Mit seiner Berufung in das Kabinett der Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Wolfgang Tiefensee im Herbst 2005 den vorläufigen Höhepunkt einer außergewöhnlichen Karriere erreicht. Woher kommt der Mann, der schon seit Jahren als Geheimtipp der großen Politik gilt und es sich leistete, den bereits 2002 erfolgten Ruf nach Berlin souverän zurückzuweisen? Was treibt ihn an, der mit Porsche, BMW und DHL einige der größten Investitionen Deutschlands ausgerechnet nach Leipzig geholt hat - und der dennoch nicht verhindern konnte, daß die Arbeitslosigkeit hier bei schockierenden 20 Prozent liegt? Und wohin strebt er, der erst Ingenieur, dann Bildungspolitiker und schließlich sieben Jahre lang Oberbürgermeister von Leipzig war - und von dem Insider ganz sicher sind, dass das Amt des Bundesverkehrsministers gewiß nicht die Endstation seiner Karriere darstellen wird?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2006Unter zeitlichem Druck
Erstmals biographisch gewürdigt: Wolfgang Tiefensee
Die erste Biographie über den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister. Lange Zeit galt Wolfgang Tiefensee als der Hoffnungsträger der ostdeutschen Sozialdemokratie. Manche Genossen sahen ihn früh als geeignet für hohe Posten in Dresden oder gar Berlin. Tiefensees Ansehen bei Parteifreunden in den neuen Ländern nahm auch keinen Schaden, als er es Ende 2002 ablehnte, Mitglied des zweiten Kabinetts Schröder zu werden. Gerade in Leipzig sahen sich ganz im Gegenteil viele geschmeichelt, daß sich Tiefensee auf diese Weise zu seiner Stadt bekannte. Der Politiker habe den Ruf damals "souverän zurückgewiesen", heißt es nun im Klappentext des Buches.
Helge-Heinz Heinker hat sie aus Anlaß der Entscheidung Tiefensees, drei Jahre nach dem ersten Angebot nun doch nach Berlin zu wechseln, in aller Eile fertiggestellt - und das merkt man an mancher Stelle. Ob etwa Tiefensee Ende 2002 tatsächlich so souverän ablehnte, darüber kann man nach nur ein bißchen zusätzlicher Recherche trefflich räsonieren. Denn während damals in Berlin schon aus Parteikreisen verlautete, Tiefensee werde Verkehrs- und Ostminister, ließ der Leipziger Oberbürgermeister alle seine Termine absagen und machte sich auf den Weg nach Berlin, was wiederum von den Nachrichtenagenturen als Bestätigung gewertet wurde. Doch in der Bundeshauptstadt angekommen, tat Tiefensee, was er, auch um Gerüchte schnell aus der Welt zu schaffen, kurz und bündig am Telefon hätte erledigen können: Er lehnte ab.
Die Geschichte mag manches über Tiefensees Einschätzung seiner eigenen Bedeutung und Wichtigkeit aussagen. Jedenfalls ist Heinker von der Wichtigkeit Tiefensees überzeugt. Das führt ihn auch zur drolligen Einschätzung, bei Bundeskanzlerin Merkel und dem Bau- und Verkehrsminister Tiefensee handele es sich um Antagonisten. Zwar seien beide ostdeutschen Politiker - "wenn auch durch unterschiedliche Parteizugehörigkeit camoufliert" - unideologisch. Doch begegneten sich mit Frau Merkel und Tiefensee am Berliner Kabinettstisch zwei überaus ehrgeizige Machtkämpfer. "Man kann darauf warten, daß sie sich eher früher oder später gegenseitig im Wege stehen werden."
Dieses Konstrukt gehört zu den Merkwürdigkeiten des Buches - zumal der Autor die Arbeit an seinem Manuskript ausweislich des Nachworts am 1. November beendet hat. Also just an dem Tag, als deutlich wurde, daß der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck neuer Bundesvorsitzender der SPD werden würde und damit ein anderer Ostdeutscher qua Amt geborener Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für eine wann auch immer anstehende nächste Bundestagswahl sein würde.
