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Von der Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher - »Ein diagnostischer Blick mit großem literarischen Geschick.« SWR-Bestenliste
Ein einziger Fehler katapultiert Julia aus ihrem Job als Krankenschwester zurück in ihr altes Leben im Dorf. Dort scheint alles noch schlimmer: Die Fabrik, in der das halbe Dorf gearbeitet hat, existiert nicht mehr. Der Vater ist in einem bedenklichen Zustand, die Mutter hat ihn und den kranken Bruder nach Jahren des Aufopferns zurückgelassen und einen Neuanfang gewagt. Als Julia Oskar kennenlernt, der sich im Dorf von einem Herzinfarkt erholt, ist sie zunächst…mehr

Produktbeschreibung
Von der Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher - »Ein diagnostischer Blick mit großem literarischen Geschick.« SWR-Bestenliste

Ein einziger Fehler katapultiert Julia aus ihrem Job als Krankenschwester zurück in ihr altes Leben im Dorf. Dort scheint alles noch schlimmer: Die Fabrik, in der das halbe Dorf gearbeitet hat, existiert nicht mehr. Der Vater ist in einem bedenklichen Zustand, die Mutter hat ihn und den kranken Bruder nach Jahren des Aufopferns zurückgelassen und einen Neuanfang gewagt. Als Julia Oskar kennenlernt, der sich im Dorf von einem Herzinfarkt erholt, ist sie zunächst neidisch. Oskar hat eine Art Grundeinkommen für ein Jahr gewonnen und schmiedet Pläne. Doch was darf sich Julia für ihre eigene Zukunft erhoffen?
Autorenporträt
Birgit Birnbacher, geboren 1985, arbeitete als Sozialarbeiterin und Soziologin und lebt nun als freie Schriftstellerin in Salzburg. Ihr Debütroman 'Wir ohne Wal' (2016) wurde mit dem Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung ausgezeichnet, darüber hinaus erhielt sie zahlreiche Förderpreise und 2019 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Bei btb erschien zuletzt ihr Roman 'Ich an meiner Seite' im Taschenbuch, welcher für den Deutschen Buchpreis nominiert war. 'Wovon wir leben' stand auf der Longlist des Österreichischen Buchpreises und erhielt den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch in der Sonderkategorie 'Arbeitswelten - Bildungswelten'.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2023

Immer nur ausatmen?
Birgit Birnbachers Roman "Wovon wir leben"

Die vollständige Atmung, auch Vollatmung genannt, ist eine yogische Meditationspraxis zu Entfesselung von Freiheitspotentialen via Lungenvolumen. Birgit Birnbachers dritter Roman beginnt mit einer solchen Atmung, die eine Eigenheit hat: länger ausatmen als einatmen, "immer mehr geben als nehmen".

Eine junge Frau steht auf diese generöse Art atmend vor der Klinik einer österreichischen Kleinstadt. Sie hat dort als Krankenschwester gearbeitet. Einatmen. Dann ist ihr eine Verwechslung passiert, die eine Patientin fast das Leben gekostet hätte. Berufsverbot bekam sie nicht, wurde aber selbst krank. Krank vor Scham, krank vor Selbstzweifeln, krank vom schlechten Ruf, der ihr seitdem vorauseilt. Ausatmen.

Die lungenkranke Erzählerin bricht in der Kleinstadt alle Zelte ab und flüchtet in das Dorf, in dem sie aufgewachsen ist. Hier ist die Zeit stehen geblieben und alles beim Alten. Mit einer Ausnahme: Die Mutter ist weg. Sie, die immer so viel gegeben - ausatmen! - hat: dem Vater, den Kindern, den Nachbarn. Nun hat sie alles hinter sich gelassen, um in Syrakus mit einem neuen Mann endlich mal einzuatmen und verrückte Dinge wie einen Bootsführerschein zu machen. Dabei hat sie nicht mal einen Autoführerschein. Das war Vaters Sache gewesen. Der wohnt jetzt allein im Elternhaus und soll sich um die kranke Tochter kümmern. Die ist Ende dreißig und liebt einen verheirateten Mann. Beziehungsstatus also: aussichtslos. Den Job muss sie aufgeben, ihre Wohnung in der Stadt auch. Dabei hatte es die Erzählerin dort eigentlich erstaunlich lange gehalten. Erst machte sie eine Lehre im örtlichen Autohaus. Dann folgten die Umschulung auf Krankenschwester und ein Job in einer nahe gelegenen Klinik. Die Mutter, die ihre eigenen Stewardessenträume nie in die Tat hat umsetzen können, schreit ihre Tochter an: "Und wann lebst du, fährst dort, tust was Schönes?" Ihre Tochter sollte es doch mal besser haben! Nicht anderen den Hintern abwischen müssen. Wie konnte sie sich nur freiwillig für "so etwas" entscheiden?

