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Die moralische Krise der Kirche ist heute nicht mehr zu leugnen. Doch bedeutet diese Krise zugleich, dass jede Orientierung an geistigen und ethischen Maßstäben, ja, die einfache Unterscheidung zwischen Gut und Böse unwiederbringlich dahin ist? Beispiele für diese These scheint es genug zu geben. - Kann nur Gott uns weiterhelfen oder gibt es, wie Umberto Eco in seinem Beitrag zeigt, auch für den Nicht-Gläubigen einen Maßstab, um das Gute vom Bösen zu unterscheiden?

Produktbeschreibung
Die moralische Krise der Kirche ist heute nicht mehr zu leugnen. Doch bedeutet diese Krise zugleich, dass jede Orientierung an geistigen und ethischen Maßstäben, ja, die einfache Unterscheidung zwischen Gut und Böse unwiederbringlich dahin ist? Beispiele für diese These scheint es genug zu geben. - Kann nur Gott uns weiterhelfen oder gibt es, wie Umberto Eco in seinem Beitrag zeigt, auch für den Nicht-Gläubigen einen Maßstab, um das Gute vom Bösen zu unterscheiden?
Autorenporträt
Carlo Maria Martini, Jahrgang 1929, Jesuit und Bibelwissenschaftler, Kardinal und langjähriger Erzbischof von Mailand.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Moral mit der Goldkante
Umberto Eco hält auch ohne Gottesglauben alle wesentlichen Fragen für geregelt / Von Hermann Kurzke

Woran glaubt, wer nicht glaubt? An irgendeine Art von Ethik, das ist der Tenor dieser in Italien 1995 und 1996 geführten Debatte. Einer stand gegen alle, der Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini gegen Umberto Eco und einen Chor namhafter Kommentatoren - Emanuele Severino, Manlio Sgalambro, Eugenio Scalfari, Indro Montanelli, Vittorio Foa und Claudio Martelli. Kardinal Martini hatte behauptet, ohne den Glauben an einen personalen Gott fehle es an einer letzten Begründung für ein moralisches Handeln, das bis zum Opfer des eigenen Lebens gehe. Im Umkehrschluß war damit gemeint: "Eine gute Handlung, die gesetzt wird, weil sie gut ist, enthält eine Bejahung der Transzendenz."

Dagegen wollen nun die übrigen Beteiligten eine laizistische Ethik aufstellen, die auf eine Begründung im Absoluten verzichtet. Allzuviel kommt dabei nicht heraus, denn irgendwie stehen doch alle (bis auf den quertreiberischen, aber sich in seinen eigenen Paradoxen verstrickenden Sgalambro) in der christlichen Tradition, billigen die Zehn Gebote und die Nächstenliebe und fragen sich lediglich, ob dieser ihr Glaube nicht aus biologischen, soziologischen oder sonstwie logischen Prämissen hergeleitet werden könne statt aus religiösen. Meistens liegen ihren Antworten irgendeine Version der goldenen Regel zugrunde: Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Das ist nicht gerade neu. Der moralphilosophische Diskurs ist schon schärfer geführt worden. Nicht einmal das Radikalitätsniveau von George Bernard Shaw wird erreicht ("Behandle die anderen nicht so, wie du selbst behandelt werden möchtest. Es könnte sein, daß sie nicht denselben Geschmack haben"), geschweige denn die Hochebene Friedrich Nietzsches.

Der Diskussion mangelt die Bereitschaft, einander weh zu tun, und die ist nun einmal von Kritik, die treffen will, unabtrennbar. Der Tonfall ist grandseigneural, gelehrt und von ehrwürdiger Umständlichkeit. Das Durchschnittsalter der Beiträger liegt bei fünfundsiebzig Jahren. Am meisten Unterhaltung hat man noch bei Eco, der in seinen Briefen an Martini auf witzige Weise die Kirchenväter und die mittelalterliche Scholastik zu zitieren weiß, unter häufiger Verwendung der Demutsformel "Aber das wissen Sie ja besser", und den Kardinal damit zwingt, das Spiel mitzuspielen, obgleich es gar nicht seines ist und er gerne viel moderner wäre.

Woran glaubt, wer nicht glaubt? Die Frage bleibt auf der Tagesordnung. "Wo keine Götter sind, walten Gespenster", antwortete seinerzeit Novalis. Aber auch das ist vielleicht zu simpel. Der Glaube der "Gläubigen" ist oft nur ein Sprachspiel, und wenn es ernst wird, haben sie die gleichen Schwierigkeiten wie die "Ungläubigen". Diese haben es in einer Hinsicht sogar ein bißchen leichter, nämlich in stilistischer. Sie wirken ehrlicher, weil sie ihren Unglauben bekennen. Sie dürfen sogar pathetisch sein (was man den "Gläubigen" längst nicht mehr abnimmt) und, wenn ihre katholischen Kindheiten sie nostalgisch anfallen, Christus preisen, wie es Eco unterläuft, als Modell der universalen Liebe, der Vergebung für die Feinde und des zur Rettung der anderen geopferten Lebens. Selbst wenn, so expliziert sich der große Autor der Postmoderne, Christus nur das Sujet einer großen Erzählung wäre, wäre die Erdichtung dieser Erzählung genauso wunderbar und geheimnisvoll, "wie daß der Sohn eines wirklichen Gottes wahrhaftig Mensch geworden sein soll". Martini geht leider auf diesen Satz nicht ein. Wollte man auf Eco eine postmoderne Kirche gründen, dann müßte es eine Kirche der Ungläubigen sein, die nicht Dogmen verkündet, sondern Mythen kultiviert.

Carlo Maria Martini, Umberto Eco: "Woran glaubt, wer nicht glaubt?" Mit einem Vorwort von Kardinal Franz König und Beiträgen von Emanuele Severino, Manlio Sgalambro, Eugenio Scalfari, Indro Montanelli, Vittorio Foa und Claudio Martelli. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber und Karl Pichler. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1998. 160 S., geb., 24,- DM.

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