Wohnen ist ein Akt des Widerstandes. Wohnen ist ein unabdingbarer Moment abendländischer Identität. Wohnen ist mehr als eine Funktion. Wohnen-zu-Denken bedeutet: dem "flexiblen Menschen" (Sennett) angesichts der völligen Mobilmachung, eingedenk der Hypertrophien der Metropolen, Wegmarken zu setzen, ihm in der Unheimlichkeit des Informations-Zeitalter Identität neu zu ermöglichen. Wohnen-zu-Denken ist für Massimo Cacciari Architektur in ihrer vorzüglichsten Ausprägung: Baukunst - ganz im Sinne von Adolf Loos.In einer kultur- und philosophiehistorischen tour d'horizon beleuchtet Massimo Cacciari in seinem neuen Essay-Band die Bedeutung des Wohnens im Kontext der Geschichte der abendländischen Zivilisation. Und er weist nach, daß das europäische Denken über Wohnen in seiner Grundtendenz nihilistisch ist; begründet und begründbar im vorsokratischen Mythos von polis und oikos. Daher unterliegt wahre Baukunst auch stets höchstem Ethos. Denn: In Verbindung mit dem abendländisch-technizistischen Projekt läuft Baukunst als Architektur stets Gefahr, auf ideelle Unheimlichkeit mit simulakrer Heimeligkeit reagieren zu wollen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2002Imperiales Nachdenken
Wo und wie wohnt man im Zeitalter globaler Mobilität?
Vielleicht kommt uns, wie Heidegger, ein Schwarzwaldhof in den Sinn, wenn wir uns ein Bild vom idealen Wohnen machen wollen, und wir träumen uns unter das weit ausladende Schindeldach, das die Schneelasten trägt und die Bewohner vor den Winterstürmen schützt. Vielleicht stellen wir uns aber auch einen Container vor, der sich überall aufstellen und wieder abbauen lässt und damit der modernen Forderung nach Mobilität am besten Genüge leistete. „Was ist nun das echte Haus dieses Zeitalters?” Der italienische Architektur- und Kulturtheoretiker Massimo Cacciari diagnostiziert unsere Zeit zwar als die einer „wesentlich nomadisierenden Zivilisation”, macht sich aber keineswegs zum Apologeten des mobilen Wohnens. Vielmehr formuliert er es als eine Aufgabe der Architektur, eine Sprache zu finden, in der sich der Wunsch nach Verortung mit der Bewegung als allgemeinem Charakteristikum des Zeitalters vereinigte.
Die für die deutsche Übersetzung zusammengestellten Essays verbinden Reflexionen zur Baukunst mit Texten, die versuchen, Globalisierung am Modell des römischen Imperiums zu denken. Das mag eine etwas gewollte Kombination sein; ihren inneren Zusammenhang findet sie aber im Motiv der Mobilität, das Cacciari sowohl auf das Wohnen, als auch auf die Ausdehnung der Macht in einem expandierenden Großreich anwendet. Damit unterzieht er den von Michael Hardt und Antonio Negri in die Globalisierungsdebatte eingeführten Begriff des „Imperiums” einer prüfenden Lektüre. Der Mythos Roms, wie Cacciari ihn als theoretisches Leitbild vorstellt, umfasste die Mobilität in der juristischen Formel der „civitas augescens”: „Rom expandiert nicht nur, Rom übersiedelt dorthin, wo seine Bürger wohnen.”
Demgegenüber kritisiert er Globalisierung – die „fortschreitende Konvergenz der ökonomischen und politischen Systeme und die Desintegration der verschiedenen Kulturen” – als Imperialismus. Wie schon in Cacciaris früheren philosophisch-politischen Entwürfen kommt auch hier „Europa” eine Schlüsselstellung zu, die sich aus seiner Herkunft, seinem „Wurzeln in der Beweglichkeit”, ergibt: Europas Aufgabe wäre es, das Erbe Roms anzutreten und die aktuelle Form der Globalisierung mit der Vorstellung von „Imperium” zu kontaminieren.
Dass die Lektüre durch die von Cacciari häufig eingestreuten lateinischen und griechischen Originalbegriffe gelegentlich mühsam ist, sollen weder Verlag noch Übersetzer angelastet werden. Wohl aber, dass der Text durch zahlreiche Rechtschreib- und Druckfehler verunstaltet ist und dass sich offenbar niemand mehr die Mühe machte, Umschlag mit Titelblatt zu vergleichen. So kann man sich denn aussuchen, ob nicht „Die Frage nach dem Ort” doch der treffendere Untertitel gewesen wäre.
