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Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Tod der Dichterin erinnert sich Christoph Meckel. Die grande dame der deutschen Nachkriegsliteratur hatte Gedichte des jungen Lyrikers gelesen und ihm geschrieben. Irgendwann hielt er am Bollschweiler Familiensitz der Kaschnitz zu einem ersten Besuch, ohne Ankündigung. Ein Sommermittag im Schlosspark. Sie lud ihn ein, wieder zu kommen. Bei seinen Besuchen, später auch in Frankfurt und Rom, wurde ein Gespräch immer weitergeführt, über das Wahrnehmen von Sprache, über schöpferische Phantasie, über Auden, Fellini, Prévert. Sie erzählte ihm von einer Begegnung mit…mehr

Produktbeschreibung
Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Tod der Dichterin erinnert sich Christoph Meckel. Die grande dame der deutschen Nachkriegsliteratur hatte Gedichte des jungen Lyrikers gelesen und ihm geschrieben. Irgendwann hielt er am Bollschweiler Familiensitz der Kaschnitz zu einem ersten Besuch, ohne Ankündigung. Ein Sommermittag im Schlosspark. Sie lud ihn ein, wieder zu kommen.
Bei seinen Besuchen, später auch in Frankfurt und Rom, wurde ein Gespräch immer weitergeführt, über das Wahrnehmen von Sprache, über schöpferische Phantasie, über Auden, Fellini, Prévert. Sie erzählte ihm von einer Begegnung mit Celan, er gab ihr Auskunft über Bobrowski.
Sie ließ sich vorlesen, und er erlebte fasziniert, wie sie in ihrem Spätwerk eine radikalere Prosa formte. Ein Austausch, nicht ohne Dissonanzen, von unterschiedlichen Lebensformen her; aber in einer gemeinsamen Nähe zu den Kindern dieser Welt. Und bis in die Gelassenheit gemeinsamen Schweigens am Ausgang der Biographie von Marie Luise Kaschnitz, »überzeugt, in verstummender Weise, dass Erfahrung nicht weitervermittelt werden kann«.
Vielleicht ist es die eigene Nähe zu jenem Lebensalter, in dem sie ihn zuletzt empfing, die nun Christoph Meckels Erinnerungen eine besondere Tiefenschicht mitgibt. Ein Erinnern, das an die Utopie der Leidlosigkeit rührt und auch an jene Trostbedürftigkeit des Menschen, von der die Kaschnitz wusste, dass Literatur ihr aufhelfen kann.In leichten und doch verdichteten Erzählbildern gelingen Christoph Meckel Vergegenwärtigungen in der Landschaft, die wir aus ?Kaschnitz-Texten kennen: In einer Sprache, die das gemeinsame Vergnügen an Zaubersprüchen bewahrt, dem Befremdlichen nachgeht, Worte für Distanz und Einverständnisse findet und einen fortdauernden Respekt bezeugt.
Autorenporträt
Christoph Meckel wurde 1935 in Berlin geboren. Nach zahlreichen Reisen durch Deutschland, Europa, Afrika und Amerika studierte er Grafik an der Kunstakademie in Freiburg und München. Er veröffentlichte verschiedene Radierzyklen sowie zahlreiche Prosa- und Gedichtbücher. Heute ist er Mitglied des PEN Zentrums in Deutschland und der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Sein Werk wurde unter anderem mit dem Rainer-Maria-Rilke-Preis für Lyrik und dem Georg-Trakl-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Dreckiger Jakob, frierender Franz
Schön sind Geschichten ohne Pointe und Handlungen ohne Bedeutung: Christoph Meckel ist auch in seinen zwei neuen Büchern in vielen Formen unterwegs Von Helmut Böttiger
Christoph Meckel jongliert mit vielen Formen. In diesem Herbst zeigt er sich von zwei ganz verschiedenen Seiten. Nach etlichen Porträts zuvor – am schönsten wohl dasjenige von Johannes Bobrowski – nähert er sich jetzt Marie Luise Kaschnitz an, die noch heute als klassische Lesebuchautorin gilt. Sie lebte in Bollschweil am Fuße des Schwarzwalds, eine Landschaft, die kaum einer so suggestiv wie Meckel heraufbeschwören kann: „Nebel und Raureif im Dezember. Lautloser Tagbeginn auf dem Land. Die badischen Obstgärten hochzeitlich weiß, kristallklare Weinberge des südlichen Schwarzwalds und das Dorf Sankt Ulrich lichtlos hell verschollen.”
Meckel ist hier aufgewachsen, ab und zu blitzen die Landschaftseindrücke auch in dieses Büchlein hinein – aber sie geraten im Schloss von Marie Luise Kaschnitz in ein anderes Umfeld. Meist erscheint die Autorin als „die Dame”, distanziert, „unangreifbar bis zuletzt”. Meckel beschreibt die Konturen, er beschreibt von außen, er ist nicht einfühlsam. Fast ethnologisch, mitleidlos fixiert er das Alter der Dame. Es geht ihm um Phänomene, und er findet exakte Bilder. Die wenigen Momentaufnahmen – das Buch hat ungefähr die Länge einer Zeitungsseite – ergeben jedoch kein Porträt von Marie Luise Kaschnitz. Es sind ausschnitthafte Erinnerungen des Autors, und dadurch gerät er wie automatisch selbst ins Blickfeld. Diese Subjektivität kann etwas Prekäres haben. Sie stellt sich dann vor die beschriebene Person.