Die Verhältnisse zu Hause sind das Gegenteil einer ländlichen Idylle. Es gibt einen Bruder, der geistig behindert ist. Er lebt in einem Heim. Daheim herrscht dunkelstes Patriarchat: Der Vater geht in die Werkstatt und erholt sich dort vom Leben, die Mutter macht den Rest. "Ihr werdet euch noch anschauen! Lange dauert es nicht mehr mit mir, und dann wird die Mama bereuen, dass sie einfach gegangen ist. Ewig wird sie sich Vorwürfe machen, das wird nicht schön. Ganz und gar nicht schön, hässlich sogar, sehr hässlich ist das, wenn Frauenleben so enden." Der Erzählerin fällt jetzt ein, "wie ich jahrelang gerührt war, weil er einen Arm um Mutters Autositz legte, wenn er rückwärts aus der Einfahrt fuhr. Ich musste ganz schön groß werden, um zu kapieren, dass er ihren Sitz auch umarmt, wenn sie gar nicht dabei ist."

Die 2019 mit dem Bachmannpreis ausgezeichnete Birgit Birnbacher hat ihren dritten Roman geschrieben, der sich mit Lebensentwürfen sogenannter kleiner Leute beschäftigt. Man lebt im Dorf nach althergebrachter Weise: "Der alte Küchenherd ist noch gut, überheizte Schlafzimmer sind ungesund. Die Zentralheizung, denke ich, ist eine schöne Errungenschaft, und irgendwann wird auch der Vater das einsehen, wenn er bis dahin nicht auf dem Klo festgefroren ist." So althergebracht soll es auch der Erzählerin ergehen, die sich, kaum wieder zu Hause, von den Zwängen der Tochterrolle einlullen lässt ("Und dann doch wieder: die Möglichkeit des Bleibens"). Sie pflegt den kranken Bruder, bekocht den hypochondrischen Vater, der die Gesundheit seines Jungen auf dem Gewissen hat, weil er dessen Hirnhautentzündung nicht rechtzeitig erkannt und ihn nicht ins Krankenhaus gefahren hat, wie die Mutter es wollte. "Papperlapapp", schnitt er ihr damals das Wort ab.

Obwohl die Autorin klare Worte für die zwischengeschlechtlichen Kümmernisse im Dorf findet, ist das Buch keine Klageschrift - eher teilnehmende Beobachtung. Kühl, protokollarisch, realistisch. Ob es sich um den versoffenen Wirt handelt, der sein Lokal beim Kartenspiel verliert, oder um den lebensunfähigen Bruder, der stumm in die Welt starrt. Und dann gibt es noch den "Städter", einen Mittvierziger, der, von einem Herzinfarkt genesen, Erholung auf dem Land sucht und dort ganz anders als die Erzählerin tatsächlich ein Idyll findet. Er könnte für die Erzählerin, diese Julia Noch, deren Name Programm ist, eine Umwertung aller Werte bedeuten.

Birnbacher erzählt in dem kleinen, genauen Roman von den patriarchalen Strukturen zwischen Tradition und Borniertheit, die Generationen auf schicksalhafte Weise miteinander verstricken. Aber sie lässt auch ein Türchen in die Freiheit auf. KATHARINA TEUTSCH

Birgit Birnbacher: "Wovon wir leben". Roman.

Zsolnay Verlag, Wien 2023. 192 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Von kleinen Fehlern, die sich bisweilen zu ganz großen ausweiten, ist Birgit Birnbacher plastisch-aufregender Roman über die Zwänge von Dorf und Familie durchzogen, stellt Rezensentin Judith von Sternburg beeindruckt fest. In der Geschichte von Krankenschwester Julia, die beinahe eine Patientin getötet und deswegen erstmal zurück in ihr Herkunftsdorf geflüchtet ist, liest sie einen "Witz der Verzweiflung", der darin besteht, dass der Vater verantwortlich ist für die Behinderung seines Sohnes und nicht darüber spricht, darin, dass sich die rigiden Denkweisen der Dorfbewohner, ihr latenter Alkoholismus nie ändern werden, darin, dass die Arbeitswelt sich für die Protagonistin anfühlt wie ein schlechter Scherz. Für Sternburg ein spannendes Geflecht aus verschiedenen Lebensentwürfen und Was-Wäre-Wenns, das sie nachdrücklich-nachdenklich zurücklässt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Birnbacher erzählt dezent und zugleich glasklar, durchscheinend und subtil. In einer die Stimmungen des Augenblicks und die Gestimmtheiten der Figuren exakt aufnehmenden Sprache, die nichts Denunziatorisches hat und auch nichts Aufgebrachtes." Christoph Schröder

