Chanda Kabelo hat Träume. Sie will Lehrerin werden oder Ärztin, und sie will die Welt sehen. Doch die Realität sieht anders aus. Ihre Mutter ist krank, ihre kleine Schwester spielt verrückt und ihre beste Freundin hat riesige Probleme. Überall um Chanda herum sterben Menschen und keiner spricht über den Grund. Sie weiß, dass Aids die Ursache all der Lügen und Ängste ist, doch hat sie die Kraft und den Mut, für die Menschen, die sie liebt, einzustehen?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2006Trotzdem träumen
Leben mit Aids: Allan Stratton räumt in der Afrika-Schublade auf
Dtv Pocket - das waren Taschenbücher, die mit rotem Querbalken in der oberen rechten Ecke westdeutschen Teenagern individuelle und gesellschaftliche Probleme aus aller Welt nahebrachten. Diese Bücher gehörten während der achtziger Jahre zum Schülerleben wie Demos der Schülermitverwaltung gegen den Atomkrieg. Mit neuem Layout und dem bewährten Konzept, viele international bereits ausgezeichnete Jugendromane durch Übersetzungen zugänglich zu machen, ist Dtv Pocket aber bis heute aktuell.
Auch der Roman "Worüber keiner spricht" des kanadischen Schauspielers und Dramatikers Allan Stratton ist in dieser Reihe erschienen. Darin erzählt die sechzehn Jahre alte Chanda aus einem südafrikanischen Armenviertel von dem in ihrer Community allgegenwärtigen, ängstlich totgeschwiegenen Aids-Virus.
In der westlichen Gesellschaft hat das Interesse an der Krankheit ebenso wie das Gefühl eigener Gefährdung abgenommen. Gewachsen ist die Neigung, HIV und Aids-Waisen zusammen mit Hungersnot, Bürgerkrieg und Flüchtlingskarawanen im Gedächtnis in der Afrika-Schublade abzulegen. Allan Stratton individualisiert afrikanische Schicksale und nimmt ihnen die Passivität, die viele Berichte vom Schwarzen Kontinent durchzieht. Chanda kämpft - zuallererst gegen die eigene Angst, als ihre kränkliche jüngste Schwester stirbt und ihre tatkräftige Mutter plötzlich an mysteriösen Beschwerden leidet. Dann dagegen, daß jemand etwas davon merkt und sie zu Ausgestoßenen werden, die in dem gewalttätigen Klima schnell Freiwild sind. Schließlich aber nutzt sie ihre Energie, um sich gegen den sozialen Druck zu stellen, und findet Verbündete, wo sie sie nicht vermutet.
Am Ende hängt eine Art Patchworkfamilie von ihrem Job als Aushilfslehrerin in einer Grundschule ab. Zukunftspläne müssen warten. Chandas Mutter Lilian, die sich bei allen Härten ihren Humor bewahrt hat, und der Lehrer Mr. Selalame sind ihre Vorbilder. Männer kommen in dem Roman insgesamt weniger gut weg, sie sind verantwortungslose Alkoholiker, gewalttätig und tragen die Hauptschuld an der Ausbreitung des Virus. Die Frauen der Community beurteilt die Erzählerin in der Regel mit Verständnis, selbst wenn sie vollkommen auf den Hund gekommen sind wie die Streunerin Mary.
Der Leitsatz "Träume gelten für ein ganzes Leben", der die junge Frau aufrichtet, klingt ein wenig zu amerikanisch-pathetisch. Ansonsten ist das Buch aber glücklicherweise frei von Sozialkitsch, trotz des bitteren Themas nicht ohne amüsante Beschreibungen des Alltags und vermeidet effektheischende Detailbeschreibungen von Vergewaltigung und Mord. In schönem Kontrast zur trotzdem nicht verschwiegenen Gewalt und den vielfältigen Bedrohungen im Viertel stehen vor allem die kleinen häuslichen Streitereien zwischen Chanda und ihren jüngeren Geschwistern Soly und Iris, die Inseln der Normalität inmitten der Familienkatastrophe bilden.
ANNETTE ZERPNER
Allan Stratton: "Worüber keiner spricht". Aus dem Englischen übersetzt von Heike Brandt. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 272 S., br., 7,50 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Leben mit Aids: Allan Stratton räumt in der Afrika-Schublade auf
Dtv Pocket - das waren Taschenbücher, die mit rotem Querbalken in der oberen rechten Ecke westdeutschen Teenagern individuelle und gesellschaftliche Probleme aus aller Welt nahebrachten. Diese Bücher gehörten während der achtziger Jahre zum Schülerleben wie Demos der Schülermitverwaltung gegen den Atomkrieg. Mit neuem Layout und dem bewährten Konzept, viele international bereits ausgezeichnete Jugendromane durch Übersetzungen zugänglich zu machen, ist Dtv Pocket aber bis heute aktuell.
