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Reine Liebe gilt als himmelsträchtig - Pure Wollust nur als nierderträchtig.Simon Blackburn erforscht in seinem Essay - ebenso geist- wie lustvoll - die Facetten dieses aufregenden Lasters.

Produktbeschreibung
Reine Liebe gilt als himmelsträchtig - Pure Wollust nur als nierderträchtig.Simon Blackburn erforscht in seinem Essay - ebenso geist- wie lustvoll - die Facetten dieses aufregenden Lasters.
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Autorenporträt
Simon Blackburn, geboren 1944, lehrt Philosophie in Cambridge, England. Der Schwerpunkt seiner Studien und Publikationen liegt im Bereich Ethik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2008

Körper kann man nicht begehren

Simon Blackburn will freien Sex in geschützten Schlafzimmern. Dass er dabei mit Augustinus ins Gehege kommt, heizt die Wollust des Autors nur noch mehr an.

Sie sei, so der deutsche Untertitel, "die schönste Todsünde". Neben dem Schönen gibt es bekanntlich das Wahre und das Gute. Aber die Wahrheit zu suchen, ist, wenn es sie denn überhaupt gibt, mühsam. Und das Gute zu tun, kostet oft Überwindung. Das Schöne dagegen, das vielleicht besser das Angenehme hieße, weil es nicht so sehr um das Objekt, sondern um unser Gefühl geht, das Schöne dagegen gibt unserm Leben ein Ziel, das wir ganz ohne philosophische Bildung oder sittliche Erziehung rein um seiner selbst willen verfolgen.

Und wenn wir annehmen, dass der Mensch nicht unsterbliche Seele, sondern dieses je einzelne körperliche Wesen ist, das zugleich der Gemeinschaft mit anderen Menschen bedarf, muss tatsächlich die Wollust, "das intensive, frenetische Verlangen nach den Wonnen sexueller Aktivität", das Schönste sein. Alle Menschen streben von Natur aus nach Sex, so könnte man den obersten Grundsatz der Anthropologie formulieren, die der Verlag bei seinen Lesern in augenzwinkerndem Einverständnis unterstellt. Freilich bleibt es Sünde. Das Wort ist natürlich ironisch gemeint. Aber gerade seine ironische Verwendung bekundet ein vages Schuldbewusstsein oder zumindest eine Sorge vor dem Urteil der anderen, die nicht meine maximierte Lust, sondern meine Worte und Taten loben.

Ein solches schlechtes Gewissen will Simon Blackburn den Lesern mit seinem unterhaltsamen und gebildeten Bändchen ausreden. Die Wollust habe eine schlechte Presse, gelte als schwarzes Schaf neben ihren Geschwistern Liebe und Freundschaft. Doch solche Ausgrenzung räche sich. Die Sexualisierung unserer Kommerzkultur bilde in Wahrheit die Kehrseite unserer Prüderie. Darum sei nicht nur ein Plädoyer für die Wollust bedeutsam, sondern es gelte, die Ursprünge unserer Haltung aufzudecken. In der Tradition von Foucault und Nietzsche wird eine Genealogie der abendländischen Verachtung sinnlicher Lust im Gegensatz zur Verehrung der verjüngenden und lebensspendenden Kräfte der Wollust im Osten gegeben. Wobei dem Leser die gründlichen philosophie- wie kunstgeschichtlichen Kenntnisse des Autor zugutekommen.

Der Buhmann ist Augustinus. Mit seinen "schauerlichen Ansichten", seinem "Sex-Komplex", seiner "monströsen Theologie der Erbsünde" habe er das ganze Abendland mit "Lustfeindlichkeit" infiziert. Man muss dazu sagen, dass Blackburn überhaupt bei seiner Lust zu persönlichen Invektiven wenig Selbstbeherrschung walten lässt. Freud habe "in seiner erhabenen Eitelkeit" sich keine gleichberechtigte weibliche Lust vorstellen können. Sartres "perverse" Theorie einer Angst vor dem Blick des Anderen könne nur mit seinem Aussehen erklärt werden. Und bei Kants Theorie der Ehe sei es nur gut, "dass er es selbst nie ausprobiert hat". Aber zugleich weiß Blackburn sehr gut, dass bei Augustinus platonische, manichäische, paulinische Momente zusammenkommen und dass die spätantike Gesellschaft Ohren für die Botschaft gehabt haben muss. Insbesondere wird der Stoizismus als Übergangsgestalt genannt. Seine Haltung sei es, die beiden platonischen Pferde "praktisch verhungern zu lassen".

