Deutschland im Krieg? An nichts hängt das Selbstverständnis des Landes so sehr wie an der Antwort auf diese Frage. Die Bundesregierung hat zuletzt vor ihr versagt, hat sich international isoliert und eine längst fällige Debatte unterdrückt.
Bernd Ulrichs Buch eröffnet sie. Er blickt dabei zurück auf das eigene Leben, auf Gewissheiten und Irrtümer. Mit dem Erfahrungsreichtum einer Generation, die einmal gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden kämpfte, bewertet er die Kriege der letzten Jahre, auf dem Balkan, in Afghanistan, im Irak und in Libyen. Was war richtig, was falsch, was kommt als Nächstes?
«Weil Bernd Ulrich und ich in wichtigen Fragen nicht übereinstimmen, deshalb empfehle ich, sein interessantes Buch zu lesen. Denn Widerspruch schärft die eigene Urteilskraft.»
HELMUT SCHMIDT
Bernd Ulrichs Buch eröffnet sie. Er blickt dabei zurück auf das eigene Leben, auf Gewissheiten und Irrtümer. Mit dem Erfahrungsreichtum einer Generation, die einmal gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden kämpfte, bewertet er die Kriege der letzten Jahre, auf dem Balkan, in Afghanistan, im Irak und in Libyen. Was war richtig, was falsch, was kommt als Nächstes?
«Weil Bernd Ulrich und ich in wichtigen Fragen nicht übereinstimmen, deshalb empfehle ich, sein interessantes Buch zu lesen. Denn Widerspruch schärft die eigene Urteilskraft.»
HELMUT SCHMIDT
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011Kommt "Zeit", kommt Rat?
Auf der Suche nach deutschen Kriterien für richtige und falsche Kriege lässt sich eine Checkliste nicht finden.
Von Majid Sattar
In der Debatte über die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zum Militäreinsatz gegen das Gaddafi-Regime in Libyen ist ein wenig untergegangen, dass große Teile der deutschen Linken nicht nur den diplomatischen Schadensfall für Berlin beklagten, sondern sich so offen wie nie zuvor für einen Krieg aussprachen. Jenseits parteipolitischer Taktik - im Falle einer deutschen Beteiligung hätten einige Linke rot-grüner Couleur gewiss mit der Linkspartei gegen den Waffengang argumentiert - war dies Ausdruck einer Entwicklung, die mit dem Bosnien-, spätestens aber mit dem Kosovo-Krieg begonnen hat. Sie soll mit der entstehenden UN-Norm der "Responsibility to protect"-Klausel, der internationalen Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung, ihre quasi-völkerrechtliche Grundlage erhalten. Die Unterbelichtung des Wandels war der Aufregung über Berlins Isolierung im westlichen Bündnis geschuldet. Bernd Ulrich zeichnet dies in dem Buch "Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss" gründlich und engagiert nach.
Ulrich wählt einen autobiographischen Ansatz: Er schildert seinen Weg vom Wehrdienstverweigerer und Friedensaktivisten der achtziger Jahre über den Journalisten, der den Kosovo-Krieg bereits nicht falsch fand, aber sich noch nicht traute, seine innere Abkehr vom Radikalpazifismus öffentlich zu machen, bis hin zum stellvertretenden Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", der die deutsche Enthaltung im Frühjahr dieses Jahres eine "Schande" nannte.
Der Autor legt also kein Buch über die Theorien der internationalen Politik vor, sondern schildert anhand der Debatten in den Redaktionskonferenzen die abnehmenden Gewissheiten und zunehmenden Zweifel über Fragen, welche die Deutschen längst nicht mehr aus der sicheren Ferne klären müssen, weil es den Ernstfall seinen Verbündeten überlassen kann. Das ist mutig, weil diese Seelenschau ideologische Verirrungen und moralische Vermessenheiten offenlegt. Es ist zuweilen aber auch prätentiös, weil diese Nabelschau die eigene Redaktionskonferenz pars pro toto zum Forum der offenen Republik erklärt. Das Buch wäre zudem ohne die demonstrative Auseinandersetzung mit dem einstigen Feindbild der Linken und heutigem Herausgeber-Denkmal der Hamburger Wochenzeitung ausgekommen. Gewiss: Helmut Schmidt sells! Das weiß man besonders an der Alster. Mitunter wirken die Bezüge zum Altkanzler aber auch wie - eigentlich unnötige - Versuche, der eigenen Argumentation außenpolitische Gravität zu verleihen.
