Ein historischer, ein phantastischer und ein sozialkritischer Roman, ein Vampirroman und große Literatur, spannend und verstörend zugleich - das ist Wolfsrudel. Und eine eindringliche Studie über Gewalt in der Geschichte und Gewalt in Jugendbanden - in den Niederlanden ein vieldiskutierter Bestseller.Irgendwann im 19. Jahrhundert in der Walachei: Angewidert vom ärmlichen Dorfleben schließt sich Ion dem »Wolfsrudel« an: einer Bande jugendlicher Räuber, die auf einer verlassenen Klosterinsel Unterschlupf findet. In der Klosterkirche stoßen die Jungen auf ein altes Fürstengrab und plündern es. Es ist das Grab von Vlad Tepes, auch Dracula genannt. Über der Aufteilung der Beute kommt es zum Streit. Das Wolfsrudel teilt sich in zwei Banden, die sich von nun an bis aufs Messer bekämpfen. Zu der einen Bande, die von Lupu, dem brutalen »Wolf«, geführt wird, gesellt sich ein alter Einsiedler. Er wird ihr Ratgeber und manipuliert sie bald schon nach seinen Wünschen. Auch die Bande von Vulpe, dem schlauen "Fuchs", hat einen solchen Ratgeber, einen alten Schäfer. Nach und nach erfahren wir, dass der Schäfer und der Einsiedler keine anderen sind als die Wiedergänger des blutrünstigen Vlad Tepes und seines gerissenen Bruders Radu, die schon im 15. Jahrhundert in den brutalen Auseinandersetzungen zwischen Ungarn und Türken auf dem Balkan Gegenspieler waren. Sie haben um die Seelen der Jungen gewettet.Ion ist entsetzt über den immer erbitterter geführten Kampf zwischen seinen alten Freunden. Er versucht, im Strudel der Gewalt nicht unterzugehen. Erschrocken spürt er auch in sich selbst die Lust am Bösen aufkeimen. Die einzige, die ihn vielleicht noch retten kann, ist die geheimnisvolle Mara...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006Und wenn du ihn einfach umbringst?
Bruderkrieg der Grabräuber: Der Tag, als Dracula zurückkehrte
Ist Ion Brebu ein Phantast, dessen Fabulierlust, vom Schnaps beflügelt, ins Unermeßliche reicht? Zu unglaublich erscheint, wovon er berichtet: von den feindlichen Brüdern Lupu und Vulpe Branistari, von denen der jüngere - Vulpe - einst sein Freund war. Und von den rivalisierenden Geschwistern Radu und Vlad Tepes, die sich vier Jahrhunderte zuvor bis auf den Tod um die Herrschaft in der Walachei stritten.
Es sind jedoch nicht allein die Bruderzwiste, die sich auf geheimnisvolle Weise in der Geschichte wiederholen, von denen Floortje Zwigtmans mehrfach preisgekrönter Roman "Wolfsrudel" erzählt, der drei Jahre nach seinem Erscheinen in den Niederlanden nun auch in deutscher Übersetzung zu haben ist. Vielmehr geht es um Verlocken und Erliegen, um die Faszination von Macht und Reichtum, um religiöse Verblendung und um Menschen, deren Habsucht sie zu Egoisten und deren Blindheit sie zu Narren macht.
Die Geister der walachischen Fürstensöhne werden wach, als die Räuberbande, der auch Ion Brebu angehört, im geheimnisumwobenen rumänischen Kloster Snagov auf der Suche nach dem sagenhaften Schatz des Vlad Tepes - auch als "Dracula" durch Geschichte und Literatur spukend - dessen Grab plündert. Das Teilen der Beute entzweit die Brüder Branistari, die einander in Selbstgefälligkeit und der Gier nach Allmacht in nichts nachstehen, nachhaltig, und auch ihre Gefolgsleute machen das Schisma mit. Aus Rivalität wird tödlicher Haß, rasch werden die abenteuerlustigen Kerle zu Mördern. Mit der ersten gewalttätigen Entgleisung geht dann auch bei Ion "im Herzen eine Tür auf, die besser geschlossen geblieben wäre".
Zu spät begreifen die unbedarften Bauernburschen, daß ihre wie aus dem Nichts aufgetauchten klugen Ratgeber - den einen ist es ein Einsiedler, den anderen ein Schafhirte - nichts anderes sind als raffinierte Verführer, die als mordlustige und rachsüchtige Wiedergänger aus finsterer Zeit ihr blutiges Spiel von einst fortsetzen: mit den Jungen als Schachfiguren, mit Menschenseelen als Wetteinsatz.
