Der Wolf ist zurück in unseren Breiten, und mit ihm und jedem gerissenen Schaf kehrt auch eine unbändige Urangst zurück, die ein Dickicht aus Vorurteilen, Aberglauben und Nichtwissen nährt: Die Furcht vor dem vermeintlich blutrünstigen Räuber, der im Rudel Menschenkinder zu Tode hetzt und Großmütter verspeist, hat sich über Jahrhunderte zu einer Obsession ausgewachsen, die einst zu seiner gnadenlosen Bejagung und Ausrottung führte. Doch stets weckte der Wolf auch die Sehnsüchte romantisch veranlagter Zeitgenossen und freiheitsliebender Außenseiter, die ihn mit seiner sprichwörtlichen, aber fantasierten 'Einsamkeit' zum Seelenverwandten erwählen. In ihrem klugen und feinfühligen Tierportrait nimmt Petra Ahne die kultur- und naturgeschichtliche Fährte des bernsteinäugigen Wanderers auf, durchstreift die Motivgeschichte von Rotkäppchen bis zum Werwolf, erkundet die ambivalente Beziehung zu seinem domestizierten Nachfahren, dem Hund, und sucht nach seinen Spuren in der heutigen Lausitz, wo Mensch und Wolf zusammenleben. Vorläufig. Denn die Frage nach dem Wolf ist die immer drängendere Frage danach, wie viel Natur und Wildnis der Mensch zu ertragen bereit ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2016Buch-Tipps der F.A.S.-Redaktion
Der richtige Fonds.
Fonds sind eine tolle Geldanlage für Privatanleger, weil sie Risiken reduzieren und die ganze Welt in ein Produkt packen können. Doch Anleger machen beim Kauf regelmäßig einiges falsch. Michael Ritzau spießt das auf und warnt vor versteckten Kosten, schlechten Mischfonds und Indexfonds, die eigentlich gar keine sind. Und er geißelt die Ratings, die Fonds in gut und schlecht einteilen wollen. Zum Glück schreibt er auch, wie wir Anleger es richtig machen. Das macht das Buch zu einem nützlichen Ratgeber auf der Suche nach dem besten Fonds.
Michael Ritzau: Die große Fondslüge. Tectum Verlag 2016, 19,95 Euro.
Alles über Blockchain.
Alle reden von Blockchain, aber keiner versteht die Technologie, die als größte Innovation seit dem Internet gilt. Banker, Versicherer und andere grübeln, wie sie die Datenkette, die hinter der Digitalwährung Bitcoin steht, für sich nutzen können. Heißer Tipp für alle Vorausdenker: das Buch von Don und Alex Tapscott lesen! Vorzüglich erklären sie, wie Blockchain funktioniert, wo die Chancen liegen und wo die bisherigen Grenzen. Ein Buch mit viel Zukunft.
Don Tapscott, Alex Tapscott: Die Blockchain-Revolution. Plaassen Verlag 2016, 24,99 Euro.
Kampf der Ideen.
Warum ist der Euro in Schwierigkeiten geraten? Dieser Frage gehen der deutsche Ökonom Markus K. Brunnermeier, der englische Historiker Harold James und der ehemalige französische Zentralbanker Jean-Pierre Landau auf den Grund. Ihr Fazit: Die Wurzel des Übels liegt in den unterschiedlichen ökonomischen Philosophien - vor allem zwischen Deutschen und Franzosen.
Markus K. Brunnermeier, Harold James, Jean-Pierre Landau: The Euro and the Battle of Ideas. Princeton University Press 2016, 35 Dollar.
Windkraft ohne uns!
Das brandenburgische Dorf Unterleuten wird kräftig aufgemischt - nicht nur durch einen Ansturm alternativer Wessis, die mit ihrer selbstgekochten Marmelade in alte DDR-Strukturen stoßen, sondern durch ein Zukunftsprojekt: Riesige Windkraftanlagen sollen die Einkünfte der klammen Gemeinde sichern. Die Bewohner sind in Aufruhr, sie fürchten eine Verschandelung ihres Landesstrichs, spinnen Intrigen und sähen Hass. Sehr vergnüglich.