Von spätantiken Männerkreisen ist es für Blackburn nur ein kleiner Schritt zu postmodernen Frauengruppen und ihrer Kritik von Prostitution und Pornographie, deren Aufgabe doch im Kern nichts anderes sei, als Theater zu spielen und die Einbildung zu erregen. Nichts natürlicher, als sich einen Partner vorzustellen, der Dinge so bereitwillig und so enthusiastisch tut, wie es den eignen Neigungen entspricht. Solange niemandem ein Schaden daraus erwächst, sei das alles Privatsache. Das ist zweifellos richtig, aber auch ein wenig heuchlerisch, denn das verteidigte Private hat hier bereits eine normierte Gestalt. Schließlich ist das Buch geschrieben in aufklärerischer Absicht, um uns nämlich von lustfeindlichen Vorurteilen zu befreien.

Was Blackburn will, ist eine Kompartmentalisierung des Lebens. Freien Sex in geschützten Schlafzimmern. Dagegen lässt sich Augustinus schlecht verteidigen. Wobei man zugeben sollte, dass diese Freiheit sich erst in der Anonymität der Großstadt ohne schwerwiegende soziale Störung realisieren lässt. Aber geht es nicht an der eigentlichen Neuerung des Augustinus völlig vorbei? Nicht das Natürliche zu tun sei schlecht, sondern das Geistige auf eine natürliche Weise. Auch als körperliche sind wir geistige Wesen. Es ist ja völlig richtig, dass der Gedanke der Sünde aus dem Gedanken der Selbstkontrolle hervorkommt, aber nicht wie auf einem Gefälle, sondern als Konsequenz, dass der Mensch in allen seinem Tun derselbe bleibt und - mindestens sich selbst gegenüber - rechenschaftspflichtig ist.

En passant schreibt Blackburn, dass es für den Wunsch nach Sex unterschiedlichste Gründe gebe. Das ist dann für ihn etwas Uneigentliches. Aber auch in seinen Beschreibungen gelingender Sexualität hat man durchweg den Eindruck, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht: "Wir necken Menschen, um sie unwillkürlich erröten zu machen, und wir genießen es, wenn sie durch unsere Präsenz unwillkürlich erregt werden." Der Wunsch, begehrt zu werden, sei der Wunsch, "für besser gehalten zu werden, als man in Wirklichkeit ist"; "für einen Augenblick zumindest sind wir, was zu sein wir uns einbilden". Wir nehmen im sexuellen Spiel "infantile Formen" an, aber so, dass wir uns trotzdem völlig sicher fühlen. In sadomasochistischen Spielen "äußert sich der Wunsch nach Sicherheit und Vertrauen".

Was hat das alles mit Wollust als dem "enthusiastischen Begehren des Körpers nach sexueller Aktivität um ihrer selbst willen" zu tun? Wir wollen Macht genießen oder uns erniedrigen, bewundert oder umsorgt werden. Trotz seiner Abneigung gegen Sartre meint auch Blackburn, dass Sexualität das Geheime sucht, weil es einfach zu peinlich sei, in albernen Spielen oder abstrusen Posen beobachtet zu werden. Aber warum sollte es uns peinlich sein, wenn es doch keine Sünde mehr ist? Nein, es ist uns peinlich, weil wir vor anderen nicht und nicht einmal vor uns selbst zugeben wollen, dass unsere tiefsten Wünsche und Ängste uns als einen ganz anderen zeigen, als wir vorgeben zu sein. Weit entfernt, die Lust als das Schönste zu betreiben, bleiben wir Sünder zumindest in dem Sinne, dass wir das Geistige als Natürliches behandeln und uns darin über uns selbst täuschen. Das Natürliche als Natürliches behandeln zu können setzt den paradiesischen Zustand der Liebe voraus.

GUSTAV FALKE

Simon Blackburn: "Wollust". Die schönste Todsünde. Aus dem Englischen von Matthias Wolf. Wagenbach Verlag, Berlin 2008. 144 S., 20 Abb., br., 10,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Augenzwinkern, mit dem Simon Blackburn in seinem Buch Sex als oberstes menschliches Bedürfnis und zugleich als Sünde ausgibt, ist Rezensent Gustav Falke nicht entgangen. Falke folgt dem Autor bei seinem Versuch, uns mit Hilfe philosophie- und kunstgeschichtlicher Exkurse das schlechte Gewissen auszureden. Spätantike Männerbünde wie auch postmoderne Frauengruppen würde Falke allerdings gerne in Schutz nehmen vor den Schuldzuweisungsversuchen des Autors. Nicht zuletzt auch angesichts von Blackburns Beschreibungen gelingender Sexualität wird der Rezensent den Verdacht nicht los, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht als um die Sündhaftigkeit von Wollust, nämlich um die geheimen Bedürfnisse dahinter - Macht oder Sicherheit zum Beispiel. Falke jedenfalls ahnt: Das Natürliche, nicht das Geistige, als Natürliches zu behandeln, wäre die Aufgabe; und die Liebe wäre eine Voraussetzung dafür.

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