Zwigtmans drastisches Bild vom Menschen, den sie als erbärmlich leicht zu manipulieren beschreibt, ihre Schilderung eines mühelos zu weckenden Potentials an Bösartigkeit erschreckt ebenso wie ihre nicht eben zimperliche Darstellung von Gewalt in allen nur denkbaren Formen: als demütigender Aufnahmeritus, als schiere Freude am Quälen, als Töten aus Gier oder aus selbsternannter Gnade, gar aus Lust am Morden. Ihrem Ränkespiel folgt man seltsam fasziniert und mit gebannter Spannung.
Die eigenwillige Verquickung von Verbürgtem und Erdachtem zeugt von beeindruckenden historischen Detailkenntnissen ebenso wie von einer wahrhaft blühenden Phantasie. Zwigtman schöpft aus Geschichtsbüchern und Mythen des heutigen Rumänien, bedient sich bei der Fantasy- und Abenteuerliteratur, aus Gruselromanen und alten Chroniken. In der Überfülle der Ideen, Anspielungen und Symbole sowie der nicht eben geringen Zahl an Erzählsträngen und -ebenen droht sich die Geschichte gelegentlich zu verlieren wie die jungen Burschen in den Geheimgängen der dunklen Klosteranlage. Kurz bevor sich die Autorin in Unglaubwürdigkeit verstrickt, findet sie doch wieder zurück.
Der komplexen Struktur des Romans kann nur der folgen, der eng und wachsam am Text bleibt. Dadurch geht Zwigtmans Absicht zwar unter, aus der historischen Distanz auch noch Aktualität herstellen zu wollen - die zum Krieg auf dem Balkan und der anhaltenden Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen. Aber genau das hätte wohl zu jener Überfrachtung geführt, an deren Rand sich Zwigtmans verwirrende, wenngleich höchst fesselnde Parallelgeschichten ohnehin bewegen. Sie werfen auch ohne aktuellen Bezug genug spannende, auch bange Fragen auf.
Sieht man immer die Gespenster, die man selbst ins Leben ruft? Stellt sich stets das Unheil ein, das man heraufbeschwört? Sind die Blutsauger unter uns? Ion Brebus Erzählung von schwächelnden Menschen als Spielball teuflischer Mächte jedenfalls möchte man nur zögerlich glauben. Beruhigender wäre es, er wäre eben doch nur ein alkoholisierter Aufschneider mit einem Hang zu wilden Geschichten.
ELENA GEUS
Floortje Zwigtman: "Wolfsrudel". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Rolf Erdorf. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2006. 512 S., geb., 15,90 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bruderkrieg der Grabräuber: Der Tag, als Dracula zurückkehrte
Ist Ion Brebu ein Phantast, dessen Fabulierlust, vom Schnaps beflügelt, ins Unermeßliche reicht? Zu unglaublich erscheint, wovon er berichtet: von den feindlichen Brüdern Lupu und Vulpe Branistari, von denen der jüngere - Vulpe - einst sein Freund war. Und von den rivalisierenden Geschwistern Radu und Vlad Tepes, die sich vier Jahrhunderte zuvor bis auf den Tod um die Herrschaft in der Walachei stritten.
Es sind jedoch nicht allein die Bruderzwiste, die sich auf geheimnisvolle Weise in der Geschichte wiederholen, von denen Floortje Zwigtmans mehrfach preisgekrönter Roman "Wolfsrudel" erzählt, der drei Jahre nach seinem Erscheinen in den Niederlanden nun auch in deutscher Übersetzung zu haben ist. Vielmehr geht es um Verlocken und Erliegen, um die Faszination von Macht und Reichtum, um religiöse Verblendung und um Menschen, deren Habsucht sie zu Egoisten und deren Blindheit sie zu Narren macht.
Die Geister der walachischen Fürstensöhne werden wach, als die Räuberbande, der auch Ion Brebu angehört, im geheimnisumwobenen rumänischen Kloster Snagov auf der Suche nach dem sagenhaften Schatz des Vlad Tepes - auch als "Dracula" durch Geschichte und Literatur spukend - dessen Grab plündert. Das Teilen der Beute entzweit die Brüder Branistari, die einander in Selbstgefälligkeit und der Gier nach Allmacht in nichts nachstehen, nachhaltig, und auch ihre Gefolgsleute machen das Schisma mit. Aus Rivalität wird tödlicher Haß, rasch werden die abenteuerlustigen Kerle zu Mördern. Mit der ersten gewalttätigen Entgleisung geht dann auch bei Ion "im Herzen eine Tür auf, die besser geschlossen geblieben wäre".
