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Sie sind Korrespondent in New York und haben gerade eine Jahrhundert-katastrophe überlebt. Ein paar Meilen weiter wartet Ihre Frau mit den Kindern auf ein Lebenszeichen wen rufen Sie an? Richtig: die Redaktion. So ist über den 11. September noch nie berichtet worden: persönlich, berührend und manchmal sogar komisch. Alexander Osang, damals Spiegel-Korrespondent, erzählt von seiner Odyssee durch das geschockte New York, immer auf der Suche nach "seiner" Geschichte. Seine Frau und Kollegin Anja Reich sieht die schwarzen Wolken aus Manhattan auf ihr Haus in Brooklyn zukommen. Sie durchlebt diesen…mehr

Produktbeschreibung
Sie sind Korrespondent in New York und haben gerade eine Jahrhundert-katastrophe überlebt. Ein paar Meilen weiter wartet Ihre Frau mit den Kindern auf ein Lebenszeichen wen rufen Sie an? Richtig: die Redaktion.
So ist über den 11. September noch nie berichtet worden: persönlich, berührend und manchmal sogar komisch. Alexander Osang, damals Spiegel-Korrespondent, erzählt von seiner Odyssee durch das geschockte New York, immer auf der Suche nach "seiner" Geschichte. Seine Frau und Kollegin Anja Reich sieht die schwarzen Wolken aus Manhattan auf ihr Haus in Brooklyn zukommen. Sie durchlebt diesen Tag mit den gemeinsamen Kindern und Nachbarn in der Straße ganz anders, nicht weniger dramatisch und ohne Nachricht von ihrem Mann. Jeder von beiden schreibt nun seine eigene Geschichte über den längsten Tag von New York City. So entstehen zwei Erzählungen, die zusammen einen ungemein dichten, mitreißenden und farbigen Bericht eines Paares ergeben über die Katastrophe und darüber, was diesemit ihnen macht.
Autorenporträt
Anja Reich wurde in Ostberlin geboren. Sie arbeitete als Redakteurin für "Die Welt" und die Berliner Zeitung. 1999 ging sie gemeinsam mit ihrem Mann, Alexander Osang, und ihren Kindern für sieben Jahre nach New York, wo sie heute wieder lebt. 2012 wurde sie mit dem "Deutschen Reporterpreis" ausgezeichnet.

Alexander Osang, geboren 1962, studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete nach der Wende als Chefreporter der "Berliner Zeitung". Für seine Reportagen erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis und den Theodor-Wolff-Preis. Seit 1999 ist er Reporter für den "Spiegel" in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2011

Die Entscheidung, in die falsche Richtung zu laufen
Psychogramm einer Reporterseele: Die Beziehung von Anja Reich und Alexander Osang unter Katastrophendruck

Ereignisse, die die Welt verändern, erkennt man auch daran, dass die Menschen einander hinterher fragen: "Wo warst du damals eigentlich?" Zehn Jahre nach dem Terroranschlag des 11. September 2001 erinnert sich das Reporterpaar Anja Reich und Alexander Osang an ihre damalige Zeit in New York - Osang war seinerzeit "Spiegel"-Korrespondent vor Ort, Reich verbrachte mit den beiden gemeinsamen Kindern ihren Erziehungsurlaub dort. Was dem Buch über den Anlass von 9/11 hinaus Bestand verleiht, ist, dass es sich hier um eine Beziehungsgeschichte handelt, bei der es um die Prioritäten für ein gutes Leben geht, um Selbsttäuschungen, um den Unterschied zwischen Leben und Gelebtwerden.

Die beiden Autoren haben ihr Buch als Dialog angelegt, abwechselnd berichten sie von jenem Tag, an dem die Twin Towers fielen. Ein Datum, das ihr Leben in ein Davor und Danach einteilt, weil der Blick auf das Wesentliche plötzlich unter grauenhaften Umständen freigegeben wird. Existentielle Fragen brechen auf und werden alltagsbestimmend: Wer bin ich, was ist mir wichtig? Bei Osang und Reich kristallisieren sie sich vor allem in der Überlegung, was ihr Beruf ihnen bedeutet, wie er sie formt, ihre Möglichkeiten zur Entfaltung bringt - und wie er sie andererseits deformiert, sie auf bestimmte kognitive und emotionale Routinen festlegt, die den Blick verengen, die Weltsicht vereinseitigen.

Der Leser nimmt teil an der Innenansicht einer Beziehung mit Kindern, in der die Eltern alles daransetzen, um ihrer ausgeprägten professionellen Passion nachgehen zu können. Am Tag des Terrorangriffs trennen sich ihre Wege: Als Reich und Osang am Morgen des 11. September die Türme rauchen sehen, haben beide den Impuls hinzulaufen. Aber nur er geht, sie bleibt zu Hause zurück.

