»Viele Geheimnisse sind es nicht, die man haben darf.«
In der Stille des Neujahrsmorgens sichtet Ulf, Jagdleiter in Hälsingland, einen Wolf. Stolz streift der Einzelgänger, der erst kürzlich eine Ricke gerissen hat, durch das verschneite Moor. Doch dem Jagenden droht selbst Gefahr: Zwei Wölfe dürfen in der Provinz geschossen werden, und so wahrt Ulf das Geheimnis ihrer Begegnung. Während seine Frau Inga den in Gedanken an das Tier verlorenen Mann liebevoll drängt, nochmals seine Jagdtagebücher durchzulesen, eskaliert Ulfs Konflikt mit den jüngeren Kameraden. Denn die sind nur auf Blut und Trophäen aus. Ein feinsinniges und packendes, großes Alterswerk!
»Wolfslichter ist die Schmelze oder die Quintessenz von Kerstin Ekmans Werk.« Svenska Dagbladet
»Dieser Roman ist so faszinierend - man vergisst förmlich, dass man ein Buch liest.« P1
»Kerstin Ekmans Roman ist wie eine schillernde Wolke. In ständiger Wandlung erzählt er vom Altern, von einer Begegnung, die die Weltanschauung eines Menschen verändert, von der Macht der Erinnerung und der Vorbereitung auf den Tod.« Dagens Nyheter
»Ein aufschlussreicher Roman über den Konflikt zwischen uns Menschen und der Welt, in der wir leben. Eine melancholische, sehr berührende Geschichte.« Aftonbladet
Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023
Norrlands litteraturpris 2022
Literaturpreis des Nordischen Rates 2022 (Shortlist)
In der Stille des Neujahrsmorgens sichtet Ulf, Jagdleiter in Hälsingland, einen Wolf. Stolz streift der Einzelgänger, der erst kürzlich eine Ricke gerissen hat, durch das verschneite Moor. Doch dem Jagenden droht selbst Gefahr: Zwei Wölfe dürfen in der Provinz geschossen werden, und so wahrt Ulf das Geheimnis ihrer Begegnung. Während seine Frau Inga den in Gedanken an das Tier verlorenen Mann liebevoll drängt, nochmals seine Jagdtagebücher durchzulesen, eskaliert Ulfs Konflikt mit den jüngeren Kameraden. Denn die sind nur auf Blut und Trophäen aus. Ein feinsinniges und packendes, großes Alterswerk!
»Wolfslichter ist die Schmelze oder die Quintessenz von Kerstin Ekmans Werk.« Svenska Dagbladet
»Dieser Roman ist so faszinierend - man vergisst förmlich, dass man ein Buch liest.« P1
»Kerstin Ekmans Roman ist wie eine schillernde Wolke. In ständiger Wandlung erzählt er vom Altern, von einer Begegnung, die die Weltanschauung eines Menschen verändert, von der Macht der Erinnerung und der Vorbereitung auf den Tod.« Dagens Nyheter
»Ein aufschlussreicher Roman über den Konflikt zwischen uns Menschen und der Welt, in der wir leben. Eine melancholische, sehr berührende Geschichte.« Aftonbladet
Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023
Norrlands litteraturpris 2022
Literaturpreis des Nordischen Rates 2022 (Shortlist)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Stephan Opitz ist begeistert von Kerstin Ekmans Erzählkunst, die er in ihrem jüngsten Roman, zu ihrem 90. Geburtstag auf Deutsch erscheinend, zu spüren bekommt. Es geht darin um einen alten Jäger in Schweden, dessen Leben mit dem eines Wolfes enggeführt wird, auf dessen Fährte er gestoßen war - allerdings völlig ohne raubtiervermenschlichende "Jagdromantik", stellt Opitz klar. Vielmehr gehe es auch um bürokratische Prozesse in der Jagdgenossenschaft (Ulf möchte wegen seiner Angina Pectoris den Vorsitz abgeben), sowie um die liebevolle Beziehung zu seiner Frau Inga und nicht zuletzt um Umwelt und Klima - wobei eine Lesart als Umweltroman aber zu kurz griffe, wie Opitz mit dem Verweis auf gewisse Plot Points verdeutlicht: So werde der Wolf schließlich doch erlegt, ein anderer Jäger von einem Bär übel zugerichtet. Neben der inhaltlichen Komplexität gewinnt das Buch seinen Reiz für den Kritiker aber vor allem durch die "konzise, fast lakonische" Sprache auf "höchstem intellektuellen Niveau", souverän übersetzt von Hedwig M. Binder, die auch Humor nicht missen lässt. Für Opitz ein "rares Meisterwerk".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2023Der Mann und der Wolf
Weit entfernt von Jagdromantik: Ein schwedisches Epos von Kerstin Ekman, die morgen neunzig wird
Die große Romanautorin der schwedischen Sprache hat ein rares Meisterwerk vorgelegt - es handelt vom Wald, von der Liebe und von einem Wolf. Rar ist es wegen seiner konzisen, fast lakonischen und keine einzige Silbe verschwendenden Sprache, die eine wunderbar geschlossene Binnenlogik zusammenhält und die Gewichte der genannten Themen auf höchstem sprachlich intellektuellen Niveau ausbalanciert hält.