Abgesehen von einigen sprachlichen Schwächen und Stilblüten wie "Wolfgang Tiefensee wurde die Politiker-Karriere nicht an der Wiege gesungen", die von einem etwas sorgfältigeren Lektorat hätten ausgebügelt werden können, liefert der Autor jedoch alles in allem eine recht solide Beschreibung der bisherigen Stationen im politischen Leben Tiefensees: der rasante Aufstieg unter Ziehvater Hinrich Lehmann-Grube, das lange Zögern, in die SPD einzutreten, der erste gewonnene Oberbürgermeister-Wahlkampf 1998. Daß Heinker dabei auch auf eine gelegentliche Dünnhäutigkeit des häufig als begabter Kommunikator dargestellten Tiefensee im Umgang mit Medien eingeht und Schwächen im Verwaltungshandeln des vormaligen Stadtoberhaupts benennt, verleiht dem Buch ein gewisses Maß an Reflexionstiefe. Nur eingeschränkt gilt dies jedoch für die Passagen über die unglückliche Leipziger Olympia-Bewerbung. Hier gelingt dem Autor kein durchgehend unvoreingenommener Blick auf die Zusammenhänge. So phantasiert er in bezug auf die Berichterstattung (zumeist überregionaler Zeitungen) über merkwürdige Vorkommnisse in der Leipziger Olympia GmbH von "fein abgestuften medialen Einschlägen". Die am Tag des endgültigen Scheiterns der Bewerbung in Leipzig anwesenden Journalisten verunglimpft er als hundertköpfige "Pressemeute".
Die Berufung Tiefensees zum Verkehrs- und Bauminister wertet Heinker als Zwischenstation auf dem Weg des Politikers zu höheren Aufgaben. Die "Zugehörigkeit zum Kabinett Merkel" sei, wie der Autor in geschraubter Diktion urteilt, eine "Übergangszeit mit zeitlichem Druck in Richtung rechtzeitiger Profilierung". Nur ob Tiefensee 2009 sächsischer Ministerpräsident oder lieber gleich Bundeskanzler werden will, darüber traut sich Heinker dann gottlob keine Mutmaßung zu.
REINER BURGER
Helge-Heinz Heinker: Wolfgang Tiefensee. Eine Biographie. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2005. 157 S., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erstmals biographisch gewürdigt: Wolfgang Tiefensee
Die erste Biographie über den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister. Lange Zeit galt Wolfgang Tiefensee als der Hoffnungsträger der ostdeutschen Sozialdemokratie. Manche Genossen sahen ihn früh als geeignet für hohe Posten in Dresden oder gar Berlin. Tiefensees Ansehen bei Parteifreunden in den neuen Ländern nahm auch keinen Schaden, als er es Ende 2002 ablehnte, Mitglied des zweiten Kabinetts Schröder zu werden. Gerade in Leipzig sahen sich ganz im Gegenteil viele geschmeichelt, daß sich Tiefensee auf diese Weise zu seiner Stadt bekannte. Der Politiker habe den Ruf damals "souverän zurückgewiesen", heißt es nun im Klappentext des Buches.
Helge-Heinz Heinker hat sie aus Anlaß der Entscheidung Tiefensees, drei Jahre nach dem ersten Angebot nun doch nach Berlin zu wechseln, in aller Eile fertiggestellt - und das merkt man an mancher Stelle. Ob etwa Tiefensee Ende 2002 tatsächlich so souverän ablehnte, darüber kann man nach nur ein bißchen zusätzlicher Recherche trefflich räsonieren. Denn während damals in Berlin schon aus Parteikreisen verlautete, Tiefensee werde Verkehrs- und Ostminister, ließ der Leipziger Oberbürgermeister alle seine Termine absagen und machte sich auf den Weg nach Berlin, was wiederum von den Nachrichtenagenturen als Bestätigung gewertet wurde. Doch in der Bundeshauptstadt angekommen, tat Tiefensee, was er, auch um Gerüchte schnell aus der Welt zu schaffen, kurz und bündig am Telefon hätte erledigen können: Er lehnte ab.