Juli Zeh: Unterleuten. Luchterhand Verlag 2016, 24,99 Euro.
Wie Trump tickt.
Es hilft ja alles nichts, die Welt muss sich mit Donald Trump auseinandersetzen. Das ist kein Spaß, weiß Michael D'Antonio, der tief im Leben des Immobilien-Tycoons gebuddelt und so manche schmuddelige Affäre zutage gefördert hat. Als Geschäftsmann ist Trump gewieft bis windig, dazu unbeherrscht und nachtragend. Kaum zu glauben, dass er sich als amerikanischer Präsident ändert. Wer mag, kann diese Biographie als Schauerroman lesen.
Michael D'Antonio: Die Wahrheit über Donald Trump. Ullstein Verlag 2016, 24 Euro.
Der liebe Wolf.
Kapitalisten sind schlimm, Raubtierkapitalisten sind die Schlimmsten. Und das schlimmste Raubtier in unseren Breiten, das ist seit Rotkäppchens Zeiten der Wolf. Dumm nur, dass nicht der böse Wolf den lieben Menschen beinahe ausgerottet hat, sondern umgekehrt. Viele Wolfspaare leben in unverbrüchlicher Treue ein ganzes Leben zusammen, im Wolfsrudel kümmern sich Tanten und Onkel um den Nachwuchs, die Tiere heulen sich über viele Kilometer hinweg Botschaften zu. Höchste Zeit also für ein elegantes kleines Wolfsbuch, das unser Unwissen lindert.
Petra Ahne: Wölfe. Ein Porträt. Matthes & Seitz 2016, 18 Euro.
Armut ohne Getöse.
Sie ist ein heikles Thema, die Armut, auch in einem verhältnismäßig reichen Land wie Deutschland. Wann immer ein neuer Armutsbericht erscheint, gibt es Personen, die lautstark ein Drama heraufbeschwören - auch, weil sie und ihre Geschäfte davon profitieren. Nicht nur Sex sells, auch Armut. Gegen die Skandalisierung des Themas setzt sich Caritas-Generalsekretär Georg Cremer zur Wehr. Er plädiert für eine ruhige, faktenbasierte Diskussion, die konkrete Lösungsvorschläge im Auge hat. Wie diese aussehen könnten, zeigt Cremer in seinem Buch. Denn dass Armut auch in Deutschland ein Problem ist, das bestreitet er nicht.
Georg Cremer: Armut in Deutschland. Wer ist arm? Was läuft schief? Wie können wir handeln? C.H.Beck 2016, 16,95 Euro.
Alan Greenspans Welt.
18 Jahre lang war Alan Greenspan der mächtigste Notenbanker der Welt: Von 1987 bis Anfang 2006 leitete er Amerikas Zentralbank Fed und wurde an den Börsen wie ein Magier verehrt. Weniger bekannt ist, dass Greenspan auch ein toller Musiker war und ein Frauenheld obendrein. Solch liebevolle Details erfährt man in der vom Journalisten Sebastian Mallaby glänzend geschriebenen Biographie. Leider ist sie bisher nur auf Englisch erschienen.
Sebastian Mallaby: The Man Who Knew. The Life and Times of Alan Greenspan. Penguin Press 2016, 40 Dollar.
Ungleichheit ist nötig.
Bücher über Ungleichheit haben Konjunktur. Angus Deatons große Globalisierungsgeschichte ist eines der besten: Im Januar kommt es endlich auf Deutsch heraus. Die These des Nobelpreisträgers: Ungleichheit ist der Preis des Fortschritts. Wer das nicht in Kauf nehmen will, muss auch auf Fortschritt und Wohlstand verzichten. Das wäre zu schade.