SONJA ASAL
MASSIMO CACCIARI: Wohnen. Denken. Essays über Baukunst im Zeitalter der völligen Mobilmachung. Aus dem Italienischen von Reinhard Kacianka. Ritter Verlag, Klagenfurt und Wien 2002. 131 Seiten, 13,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Wo und wie wohnt man im Zeitalter globaler Mobilität?
Vielleicht kommt uns, wie Heidegger, ein Schwarzwaldhof in den Sinn, wenn wir uns ein Bild vom idealen Wohnen machen wollen, und wir träumen uns unter das weit ausladende Schindeldach, das die Schneelasten trägt und die Bewohner vor den Winterstürmen schützt. Vielleicht stellen wir uns aber auch einen Container vor, der sich überall aufstellen und wieder abbauen lässt und damit der modernen Forderung nach Mobilität am besten Genüge leistete. „Was ist nun das echte Haus dieses Zeitalters?” Der italienische Architektur- und Kulturtheoretiker Massimo Cacciari diagnostiziert unsere Zeit zwar als die einer „wesentlich nomadisierenden Zivilisation”, macht sich aber keineswegs zum Apologeten des mobilen Wohnens. Vielmehr formuliert er es als eine Aufgabe der Architektur, eine Sprache zu finden, in der sich der Wunsch nach Verortung mit der Bewegung als allgemeinem Charakteristikum des Zeitalters vereinigte.
Die für die deutsche Übersetzung zusammengestellten Essays verbinden Reflexionen zur Baukunst mit Texten, die versuchen, Globalisierung am Modell des römischen Imperiums zu denken. Das mag eine etwas gewollte Kombination sein; ihren inneren Zusammenhang findet sie aber im Motiv der Mobilität, das Cacciari sowohl auf das Wohnen, als auch auf die Ausdehnung der Macht in einem expandierenden Großreich anwendet. Damit unterzieht er den von Michael Hardt und Antonio Negri in die Globalisierungsdebatte eingeführten Begriff des „Imperiums” einer prüfenden Lektüre. Der Mythos Roms, wie Cacciari ihn als theoretisches Leitbild vorstellt, umfasste die Mobilität in der juristischen Formel der „civitas augescens”: „Rom expandiert nicht nur, Rom übersiedelt dorthin, wo seine Bürger wohnen.”
Demgegenüber kritisiert er Globalisierung – die „fortschreitende Konvergenz der ökonomischen und politischen Systeme und die Desintegration der verschiedenen Kulturen” – als Imperialismus. Wie schon in Cacciaris früheren philosophisch-politischen Entwürfen kommt auch hier „Europa” eine Schlüsselstellung zu, die sich aus seiner Herkunft, seinem „Wurzeln in der Beweglichkeit”, ergibt: Europas Aufgabe wäre es, das Erbe Roms anzutreten und die aktuelle Form der Globalisierung mit der Vorstellung von „Imperium” zu kontaminieren.
Dass die Lektüre durch die von Cacciari häufig eingestreuten lateinischen und griechischen Originalbegriffe gelegentlich mühsam ist, sollen weder Verlag noch Übersetzer angelastet werden. Wohl aber, dass der Text durch zahlreiche Rechtschreib- und Druckfehler verunstaltet ist und dass sich offenbar niemand mehr die Mühe machte, Umschlag mit Titelblatt zu vergleichen. So kann man sich denn aussuchen, ob nicht „Die Frage nach dem Ort” doch der treffendere Untertitel gewesen wäre.
SONJA ASAL
MASSIMO CACCIARI: Wohnen. Denken. Essays über Baukunst im Zeitalter der völligen Mobilmachung. Aus dem Italienischen von Reinhard Kacianka. Ritter Verlag, Klagenfurt und Wien 2002. 131 Seiten, 13,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Durchaus interessante Gedanken entdeckt Sonja Asal in diesem Essayband, in dem sich der italienische Architektur- und Kulturtheoretiker mit dem Zusammenhang vom Wohnen und der Ausdehnung von Macht im Zeitalter der Globalisierung beschäftigt. Dabei rekurriert er auf das römische Imperium, was in den Augen der Rezensentin zunächst ein gewagter gedanklicher Schritt ist, doch bei näherer Betrachtung durchaus Sinn mache und seinen inneren Zusammenhang "im Motiv der Mobilität" finde. So interessant die Rezensentin den Inhalt der Essays findet, auch weil er Negris und Hardts Begriff vom 'Empire' "einer prüfenden Lektüre" unterziehe, so genervt ist sie von der Aufbereitung des Stoffes. Sie bemängelt, dass die Lektüre durch die vielen lateinischen und griechischen Originalbegriffe oft mühsam sei - und dass der Verlag zudem schlampig lektoriert habe, was sich an den vielen Druck- und Rechtschreibfehlern zeige.
© Perlentaucher Medien GmbH
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