Auch der Roman "Worüber keiner spricht" des kanadischen Schauspielers und Dramatikers Allan Stratton ist in dieser Reihe erschienen. Darin erzählt die sechzehn Jahre alte Chanda aus einem südafrikanischen Armenviertel von dem in ihrer Community allgegenwärtigen, ängstlich totgeschwiegenen Aids-Virus.
In der westlichen Gesellschaft hat das Interesse an der Krankheit ebenso wie das Gefühl eigener Gefährdung abgenommen. Gewachsen ist die Neigung, HIV und Aids-Waisen zusammen mit Hungersnot, Bürgerkrieg und Flüchtlingskarawanen im Gedächtnis in der Afrika-Schublade abzulegen. Allan Stratton individualisiert afrikanische Schicksale und nimmt ihnen die Passivität, die viele Berichte vom Schwarzen Kontinent durchzieht. Chanda kämpft - zuallererst gegen die eigene Angst, als ihre kränkliche jüngste Schwester stirbt und ihre tatkräftige Mutter plötzlich an mysteriösen Beschwerden leidet. Dann dagegen, daß jemand etwas davon merkt und sie zu Ausgestoßenen werden, die in dem gewalttätigen Klima schnell Freiwild sind. Schließlich aber nutzt sie ihre Energie, um sich gegen den sozialen Druck zu stellen, und findet Verbündete, wo sie sie nicht vermutet.
Am Ende hängt eine Art Patchworkfamilie von ihrem Job als Aushilfslehrerin in einer Grundschule ab. Zukunftspläne müssen warten. Chandas Mutter Lilian, die sich bei allen Härten ihren Humor bewahrt hat, und der Lehrer Mr. Selalame sind ihre Vorbilder. Männer kommen in dem Roman insgesamt weniger gut weg, sie sind verantwortungslose Alkoholiker, gewalttätig und tragen die Hauptschuld an der Ausbreitung des Virus. Die Frauen der Community beurteilt die Erzählerin in der Regel mit Verständnis, selbst wenn sie vollkommen auf den Hund gekommen sind wie die Streunerin Mary.
Der Leitsatz "Träume gelten für ein ganzes Leben", der die junge Frau aufrichtet, klingt ein wenig zu amerikanisch-pathetisch. Ansonsten ist das Buch aber glücklicherweise frei von Sozialkitsch, trotz des bitteren Themas nicht ohne amüsante Beschreibungen des Alltags und vermeidet effektheischende Detailbeschreibungen von Vergewaltigung und Mord. In schönem Kontrast zur trotzdem nicht verschwiegenen Gewalt und den vielfältigen Bedrohungen im Viertel stehen vor allem die kleinen häuslichen Streitereien zwischen Chanda und ihren jüngeren Geschwistern Soly und Iris, die Inseln der Normalität inmitten der Familienkatastrophe bilden.
ANNETTE ZERPNER
Allan Stratton: "Worüber keiner spricht". Aus dem Englischen übersetzt von Heike Brandt. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 272 S., br., 7,50 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Gleichermaßen voller Schmerz und voller Kraft – genau wie es sein sollte. Außerordentlich literarisch!«
Michael Morpurgo
»Niemand kann diese Geschichte lesen und unberührt bleiben.«
Stephen Lewis, UN-Beauftragter für HIV/AIDS in Afrika
Michael Morpurgo
»Niemand kann diese Geschichte lesen und unberührt bleiben.«
Stephen Lewis, UN-Beauftragter für HIV/AIDS in Afrika
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Recht gute Noten vergibt Rezensentin Annette Zerpner an dieses Buch des kanadischen Schauspielers und Dramatikers, das ihren Informationen zufolge das Thema Aids behandelt. Zwar siedele Allan Stratton die Geschichte in einem südafrikanischen Armenviertel an. Dennoch räumt er insofern in der "Afrikaschublade" auf, in die man im Westen das Thema Aids gern verbannt, als er die afrikanischen Schicksale individualisiere und ihnen die Passivität nehme, die aus Sicht der Rezensentin viele Afrika-Berichte durchzieht. Als Mittelpunkt beschreibt sie die sechzehnjährige Chanda, die die tödliche Krankheit in ihrer eigenen Familie erlebt. Zwar findet sie das Buch nicht ganz frei von Pathos und Sozialkitsch. Doch es überzeugt sie durch ebenso schonungslose wie unprätenziöse Darstellung der Verhältnisse, über die gelegentlich sogar gelacht werden darf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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