Die Geschichte mag manches über Tiefensees Einschätzung seiner eigenen Bedeutung und Wichtigkeit aussagen. Jedenfalls ist Heinker von der Wichtigkeit Tiefensees überzeugt. Das führt ihn auch zur drolligen Einschätzung, bei Bundeskanzlerin Merkel und dem Bau- und Verkehrsminister Tiefensee handele es sich um Antagonisten. Zwar seien beide ostdeutschen Politiker - "wenn auch durch unterschiedliche Parteizugehörigkeit camoufliert" - unideologisch. Doch begegneten sich mit Frau Merkel und Tiefensee am Berliner Kabinettstisch zwei überaus ehrgeizige Machtkämpfer. "Man kann darauf warten, daß sie sich eher früher oder später gegenseitig im Wege stehen werden."
Dieses Konstrukt gehört zu den Merkwürdigkeiten des Buches - zumal der Autor die Arbeit an seinem Manuskript ausweislich des Nachworts am 1. November beendet hat. Also just an dem Tag, als deutlich wurde, daß der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck neuer Bundesvorsitzender der SPD werden würde und damit ein anderer Ostdeutscher qua Amt geborener Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für eine wann auch immer anstehende nächste Bundestagswahl sein würde.
Abgesehen von einigen sprachlichen Schwächen und Stilblüten wie "Wolfgang Tiefensee wurde die Politiker-Karriere nicht an der Wiege gesungen", die von einem etwas sorgfältigeren Lektorat hätten ausgebügelt werden können, liefert der Autor jedoch alles in allem eine recht solide Beschreibung der bisherigen Stationen im politischen Leben Tiefensees: der rasante Aufstieg unter Ziehvater Hinrich Lehmann-Grube, das lange Zögern, in die SPD einzutreten, der erste gewonnene Oberbürgermeister-Wahlkampf 1998. Daß Heinker dabei auch auf eine gelegentliche Dünnhäutigkeit des häufig als begabter Kommunikator dargestellten Tiefensee im Umgang mit Medien eingeht und Schwächen im Verwaltungshandeln des vormaligen Stadtoberhaupts benennt, verleiht dem Buch ein gewisses Maß an Reflexionstiefe. Nur eingeschränkt gilt dies jedoch für die Passagen über die unglückliche Leipziger Olympia-Bewerbung. Hier gelingt dem Autor kein durchgehend unvoreingenommener Blick auf die Zusammenhänge. So phantasiert er in bezug auf die Berichterstattung (zumeist überregionaler Zeitungen) über merkwürdige Vorkommnisse in der Leipziger Olympia GmbH von "fein abgestuften medialen Einschlägen". Die am Tag des endgültigen Scheiterns der Bewerbung in Leipzig anwesenden Journalisten verunglimpft er als hundertköpfige "Pressemeute".
Die Berufung Tiefensees zum Verkehrs- und Bauminister wertet Heinker als Zwischenstation auf dem Weg des Politikers zu höheren Aufgaben. Die "Zugehörigkeit zum Kabinett Merkel" sei, wie der Autor in geschraubter Diktion urteilt, eine "Übergangszeit mit zeitlichem Druck in Richtung rechtzeitiger Profilierung". Nur ob Tiefensee 2009 sächsischer Ministerpräsident oder lieber gleich Bundeskanzler werden will, darüber traut sich Heinker dann gottlob keine Mutmaßung zu.
REINER BURGER
Helge-Heinz Heinker: Wolfgang Tiefensee. Eine Biographie. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2005. 157 S., 14,90 [Euro].
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