Seit Jahren steigen Mieten und Wohnungspreise - vor allem in wachsenden Städten und Regionen Deutschlands. Günstiger Wohnraum wird zunehmend knapp und gerade untere und mittlere Einkommensgruppen sind von hohen Wohnkosten belastet.
Der Band bringt gestalterische, gesellschaftliche und politische Lösungsansätze in einen Dialog. Die Beiträge erkunden die Gründe für die Wiederkehr der Wohnungsfrage und stellen Strategien vor, mit denen bezahlbarer Wohnraum für alle geschaffen werden kann. Akteure aus Wissenschaft, Praxis, Politik und sozialen Bewegungen finden hier aktuelle Perspektiven auf ein drängendes urbanes Problem.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der Band bringt gestalterische, gesellschaftliche und politische Lösungsansätze in einen Dialog. Die Beiträge erkunden die Gründe für die Wiederkehr der Wohnungsfrage und stellen Strategien vor, mit denen bezahlbarer Wohnraum für alle geschaffen werden kann. Akteure aus Wissenschaft, Praxis, Politik und sozialen Bewegungen finden hier aktuelle Perspektiven auf ein drängendes urbanes Problem.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2017Die großzügige Stadtwohnung löst die Villa im Grünen ab
Brisant: Ein Band diskutiert die gesellschaftspolitische Bedeutung der Wohnungsfrage
In seinem Roman "Das Leben. Gebrauchsanweisung" rückt Georges Perec eingangs die gleichsam kollektive Dimension des Wohnens ins rechte Licht: "Die Bewohner eines gleichen Wohnhauses wohnen nur einige Zentimeter voneinander entfernt, eine einfache Wand trennt sie, sie teilen sich die gleichen Räume, die sich über die Stockwerke hinweg wiederholen, sie machen zur gleichen Zeit die gleichen Bewegungen, den Wasserhahn aufdrehen, an der Wasserspülung ziehen, das Licht anknipsen, den Tisch decken, einige Dutzend gleichzeitiger Existenzen, die sich von Stockwerk zu Stockwerk, von Haus zu Haus und von Straße zu Straße wiederholen."
Die Masse macht's? Allenfalls, wenn man auf die mengenmäßige Dimension der Wohnungsfrage blickt. Qualitativ freilich dürfte die Wiederholung des Immergleichen kaum die passende Antwort sein. Die Gesellschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts besteht aus inkompatiblen Einzelindividuen, deren Bedürfnisse und Interessen weit auseinanderstreben. Und der zusammenfassende Begriff täuscht über die Differenzierungen und Unterschiede hinweg.
Ungeachtet dessen ist heute in vielen Städten die Frage virulent, wie sich das Wohnen für jene gestaltet, die bloß über ein mittleres Einkommen verfügen. Allenthalben hört und liest man von der neuen Wohnungsnot. Ein Sammelband will sie nun von allen Seiten abklopfen und neue Perspektiven eröffnen. Wobei er zunächst konstatiert, dass sich in den letzten Jahren nicht nur die gesellschaftliche Bedeutung des Habitats verändert hat, sondern auch seine institutionelle ebenso wie baulich-räumliche Form.
Mitherausgeberin Barbara Schönig betont, dass die Wohnraumversorgung hierzulande in drei unterschiedlichen strategischen Ansätzen erfolgte: "Erstens durch eine im internationalen Vergleich starke Regulierung des Mietwohnungsmarktes, zweitens durch Subventionen oder steuerliche Begünstigungen in unterschiedlichen Segmenten des Wohnungsbaus (im Eigentum, im ,freien' sowie im ,sozialen' Mietwohnungsbau) sowie drittens durch das sogenannte ,Wohngeld' für jene, deren Einkommen nicht hinreichend war, um sich am Markt mit Wohnraum zu versorgen." Doch diese dreiteilige Säule des Wohlfahrtsstaates sei höchst wackelig geworden, zumal sich der Bund seit den achtziger Jahren sukzessive aus der Förderung zurückzog.