Ich-Erzähler und Hauptperson ist Ulf Norrstig, ein pensionierter Forstmeister in Hälsingland, einiges nördlich von Stockholm, doch gerade eben erst die Mitte des langen Landes Schweden. Dort beginnen die richtigen Wälder, deren Größe und Ausmaß nur in Skandinavien vorkommen, sonst nirgendwo mehr in Europa. Norrstig hat sich in seinen Wald aufgemacht, auf Skiern zu einer auf einer Höhe gelegenen Lichtung, wo er einen alten marzipantortengrünen Wohnwagen als eine etwas verkommene Jagdhütte stehen hat (das Bild ist komisch; die schwedische sogenannte princesstårta ist mit giftgrünem Marzipan bedeckt). Seine Meditation über die Jagd ist simpel und sehr klar, sie beschließt den allerersten Absatz des Romans: "Die meisten wollen schießen, solange der Zeigefinger den Abzug drücken kann. Solange das Glied sich aufrichtet, lebt und tötet man."
Auf Skiern geht Norrstig einer Wolfsfährte nach; neben der Skispur hatte er die Spur einer großen Hinterpranke entdeckt. Der alte Jäger kann Fährten lesen, er erschließt, dass der Wolf eine Ricke gerissen und das Revier ausgiebig markiert hat. Dieser Wolf ist ein einsamer Stromer, auf der Jagd nach Beute und/oder Paarung. Wegen der markanten Hinterpfote, auf die zu schließen die gesichtete Fährte zuließ, nennt der alte Jäger den Wolf Hochbein. Und beschließt, von dem Tier nichts zu erzählen. Weder will er Angst verbreiten noch zulassen, dass die Jagdgenossenschaft sich um die Genehmigung zum Abschuss bemüht. Im Erzählfluss entsteht eine Parallelführung zwischen Wolf und altem Jäger, die allerdings allein durch die Erfahrung Norrstigs und seine mit dieser verbundenen Interpretationsmöglichkeiten des Verhaltens von Hochbein gestützt wird und nie dazu führt, dass Hochbein menschliche Züge und Regungen bekäme, jene gar geschildert würden. Weiter entfernt von Jagdromantik und Wolfsschauder als Ekman kann man gar nicht sein.
Der Roman hat drei thematische Ebenen: Norrstigs Liebe zu und Ehe mit Inga, seiner Frau, einer ebenfalls bereits pensionierten Sprachenlehrerin, die Geschehnisse in der Jagdgenossenschaft sowie Wald, Umwelt und Klimawandel.
Die Vertrautheit des alten Paares, der pragmatische Umgang Ingas mit der Angina Pectoris ihres Mannes Ulf, das unbeirrbare Zusammenstehen von Mann und Frau gegen die Welt dort draußen, vor den Fenstern des alten Familienbesitzes, in dem sie wohnen, der Umgang in ihrer Familie, die Beziehungen zu ihren Kindern und die sensible Zärtlichkeit, die sie miteinander teilen - alles zeugt davon, dass es gut ist und eigentlich gar nicht anders sein kann. Wobei die lakonische Erzählweise hochkomisch sein kann. Witzig der Zusammenstoß des alten Forstmeisters, der gerade einen Elchkopf auskocht, um das Geweih präparieren zu können, mit einer neuen Schwiegertochter, die angesichts des Anblicks der auskochenden Augen des Elchschädels einen Schreikrampf kriegt, der das Abendessen infrage stellt, worauf sie von Inga den Hinweis bekommt, dass es Forelle mit Hollandaise zu essen gäbe und (Subtext) sie sich nicht so haben solle.
