22,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Es ist das letzte Jahr des vergangenen Jahrtausends. Gerade erst hat die Erzählerin ihren Lebensmittelpunkt im hohen Norden gefunden, in einer Landschaft, in der sie unendliche Weite und Ruhe umgibt, in der alles liegt, was sie erzählen will - da erreicht sie eine Einladung in den Süden: ein halbjähriges Stipendium in Rom. Rom im Millenium-Fieber, Lärm, Abgase, Touristenströme. Die Ewige Stadt erscheint ihr wie ein einziger Monitor, auf dem tausend Bilder gleichzeitig laufen. Sie fühlt sich zunächst wenig willkommen. Erst in den Parks der Villa Borghese, vor den Gemälden Caravaggios in der…mehr

Produktbeschreibung
Es ist das letzte Jahr des vergangenen Jahrtausends. Gerade erst hat die Erzählerin ihren Lebensmittelpunkt im hohen Norden gefunden, in einer Landschaft, in der sie unendliche Weite und Ruhe umgibt, in der alles liegt, was sie erzählen will - da erreicht sie eine Einladung in den Süden: ein halbjähriges Stipendium in Rom. Rom im Millenium-Fieber, Lärm, Abgase, Touristenströme. Die Ewige Stadt erscheint ihr wie ein einziger Monitor, auf dem tausend Bilder gleichzeitig laufen. Sie fühlt sich zunächst wenig willkommen. Erst in den Parks der Villa Borghese, vor den Gemälden Caravaggios in der Kirche Santa Maria del Popolo und gemeinsam mit den Söhnen, die sie besuchen, findet sie Momente des Glücks. Sie holt sich den Norden in die Ewige Stadt. Schließlich aber erliegt sie der Faszination des Südens doch. Da ist in Rom Baschal, ein junger Kongolese, Pförtner in Trinità dei Monti, da sind Fulio und Anna, das alte Ehepaar, und die deutsche Buchhändlerin an der Piazza Montecitorio. Sie folgt den Spuren von Ingeborg Bachmann, ihr begegnet der Komponist Hans Werner Henze. Und Goethe ist allgegenwärtig, nicht nur in ihrem Domizil, der "Casa di Goethe". Sie reist nach Sperlonga, zum Monte Circeo am Tyrrhenischen Meer, an den Lago Maggiore und nach Venedig. Sie besucht Genua und Palermo und wandert durch Syrakus. Die Begegnungen im Süden lösen Erinnerungen aus: an die Hochzeitsreise nach Kuba, an Che Guevara, an den Fall der Mauer und die ersten Aufenthalte in Lappland. Verflossene Lebenszeit - das Nachdenken darüber wird zur Selbstbefragung. Wer bin ich, wo will ich hin? Ein intimes, heiter nachdenkliches Buch, das mit großer poetischer Kraft vom Suchen, Verfehlen und Finden des Glücks erzählt.
Autorenporträt
Sigrid Damm, in Gotha/Thüringen geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin und Mecklenburg. Die Autorin ist Mitglied des P.E.N. und der Mainzer Akademie der Wissenschaften und Literatur. Sie erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Feuchtwanger-, den Mörike- und den Fontane-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2012

Der Fluchtpunkt an der Schläfe Christi
Auf den Spuren von Goethe in Rom träumt sie von Lappland: Sigrid Damms Tagebuch "Wohin mit mir?"

Die Schriftstellerin Sigrid Damm erhält ein Stipendium in der Casa di Goethe am Corso in Rom, und sie führt dort ein halbes Jahr lang Tagebuch: Das dürfte die vielen Fans dieser Autorin erfreuen; der übrigen literarischen Welt wird es weniger bedeuten. So jedenfalls wäre es zu erwarten. Aber dann kommt es doch etwas anders. Denn diese römischen Aufzeichnungen erzählen von einem Bildungserlebnis so unterhaltsam, dass sie ganz abseits biographischer Schlüssellochblicke auch eine Begegnung vermitteln mit einer fremden Stadt.

Das liegt schon an den äußeren Umständen. Es ist das Jahr 1999, das letzte des Jahrhunderts und der Zehnjahrestag einer Wende, die auch in das Leben der DDR-Schriftstellerin Sigrid Damm mächtig eingegriffen hat. Es ist auch das Jahr eines Goethe-Jubiläums, und die Erzählerin und Biographin, die mit einem Buch über Christiane und Goethe gerade unverhofft zur Bestsellerautorin geworden ist, sieht sich nun allerorten mit einer Goetheverehrung konfrontiert, die ihr zuwider ist. "Diese dumpf missverstehende Inbesitznahme, dieses anmaßende unser Goethe", notiert sie und erinnert sich ärgerlich an "jene beflissenen Bildungsbürger, die ich aus Lesungen kenne". Selbst die gastfreundliche Casa di Goethe ist der neu Angekommenen verdächtig: "Ich lebe im Haus eines Toten", schreibt sie, fühlt sich unwillkommen, denkt an baldige Abreise und bleibt dann doch.