Angus Deaton: Der große Ausbruch. Von Armut und Wohlstand der Nationen. Klett-Cotta Januar 2017, 26 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der richtige Fonds.
Fonds sind eine tolle Geldanlage für Privatanleger, weil sie Risiken reduzieren und die ganze Welt in ein Produkt packen können. Doch Anleger machen beim Kauf regelmäßig einiges falsch. Michael Ritzau spießt das auf und warnt vor versteckten Kosten, schlechten Mischfonds und Indexfonds, die eigentlich gar keine sind. Und er geißelt die Ratings, die Fonds in gut und schlecht einteilen wollen. Zum Glück schreibt er auch, wie wir Anleger es richtig machen. Das macht das Buch zu einem nützlichen Ratgeber auf der Suche nach dem besten Fonds.
Michael Ritzau: Die große Fondslüge. Tectum Verlag 2016, 19,95 Euro.
Alles über Blockchain.
Alle reden von Blockchain, aber keiner versteht die Technologie, die als größte Innovation seit dem Internet gilt. Banker, Versicherer und andere grübeln, wie sie die Datenkette, die hinter der Digitalwährung Bitcoin steht, für sich nutzen können. Heißer Tipp für alle Vorausdenker: das Buch von Don und Alex Tapscott lesen! Vorzüglich erklären sie, wie Blockchain funktioniert, wo die Chancen liegen und wo die bisherigen Grenzen. Ein Buch mit viel Zukunft.
Don Tapscott, Alex Tapscott: Die Blockchain-Revolution. Plaassen Verlag 2016, 24,99 Euro.
Kampf der Ideen.
Warum ist der Euro in Schwierigkeiten geraten? Dieser Frage gehen der deutsche Ökonom Markus K. Brunnermeier, der englische Historiker Harold James und der ehemalige französische Zentralbanker Jean-Pierre Landau auf den Grund. Ihr Fazit: Die Wurzel des Übels liegt in den unterschiedlichen ökonomischen Philosophien - vor allem zwischen Deutschen und Franzosen.
Markus K. Brunnermeier, Harold James, Jean-Pierre Landau: The Euro and the Battle of Ideas. Princeton University Press 2016, 35 Dollar.
Windkraft ohne uns!
Das brandenburgische Dorf Unterleuten wird kräftig aufgemischt - nicht nur durch einen Ansturm alternativer Wessis, die mit ihrer selbstgekochten Marmelade in alte DDR-Strukturen stoßen, sondern durch ein Zukunftsprojekt: Riesige Windkraftanlagen sollen die Einkünfte der klammen Gemeinde sichern. Die Bewohner sind in Aufruhr, sie fürchten eine Verschandelung ihres Landesstrichs, spinnen Intrigen und sähen Hass. Sehr vergnüglich.
Juli Zeh: Unterleuten. Luchterhand Verlag 2016, 24,99 Euro.
Wie Trump tickt.
Es hilft ja alles nichts, die Welt muss sich mit Donald Trump auseinandersetzen. Das ist kein Spaß, weiß Michael D'Antonio, der tief im Leben des Immobilien-Tycoons gebuddelt und so manche schmuddelige Affäre zutage gefördert hat. Als Geschäftsmann ist Trump gewieft bis windig, dazu unbeherrscht und nachtragend. Kaum zu glauben, dass er sich als amerikanischer Präsident ändert. Wer mag, kann diese Biographie als Schauerroman lesen.
Michael D'Antonio: Die Wahrheit über Donald Trump. Ullstein Verlag 2016, 24 Euro.
Der liebe Wolf.