Norrstig ist langjähriger Vorsitzender der örtlichen Jagdgenossenschaft (in Schweden ist die Jagd überwiegend genossenschaftlich organisiert; man erfährt darüber einiges im Buch einschließlich der fast atavistischen Verhaltensmuster, wenn es ans Verteilen des Fleisches geht). Einen Angina-Pectoris-Anfall auf dem Hochsitz, beim Ansitz, und den dadurch verpassten Schuss auf einen Elch, nimm Norrstig zum Anlass, den Vorsitz der Jagdgenossenschaft abzugeben - sein Wunschkandidat Evert wird nicht gewählt, zum Zuge kommt Ronny, von dem Ulf gar nichts hält und den er als jagdlichen Rivalen erlebt. Der weiß auch um den Wolf Hochbein.
Die Rivalitäten in der Jagdgenossenschaft und deren Generationenwechsel (die jungen wollen vor allem eines: Wild abknallen) führen bei Ulf zur Frage nach dem richtigen Wald. Im Sommer des im Roman erzählten Jahres brechen große Brände aus - welcher Wald hält dem Feuer besser stand? Von seinen Vorvätern weiß Norrstig, dass sie sogenannten Plenterwald bewirtschafteten und anbauten; in ihm gibt es im Gegensatz zum immer noch weitgehend üblichen gleichförmigen Altersklassenwald auf kleinem Raum alte und junge Bäume verschiedener Arten und Dicke nebeneinander. Plenterwald verjüngt sich stetig; Bäume aller Dimensionen sind kleinstflächig bis einzelstammweise vermischt. Im Plenterbetrieb werden einzelne Bäume gefällt und so ein permanenter Hochwald geschaffen. Man kann "Wolfslichter" auch ausschließlich als Umweltroman lesen.
Aber das griffe zu kurz, einen Reim darauf, warum Hochbein doch noch erlegt wird und was Wölfe machen, wenn Schafszäune nicht richtig gesetzt sind, machte man sich dann nicht. Und der hungrige Bär, der einen der Jagdgenossen anfällt und übel zurichtet, bevor er vertrieben und später erschossen wird, hat mit der Umweltthematik im engeren Sinne ebenfalls wenig zu tun. Auch Norrstigs Referenzlektüre "Aufzeichnungen eines Jägers" von Turgenjew nicht. Apropos Referenzlektüre: Die große Wolfsjagd aus "Krieg und Frieden" bildet sicher einen der literarischen Echoräume von Ekmans Roman.
Die Übersetzung des mit jagdlich-forstlichem Vokabular gespickten Buches ist untadelig; zu fragen bleibt nur, warum der schwedische jägmästare, der auch in Schweden das höchste akademische Examen in der wissenschaftlichen Forstwirtschaft abgelegt hat, mit "Förster" übersetzt ist; nichts gegen den Revierförster, aber der ist kein Akademiker. Die Übersetzung des originalen Romantitels "Löpa varg" ist schwierig, eigentlich ist damit eine schamanistisch-atavistische Übung benannt, man läuft einem Wolf hinterher und kommt wolfsähnlich zurück. Doch "Wolf laufen" hätte im Deutschen eine komische Note, und die Wolfslichter, also die Augen von Hochbein, verbinden Ulf Norrstig mit ihm, seit er sie einmal zu Beginn des Romans im Fernglas erblickt hat.
Mit "Wolfslichter" hat sich Kerstin Ekman, die am morgigen Sonntag neunzig wird, einen bedeutenden Platz in der Reihe der großen skandinavischen Erzähler gesichert; unter den gegenwärtigen Autoren wäre allenfalls der Finnlandschwede Kjell Westö zu nennen, der solch ein Erzählen ähnlich gut beherrscht. STEPHAN OPITZ
Kerstin Ekman:
"Wolfslichter". Roman.
Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder. Piper Verlag, München 2023. 208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Weit entfernt von Jagdromantik: Ein schwedisches Epos von Kerstin Ekman, die morgen neunzig wird
Die große Romanautorin der schwedischen Sprache hat ein rares Meisterwerk vorgelegt - es handelt vom Wald, von der Liebe und von einem Wolf. Rar ist es wegen seiner konzisen, fast lakonischen und keine einzige Silbe verschwendenden Sprache, die eine wunderbar geschlossene Binnenlogik zusammenhält und die Gewichte der genannten Themen auf höchstem sprachlich intellektuellen Niveau ausbalanciert hält.