Denn eigentlich hat sie gar nicht nach Rom gewollt, ihr Arkadien heißt Lappland. Dort, im Sommerhäuschen am Polarkreis, sehen wir sie auf den ersten Seiten in den hellen Sommernächten, dort wäre sie am liebsten geblieben. Und noch nach Monaten am Tiber kann es für sie, die hier zusammen mit ihrem Sohn an einem Nordland-Buch arbeitet, kein größeres Glück geben als die plötzliche halluzinatorische Empfindung: "Ich bin in Lappland." An ihrer Zimmerwand befestigt sie, gegenüber einem römischen Panorama aus dem achtzehnten Jahrhundert, zwei Wanderkarten von Nordschweden, das Land der Lappen mit der Seele suchend. Und ausgerechnet am 9. November 1999, am Jahrestag des Mauerfalls, ist sie "vollständig in Lappland verschwunden". Es bleibt der einzige Eintrag dieses Tages.

Gerade weil sie sich aber so unwillig und fremd auf die Wege durch Rom begibt, sieht sie mit unbefangenem Blick, und ebendeshalb wirken ihre allmähliche Vertrautheit, die wachsende Zuneigung, endlich ihr unverhofftes römisches Glück so glaubhaft. "Morgennebel. Gedämpftes Licht. Neugier." So beginnt der erste Tag in Rom, in jenen Satzfragmenten, die immer schon zu Sigrid Damms Stil gehörten und die nun als knappe Tagebucheinträge eine eigene Lässigkeit gewinnen. Neugierig ist sie, aber sie hat keine Ahnung von der Stadt. "Rom war nie in meinem Kopf", stellt sie fest: "Eine beschämende Unwissenheit." Aus den Einzelheiten dieser Unwissenheit macht sie keinen Hehl, zur Freude des Lesers. Denn der Charme dieser Aufzeichnungen resultiert nicht zuletzt aus ihrem Mangel an Eitelkeit. Diese Flaneurin will sich nicht wichtig machen, sie ist ganz Auge und Ohr. Besorgt über die eigene Geschäftigkeit nach dem Bucherfolg, will sie von sich absehen. Und das heißt: hinsehen auf die Wunder, die sich vor ihr ausbreiten.

So findet sie sich eines Tages ergriffen vor einem Gemälde, das die Kreuzigung des heiligen Petrus zeigt, und liest darunter "den Namen eines mir unbekannten Malers". Es ist Caravaggio, und sie hat keine Ahnung, wer das ist. So nüchtern wie diese Bildungslücke aber notiert sie nun auch die sich wiederholenden Begegnungen mit dem Unbekannten, die zu einer leidenschaftlichen Spurensuche werden. Denn diese Tagebuchschreiberin räsoniert nur knapp und beobachtet umso mehr. Dass Johannes Paul II. sich bei der Öffnung der Heiligen Pforte kaum auf den Beinen halten kann und sich an den Bischofsstab klammert, wird ebenso vermerkt wie das Treiben in der Nachbarschaft; "in dem kleinen Piercing-Laden ist noch reger Betrieb". Am Grab August von Goethes betrachtet sie die "zart lavendelblauen Dolden", und in Mailand, vor Leonardos Abendmahl, den "kleinen, in den Putz gestanzten Fluchtpunkt an der Schläfe Christi".

Natürlich durchzieht der Dialog mit Goethes römischen Aufzeichnungen dieses Tagebuch, aber auch er bleibt so frei von bildungsbürgerlicher Attitüde wie der Blick auf die Stadt selbst. Auch andere Lebende und Tote tauchen als reale oder imaginäre Gesprächspartner auf. Von Begegnungen mit Hans Werner Henze und Unseld, mit Inge Feltrinelli und Paul Wühr wird erzählt und von Unbekannten auf den Straßen Roms, Sperlongas, Neapels, von den Chorsängern in Sant' Ignazio, von Ingeborg Bachmann, von Raffael und Ovid. In solcher Gesellschaft wird die Reisende unverhofft heimisch in einer Stadt, in der sie sich so fremd gefühlt hat. Wie ein kleines Leitmotiv erscheint das Wort "Glück", das hier und da leise, fast schamhaft notiert wird.

So lässt sich schließlich sogar der Goethekult aushalten. In der Nacht zum 28. August, Goethes zweihundertfünfzigstem Geburtstag, erwacht sie vom Lärm eines Feuerwerks. Es ist, wie sie mit Vergnügen bemerkt, das Freudenfest des siegreichen Lazio Rom. "Alles, was lebt, sei lebendig", hat Goethe geschrieben. Sigrid Damms römisches Diarium nimmt diese Empfehlung erfrischend beim Wort.

HEINRICH DETERING

Sigrid Damm: "Wohin mit mir?"

Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 287 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Kristina Maidt-Zinke ist angenehm überrascht, dass Sigrid Damms Tagebuch aus ihrer Zeit in der Casa di Goethe in Rom so ein untypisches Rom-Buch geworden ist: Die ostdeutsche Schriftstellerin zieht es nämlich eigentlich gar nicht in den Süden, sondern in den hohen Norden, und so hängt sie in ihrem Stipendiatenzimmer erst einmal Wanderkarten von Lappland auf. Aber natürlich verschließt sich die Autorin den Römischen Eindrücken nicht, sondern macht Entdeckungen und Bekanntschaften, und so ist die Rezensentin erneut angenehm überrascht, dass es letztlich doch ein typisches Rom-Buch geworden ist, und zwar, wie sie versichert, eines "der liebenswürdigsten Sorte".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Diese römischen Notizen sind ein Ausnahmefall unter den deutschen Künstler-Diarien aus der Ewigen Stadt.« Christina Maidt-Zinke DIE ZEIT 20130103