Kapitalisten sind schlimm, Raubtierkapitalisten sind die Schlimmsten. Und das schlimmste Raubtier in unseren Breiten, das ist seit Rotkäppchens Zeiten der Wolf. Dumm nur, dass nicht der böse Wolf den lieben Menschen beinahe ausgerottet hat, sondern umgekehrt. Viele Wolfspaare leben in unverbrüchlicher Treue ein ganzes Leben zusammen, im Wolfsrudel kümmern sich Tanten und Onkel um den Nachwuchs, die Tiere heulen sich über viele Kilometer hinweg Botschaften zu. Höchste Zeit also für ein elegantes kleines Wolfsbuch, das unser Unwissen lindert.
Petra Ahne: Wölfe. Ein Porträt. Matthes & Seitz 2016, 18 Euro.
Armut ohne Getöse.
Sie ist ein heikles Thema, die Armut, auch in einem verhältnismäßig reichen Land wie Deutschland. Wann immer ein neuer Armutsbericht erscheint, gibt es Personen, die lautstark ein Drama heraufbeschwören - auch, weil sie und ihre Geschäfte davon profitieren. Nicht nur Sex sells, auch Armut. Gegen die Skandalisierung des Themas setzt sich Caritas-Generalsekretär Georg Cremer zur Wehr. Er plädiert für eine ruhige, faktenbasierte Diskussion, die konkrete Lösungsvorschläge im Auge hat. Wie diese aussehen könnten, zeigt Cremer in seinem Buch. Denn dass Armut auch in Deutschland ein Problem ist, das bestreitet er nicht.
Georg Cremer: Armut in Deutschland. Wer ist arm? Was läuft schief? Wie können wir handeln? C.H.Beck 2016, 16,95 Euro.
Alan Greenspans Welt.
18 Jahre lang war Alan Greenspan der mächtigste Notenbanker der Welt: Von 1987 bis Anfang 2006 leitete er Amerikas Zentralbank Fed und wurde an den Börsen wie ein Magier verehrt. Weniger bekannt ist, dass Greenspan auch ein toller Musiker war und ein Frauenheld obendrein. Solch liebevolle Details erfährt man in der vom Journalisten Sebastian Mallaby glänzend geschriebenen Biographie. Leider ist sie bisher nur auf Englisch erschienen.
Sebastian Mallaby: The Man Who Knew. The Life and Times of Alan Greenspan. Penguin Press 2016, 40 Dollar.
Ungleichheit ist nötig.
Bücher über Ungleichheit haben Konjunktur. Angus Deatons große Globalisierungsgeschichte ist eines der besten: Im Januar kommt es endlich auf Deutsch heraus. Die These des Nobelpreisträgers: Ungleichheit ist der Preis des Fortschritts. Wer das nicht in Kauf nehmen will, muss auch auf Fortschritt und Wohlstand verzichten. Das wäre zu schade.
Angus Deaton: Der große Ausbruch. Von Armut und Wohlstand der Nationen. Klett-Cotta Januar 2017, 26 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2016Dem Wolf ins
Auge blicken
Petra Ahne porträtiert das Tier
in Geschichte und Gegenwart
Kaum ein Tier hat solche Hassorgien ausgelöst, ist so grausig gejagt, gefangen, gefoltert, vergiftet, zerrissen und geköpft worden wie der Wolf, für den Jahrhunderte lang und weltweit der böse Slogan galt: Nur tote Wölfe sind gute Wölfe. Kaum
ein Tier ist auch so mythisch aufgeladen worden als blutrünstiger Werwolf, als feiges, hinterlistiges Monster, das es auf die Unschuld von Rotkäppchen oder der sieben Geißlein abgesehen hat. Selbst Ede Wolf aus Walt Disneys freundlich-komischer Menagerie trachtet noch nach Schweinchen Schlau und seinen leicht verführbaren Ferkelbrüdern. Doch denen hilft oft Edes Sohn, der „kleine böse Wolf“, und erweist sich so als schon zivilisiert, während im Vater weiterhin die alten Triebe leben.