Ich-Erzähler und Hauptperson ist Ulf Norrstig, ein pensionierter Forstmeister in Hälsingland, einiges nördlich von Stockholm, doch gerade eben erst die Mitte des langen Landes Schweden. Dort beginnen die richtigen Wälder, deren Größe und Ausmaß nur in Skandinavien vorkommen, sonst nirgendwo mehr in Europa. Norrstig hat sich in seinen Wald aufgemacht, auf Skiern zu einer auf einer Höhe gelegenen Lichtung, wo er einen alten marzipantortengrünen Wohnwagen als eine etwas verkommene Jagdhütte stehen hat (das Bild ist komisch; die schwedische sogenannte princesstårta ist mit giftgrünem Marzipan bedeckt). Seine Meditation über die Jagd ist simpel und sehr klar, sie beschließt den allerersten Absatz des Romans: "Die meisten wollen schießen, solange der Zeigefinger den Abzug drücken kann. Solange das Glied sich aufrichtet, lebt und tötet man."
Auf Skiern geht Norrstig einer Wolfsfährte nach; neben der Skispur hatte er die Spur einer großen Hinterpranke entdeckt. Der alte Jäger kann Fährten lesen, er erschließt, dass der Wolf eine Ricke gerissen und das Revier ausgiebig markiert hat. Dieser Wolf ist ein einsamer Stromer, auf der Jagd nach Beute und/oder Paarung. Wegen der markanten Hinterpfote, auf die zu schließen die gesichtete Fährte zuließ, nennt der alte Jäger den Wolf Hochbein. Und beschließt, von dem Tier nichts zu erzählen. Weder will er Angst verbreiten noch zulassen, dass die Jagdgenossenschaft sich um die Genehmigung zum Abschuss bemüht. Im Erzählfluss entsteht eine Parallelführung zwischen Wolf und altem Jäger, die allerdings allein durch die Erfahrung Norrstigs und seine mit dieser verbundenen Interpretationsmöglichkeiten des Verhaltens von Hochbein gestützt wird und nie dazu führt, dass Hochbein menschliche Züge und Regungen bekäme, jene gar geschildert würden. Weiter entfernt von Jagdromantik und Wolfsschauder als Ekman kann man gar nicht sein.
Der Roman hat drei thematische Ebenen: Norrstigs Liebe zu und Ehe mit Inga, seiner Frau, einer ebenfalls bereits pensionierten Sprachenlehrerin, die Geschehnisse in der Jagdgenossenschaft sowie Wald, Umwelt und Klimawandel.
Die Vertrautheit des alten Paares, der pragmatische Umgang Ingas mit der Angina Pectoris ihres Mannes Ulf, das unbeirrbare Zusammenstehen von Mann und Frau gegen die Welt dort draußen, vor den Fenstern des alten Familienbesitzes, in dem sie wohnen, der Umgang in ihrer Familie, die Beziehungen zu ihren Kindern und die sensible Zärtlichkeit, die sie miteinander teilen - alles zeugt davon, dass es gut ist und eigentlich gar nicht anders sein kann. Wobei die lakonische Erzählweise hochkomisch sein kann. Witzig der Zusammenstoß des alten Forstmeisters, der gerade einen Elchkopf auskocht, um das Geweih präparieren zu können, mit einer neuen Schwiegertochter, die angesichts des Anblicks der auskochenden Augen des Elchschädels einen Schreikrampf kriegt, der das Abendessen infrage stellt, worauf sie von Inga den Hinweis bekommt, dass es Forelle mit Hollandaise zu essen gäbe und (Subtext) sie sich nicht so haben solle.
Norrstig ist langjähriger Vorsitzender der örtlichen Jagdgenossenschaft (in Schweden ist die Jagd überwiegend genossenschaftlich organisiert; man erfährt darüber einiges im Buch einschließlich der fast atavistischen Verhaltensmuster, wenn es ans Verteilen des Fleisches geht). Einen Angina-Pectoris-Anfall auf dem Hochsitz, beim Ansitz, und den dadurch verpassten Schuss auf einen Elch, nimm Norrstig zum Anlass, den Vorsitz der Jagdgenossenschaft abzugeben - sein Wunschkandidat Evert wird nicht gewählt, zum Zuge kommt Ronny, von dem Ulf gar nichts hält und den er als jagdlichen Rivalen erlebt. Der weiß auch um den Wolf Hochbein.
Die Rivalitäten in der Jagdgenossenschaft und deren Generationenwechsel (die jungen wollen vor allem eines: Wild abknallen) führen bei Ulf zur Frage nach dem richtigen Wald. Im Sommer des im Roman erzählten Jahres brechen große Brände aus - welcher Wald hält dem Feuer besser stand? Von seinen Vorvätern weiß Norrstig, dass sie sogenannten Plenterwald bewirtschafteten und anbauten; in ihm gibt es im Gegensatz zum immer noch weitgehend üblichen gleichförmigen Altersklassenwald auf kleinem Raum alte und junge Bäume verschiedener Arten und Dicke nebeneinander. Plenterwald verjüngt sich stetig; Bäume aller Dimensionen sind kleinstflächig bis einzelstammweise vermischt. Im Plenterbetrieb werden einzelne Bäume gefällt und so ein permanenter Hochwald geschaffen. Man kann "Wolfslichter" auch ausschließlich als Umweltroman lesen.
