Kriege und Konflikte erschüttern die Welt. Doch wie steht es um die Chance auf Frieden? Als Konfliktforscher und ehemaliger UN-Waffeninspekteur ist Jan van Aken ausgewiesener Kenner der Materie. Er fragt: Was können wir aus früheren Kriegen und Konflikten lernen, welche Dynamiken und Werkzeuge sind notwendig, damit verfeindete Akteure miteinander sprechen und friedliche Lösungen möglich werden? Jan van Aken verwebt gekonnt neueste Erkenntnisse der Friedensforschung mit Geschichten und Beispielen aus dem wirklichen Leben, um die unterschiedlichsten Mittel und Wege einer friedlichen Konfliktlösung aufzuzeigen. Er beschreibt, wie Sanktionen funktionieren könnten, dass Krisenprävention möglich ist und welche Rolle die Weltgemeinschaft oder auch die Naturwissenschaften spielen könnten. Ein spannender, kenntnisreicher und persönlich verbriefter Blick hinter die Kulissen diplomatischer Friedensfindungsprozesse sowie eine Mut machende Erinnerung daran, dass eine Chance auf Frieden immer besteht.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Claus Leggewie hält wenig von diesem Buch, dessen Autor Jan van Aken zwar politisch zu den Gegnern Sahra Wagenknechts zählt, der hier jedoch, durchaus wagenknechtartig, einem wenig hilfreichen altmodischen Begriff von Pazifismus anhängt. Dabei hat van Aken, gesteht Leggewie ein, praktische Erfahrung zum Thema aufzuweisen, unter anderem arbeitete der Linkspartei-Politiker als Biowaffeninspekteur bei den Vereinten Nationen. Tatsächlich ist das Buch dann lehrreich, findet Leggewie, wenn es auf die praktischen Probleme von Friedensverhandlungen hinweist. Gleichzeitig jedoch ärgert sich der Rezensent darüber, dass van Aken neuere wissenschaftliche Beiträge zur Konfliktforschung ebenso ignoriert wie, vor allem, eine veränderte Weltlage, die durch die russische Aggression und einen sich atomar bewaffnenden Iran geprägt ist. Wer wie van Aken immer noch vor allem dahingehend argumentiert, dass Putin nicht provoziert werden soll, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt, diagnostiziert Leggewie, der dem Autor abschließend eine zynische Verkennung des Leids der Ukrainer vorwirft.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2024Der Friedenspfad, der an Russlands Grenze endet
Der Linkenpolitiker Jan van Aken weiß viel über internationale Konflikte. Aber über den Imperator im Kreml weiß er zu wenig.
Sahra Wagenknecht wird in diesem Buch nicht gedankt und sie wird auch nicht zitiert. Für Jan van Aken ist sie eine Spalterin und Verderberin der Linkspartei, deren Vorsitz der Autor jetzt anstrebt, und eine Populistin, die mit Phrasen wie „Krieg oder Frieden – Sie haben die Wahl“ argumentfrei am rechten Rand Stimmen fischt. Ihre Bewunderer sollten sein Buch dringend lesen, meint er, damit die Forderungen nach Verhandlungen ein Stück substanzieller würden. Doch dieses Buch überzeugt nicht, dass van Akens vorgeschlagener Weg viel aussichtsreicher ist.
Jan van Aken, 1961 in Hamburg geborener Biologe, Friedensaktivist seit jungen Jahren, 2004 bis 2006 Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen, langjähriger Abgeordneter der Linken im Bundestag, heute Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Parteichef in spe der Rest-Linken, nutzt für sein Plädoyer „Worte statt Waffen“ diese vielfältige Praxiserfahrung. Die historische Forschung (zuletzt Jörg Leonhards „Zehn Thesen über Kriege und wie man sie beendet“, C.H. Beck 2023“) übergeht er, Resultate der sozialwissenschaftlichen Friedensforschung fließen nur gelegentlich ein. Mit Philosophen wie Jürgen Habermas oder Michael Walzer, die kontrovers über gerechte Kriege nachdenken, beschäftigt er sich nicht, die intensive Debatte zur Wiederkehr des Angriffskriegs seit 2014/2022 streift er nur implizit.