In der Reihe Naturkunden, herausgegeben von Judith Schalansky im Verlag Matthes & Seitz, hat sich die Journalistin Petra Ahne, Jahrgang 1971, dem Wolf draußen genähert, auch dem Wolf als romantischer Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer und als Sinnstifter für zivilisationsmüde Künstler wie die Pianistin Hélène Grimaud. Ahne hat also dem Wolf in uns ins grünlich-feurige Auge geblickt. Herausgekommen ist nicht so sehr eine Natur-, sondern eine Kultur- und Vorstellungsgeschichte, welche suggestive Rolle dieses Raubtier in der Fantasie spielt.
Ahne spürt beispielsweise den diversen Werwolf-Mystifikationen vom Mittelalter nach bis hin zu Himmlers „Werwolf“ genannter Nazi-Guerillatruppe in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs. Im ursprünglich erzählten Rotkäppchen-Stoff aus dem französischen 16. und 17. Jahrhundert spielt ein schmucker Jäger, der sich in einen Werwolf verwandelt, eine erotische Rolle. Denn das Mädchen steigt nackt zu ihm ins Bett, muss dann allerdings zur Notdurft nach draußen: „Die Schnur, die er vorsichtshalber um Rotkäppchens Fuß bindet, macht es an einem Baum fest und läuft davon.“ Gegen dieses schlaue Mädchen wirkt die Kleine aus der Version der Brüder Grimm nur biedermeierlich brav.
Man erfährt, wie radikal der Wolf als „Schädling“ verfolgt wurde und in vielen Teilen der Welt noch wird, aber auch wie zwiespältig die Gefühle jetzt sind, da dank scharfer Schutzbestimmungen der Wolf auch in dieses Land wieder kommt und Rudel gründet. Da stehen dann Schäfer und Nutztierhalter voll Bitterkeit vor gerissenen Schafen und Kälbern und werden den Wolf verfluchen wie eh und je. Und es kehren auch die Urängste zurück, wenn man einem Wolf im Wald begegnen sollte, obwohl das Tier als extrem scheu gilt, außer es wäre tollwütig. Doch Petra Ahne gibt keine falsche Totalentwarnung, sondern stellt in ihrem so erfreulich fettfreien nachdenklichen Erzählton fest: „Manchmal töten Wölfe Menschen. Es ist trotzdem sicher, im Wald spazieren zu gehen. Mehr Eindeutigkeit ist nicht zu haben.“
Man lernt Forscher und Enthusiasten kennen, die mit den Tieren einfach zusammen leben, erfährt von jenen Momenten, in denen die Berührung mit dem Wolf einer Erleuchtung gleich kommt, wie es Hélène Grimaud berichtet hat. Oder wie weit Wolf und Hund auseinander sind. Petra Ahne versteht es auch, etwa Alfred Brehms Darstellung des Wolfes als des üblen, hässlichen Bösewichts, prägnant und witzig auf den Punkt zu bringen: „Es gibt Hoffnung für den Wolf. Sie besteht darin, ein Hund zu werden.“ Jedenfalls wird jeder nach der Lektüre dieses Buchs eines haben vor dem Überlebenskünstler Wolf: größten Respekt.
HARALD EGGEBRECHT
Petra Ahne: Wölfe. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 144 Seiten, 18 Euro.
„Es gibt Hoffnung
für den Wolf. Sie besteht darin,
ein Hund zu werden.“
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Auge blicken
Petra Ahne porträtiert das Tier
in Geschichte und Gegenwart
Kaum ein Tier hat solche Hassorgien ausgelöst, ist so grausig gejagt, gefangen, gefoltert, vergiftet, zerrissen und geköpft worden wie der Wolf, für den Jahrhunderte lang und weltweit der böse Slogan galt: Nur tote Wölfe sind gute Wölfe. Kaum
ein Tier ist auch so mythisch aufgeladen worden als blutrünstiger Werwolf, als feiges, hinterlistiges Monster, das es auf die Unschuld von Rotkäppchen oder der sieben Geißlein abgesehen hat. Selbst Ede Wolf aus Walt Disneys freundlich-komischer Menagerie trachtet noch nach Schweinchen Schlau und seinen leicht verführbaren Ferkelbrüdern. Doch denen hilft oft Edes Sohn, der „kleine böse Wolf“, und erweist sich so als schon zivilisiert, während im Vater weiterhin die alten Triebe leben.