Aber das griffe zu kurz, einen Reim darauf, warum Hochbein doch noch erlegt wird und was Wölfe machen, wenn Schafszäune nicht richtig gesetzt sind, machte man sich dann nicht. Und der hungrige Bär, der einen der Jagdgenossen anfällt und übel zurichtet, bevor er vertrieben und später erschossen wird, hat mit der Umweltthematik im engeren Sinne ebenfalls wenig zu tun. Auch Norrstigs Referenzlektüre "Aufzeichnungen eines Jägers" von Turgenjew nicht. Apropos Referenzlektüre: Die große Wolfsjagd aus "Krieg und Frieden" bildet sicher einen der literarischen Echoräume von Ekmans Roman.
Die Übersetzung des mit jagdlich-forstlichem Vokabular gespickten Buches ist untadelig; zu fragen bleibt nur, warum der schwedische jägmästare, der auch in Schweden das höchste akademische Examen in der wissenschaftlichen Forstwirtschaft abgelegt hat, mit "Förster" übersetzt ist; nichts gegen den Revierförster, aber der ist kein Akademiker. Die Übersetzung des originalen Romantitels "Löpa varg" ist schwierig, eigentlich ist damit eine schamanistisch-atavistische Übung benannt, man läuft einem Wolf hinterher und kommt wolfsähnlich zurück. Doch "Wolf laufen" hätte im Deutschen eine komische Note, und die Wolfslichter, also die Augen von Hochbein, verbinden Ulf Norrstig mit ihm, seit er sie einmal zu Beginn des Romans im Fernglas erblickt hat.
Mit "Wolfslichter" hat sich Kerstin Ekman, die am morgigen Sonntag neunzig wird, einen bedeutenden Platz in der Reihe der großen skandinavischen Erzähler gesichert; unter den gegenwärtigen Autoren wäre allenfalls der Finnlandschwede Kjell Westö zu nennen, der solch ein Erzählen ähnlich gut beherrscht. STEPHAN OPITZ
Kerstin Ekman:
"Wolfslichter". Roman.
Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder. Piper Verlag, München 2023. 208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.08.2023Begegnungen mit Wölfen
Kerstin Ekman, die Grande Dame der schwedischen Gegenwartsliteratur, wird 90 Jahre alt – und hat gerade einen neuen Roman über das Jagen veröffentlicht
Seit ihrem Krimidebüt im Jahr 1959 hat Ekman bis heute mehr als 20 Romane, zahlreiche Essays, Film- und Fernsehmanuskripte verfasst, in denen es zwar sehr häufig ums Töten geht, vor allem aber darum, wie man darüber spricht. Sehr eindrucksvoll zeigt sie das zum Beispiel in ihrem preisgekrönten Roman „Geschehnisse am Wasser“ (1995), in dem sie die sozialen Verwerfungen schildert, die ein Doppelmord auslöst. Unter dem Titel „Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“ ist der Stoff aktuell als sechsteilige Fernsehserie zu sehen.
Oder in ihrem bislang letzten Roman, „Wolfslichter“, in dem es um einen Mord geht, der vielleicht auch einfach ein Verstoß gegen das Jagdgesetz war. In „Wolfslichter“ wird kein Mensch getötet, sondern ein Wolf, und das wirft Fragen auf um das Jagen und Töten von Tieren insgesamt: „Es war ein großer Unterschied, ob man alle, die man getötet hat, sagte oder alles, was man getötet hat. Im Übrigen muss es alles, was man geschossen hat, heißen. Haben die Soldaten im Krieg alles, was man geschossen hat, gesagt? Oder besaßen sie noch so viel Menschlichkeit, alle, die man getötet hat, zu sagen?“
Wer hier solcherart über das Töten nachdenkt, ist der Ich-Erzähler des Romans, der pensionierte Förster und Jagdleiter Ulf Norrstig, der zusammen mit seiner Frau Inga im mittelschwedischen Hälsingland wohnt. War er zeit seines Lebens ein leidenschaftlicher Jäger, ergreift ihn jetzt tiefes Unbehagen, wenn er den Finger am Abzug hat. Sind es das Alter und der kürzlich geschehene Herzinfarkt, die ihm zusetzen? Beides spielt eine Rolle, aber entscheidender ist etwas anderes. Die Begegnung mit einem Wolf, früh am Neujahrsmorgen, einen Tag vor Ulfs 70. Geburtstag, und einen Tag, bevor die Lizenzjagd auf die Wölfe beginnt. Erst sind es die Spuren im Schnee, die Ulf beeindrucken. Die Ruhe, die aus den Abdrücken der großen Pfoten spricht.
