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Produktdetails
  • Verlag: Princeton University Press
  • Seitenzahl: 760
  • Erscheinungstermin: 11. Dezember 2013
  • Englisch
  • Abmessung: 242mm x 145mm x 51mm
  • Gewicht: 1232g
  • ISBN-13: 9780691155678
  • ISBN-10: 0691155674
  • Artikelnr.: 36844167
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2013

Historische Verspätung ist noch lange kein Grund zur Verzweiflung
Ohne Masterpläne geht's auch: Jeremy Adelman folgt dem Lebensweg des vor kurzem verstorbenen politischen Ökonomen und Sozialwissenschaftlers Albert O. Hirschman

Als Albert O. Hirschman im vergangenen Dezember im Alter von 97 Jahren verstarb (F.A.Z. vom 15. Dezember 2012), rühmten die Nachrufe seinen unorthodoxen Geist, sein Grenzgängertum sowie die von ihm praktizierte Verbindung intellektueller Interessen mit mutigem politischem Engagement. In gegenwärtigen Zeiten mutet Hirschmans Werdegang ausgesprochen abenteuerlich an. Jeremy Adelmans Biographie bietet eine vorzüglich geschriebene und reflektierte Darstellung des kurvenreichen Lebens dieses Gelehrten, dessen intellektuelle Odyssee stark durch die politischen Turbulenzen des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt wurde.

Hirschman, der protestantisch getaufte Sohn eines jüdischen Chirurgen und Absolvent des Berliner Französischen Gymnasiums, floh kurz nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten aus Deutschland. Er studierte Wirtschaftswissenschaften in Paris und London, kämpfte auf republikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg und landete schließlich in Triest, wo er promoviert wurde und sich in der antifaschistischen Arbeit engagierte.

Als in Italien 1938 Rassengesetze erlassen wurden, ging er wieder nach Frankreich. Im nicht besetzten Teil des Landes half er dem amerikanischen Journalisten Varian Fry, deutschen Emigranten die Flucht aus Europa zu ermöglichen. Hirschman selbst gelangte schließlich über Spanien und Portugal in die Vereinigten Staaten, schrieb mit Hilfe eines Forschungsstipendiums in Berkeley sein erstes Buch zum Thema "National Power and the Structure of Foreign Trade", um danach als amerikanischer Soldat zu Einsätzen in Italien und Nordafrika zurückzukehren. Er diente vor allem als Übersetzer und schaffte es in dieser Funktion auf die Titelseite der "New York Times": Eine außergewöhnliche Fotografie zeigt Hirschman, wie er intensiv den der Ermordung von Kriegsgefangenen angeklagten (und später zum Tode verurteilten) Wehrmachtsgeneral Anton Dostler anblickt, für den er im ersten Kriegsverbrechertribunal der Alliierten übersetzte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er für sechs Jahre in Washington am Federal Reserve Board. Im Zentrum seiner Beschäftigung stand die Analyse der wirtschaftlichen Lage im Nachkriegs-Westeuropa. Dem Marshall-Plan stand er kritisch gegenüber, zugleich konzedierte er im Rückblick, dieser habe die Not vieler Menschen gelindert. Durch seine Verbindungen zu Organisationen wie der Weltbank begann er sich für die aufkommende Entwicklungsproblematik zu interessieren. Ein Augenöffner war, wie Adelman berichtet, ein Vortrag seines späteren Harvard-Kollegen Alexander Gerschenkron über "Ökonomische Rückständigkeit in historischer Perspektive", der argumentierte, dass Gesellschaften nicht notwendigerweise identischen Pfaden der Entwicklung zu folgen hätten, um erfolgreich zu sein.

"Rückständigkeit" konnte demnach durchaus ein Vorzug sein, und "historische Verspätung" stellte weder einen Grund zur Verzweiflung dar, noch musste daraus die Motivation entstehen, durch ambitionierte Pläne den Status quo gleichsam mit Gewalt zu überwinden. Diese Einsichten finden sich in späteren Studien Hirschmans zur Entwicklungsökonomik, die ihn neben Arthur Lewis und Raúl Prebisch zu einem der führenden Vertreter dieser jungen Teildisziplin machten.