In der Reihe Naturkunden, herausgegeben von Judith Schalansky im Verlag Matthes & Seitz, hat sich die Journalistin Petra Ahne, Jahrgang 1971, dem Wolf draußen genähert, auch dem Wolf als romantischer Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer und als Sinnstifter für zivilisationsmüde Künstler wie die Pianistin Hélène Grimaud. Ahne hat also dem Wolf in uns ins grünlich-feurige Auge geblickt. Herausgekommen ist nicht so sehr eine Natur-, sondern eine Kultur- und Vorstellungsgeschichte, welche suggestive Rolle dieses Raubtier in der Fantasie spielt.
Ahne spürt beispielsweise den diversen Werwolf-Mystifikationen vom Mittelalter nach bis hin zu Himmlers „Werwolf“ genannter Nazi-Guerillatruppe in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs. Im ursprünglich erzählten Rotkäppchen-Stoff aus dem französischen 16. und 17. Jahrhundert spielt ein schmucker Jäger, der sich in einen Werwolf verwandelt, eine erotische Rolle. Denn das Mädchen steigt nackt zu ihm ins Bett, muss dann allerdings zur Notdurft nach draußen: „Die Schnur, die er vorsichtshalber um Rotkäppchens Fuß bindet, macht es an einem Baum fest und läuft davon.“ Gegen dieses schlaue Mädchen wirkt die Kleine aus der Version der Brüder Grimm nur biedermeierlich brav.
Man erfährt, wie radikal der Wolf als „Schädling“ verfolgt wurde und in vielen Teilen der Welt noch wird, aber auch wie zwiespältig die Gefühle jetzt sind, da dank scharfer Schutzbestimmungen der Wolf auch in dieses Land wieder kommt und Rudel gründet. Da stehen dann Schäfer und Nutztierhalter voll Bitterkeit vor gerissenen Schafen und Kälbern und werden den Wolf verfluchen wie eh und je. Und es kehren auch die Urängste zurück, wenn man einem Wolf im Wald begegnen sollte, obwohl das Tier als extrem scheu gilt, außer es wäre tollwütig. Doch Petra Ahne gibt keine falsche Totalentwarnung, sondern stellt in ihrem so erfreulich fettfreien nachdenklichen Erzählton fest: „Manchmal töten Wölfe Menschen. Es ist trotzdem sicher, im Wald spazieren zu gehen. Mehr Eindeutigkeit ist nicht zu haben.“
Man lernt Forscher und Enthusiasten kennen, die mit den Tieren einfach zusammen leben, erfährt von jenen Momenten, in denen die Berührung mit dem Wolf einer Erleuchtung gleich kommt, wie es Hélène Grimaud berichtet hat. Oder wie weit Wolf und Hund auseinander sind. Petra Ahne versteht es auch, etwa Alfred Brehms Darstellung des Wolfes als des üblen, hässlichen Bösewichts, prägnant und witzig auf den Punkt zu bringen: „Es gibt Hoffnung für den Wolf. Sie besteht darin, ein Hund zu werden.“ Jedenfalls wird jeder nach der Lektüre dieses Buchs eines haben vor dem Überlebenskünstler Wolf: größten Respekt.
HARALD EGGEBRECHT
Petra Ahne: Wölfe. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 144 Seiten, 18 Euro.
„Es gibt Hoffnung
für den Wolf. Sie besteht darin,
ein Hund zu werden.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de