Insgesamt weist der Wohnungsbestand Deutschlands zwar eine bemerkenswerte Stabilität auf - Immobilien ist inhärent, ein langfristiges, nicht bewegliches Gut zu sein, in deren Erstellung regelmäßig hohe Investitionssummen fließen. Zugleich aber ist der Wohnungsmarkt von einer geringen Anpassungselastizität geprägt, reagiert also auf Veränderungen sehr verzögert, weshalb es zu teilweise extrem steigenden Mieten und Verdrängungsprozessen kommt. Der Motor des städtischen Wohnungsbaus stottert. Durch mangelnde Vorsorge in der Vergangenheit fehlt den Kommunen geeignetes Bauland. Die regulatorischen Hürden sind in fast allen Bereichen gestiegen und erschweren das Schaffen von Baurecht. Die Kosten steigen überproportional. Und ungeachtet des riesigen Bedarfs an bezahlbaren Wohnungen entstehen neue Domizile vor allem im Luxus-Segment.
Unbestreitbar gibt es in Deutschland einen als gravierend anzusehenden Schwund von belegungs- und mietpreisgebundenen Wohnungen. Hinzu kommt die zunehmende Gentrifizierung, die Aufwertung von Wohnungsbeständen durch Investoren, die in vielen Städten systematisch zur Vertreibung einkommensschwächerer Gruppen geführt hat. Wobei der Trend zum "schönen Wohnen", der wiederum der Differenzierung der Lebensstile geschuldet ist, nicht unerheblich zum Problem beiträgt. Denn die "großzügige Stadtwohnung hat die Villa im Grünen als Statussymbol abgelöst; sie unterstreicht die soziale Stellung ihrer Bewohner und befriedigt das Bedürfnis nach Distinktion", wie Susanne Frank festhält. Mehr noch: "Das Wohnen in gentrifizierten Nachbarschaften wird so zu einer Art Erkennungs- und Zugehörigkeitszeichen."
Wie ist der Malaise beizukommen? Ein Ansatz sei, die "Wohnungsprobleme nicht als individuelles Scheitern, sondern als eine strukturelle Fehlentwicklung des Wohnungsmarktes wahrzunehmen" (Anne Vogelpohl). Ein anderer, "den Markt über rechtliche Regulierung und finanzielle Förderung einzuhegen und auf soziale Ziele zu orientieren" (Bernd Hunger). Oder brauchen wir eher eine "fordistische Baukultur": Häuser wie Autos am Fließband herstellen, schnell, chic und bezahlbar?
Die Unternehmensphilosophie des Henry Ford galt ja schon einmal als eine Art Heilslehre. Das ging so weit, dass in der Weimarer Zeit fast prinzipiell sozialer und technischer Fortschritt, wie Kurt Tucholsky es formulierte, mit weichem "d" geschrieben wurde. Doch diese Frage - wie auch die Rolle der Architektur - nimmt im Buch nicht viel Raum ein. Angeschnitten werden lediglich der Aspekt der Präfabrikation sowie der (historische) Beitrag des Dessauer Bauhauses zur Bezahlbarkeit des Wohnens.
Bei aller Unterschiedlichkeit in Thema und Argumentation zielen die Beiträge insgesamt auf eine weitreichende "Diskursverschiebung hin zu einer grundlegend sozialen Wohnraumversorgung". Der Wohnungsbau als "Mittelschichtsbefriedigungsstrategie" hat für die meisten Autoren ausgedient. Bemerkenswerterweise wird die "Wohnungsfrage" freilich kaum je als Systemfrage gestellt, also unter der Prämisse, dass eine wirkliche Lösung des Wohnungsproblems im Kapitalismus kaum möglich sei.
Dass die Texte mitunter arg spröde daherkommen: geschenkt. Denn dieser Sammelband ist vor allem deshalb von Belang, weil seine Lektüre deutlich macht, dass das Thema ein vertracktes, ja bösartiges Problem ist. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort, da sich hier verschiedene Sphären überlagern und gegenseitig bedingen. Insofern erstaunt es nicht, dass auch die Suche nach Zielen und Maßnahmen vertrackt ist: Es gibt keine richtigen und falschen Lösungen, sondern nur gute beziehungsweise schlechte, die stets auch eine normative Wertung enthalten. Was für den einen wie die Aufhebung eines Notstandes wirkt, generiert neue Widrigkeiten für andere.