Zu spät begreifen die unbedarften Bauernburschen, daß ihre wie aus dem Nichts aufgetauchten klugen Ratgeber - den einen ist es ein Einsiedler, den anderen ein Schafhirte - nichts anderes sind als raffinierte Verführer, die als mordlustige und rachsüchtige Wiedergänger aus finsterer Zeit ihr blutiges Spiel von einst fortsetzen: mit den Jungen als Schachfiguren, mit Menschenseelen als Wetteinsatz.
Zwigtmans drastisches Bild vom Menschen, den sie als erbärmlich leicht zu manipulieren beschreibt, ihre Schilderung eines mühelos zu weckenden Potentials an Bösartigkeit erschreckt ebenso wie ihre nicht eben zimperliche Darstellung von Gewalt in allen nur denkbaren Formen: als demütigender Aufnahmeritus, als schiere Freude am Quälen, als Töten aus Gier oder aus selbsternannter Gnade, gar aus Lust am Morden. Ihrem Ränkespiel folgt man seltsam fasziniert und mit gebannter Spannung.
Die eigenwillige Verquickung von Verbürgtem und Erdachtem zeugt von beeindruckenden historischen Detailkenntnissen ebenso wie von einer wahrhaft blühenden Phantasie. Zwigtman schöpft aus Geschichtsbüchern und Mythen des heutigen Rumänien, bedient sich bei der Fantasy- und Abenteuerliteratur, aus Gruselromanen und alten Chroniken. In der Überfülle der Ideen, Anspielungen und Symbole sowie der nicht eben geringen Zahl an Erzählsträngen und -ebenen droht sich die Geschichte gelegentlich zu verlieren wie die jungen Burschen in den Geheimgängen der dunklen Klosteranlage. Kurz bevor sich die Autorin in Unglaubwürdigkeit verstrickt, findet sie doch wieder zurück.
Der komplexen Struktur des Romans kann nur der folgen, der eng und wachsam am Text bleibt. Dadurch geht Zwigtmans Absicht zwar unter, aus der historischen Distanz auch noch Aktualität herstellen zu wollen - die zum Krieg auf dem Balkan und der anhaltenden Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen. Aber genau das hätte wohl zu jener Überfrachtung geführt, an deren Rand sich Zwigtmans verwirrende, wenngleich höchst fesselnde Parallelgeschichten ohnehin bewegen. Sie werfen auch ohne aktuellen Bezug genug spannende, auch bange Fragen auf.
Sieht man immer die Gespenster, die man selbst ins Leben ruft? Stellt sich stets das Unheil ein, das man heraufbeschwört? Sind die Blutsauger unter uns? Ion Brebus Erzählung von schwächelnden Menschen als Spielball teuflischer Mächte jedenfalls möchte man nur zögerlich glauben. Beruhigender wäre es, er wäre eben doch nur ein alkoholisierter Aufschneider mit einem Hang zu wilden Geschichten.
ELENA GEUS
Floortje Zwigtman: "Wolfsrudel". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Rolf Erdorf. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2006. 512 S., geb., 15,90 [Euro]. Ab 14 J.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Elena Geus zeigt sich durchaus beunruhigt, wenngleich vollkommen gefesselt von diesem Jugendbuch über zwei Brüder und deren Gefolge, die sich beim Grabraub des legendären Dracula in der Walachei entzweien, wobei sie sich als "Spielbälle" finsterer Mächte der Vergangenheit entpuppen. Die originelle Mischung aus Historienroman, Fantasygeschichte und Gruselliteratur macht die Anziehungskraft dieser an Ideen überquellenden Geschichte aus, meint die Rezensentin, auch wenn sie ob der zum Teil recht brutalen Schilderungen etwas verschreckt wirkt. Die niederländische Autorin verknüpft unzählige Handlungsstränge, was mitunter verwirrend ist und die Leser müssen höllisch aufpassen, nicht den Faden zu verlieren, warnt sie. Den aktuellen Bezug, den die Autorin offensichtlich auch noch im Sinn hatte, erreicht allerdings nicht mehr ganz das Bewusstsein der Leser und das ist vielleicht ganz gut so, meint Geus, denn dann wäre dieser mit mehreren Preisen ausgezeichnete Jugendroman wohl wirklich an seiner Überfülle an Motiven und Bedeutungen in die Knie gegangen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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