollten; andere, die unter dem real existierenden Rassismus in der US-Armee litten. Und dritte, die schlicht aus privaten oder politischen Gründen das Weite suchten, wie der amerikanische Kommunist Victor Grossman, der bei der Musterung seine Mitgliedschaft in kommunistischen Jugendverbänden verschwiegen hatte. Das konnte ihm eine Haftstrafe einbringen. Als Grossman eine Vorladung des US-Militärgerichts in Nürnberg bekam, fasste er einen Entschluss und schwamm bei Linz über die Donau.
Die DDR jedenfalls nahm ihn und alle anderen gern, mit unlauterer Absicht. Dies zeigt nicht nur das Propaganda-Lehrstück, welches mit dem britischen Fallschirmjäger Jack Stuart in einer Hauptrolle aufgeführt wurde. Im August 1949 überquerte Stuart bei Helmstedt die Sektorengrenze zu Fuß, also noch vor Gründung der DDR. 1950 schon grüßte Stuart vom Cover der zweiten Ausgabe der Neuen Berliner Illustrierten . Die Überschrift: „Warum ich über die Elbe ging? Weil ich den Frieden will!“ Er sei, sagte Stuart dem Blatt, „von den Kriegsvorbereitungen der Westmächte so angewidert und empört“, dass er sich für eine Flucht in die DDR entschieden habe. So habe, befand die Zeitschrift, „das Lager des Krieges“ einen Soldaten weniger, und „das des Friedens zwei Hände mehr“.
Peter Köpf hat diese Geschichten detailtief recherchiert und er versteht es dankenswerterweise, die Aktengrundlage weitgehend zu verbergen, ohne ihr aber untreu zu werden. So entstehen reale Abenteuer- und Kriminalgeschichten wie die des Jack Stuart, der später übrigens die Frau seines Vermieters ermordete und zurück in den Westen floh. Nicht ganz so hoch ging es in einer Villa im sächsischen Bautzen her, in der die Führung der DDR alle Deserteure von Soldaten zu „Kämpfern für den Sozialismus“ umschulen wollte. Gleichzeitig aber war die Belegschaft dieser Weigangschen Villa von Spitzeln westlicher Militärgeheimdienste unterwandert. Ihnen gelang es mehrfach, Abtrünnige zurückzuholen.
CORNELIUS POLLMER
Peter Köpf: Wo ist Lieutenant Adkins? Das Schicksal desertierter Nato-Soldaten in der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin 2013. 224 Seiten, 19,90 Euro.
Abenteuergeschichten und
Kriminalgeschichten, die sich
wirklich zugetragen haben
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
den Frieden will“
Peter Köpf über Deserteure, die in die DDR flüchteten
In den Debatten über die DDR und ihre Bevölkerung fällt eines immer wieder auf: Die, die nicht dabei waren, glauben am besten zu wissen, wie es gewesen sein muss. So aber entsteht ein nur künstlich homogenes Bild dieser Vergangenheit. Darin ist neben der Schilderung von Unrecht, Armut und Überwachung eigentlich kein Platz für andere, womöglich weniger eindeutige Erzählungen. Der Journalist Peter Köpf war nicht dabei, aber ein paar Erzählungen dieser Art hat er zusammengetragen.
Bekannt und gelernt und richtig ist, dass schon bald nach dem Krieg viele Menschen aus dem Ostblock versuchten, in den Westen zu flüchten. Bis zum Mauerbau desertierten zum Beispiel 6000 Soldaten der DDR-Streitkräfte. Kaum bekannt und überraschend und ebenfalls richtig ist, dass einige Nato-Soldaten ihrerseits in die DDR überliefen. Köpf hat in den Archiven der Stasi und des DDR-Innenministeriums Akten studiert, denen zufolge etwa 200 Deserteure in der DDR Zuflucht suchten. So widersinnig dieses Ansinnen in seiner Abstraktion zunächst klingen mag, so nachvollziehbar kann es im Einzelfall gewesen sein. Es gab Soldaten, die sich einem möglichen Einsatz in Korea oder Vietnam entziehen wollten; andere, die unter dem real existierenden Rassismus in der US-Armee litten. Und dritte, die schlicht aus privaten oder politischen Gründen das Weite suchten, wie der amerikanische Kommunist Victor Grossman, der bei der Musterung seine Mitgliedschaft in kommunistischen Jugendverbänden verschwiegen hatte. Das konnte ihm eine Haftstrafe einbringen. Als Grossman eine Vorladung des US-Militärgerichts in Nürnberg bekam, fasste er einen Entschluss und schwamm bei Linz über die Donau.
Die DDR jedenfalls nahm ihn und alle anderen gern, mit unlauterer Absicht. Dies zeigt nicht nur das Propaganda-Lehrstück, welches mit dem britischen Fallschirmjäger Jack Stuart in einer Hauptrolle aufgeführt wurde. Im August 1949 überquerte Stuart bei Helmstedt die Sektorengrenze zu Fuß, also noch vor Gründung der DDR. 1950 schon grüßte Stuart vom Cover der zweiten Ausgabe der Neuen Berliner Illustrierten . Die Überschrift: „Warum ich über die Elbe ging? Weil ich den Frieden will!“ Er sei, sagte Stuart dem Blatt, „von den Kriegsvorbereitungen der Westmächte so angewidert und empört“, dass er sich für eine Flucht in die DDR entschieden habe. So habe, befand die Zeitschrift, „das Lager des Krieges“ einen Soldaten weniger, und „das des Friedens zwei Hände mehr“.
Peter Köpf hat diese Geschichten detailtief recherchiert und er versteht es dankenswerterweise, die Aktengrundlage weitgehend zu verbergen, ohne ihr aber untreu zu werden. So entstehen reale Abenteuer- und Kriminalgeschichten wie die des Jack Stuart, der später übrigens die Frau seines Vermieters ermordete und zurück in den Westen floh. Nicht ganz so hoch ging es in einer Villa im sächsischen Bautzen her, in der die Führung der DDR alle Deserteure von Soldaten zu „Kämpfern für den Sozialismus“ umschulen wollte. Gleichzeitig aber war die Belegschaft dieser Weigangschen Villa von Spitzeln westlicher Militärgeheimdienste unterwandert. Ihnen gelang es mehrfach, Abtrünnige zurückzuholen.
CORNELIUS POLLMER
Peter Köpf: Wo ist Lieutenant Adkins? Das Schicksal desertierter Nato-Soldaten in der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin 2013. 224 Seiten, 19,90 Euro.
Abenteuergeschichten und
Kriminalgeschichten, die sich
wirklich zugetragen haben
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de