Wolf von Niebelschütz (1913-1960) erzielte erst nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Durchbruch als Schriftsteller. Sein Nachruhm übertrifft allerdings die Beachtung zu Lebzeiten noch und gründet sich auf die beiden Hauptwerke Der Blaue Kammerherr (1949) und Die Kinder der Finsternis (1959). Diese erste umfassende Biographie zeigt, wie Niebelschütz im von der Gruppe 47 dominierten bundesdeutschen Literaturbetrieb mit konservativen Positionen zunehmend ins Abseits geriet und durch seine scheinbare Unzeitgemäßheit zugleich Werke schuf, die es rechtfertigen, von einem großen literarischen Einzelgänger und Formkünstler zu sprechen. Dieses Buch verfolgt den Weg von Niebelschütz vom Journalisten zum bedeutenden Gegenwartsautor und bezieht dabei weniger beachtete Gattungen wie Lyrik, Dramatik, Firmenporträts ('Industrieschriften'), Essayistik, Reden und auch Unveröffentlichtes sowie Tagebücher, Briefe und weitere private Dokumente mit ein. Biographisches wie die Debatte um Niebelschütz' umstrittene Rolle im Nationalsozialismus zwischen Anpassung und Auflehnung, so auch während seiner Wehrmachtszeit, wird durch die Auswertung unbekannter Quellen auf eine neue Grundlage gestellt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2014Kammerkavalier
"Ich bin für mehr Dekoration, für Farben, für Stoffe, bin für mehr Handlung und Seelenerkenntnis, für eine Bezauberung und für einen Schimmer von Glück." Wer so etwas als deutscher Schriftsteller im Jahr 1950 verkündete, hatte es bei seinen Kollegen nicht leicht, denn die Trümmerliteratur galt als angemessene Form nach den Schrecken von "Drittem Reich" und Zweitem Weltkrieg. Leser aber konnte man mit diesem Programm durchaus viele gewinnen - sofern man nicht wie Wolf von Niebelschütz schrieb, von dem dieser Satz stammt. Er hatte gerade ein Romanwunderwerk namens "Der blaue Kammerherr" veröffentlicht, eine ironische Barockgeschichte, doch nach anfänglichem Erfolg erlahmte das Interesse des Publikums. Zu subtil war die Handlung, zu kunstvoll die Sprache, zu belesen der Autor. Seinen Ruf als Stilist bestätigte Niebelschütz dann noch einmal 1959 mit den "Kindern der Finsternis", doch ein Jahr später war er schon tot, gerade 47 Jahre alt. Ein unvollendeter Formvollendeter. Dass über dieses kurze Leben heute ein langes Buch erscheint, war nicht zu erwarten. Dominik Riedo, selbst Schriftsteller, hat neun Jahre auf seine Dissertation über den Kollegen verwandt und dann eigens noch das Jahr 2013 abgewartet, als sich der Geburtstag von Niebelschütz zum hundertsten Mal jährte. Es geschah nichts. Die beiden großen Romane sind zwar leicht greifbar, die vielen kleinen Schriften jedoch schwer zu finden, und nun kommt da eine teure Biographie von mehr als 900 Seiten. Die jedoch den Vorzug genießt, am Stil von Niebelschütz geschult und deshalb sehr gut lesbar zu sein. Ein großer Teil widmet sich dem Leben des Schriftstellers im NS-System, denn oft ist ihm Anpassung vorgeworfen worden, und "Der blaue Kammerherr" ist vor allem während seiner Zeit als Soldat in Frankreich entstanden. Doch Riedo entlastet mit akribischer Recherche und Deutung entsprechende Vorwürfe. Und lässt verstehen, warum man beim "Blauen Kammerherrn" stets an den "Rosenkavalier" erinnert wird. Niebelschütz bewunderte Hofmannsthal und studierte immer wieder das Opernlibretto. Nun muss endlich er wieder mehr gelesen werden. (Dominik Riedo: "Wolf von Niebelschütz". Leben und Werk. Eine Biographie. Peter Lang Verlag, Bern 2013. 919 S., 26 Abb., geb., 133,80 [Euro].) apl
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ich bin für mehr Dekoration, für Farben, für Stoffe, bin für mehr Handlung und Seelenerkenntnis, für eine Bezauberung und für einen Schimmer von Glück." Wer so etwas als deutscher Schriftsteller im Jahr 1950 verkündete, hatte es bei seinen Kollegen nicht leicht, denn die Trümmerliteratur galt als angemessene Form nach den Schrecken von "Drittem Reich" und Zweitem Weltkrieg. Leser aber konnte man mit diesem Programm durchaus viele gewinnen - sofern man nicht wie Wolf von Niebelschütz schrieb, von dem dieser Satz stammt. Er hatte gerade ein Romanwunderwerk namens "Der blaue Kammerherr" veröffentlicht, eine ironische Barockgeschichte, doch nach anfänglichem Erfolg erlahmte das Interesse des Publikums. Zu subtil war die Handlung, zu kunstvoll die Sprache, zu belesen der Autor. Seinen Ruf als Stilist bestätigte Niebelschütz dann noch einmal 1959 mit den "Kindern der Finsternis", doch ein Jahr später war er schon tot, gerade 47 Jahre alt. Ein unvollendeter Formvollendeter. Dass über dieses kurze Leben heute ein langes Buch erscheint, war nicht zu erwarten. Dominik Riedo, selbst Schriftsteller, hat neun Jahre auf seine Dissertation über den Kollegen verwandt und dann eigens noch das Jahr 2013 abgewartet, als sich der Geburtstag von Niebelschütz zum hundertsten Mal jährte. Es geschah nichts. Die beiden großen Romane sind zwar leicht greifbar, die vielen kleinen Schriften jedoch schwer zu finden, und nun kommt da eine teure Biographie von mehr als 900 Seiten. Die jedoch den Vorzug genießt, am Stil von Niebelschütz geschult und deshalb sehr gut lesbar zu sein. Ein großer Teil widmet sich dem Leben des Schriftstellers im NS-System, denn oft ist ihm Anpassung vorgeworfen worden, und "Der blaue Kammerherr" ist vor allem während seiner Zeit als Soldat in Frankreich entstanden. Doch Riedo entlastet mit akribischer Recherche und Deutung entsprechende Vorwürfe. Und lässt verstehen, warum man beim "Blauen Kammerherrn" stets an den "Rosenkavalier" erinnert wird. Niebelschütz bewunderte Hofmannsthal und studierte immer wieder das Opernlibretto. Nun muss endlich er wieder mehr gelesen werden. (Dominik Riedo: "Wolf von Niebelschütz". Leben und Werk. Eine Biographie. Peter Lang Verlag, Bern 2013. 919 S., 26 Abb., geb., 133,80 [Euro].) apl
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«Nun muss endlich er [Wolf von Niebelschütz] wieder mehr gelesen werden.» (Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 13, 16. Januar 2014)
«Riedos ausgewogenes Buch, das auch die Schattenseiten von Niebelschütz' journalistischer Tätigkeit im Nationalsozialismus nicht herunterspielt, [ist] eine unverzichtbare Anschaffung für germanistische Bibliotheken.» (Till Kinzel, Informationsmittel für Bibliotheken 05/2014)
«Riedos ausgewogenes Buch, das auch die Schattenseiten von Niebelschütz' journalistischer Tätigkeit im Nationalsozialismus nicht herunterspielt, [ist] eine unverzichtbare Anschaffung für germanistische Bibliotheken.» (Till Kinzel, Informationsmittel für Bibliotheken 05/2014)