Aus dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, dem er lange angehörte, hat er nur mitgebracht, dass dort zivile Lösungen „gar nicht mehr denkbar“ waren, seine Kollegen hatten angeblich „nur Panzer im Kopf“. Den Rezensenten, der die UN-Mission im Irak 1991, die Intervention im jugoslawischen Nachfolgekrieg 1992 ff., von Beginn an angemessene Waffenlieferungen an die Ukraine und immer das Recht Israels auf Selbstverteidigung unterstützt hat, dürfte er als „Bellizisten“ brandmarken.
Ein Kriegstreiber bin ich zuallerletzt, und wer ist nicht selbstverständlich für „den Frieden“ (in der Ukraine, in Palästina, im Sudan et cetera) und für „Verhandlungen“? Da van Aken zahlreiche Beispiele für Verhandlungen aus seiner Praxis beschreibt, kann ich sein Buch empfehlen, weil es der bisher fruchtlosen Sehnsucht nach einem Ende der laufenden Kriege (etwas) mehr Empirie und Wahrscheinlichkeit verleiht und nicht im Ungefähren bleibt. In der Ukraine-Frage schummelt er sich nicht um die Frage herum, wer Aggressor und wer Verteidiger ist, wer Täter und Opfer.
Der Autor lässt in 15 Kapiteln UN-Blauhelm-Missionen, Waffeninspektionen und diverse Abrüstungsinitiativen Revue passieren, er präsentiert Beispiele lokaler Konfliktbearbeitung, skizziert die Widersprüche von Waffenexporten, behandelt Desinformationskampagnen und prüft die (begrenzten) Möglichkeiten von Sanktionen. Das ist erfahrungsgesättigt, materialreich und instruktiv, wenn auch nicht immer auf der Höhe differenzierterer Forschungen. Und van Aken wird konkret, wo Radikalpazifisten und Kriegsparteien stets schweigen: Was ist erforderlich für den Beginn unwahrscheinlicher Friedensverhandlungen, wie können solche aussichtsreich geführt werden, wie könnte beides für die aktuellen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten aussehen?
Was dazu vor allem fehlt, ist freilich ein ernst gemeintes Engagement der russischen Seite, die sich auch über van Akens Bemühungen weiter mordend hinwegsetzt. Die von der Schweiz im vergangenen Juni auf dem Bürgenstock organisierte hochrangige Konferenz zum Frieden in der Ukraine hat Russland ebenso ignoriert wie die Gesprächsfäden, die nach China, Indien und Südafrika oder auch zur Türkei und den Golfstaaten bestehen. Dazu findet sich in diesem Buch wenig. Doch die Instrumentarien und Dynamiken, die van Aken ins Feld führt, greifen nicht ohne die Aussicht einer empfindlichen Niederlage der russischen Armee, nicht ohne eine aufkommende Kriegsmüdigkeit der russischen Mehrheitsbevölkerung und ohne eine nachhaltige Irritation der russischen Nomenklatura. Über Frieden mit Putin kann eigentlich nicht schreiben, wer die russische Seite so wenig kennt und analysiert. Auch van Aken bleibt der Einschätzung verhaftet, man dürfe Russland und Putin, der „rote Linien“ zieht, nicht zu sehr reizen. Dieses Mantra hat die notwendige Unterstützung der Ukraine verzögert, statt Putin ukrainische Verteidigungsoperationen auf russischem Territorium anzudrohen, die militärische Anlagen empfindlich treffen können und den Krieg nach Russland tragen. Erst vor diesem Risiko könnte Putin Interesse an Verhandlungen zeigen.
Van Akens Wunsch, die Bundesrepublik Deutschland solle (wieder) eine aktiv friedensstiftende Nation sein, überschätzt unsere Möglichkeiten kolossal. Sein Maßstab ist die Friedensbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre, die er idealisiert und zurücksehnt. Die litt jedoch unter der Fixierung auf die Stationierung US-amerikanischer Raketen, ignorierte die andere Seite des Kalten Krieges und nahm deren aktive Zuneigung hin. Wer auf eine analoge Bewegung „von unten“ setzt, verkennt den Epochenwandel, mit dem ein neoimperiales Russland die auf Gleichgewicht und wechselseitige Abschreckung ausgerichtete Ordnung bewusst zerstört hat, mit der des Weiteren Iran (dessen deklariertes Ziel die Auslöschung des Staates Israel ist) zur Atommacht heranwächst und sich eine von China geführte Allianz westlichen Werten und Institutionen entfremdet. Wenn sich die Ziele und Methoden der Kriegsführung derart ändern, muss sich auch die Friedenssicherung verändern.