Das Buch ist nach der Libyen-Kontroverse und zehn Jahren Krieg in Afghanistan von doppelter Aktualität. Ulrich versucht aus den Erfahrungen seit den Balkan-Kriegen, den militärischen an der Front und den politischen in der Etappe, abzuleiten, wann und warum Deutschland Krieg führen soll. Oder aber - notfalls auch gegen seine westlichen Verbündeten - nein sagen muss. Doch überrascht es nicht, dass der Autor letztlich zu dem Ergebnis kommen muss, dass es für politische Entscheidungsträger und die sie tragende Öffentlichkeit keine Checkliste zum Abhaken geben kann: Drohender Massenmord? Legitime Sicherheitsinteressen? Völkerrechtliches Mandat?
Also behandelt Ulrich die Kriege im Einzelnen: Kosovo - wie gesagt: richtig. Der Irak-Krieg - falsch und unmoralisch. Das Urteil überrascht nicht. Eher schon der Hinweis des Autors, dass man es sich mit dem Feldzug George W. Bushs dennoch nicht zu leicht machen solle. Auch was "mit falschen, ja gefälschten Begründungen" begonnen habe, könne sich im Nachhinein als richtig erweisen, wenngleich der Autor so weit dann doch nicht geht. Afghanistan - ein schwieriger Fall. Ein richtiger Krieg, weil völkerrechtlich legitimiert und bündnispolitisch geboten? Nein, falsch, aber das habe man 2001 nicht wissen können. Heute aber, da der Westen im Begriff ist, das Land trotz der Gefahr einer Rückkehr der Taliban allmählich zu verlassen, müsse die Begründung, dass Al Qaida nur durch einen Sturz des Taliban-Regimes der Boden entzogen werden konnte und deshalb hernach ein "nation building" erforderlich gewesen sei, neu bewertet werden. Schließlich Libyen: Hier kommt Ulrich zurück zum Kosovo, zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur "Responsibility to protect". Also ein richtiger Krieg trotz der Legitimationsprobleme durch die extensive Auslegung der UN-Resolution 1973.
Am Ende träumt sich Ulrich ein wenig aus dem Problem, die Leitfrage seiner Streitschrift nicht konkret beantworten zu können: eine internationale Polizei als großes Ideal. Bis dahin wird auch Deutschland aber auch künftig die Kriegsfrage noch herkömmlich beantworten müssen. Dass die Antwort nicht noch einmal Nein zum Krieg (gegen Gaddafi), aber Ja zu Rüstungsexporten (nach Saudi-Arabien) heißen dürfe - diese Auffassung wird von manchem Außenpolitiker der Regierungsfraktionen geteilt.
Bernd Ulrich: Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss. Eine Streitschrift.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2011. 192 S., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf der Suche nach deutschen Kriterien für richtige und falsche Kriege lässt sich eine Checkliste nicht finden.
Von Majid Sattar
In der Debatte über die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zum Militäreinsatz gegen das Gaddafi-Regime in Libyen ist ein wenig untergegangen, dass große Teile der deutschen Linken nicht nur den diplomatischen Schadensfall für Berlin beklagten, sondern sich so offen wie nie zuvor für einen Krieg aussprachen. Jenseits parteipolitischer Taktik - im Falle einer deutschen Beteiligung hätten einige Linke rot-grüner Couleur gewiss mit der Linkspartei gegen den Waffengang argumentiert - war dies Ausdruck einer Entwicklung, die mit dem Bosnien-, spätestens aber mit dem Kosovo-Krieg begonnen hat. Sie soll mit der entstehenden UN-Norm der "Responsibility to protect"-Klausel, der internationalen Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung, ihre quasi-völkerrechtliche Grundlage erhalten. Die Unterbelichtung des Wandels war der Aufregung über Berlins Isolierung im westlichen Bündnis geschuldet. Bernd Ulrich zeichnet dies in dem Buch "Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss" gründlich und engagiert nach.
Ulrich wählt einen autobiographischen Ansatz: Er schildert seinen Weg vom Wehrdienstverweigerer und Friedensaktivisten der achtziger Jahre über den Journalisten, der den Kosovo-Krieg bereits nicht falsch fand, aber sich noch nicht traute, seine innere Abkehr vom Radikalpazifismus öffentlich zu machen, bis hin zum stellvertretenden Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", der die deutsche Enthaltung im Frühjahr dieses Jahres eine "Schande" nannte.