Gleichzeitig mit dem Kaschnitz-Bändchen ist in diesem Herbst ein neues Buch mit Erzählungen Christoph Meckels erschienen. Man erkennt denselben Autor, denselben „Strich”, dennoch verblüfft der Unterschied. In diesen literarischen Texten scheint es zunächst gar keine Subjektivität zu geben. Wir tauchen ein in eine Riesenmetropole, wie sie der 1935 geborene Autor schon des öfteren imaginiert hat. Dieses Mal heißt sie Montza, und sie ist der Prototyp einer Mega-Citys, wie Bombay, Djakarta, Sao Paulo. Der Held der ersten Geschichte ist sehr stilisiert, er kann alles sein zwischen Detektiv, Lonesome Rider und Dichter. Als er in Montza ankommt, nimmt er ein Hotel, stellt dort den Koffer ab und geht hinaus in die Nacht: „Schließmuskel-Gesichter, geschlossene Visiere, sein Alleinsein war perfekt zwischen ihnen, ihm fehlte nichts.” Es ist ein alter, verlorener, existenzieller Traum, der hier inmitten aller Entwurzelung und Ausbeutung geträumt wird: der Held findet sein Hotel nicht mehr. Er wird entführt und erpresst, kann schließlich, vorerst, ins Unwägbare entfliehen. Die Geschichte ist ein Spiel mit verschiedenen Genres, aber sie lebt durch eine atmosphärisch dichte Sprache, durch präzise geschilderte, aufgeladene Details. Es ist nicht deutlich zu unterscheiden, ob sich das alles in der Gegenwart oder doch in der Zukunft oder überhaupt nicht ereignet.
In der ersten Hälfte des Buches, vor allem in der längsten Erzählung „Nachtsaison”, wird dieses Feld immer wieder neu ausgeschritten. Das anonymisierende, austauschbare Montza, das gelegentlich wiederkehrt, ist eine Chiffre für die Globalisierung des Elends, das Ende des landläufig westlichen Ich. Die Figuren erinnern an die Grafiken und Holzschnitte des Autors: Sie wandern als geometrisch exakte Ornamente über das Blatt, und manchmal sind sie festgehalten wie in Trance; vorübergehende, magische Momente. Meckels Prosa braucht kaum Handlung. Nur manchmal wirkt die Verrätselung zu gewollt und übertrieben, so, wenn zum Schluss von „Piemonte” die Aufspaltung einer Figur in mehrere noch einmal programmatisch erläutert wird. Aber in „Perlesöd” – einer sorgsam ausdifferenzierten Landschafts-Seelenerfahrung mit Halbinsel und Landzunge und einsamem Ausgesetztsein – erscheint alles kristallin und unfassbar, eine in sich geschlossene Welt, die nur aus einem eigenen Sprachraum heraus entstehen kann.
In der zweiten Hälfte des Buches stellt sich ein anderer Ton ein, es ist der bekannte Ton des jungen, verspielten, zauberischen Meckel. „Dreckiger Jakob, Frierender Franz”: da kehren die frei umherschweifenden Figuren der frühen Erzählungen dieses Autors wieder, die Lust der frühen Gedichte. Das Leben erscheint als ein schier endloser Reigen von einzelnen, unwiederholbaren, unverbundenen Momenten, die in den frühen Texten reine Glücksmomente waren und nun melancholischer geworden sind. Die Erzählung „Weiße Nacht” endet stimmig mit der Formulierung eines Ideals: „Schön sind Geschichten ohne Pointe, Handlungen ohne Bedeutung, man weiß nicht, warum sie erzählt worden sind.” Aber dass sie erzählt worden sind, bildet einen bleibenden Nachhall.
Am eindringlichsten werden die Motive des frühen Meckel in dem Text mit dem Titel „Es ist” beschworen: „Es ist”, das ist eine Anrufung, die der Autor schon des öfteren praktiziert hat, im Geiste des Rimbaudschen „Il y a”, und hier vergewissert er sich noch einmal, was die Landschaft und das Haus in der Drome in Südfrankreich für ihn bedeuten: der Alltag des benachbarten Bauern, die Wege, die Pinien, die Raubvögel, der Stein. In diesen Absätzen wird die Sehnsucht am greifbarsten, aber es ist wie ein letzter Blick, ein Blick zurück auf das Verschwindende: „Die nicht sichtbaren Substanzen sind verbraucht.” Was ist, kann jetzt noch einmal festgehalten werden, aber: „Unsere Landschaften werden andere sein, von uns nicht erkannt, nicht mehr zu erkennen, beansprucht von Leuten, die später kommen und nicht mehr wissen, nicht mehr zu wissen brauchen, was vor ihnen da war.”
„Einer bleibt übrig, damit er berichte” lautete bereits der Titel des letzten Prosabandes von Meckel, es ist ein Satz, der das Schmerzhafte des Rückblicks erfasst. Im neuen Band „Nachtsaison” nimmt er dies auf, konfrontiert den endzeitlichen Science-Fiction-Stil mit den vagabundierenden Sehnsüchten von früher. Diese tauchen, verwandelt, in den schwarzen Sprachradierungen und –skizzen wieder auf, die in Montza und Global-City immer noch möglich sind. Der Autor greift auf den eigenen, künstlerischen Bildervorrat zurück und schöpft ihn aus. Es ist ein hohes Risiko, wie sich in diesem Band die Sehnsüchte mischen. Aber um dieses Risiko geht es.
Christoph Meckel
Nachtsaison
Erzählungen. Hanser Verlag, München 2008. 254 Seiten, 19,90 Euro.
Christoph Meckel
Wohl denen die gelebt
Erinnerung an Marie Luise Kaschnitz. Libelle Verlag, Konstanz 2008. 60 Seiten, 16,90 Euro.
Der Literat ist der, der übrig bleibt und über alles berichtet
Auch in den schwarzen Sprachradierungen und -skizzen von Christoph Meckel tauchen jene Global-Citys wieder auf, in denen das westliche Ich längst untergegangen ist. Grafik aus „Wohl denen die gelebt”, © Christoph Meckel
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