Die best practices, die van Aken vorstellt, greifen (leider!) kaum noch. „Worte statt Waffen“ ist eine populäre Phrase, die eine akute Bedrohung Europas und der Welt durch die Russische Föderation verharmlost. Zynisch wird sie, wenn sie das Leid der ukrainischen Soldaten und Zivilisten ins Feld führt und diese indirekt zur Kapitulation auffordert, damit wir unseren Frieden haben.
CLAUS LEGGEWIE
Claus Leggewie ist Politikwissenschaftler und Inhaber der Ludwig-Börne-Professur an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Van Aken will
mit seiner Expertise
Co-Chef der Linken werden
Jan van Aken:
Worte statt Waffen.
Wie Kriege enden und Frieden verhandelt
werden kann.
Econ-Verlag,
Hamburg 2024.
304 Seiten, 22,99 Euro.
E-Book: 18,99 Euro.
Ein Anfang? Die Friedenskonferenz in Bürgenstock im Juni.
Foto: Michael Buholzer/AFP
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Der Linkenpolitiker Jan van Aken weiß viel über internationale Konflikte. Aber über den Imperator im Kreml weiß er zu wenig.
Sahra Wagenknecht wird in diesem Buch nicht gedankt und sie wird auch nicht zitiert. Für Jan van Aken ist sie eine Spalterin und Verderberin der Linkspartei, deren Vorsitz der Autor jetzt anstrebt, und eine Populistin, die mit Phrasen wie „Krieg oder Frieden – Sie haben die Wahl“ argumentfrei am rechten Rand Stimmen fischt. Ihre Bewunderer sollten sein Buch dringend lesen, meint er, damit die Forderungen nach Verhandlungen ein Stück substanzieller würden. Doch dieses Buch überzeugt nicht, dass van Akens vorgeschlagener Weg viel aussichtsreicher ist.
Jan van Aken, 1961 in Hamburg geborener Biologe, Friedensaktivist seit jungen Jahren, 2004 bis 2006 Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen, langjähriger Abgeordneter der Linken im Bundestag, heute Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Parteichef in spe der Rest-Linken, nutzt für sein Plädoyer „Worte statt Waffen“ diese vielfältige Praxiserfahrung. Die historische Forschung (zuletzt Jörg Leonhards „Zehn Thesen über Kriege und wie man sie beendet“, C.H. Beck 2023“) übergeht er, Resultate der sozialwissenschaftlichen Friedensforschung fließen nur gelegentlich ein. Mit Philosophen wie Jürgen Habermas oder Michael Walzer, die kontrovers über gerechte Kriege nachdenken, beschäftigt er sich nicht, die intensive Debatte zur Wiederkehr des Angriffskriegs seit 2014/2022 streift er nur implizit.
Aus dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, dem er lange angehörte, hat er nur mitgebracht, dass dort zivile Lösungen „gar nicht mehr denkbar“ waren, seine Kollegen hatten angeblich „nur Panzer im Kopf“. Den Rezensenten, der die UN-Mission im Irak 1991, die Intervention im jugoslawischen Nachfolgekrieg 1992 ff., von Beginn an angemessene Waffenlieferungen an die Ukraine und immer das Recht Israels auf Selbstverteidigung unterstützt hat, dürfte er als „Bellizisten“ brandmarken.
Ein Kriegstreiber bin ich zuallerletzt, und wer ist nicht selbstverständlich für „den Frieden“ (in der Ukraine, in Palästina, im Sudan et cetera) und für „Verhandlungen“? Da van Aken zahlreiche Beispiele für Verhandlungen aus seiner Praxis beschreibt, kann ich sein Buch empfehlen, weil es der bisher fruchtlosen Sehnsucht nach einem Ende der laufenden Kriege (etwas) mehr Empirie und Wahrscheinlichkeit verleiht und nicht im Ungefähren bleibt. In der Ukraine-Frage schummelt er sich nicht um die Frage herum, wer Aggressor und wer Verteidiger ist, wer Täter und Opfer.