Später, als er in seinen kleinen Wohnwagen zurückgekehrt ist, der ihm zwischen Moor und Wald als Ausguck dient, bekommt er den grauen Jäger in all seiner majestätischen Größe in den Blick. Durch das Fernglas sieht er ihn erst im Profil, dann von vorn. Das dunkle Haar in seinen Ohren, die schrägen hellen Augen, die hohen Vorderläufe. Der Anblick des Tiers nimmt ihn so gefangen, dass er das Gefühl für Raum und Zeit verliert. Ein mystischer Augenblick. Und einer, der so sehr nachwirkt, dass er, wieder zu Hause, seiner Frau nicht mitteilen kann, was er erlebt hat. Er bringt den einfachen Satz „Ich habe einen Wolf gesehen“ nicht über die Lippen. Und bewahrt so die Aura des Erlebten, ohne sie zu überhöhen.
Der Ich-Erzähler ist kein Mann der vielen Worte, und sein Verhältnis zur Natur scheint sachlich zu sein. „Ja du, Hochbein. So dachte ich. Als wären wir miteinander verbunden. Dem war aber nicht so. Die Sache war einseitig. Wie mit Gott.“ Doch ganz so einseitig ist das Verhältnis dann doch nicht. Unvermittelt gleiten die Gedanken des Erzählers in einen anderen Modus über, und die Grenze zwischen dem Menschen Ulf und dem Tier Wolf, auf Schwedisch ulv, lösen sich auf.
Ulf läuft als Wolf durch den verschneiten Fichtenwald, nimmt den satten Geruch einer Wölfin wahr, hört die raue Stimme eines anderen Rüden, dann ein Knallen und Pfeifen, das Unheil bedeutet. „Er weiß jetzt, dass er die Wölfin nicht mehr finden wird.“ Wer ist hier mit ‚er‘ gemeint, der Wolf oder der Mann? In Ekmans Neudichtung der Sage vom blutrünstigen Werwolf bleibt diese Frage offen. Doch im direkten Anschluss an die Szene im Wald klingelt Ulfs Telefon, und sein Jagdkollege Ronny berichtet mit schriller Stimme, dass er einen Wolf geschossen hat. Es ist die Wölfin.
Der geschmeidige Übergang zwischen verschiedenen Szenen und Stilen macht einen großen Teil des Lesevergnügens dieses gleichzeitig schlichten und vielschichtigen Romans aus. Die schwermütigen Gedanken eines Mannes, der alt geworden ist, gespiegelt in dem Keuchen seines ebenfalls in die Jahre gekommenen Jagdhundes Zenta, die feinen Dialoge zwischen Ulf und Inga, die Spannung in der Jagdgesellschaft, blutige Szenen getöteter Tiere, schambesetzte Erinnerungen, Reflexionen über Wolfs-, Hasen- und Farmhunde, und nicht zuletzt die Vielzahl intertextueller Verweise auf Bücher, die in Ulfs Leben eine große Rolle gespielt haben, jetzt aber in einem ganz anderen Licht erscheinen als früher, vom „Dschungelbuch“ über Jack Londons „Ruf der Wildnis“ bis zu Turgenjews „Aufzeichnungen eines Jägers“ und Ulfs eigenen Jagdtagebüchern – all das ist auf rund 200 Seiten so kunstvoll zueinander in Beziehung gesetzt, dass es eine nachhaltige Freude ist.
Nachhaltig nicht zuletzt insofern, als die aufgeworfene Frage nach dem Umgang des Menschen mit der Natur der durchlaufende grüne Faden des Romans ist. Letztlich ist es nämlich nicht nur das emotionale Thema der Wolfs- oder Elchjagd,
das hier verhandelt wird, sondern die viel grundsätzlichere Frage, wie wir die Natur, und hier konkret den Wald, für unsere
Zwecke zurichten. Die Vorstellung von Schweden als dem Land der tiefen und unberührten Wälder korrigiert Kerstin Ekman, die nicht von ungefähr einen Ehrendoktor in Forstwirtschaft hat, zumindest gründlich: „Wald als Berge von Abfall. Reste des Industrieholzes, zu dem die Fichte geworden war. Überbleibsel eines toten Waldes.“
Etwas getrübt wird die Lektüre an manchen Stellen durch die Übersetzung. Weder erschließt sich, weshalb der Roman im Deutschen „Wolfslichter“ heißt, während er im Schwedischen auf das zugegebenermaßen schwer übertragbare „als Wolf umgehen“ anspielt. Noch gibt es einen triftigen Grund für die manchmal archaisierende Wortwahl. Bei Ekman hat der Wolf Ohren, Augen und Pfoten, nicht Gehöre, Seher und Pranken.