Als der erste Turm einstürzt, steht Osang an der Brooklyn Bridge, eigentlich kann man sie nicht mehr passieren, Polizisten versperren den Weg. Osang zögert, fühlt, dass es vernünftig wäre, umzukehren, vor allem, weil man eine Familie hat. Aber er kann nicht anders, schlüpft durch die Sperre, rennt, während alle anderen das Weite suchen, auf die brennenden Türme zu.

Er läuft weiter und weiter; als der zweite Turm stürzt, ist er so nahe dran, dass er sein Leben riskiert; aber "ich kann schreiben, dass ich vor dem zusammenbrechenden Turm durch die Straßen Manhattans fliehe", notiert die Reporterseele in ihm. Und spürt, dass etwas Grundlegendes mit ihm nicht stimmt, als er in einem Keller sitzt, in dem er Zuflucht sucht. Osang sieht sich vor eine Lebenslüge gestellt: "Es gibt keine Antworten in einem brennenden Haus. Man kann helfen, aber ich bin kein Feuerwehrmann, ich bin ein bescheuerter Reporter. Es sind die Minderwertigkeitskomplexe, die mich hierher getrieben haben. Weil ich aus dem Osten komme, weil ich ein dickes, sommersprossiges Kind war, weil ich früher Katholik im Sozialismus sowie Sozialist in der katholischen Kirche war und nun ein Ostdeutscher im Westen bin, ein Zoni in New York."

Es ist seine Ortlosigkeit, die ihn zwingt, immer am richtigen Ort sein zu müssen, vor allen anderen, rastlos. Derweil ist Reich in Brooklyn damit beschäftigt, die Kinder zu beruhigen, sie nicht merken zu lassen, dass ihr das Schicksal ihres Mannes fürchterliche Sorgen macht: "Ich schäme mich für ihn, für mich, für diesen Beruf, der davon lebt, sich an das Leben von anderen ranzuhängen." Osang hadert mit sich, überschreitet Grenzen - und schreibt so, dass der Leser das Entsetzen teilt, das der Autor dabei empfindet. Der Himmel über der Katastrophe lässt sich nichts anmerken. An jenem Dienstag in New York war er makellos blau, "gleichgültig blau", schreiben Reich und Osang. Erst am 13. September regnete es, in der Nacht zum 14. kam das Gewitter, das zum 11. September gepasst hätte.

Die Verachtung, die man passagenweise beim Lesen dieses Berichts spürt, gilt dann doch nicht dem, der nah, zu nah rangeht, sondern dem, der darauf angewiesen ist, dass das Grauen medial aufbereitet wird: uns selbst. In der Katastrophe nicht etwa Feuerwehrmann gewesen zu sein, sondern Beobachter - das ist die tief empfundene Obszönität, die Osang umtreibt. Statt Leid zu lindern, nur möglichst tief ins Herz der Finsternis einzudringen, um das Grauen zu beschreiben: Ist das noch menschlich? Man denkt an den Satz, den Lenz in Büchners gleichnamiger Novelle zu Oberlin sagt: "Aber ich, wär' ich allmächtig, sehen Sie, wenn ich so wäre, und ich könnte das Leiden nicht ertragen, ich würde retten, retten."

Für Reich und Osang war der globale Katastrophentag ein Riss in ihrer Beziehung. Man kann sich gut vorstellen, dass nach allen Anlässen, bei denen Osang den Beruf an erste Stelle gesetzt hat, die Entscheidung, in die falsche Richtung zu laufen, genau eine Entscheidung zu viel war. Können die beiden damit leben und weiter zusammen sein? Oder ist der Knacks - wie Roger Willemsen die feinen Haarrisse bezeichnet, die durch unser aller Leben laufen und irgendwann sichtbar, überdeutlich werden - ist dieser Knacks hier so weit gediehen, dass er zum Bruch wird?

Die beiden Autoren sind zusammengeblieben, Osang ist weiterhin "Spiegel"-Reporter, Reich freie Auslandskorrespondentin der "Berliner Zeitung". Und nach der Lektüre dieses außerordentlich offenen und bewegenden Buches freut man sich darüber.

CONSTANZE NEUMANN

Anja Reich und Alexander Osang: "Wo warst du?" Ein Septembertag in New York.

Piper Verlag, München 2011. 272 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wie schön, sie sind noch zusammen, das Reporterehepaar Alexander Osang und Anja Reich hat die Krise gemeistert, die in diesem Constanze Neumann sehr bewegenden Buch verhandelt wird. Dass sich die Rezensentin so freut über das private Glück hat Gründe. Zum einen scheint sie Respekt zu haben für die Autoren, die hier offen Zweifel an ihrer Profession, dem Reporterberuf, äußern. Zum anderen ist ihr die Familie der beiden durch die Innenansicht vertraut geworden. Wie ein Ereignis "bigger than life" (hier 9/11, das die Autoren in New York miterleben) Lebensweisen und Haltungen infrage zu stellen vermag, kann sie hier nachvollziehen. Und auch, wie sehr wir als Leser von Katastrophenreportagen von der Obszönität profitieren, die sich der Reporter mitunter auflädt.

© Perlentaucher Medien GmbH