Der Autor lässt in 15 Kapiteln UN-Blauhelm-Missionen, Waffeninspektionen und diverse Abrüstungsinitiativen Revue passieren, er präsentiert Beispiele lokaler Konfliktbearbeitung, skizziert die Widersprüche von Waffenexporten, behandelt Desinformationskampagnen und prüft die (begrenzten) Möglichkeiten von Sanktionen. Das ist erfahrungsgesättigt, materialreich und instruktiv, wenn auch nicht immer auf der Höhe differenzierterer Forschungen. Und van Aken wird konkret, wo Radikalpazifisten und Kriegsparteien stets schweigen: Was ist erforderlich für den Beginn unwahrscheinlicher Friedensverhandlungen, wie können solche aussichtsreich geführt werden, wie könnte beides für die aktuellen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten aussehen?
Was dazu vor allem fehlt, ist freilich ein ernst gemeintes Engagement der russischen Seite, die sich auch über van Akens Bemühungen weiter mordend hinwegsetzt. Die von der Schweiz im vergangenen Juni auf dem Bürgenstock organisierte hochrangige Konferenz zum Frieden in der Ukraine hat Russland ebenso ignoriert wie die Gesprächsfäden, die nach China, Indien und Südafrika oder auch zur Türkei und den Golfstaaten bestehen. Dazu findet sich in diesem Buch wenig. Doch die Instrumentarien und Dynamiken, die van Aken ins Feld führt, greifen nicht ohne die Aussicht einer empfindlichen Niederlage der russischen Armee, nicht ohne eine aufkommende Kriegsmüdigkeit der russischen Mehrheitsbevölkerung und ohne eine nachhaltige Irritation der russischen Nomenklatura. Über Frieden mit Putin kann eigentlich nicht schreiben, wer die russische Seite so wenig kennt und analysiert. Auch van Aken bleibt der Einschätzung verhaftet, man dürfe Russland und Putin, der „rote Linien“ zieht, nicht zu sehr reizen. Dieses Mantra hat die notwendige Unterstützung der Ukraine verzögert, statt Putin ukrainische Verteidigungsoperationen auf russischem Territorium anzudrohen, die militärische Anlagen empfindlich treffen können und den Krieg nach Russland tragen. Erst vor diesem Risiko könnte Putin Interesse an Verhandlungen zeigen.
Van Akens Wunsch, die Bundesrepublik Deutschland solle (wieder) eine aktiv friedensstiftende Nation sein, überschätzt unsere Möglichkeiten kolossal. Sein Maßstab ist die Friedensbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre, die er idealisiert und zurücksehnt. Die litt jedoch unter der Fixierung auf die Stationierung US-amerikanischer Raketen, ignorierte die andere Seite des Kalten Krieges und nahm deren aktive Zuneigung hin. Wer auf eine analoge Bewegung „von unten“ setzt, verkennt den Epochenwandel, mit dem ein neoimperiales Russland die auf Gleichgewicht und wechselseitige Abschreckung ausgerichtete Ordnung bewusst zerstört hat, mit der des Weiteren Iran (dessen deklariertes Ziel die Auslöschung des Staates Israel ist) zur Atommacht heranwächst und sich eine von China geführte Allianz westlichen Werten und Institutionen entfremdet. Wenn sich die Ziele und Methoden der Kriegsführung derart ändern, muss sich auch die Friedenssicherung verändern.
Die best practices, die van Aken vorstellt, greifen (leider!) kaum noch. „Worte statt Waffen“ ist eine populäre Phrase, die eine akute Bedrohung Europas und der Welt durch die Russische Föderation verharmlost. Zynisch wird sie, wenn sie das Leid der ukrainischen Soldaten und Zivilisten ins Feld führt und diese indirekt zur Kapitulation auffordert, damit wir unseren Frieden haben.
CLAUS LEGGEWIE
Claus Leggewie ist Politikwissenschaftler und Inhaber der Ludwig-Börne-Professur an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Van Aken will
mit seiner Expertise
Co-Chef der Linken werden
Jan van Aken:
Worte statt Waffen.
Wie Kriege enden und Frieden verhandelt
werden kann.
Econ-Verlag,
Hamburg 2024.
304 Seiten, 22,99 Euro.
E-Book: 18,99 Euro.
Ein Anfang? Die Friedenskonferenz in Bürgenstock im Juni.
Foto: Michael Buholzer/AFP
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