SOPHIE WENNERSCHEID
Der Anblick des wilden Tiers ist
für den Erzähler
ein mystisches Erlebnis
Sie geht auch der Frage nach,
wie wir mit dem Wald umgehen,
ihn zurichten für unsere Zwecke
Die Vorstellung von Schweden als dem Land der tiefen und unberührten Wälder korrigiert Kerstin Ekman gründlich.
Foto: Bodil Bergqvist
Kerstin Ekman:
Wolfslichter. Roman. Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder. Piper, München 2023.
208 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kerstin Ekman, die Grande Dame der schwedischen Gegenwartsliteratur, wird 90 Jahre alt – und hat gerade einen neuen Roman über das Jagen veröffentlicht
Seit ihrem Krimidebüt im Jahr 1959 hat Ekman bis heute mehr als 20 Romane, zahlreiche Essays, Film- und Fernsehmanuskripte verfasst, in denen es zwar sehr häufig ums Töten geht, vor allem aber darum, wie man darüber spricht. Sehr eindrucksvoll zeigt sie das zum Beispiel in ihrem preisgekrönten Roman „Geschehnisse am Wasser“ (1995), in dem sie die sozialen Verwerfungen schildert, die ein Doppelmord auslöst. Unter dem Titel „Blackwater – Im Schatten der Vergangenheit“ ist der Stoff aktuell als sechsteilige Fernsehserie zu sehen.
Oder in ihrem bislang letzten Roman, „Wolfslichter“, in dem es um einen Mord geht, der vielleicht auch einfach ein Verstoß gegen das Jagdgesetz war. In „Wolfslichter“ wird kein Mensch getötet, sondern ein Wolf, und das wirft Fragen auf um das Jagen und Töten von Tieren insgesamt: „Es war ein großer Unterschied, ob man alle, die man getötet hat, sagte oder alles, was man getötet hat. Im Übrigen muss es alles, was man geschossen hat, heißen. Haben die Soldaten im Krieg alles, was man geschossen hat, gesagt? Oder besaßen sie noch so viel Menschlichkeit, alle, die man getötet hat, zu sagen?“
Wer hier solcherart über das Töten nachdenkt, ist der Ich-Erzähler des Romans, der pensionierte Förster und Jagdleiter Ulf Norrstig, der zusammen mit seiner Frau Inga im mittelschwedischen Hälsingland wohnt. War er zeit seines Lebens ein leidenschaftlicher Jäger, ergreift ihn jetzt tiefes Unbehagen, wenn er den Finger am Abzug hat. Sind es das Alter und der kürzlich geschehene Herzinfarkt, die ihm zusetzen? Beides spielt eine Rolle, aber entscheidender ist etwas anderes. Die Begegnung mit einem Wolf, früh am Neujahrsmorgen, einen Tag vor Ulfs 70. Geburtstag, und einen Tag, bevor die Lizenzjagd auf die Wölfe beginnt. Erst sind es die Spuren im Schnee, die Ulf beeindrucken. Die Ruhe, die aus den Abdrücken der großen Pfoten spricht.
Später, als er in seinen kleinen Wohnwagen zurückgekehrt ist, der ihm zwischen Moor und Wald als Ausguck dient, bekommt er den grauen Jäger in all seiner majestätischen Größe in den Blick. Durch das Fernglas sieht er ihn erst im Profil, dann von vorn. Das dunkle Haar in seinen Ohren, die schrägen hellen Augen, die hohen Vorderläufe. Der Anblick des Tiers nimmt ihn so gefangen, dass er das Gefühl für Raum und Zeit verliert. Ein mystischer Augenblick. Und einer, der so sehr nachwirkt, dass er, wieder zu Hause, seiner Frau nicht mitteilen kann, was er erlebt hat. Er bringt den einfachen Satz „Ich habe einen Wolf gesehen“ nicht über die Lippen. Und bewahrt so die Aura des Erlebten, ohne sie zu überhöhen.