ROBERT KALTENBRUNNER
Barbara Schönig, Justin Kadi, Sebastian Schipper (Hrsg.): "Wohnraum für alle?!" Perspektiven auf Planung, Politik und Architektur.
Transcript Verlag, Bielefeld 2017.
358 S., br., 29,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Brisant: Ein Band diskutiert die gesellschaftspolitische Bedeutung der Wohnungsfrage
In seinem Roman "Das Leben. Gebrauchsanweisung" rückt Georges Perec eingangs die gleichsam kollektive Dimension des Wohnens ins rechte Licht: "Die Bewohner eines gleichen Wohnhauses wohnen nur einige Zentimeter voneinander entfernt, eine einfache Wand trennt sie, sie teilen sich die gleichen Räume, die sich über die Stockwerke hinweg wiederholen, sie machen zur gleichen Zeit die gleichen Bewegungen, den Wasserhahn aufdrehen, an der Wasserspülung ziehen, das Licht anknipsen, den Tisch decken, einige Dutzend gleichzeitiger Existenzen, die sich von Stockwerk zu Stockwerk, von Haus zu Haus und von Straße zu Straße wiederholen."
Die Masse macht's? Allenfalls, wenn man auf die mengenmäßige Dimension der Wohnungsfrage blickt. Qualitativ freilich dürfte die Wiederholung des Immergleichen kaum die passende Antwort sein. Die Gesellschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts besteht aus inkompatiblen Einzelindividuen, deren Bedürfnisse und Interessen weit auseinanderstreben. Und der zusammenfassende Begriff täuscht über die Differenzierungen und Unterschiede hinweg.
Ungeachtet dessen ist heute in vielen Städten die Frage virulent, wie sich das Wohnen für jene gestaltet, die bloß über ein mittleres Einkommen verfügen. Allenthalben hört und liest man von der neuen Wohnungsnot. Ein Sammelband will sie nun von allen Seiten abklopfen und neue Perspektiven eröffnen. Wobei er zunächst konstatiert, dass sich in den letzten Jahren nicht nur die gesellschaftliche Bedeutung des Habitats verändert hat, sondern auch seine institutionelle ebenso wie baulich-räumliche Form.
Mitherausgeberin Barbara Schönig betont, dass die Wohnraumversorgung hierzulande in drei unterschiedlichen strategischen Ansätzen erfolgte: "Erstens durch eine im internationalen Vergleich starke Regulierung des Mietwohnungsmarktes, zweitens durch Subventionen oder steuerliche Begünstigungen in unterschiedlichen Segmenten des Wohnungsbaus (im Eigentum, im ,freien' sowie im ,sozialen' Mietwohnungsbau) sowie drittens durch das sogenannte ,Wohngeld' für jene, deren Einkommen nicht hinreichend war, um sich am Markt mit Wohnraum zu versorgen." Doch diese dreiteilige Säule des Wohlfahrtsstaates sei höchst wackelig geworden, zumal sich der Bund seit den achtziger Jahren sukzessive aus der Förderung zurückzog.
Insgesamt weist der Wohnungsbestand Deutschlands zwar eine bemerkenswerte Stabilität auf - Immobilien ist inhärent, ein langfristiges, nicht bewegliches Gut zu sein, in deren Erstellung regelmäßig hohe Investitionssummen fließen. Zugleich aber ist der Wohnungsmarkt von einer geringen Anpassungselastizität geprägt, reagiert also auf Veränderungen sehr verzögert, weshalb es zu teilweise extrem steigenden Mieten und Verdrängungsprozessen kommt. Der Motor des städtischen Wohnungsbaus stottert. Durch mangelnde Vorsorge in der Vergangenheit fehlt den Kommunen geeignetes Bauland. Die regulatorischen Hürden sind in fast allen Bereichen gestiegen und erschweren das Schaffen von Baurecht. Die Kosten steigen überproportional. Und ungeachtet des riesigen Bedarfs an bezahlbaren Wohnungen entstehen neue Domizile vor allem im Luxus-Segment.