Der Autor legt also kein Buch über die Theorien der internationalen Politik vor, sondern schildert anhand der Debatten in den Redaktionskonferenzen die abnehmenden Gewissheiten und zunehmenden Zweifel über Fragen, welche die Deutschen längst nicht mehr aus der sicheren Ferne klären müssen, weil es den Ernstfall seinen Verbündeten überlassen kann. Das ist mutig, weil diese Seelenschau ideologische Verirrungen und moralische Vermessenheiten offenlegt. Es ist zuweilen aber auch prätentiös, weil diese Nabelschau die eigene Redaktionskonferenz pars pro toto zum Forum der offenen Republik erklärt. Das Buch wäre zudem ohne die demonstrative Auseinandersetzung mit dem einstigen Feindbild der Linken und heutigem Herausgeber-Denkmal der Hamburger Wochenzeitung ausgekommen. Gewiss: Helmut Schmidt sells! Das weiß man besonders an der Alster. Mitunter wirken die Bezüge zum Altkanzler aber auch wie - eigentlich unnötige - Versuche, der eigenen Argumentation außenpolitische Gravität zu verleihen.
Das Buch ist nach der Libyen-Kontroverse und zehn Jahren Krieg in Afghanistan von doppelter Aktualität. Ulrich versucht aus den Erfahrungen seit den Balkan-Kriegen, den militärischen an der Front und den politischen in der Etappe, abzuleiten, wann und warum Deutschland Krieg führen soll. Oder aber - notfalls auch gegen seine westlichen Verbündeten - nein sagen muss. Doch überrascht es nicht, dass der Autor letztlich zu dem Ergebnis kommen muss, dass es für politische Entscheidungsträger und die sie tragende Öffentlichkeit keine Checkliste zum Abhaken geben kann: Drohender Massenmord? Legitime Sicherheitsinteressen? Völkerrechtliches Mandat?
Also behandelt Ulrich die Kriege im Einzelnen: Kosovo - wie gesagt: richtig. Der Irak-Krieg - falsch und unmoralisch. Das Urteil überrascht nicht. Eher schon der Hinweis des Autors, dass man es sich mit dem Feldzug George W. Bushs dennoch nicht zu leicht machen solle. Auch was "mit falschen, ja gefälschten Begründungen" begonnen habe, könne sich im Nachhinein als richtig erweisen, wenngleich der Autor so weit dann doch nicht geht. Afghanistan - ein schwieriger Fall. Ein richtiger Krieg, weil völkerrechtlich legitimiert und bündnispolitisch geboten? Nein, falsch, aber das habe man 2001 nicht wissen können. Heute aber, da der Westen im Begriff ist, das Land trotz der Gefahr einer Rückkehr der Taliban allmählich zu verlassen, müsse die Begründung, dass Al Qaida nur durch einen Sturz des Taliban-Regimes der Boden entzogen werden konnte und deshalb hernach ein "nation building" erforderlich gewesen sei, neu bewertet werden. Schließlich Libyen: Hier kommt Ulrich zurück zum Kosovo, zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur "Responsibility to protect". Also ein richtiger Krieg trotz der Legitimationsprobleme durch die extensive Auslegung der UN-Resolution 1973.
Am Ende träumt sich Ulrich ein wenig aus dem Problem, die Leitfrage seiner Streitschrift nicht konkret beantworten zu können: eine internationale Polizei als großes Ideal. Bis dahin wird auch Deutschland aber auch künftig die Kriegsfrage noch herkömmlich beantworten müssen. Dass die Antwort nicht noch einmal Nein zum Krieg (gegen Gaddafi), aber Ja zu Rüstungsexporten (nach Saudi-Arabien) heißen dürfe - diese Auffassung wird von manchem Außenpolitiker der Regierungsfraktionen geteilt.
Bernd Ulrich: Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss. Eine Streitschrift.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2011. 192 S., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Durchaus aktuell und spannend findet Rezensent Majid Sattar diese Streitschrift des Zeit-Journalisten Bernd Ulrich zu deutschen Kriegseinsätzen, ganz zufrieden ist er aber nicht mit dem Ergebnis. Greiner geht der Frage nach der Legitimität von Kriegseinsätzen autobiografisch nach, er erzählt, wie er sich selbst von einem Pazifisten zum Befürworter von Kriegseinsätzen wandelte und wie die Kriege in Bosnien, Afghanistan und Irak in den Redaktionskonferenzen debattiert wurden. Dies findet Sattar zwar mutig, aber auch recht prätentiös, wenn die eigene Haustür zum Forum der offenen Republik stilisiert wird. Auch nerven ihn die vielen Verweise auf Helmut Schmidt. Dass am Ende dieser Schrift keine Checkliste steht, anhand derer man einen Einsatz für gerechtfertigt erklären kann, geht dagegen für den Rezensenten völlig in Ordnung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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