Der Ich-Erzähler ist kein Mann der vielen Worte, und sein Verhältnis zur Natur scheint sachlich zu sein. „Ja du, Hochbein. So dachte ich. Als wären wir miteinander verbunden. Dem war aber nicht so. Die Sache war einseitig. Wie mit Gott.“ Doch ganz so einseitig ist das Verhältnis dann doch nicht. Unvermittelt gleiten die Gedanken des Erzählers in einen anderen Modus über, und die Grenze zwischen dem Menschen Ulf und dem Tier Wolf, auf Schwedisch ulv, lösen sich auf.
Ulf läuft als Wolf durch den verschneiten Fichtenwald, nimmt den satten Geruch einer Wölfin wahr, hört die raue Stimme eines anderen Rüden, dann ein Knallen und Pfeifen, das Unheil bedeutet. „Er weiß jetzt, dass er die Wölfin nicht mehr finden wird.“ Wer ist hier mit ‚er‘ gemeint, der Wolf oder der Mann? In Ekmans Neudichtung der Sage vom blutrünstigen Werwolf bleibt diese Frage offen. Doch im direkten Anschluss an die Szene im Wald klingelt Ulfs Telefon, und sein Jagdkollege Ronny berichtet mit schriller Stimme, dass er einen Wolf geschossen hat. Es ist die Wölfin.
Der geschmeidige Übergang zwischen verschiedenen Szenen und Stilen macht einen großen Teil des Lesevergnügens dieses gleichzeitig schlichten und vielschichtigen Romans aus. Die schwermütigen Gedanken eines Mannes, der alt geworden ist, gespiegelt in dem Keuchen seines ebenfalls in die Jahre gekommenen Jagdhundes Zenta, die feinen Dialoge zwischen Ulf und Inga, die Spannung in der Jagdgesellschaft, blutige Szenen getöteter Tiere, schambesetzte Erinnerungen, Reflexionen über Wolfs-, Hasen- und Farmhunde, und nicht zuletzt die Vielzahl intertextueller Verweise auf Bücher, die in Ulfs Leben eine große Rolle gespielt haben, jetzt aber in einem ganz anderen Licht erscheinen als früher, vom „Dschungelbuch“ über Jack Londons „Ruf der Wildnis“ bis zu Turgenjews „Aufzeichnungen eines Jägers“ und Ulfs eigenen Jagdtagebüchern – all das ist auf rund 200 Seiten so kunstvoll zueinander in Beziehung gesetzt, dass es eine nachhaltige Freude ist.
Nachhaltig nicht zuletzt insofern, als die aufgeworfene Frage nach dem Umgang des Menschen mit der Natur der durchlaufende grüne Faden des Romans ist. Letztlich ist es nämlich nicht nur das emotionale Thema der Wolfs- oder Elchjagd,
das hier verhandelt wird, sondern die viel grundsätzlichere Frage, wie wir die Natur, und hier konkret den Wald, für unsere
Zwecke zurichten. Die Vorstellung von Schweden als dem Land der tiefen und unberührten Wälder korrigiert Kerstin Ekman, die nicht von ungefähr einen Ehrendoktor in Forstwirtschaft hat, zumindest gründlich: „Wald als Berge von Abfall. Reste des Industrieholzes, zu dem die Fichte geworden war. Überbleibsel eines toten Waldes.“
Etwas getrübt wird die Lektüre an manchen Stellen durch die Übersetzung. Weder erschließt sich, weshalb der Roman im Deutschen „Wolfslichter“ heißt, während er im Schwedischen auf das zugegebenermaßen schwer übertragbare „als Wolf umgehen“ anspielt. Noch gibt es einen triftigen Grund für die manchmal archaisierende Wortwahl. Bei Ekman hat der Wolf Ohren, Augen und Pfoten, nicht Gehöre, Seher und Pranken.
SOPHIE WENNERSCHEID
Der Anblick des wilden Tiers ist
für den Erzähler
ein mystisches Erlebnis
Sie geht auch der Frage nach,
wie wir mit dem Wald umgehen,
ihn zurichten für unsere Zwecke
Die Vorstellung von Schweden als dem Land der tiefen und unberührten Wälder korrigiert Kerstin Ekman gründlich.
Foto: Bodil Bergqvist
Kerstin Ekman:
Wolfslichter. Roman. Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder. Piper, München 2023.
208 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Und so zeigt der Roman ganz beiläufig auch nochmal die bewundernswerte Vielfalt und Könnerschaft, die das Werk von Kerstin Ekman auszeichnen.« NZZ am Sonntag 20230924