1951 folgte er der Einladung der Weltbank, in Kolumbien als wirtschaftspolitischer Berater zu wirken. Seine Motive für diesen Schritt waren vielfältig. Seine zunehmende Frustration über seine Arbeit in der Zentralbank verknüpfte sich mit wachsender Sorge über die antikommunistische Hysterie in den Vereinigten Staaten. Hirschman wusste, dass er im Fokus der amerikanischen Sicherheitsbehörden stand. In einem vorzüglichen kürzeren Kapitel zur "Biographie einer Akte" sinniert Adelman über die beim FBI über Hirschman geführte Datei - "ein trauriger Ausdruck der Macht von Andeutungen und Paranoia" - und rekonstruiert die Versuche der Behörde, dessen Loyalität zu prüfen.

Hirschmans frühere Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Jugendbewegung und sein Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg machten ihn sogleich der kommunistischen Sympathien verdächtig. Der "Schatten" des FBI, schreibt Adelman, habe Hirschman häufig geplagt und gelegentlich zur Verzweiflung getrieben, "am Ende aber verlor er niemals seine Fähigkeit, das Beste aus einer schwierigen Situation zu machen".

1966, als Hirschmans Akte beim FBI geschlossen wurde, wirkte er, nach Stationen in Yale und der New Yorker Columbia-Universität, bereits seit zwei Jahren als Wirtschaftsprofessor in Harvard. Sein Weg von der Beratertätigkeit in Kolumbien zu akademischen Eliteeinrichtungen stand unter dem Zeichen der "Development Trilogy", drei Studien, die Konzepte und Praktiken von Entwicklung vornehmlich im lateinamerikanischen Kontext beleuchteten. Wie Adelman hervorhebt, distanzierte sich Hirschman von den Haupttrends in der ökonomischen Forschung mit ihrer Vorliebe für Modelle und Mathematik und setzte auf einen breiten sozialwissenschaftlichen Ansatz sowie auf ein lakonische Prosa.

Eklektizismus und das Überschreiten disziplinärer Grenzen wurden zu seinen Markenzeichen; praktische Beispiele dienten ihm immer als Gegengift zu übergreifenden Theorien. Sein Denken basierte nicht zuletzt auf dem, was er "petites pensées" nannte. Sein bekanntestes Buch "Exit, Voice, and Loyalty" etwa nahm seinen Ausgang in Beobachtungen zur nigerianischen Eisenbahn, die trotz der Konkurrenz durch Lastwagen schlecht wirtschaftete und Kunden vor den Kopf stieß.

Die Jahre am Institute for Advanced Studies in Princeton, Hirschmans letzter akademischer Station, waren geprägt durch sein Bemühen, die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Analyse in einen größeren historischen Kontext zu stellen. Er glaubte, so Adelman, dass die Trennungslinie zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, zwischen Optimismus und Pessimismus in die Irre führe. Warum, fragte sich Hirschman, denken Sozialwissenschaftler, "dass immer nur eine Sache passieren muss, und alles andere werde sich damit verknüpfen, und dann werde alles gut". Seine Lösung bestand in einer Art "Rückzug in die Geschichte": Er las die politischen Philosophen und Ökonomen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts auf der Suche nach frühen Formen des Nachdenkens über Kapitalismus und Demokratie.

Es steht zu hoffen, dass Hirschman wieder- oder neuentdeckt wird. Die Tatsache, dass der Mainstream ökonomischen Denkens seit der Finanzkrise beträchtlich unter Druck geraten ist, mag dabei helfen. Jeremy Adelmans beeindruckendes Buch bietet für eine solche Wiederentdeckung eine ausgezeichnete Grundlage.

ANDREAS ECKERT.

Jeremy Adelman: "Worldly Philosopher". The Odyssey of Albert O. Hirschman.

Princeton University Press, Princeton und London 2013. 755 S., geb., Abb., 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"[A] biography worthy of the man. Adelman brilliantly and beautifully brings Hirschman to life, giving us an unforgettable portrait of one of the twentieth century's most extraordinary intellectuals. . . . [M]agnificent."--Malcolm Gladwell, New Yorker