Unbestreitbar gibt es in Deutschland einen als gravierend anzusehenden Schwund von belegungs- und mietpreisgebundenen Wohnungen. Hinzu kommt die zunehmende Gentrifizierung, die Aufwertung von Wohnungsbeständen durch Investoren, die in vielen Städten systematisch zur Vertreibung einkommensschwächerer Gruppen geführt hat. Wobei der Trend zum "schönen Wohnen", der wiederum der Differenzierung der Lebensstile geschuldet ist, nicht unerheblich zum Problem beiträgt. Denn die "großzügige Stadtwohnung hat die Villa im Grünen als Statussymbol abgelöst; sie unterstreicht die soziale Stellung ihrer Bewohner und befriedigt das Bedürfnis nach Distinktion", wie Susanne Frank festhält. Mehr noch: "Das Wohnen in gentrifizierten Nachbarschaften wird so zu einer Art Erkennungs- und Zugehörigkeitszeichen."
Wie ist der Malaise beizukommen? Ein Ansatz sei, die "Wohnungsprobleme nicht als individuelles Scheitern, sondern als eine strukturelle Fehlentwicklung des Wohnungsmarktes wahrzunehmen" (Anne Vogelpohl). Ein anderer, "den Markt über rechtliche Regulierung und finanzielle Förderung einzuhegen und auf soziale Ziele zu orientieren" (Bernd Hunger). Oder brauchen wir eher eine "fordistische Baukultur": Häuser wie Autos am Fließband herstellen, schnell, chic und bezahlbar?
Die Unternehmensphilosophie des Henry Ford galt ja schon einmal als eine Art Heilslehre. Das ging so weit, dass in der Weimarer Zeit fast prinzipiell sozialer und technischer Fortschritt, wie Kurt Tucholsky es formulierte, mit weichem "d" geschrieben wurde. Doch diese Frage - wie auch die Rolle der Architektur - nimmt im Buch nicht viel Raum ein. Angeschnitten werden lediglich der Aspekt der Präfabrikation sowie der (historische) Beitrag des Dessauer Bauhauses zur Bezahlbarkeit des Wohnens.
Bei aller Unterschiedlichkeit in Thema und Argumentation zielen die Beiträge insgesamt auf eine weitreichende "Diskursverschiebung hin zu einer grundlegend sozialen Wohnraumversorgung". Der Wohnungsbau als "Mittelschichtsbefriedigungsstrategie" hat für die meisten Autoren ausgedient. Bemerkenswerterweise wird die "Wohnungsfrage" freilich kaum je als Systemfrage gestellt, also unter der Prämisse, dass eine wirkliche Lösung des Wohnungsproblems im Kapitalismus kaum möglich sei.
Dass die Texte mitunter arg spröde daherkommen: geschenkt. Denn dieser Sammelband ist vor allem deshalb von Belang, weil seine Lektüre deutlich macht, dass das Thema ein vertracktes, ja bösartiges Problem ist. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort, da sich hier verschiedene Sphären überlagern und gegenseitig bedingen. Insofern erstaunt es nicht, dass auch die Suche nach Zielen und Maßnahmen vertrackt ist: Es gibt keine richtigen und falschen Lösungen, sondern nur gute beziehungsweise schlechte, die stets auch eine normative Wertung enthalten. Was für den einen wie die Aufhebung eines Notstandes wirkt, generiert neue Widrigkeiten für andere.
ROBERT KALTENBRUNNER
Barbara Schönig, Justin Kadi, Sebastian Schipper (Hrsg.): "Wohnraum für alle?!" Perspektiven auf Planung, Politik und Architektur.
Transcript Verlag, Bielefeld 2017.
358 S., br., 29,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Interessanter Lesestoff [...] - nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch kommunale Praktiker.«
DEMO, 11-12 (2017) 20171218
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