"Einer der präzisesten und intensivsten Romane dieses Bücherjahres. Die Sprache ist von einer Lakonie, in der ein Feuer lodert." Peer Teuwsen, NZZ am Sonntag, 25.06.23

"Ein unvergessliches Buch!" Nicola Steiner, SRF Literaturclub, 23.05.23

"Da sind Sätze drin, bei denen man einfach nur jubeln möchte." Martin Ebel, SRF Literaturclub, 23.05.23

"Diskret und bezaubernd!" Daniela Strigl, SRF Literaturclub, 23.05.23

"Auch in ihrem jüngsten Roman verhandelt Birnbacher das Aufregendste und Herausforderndste, was es gibt - das ganz normale Leben. Sie verstoffwechselt dieses Leben in seiner ganzen schnöden Alltäglichkeit in inspirierende, konzentrierte und zum Weiterreflektieren anregende Literatur." Günter Kaindlstorfer, BR Diwan, 07.05.23

"Wer dieses Buch gelesen hat, wird es nicht mehr vergessen!" Beate Tröger, WDR3 Gutenbergs Welt, 15.04.23

"Eine Autorin, die einen so genauen sozialen Blick hat ... Ihr schmaler Roman vibriert deswegen, weil so viel zwischen den Zeilen steht, weil er so viel erzählt und versteht ... unheimlich leicht erzählt." Insa Wilke, WDR3 Gutenbergs Welt, 15.04.23

"Italienisch hell und fein orchestriert!" Denis Scheck, WDR 3 Mosaik, 03.04.23

"Dank Birnbachers genauem Blick und trockenem Humor erwächst aus diesem Kaff eine ganze Welt. 'Wovon wir leben' ist auch eine Reflexion gegenwärtiger Arbeitswelten, analytisch scharf und aus dem Leben gegriffen." Martina Läubli, NZZ Bücher am Sonntag, 26.03.23

"Ein wunderbares Buch." Myriam Schellbach, HR2 Kultur, 19.03.23

"Ein wunderbarer Roman." Sophia Zessnik, taz, 18.03.23

"Eine tolle Sprache! (...) Es macht wirklich Spaß dieses Buch zu lesen." Carsten Hueck, Deutschlandfunk Kultur, 09.03.23

"Ein wunderbarer Roman über das Auseinanderfallen und sich selbst neu zusammensetzen." Sally-Charell Delin, SR2 Kultur, 07.03.23

"Birnbachers grossartig kleiner Roman, hört auch noch zu, wenn gar nichts mehr gesagt wird." Paul Jandl, NZZ, 07.03.23

"Von einer Größe, die man einer Ich-Erzählerin kaum zutrauen möchte. (...) Schlicht hinreißend!" Gregor Dotzauer, SWR Bestenliste Diskussion, 05.03.23

"Starke Bilder!" Nicola Steiner, SWR Bestenliste Diskussion, 05.03.23

"Ein diagnostischer Blick mit großem literarischen Geschick." SWR-Bestenliste, Platz 2 März 2023

"Sorgfältig und mit großer Präzision - aber auch einer wohltuenden Portion Realismus - erzählt Birnbachers sympathischer Roman von Menschen, die sich selbst im Weg stehen und die trotzdem versuchen, aus den sprichwörtlichen Zitronen des Lebens Limonade zu machen." Oliver Pfohlmann, WDR 3 Lesestoff, 06.03.23

"Herausragende dichte Sprache" Nadine Kreuzahler, rbb Kultur, 03.03.23

"Eine wunderbare Leseerfahrung!" Karin Buttenhauser, ORF, 26.02.23

"Ein zart-lyrischer Roman, den man nicht aus der Hand legen mag." Ariane Heimbach, Brigitte Woman, März 23

"Birgit Birnbachers Art, die Welt zu erzählen, hallt lang nach. (...) Birnbacher beschreibt in einer ganz wunderbaren Sprache, wie viel zwischen Menschen stehen kann. (...) 'Wovon wir leben' macht mit seinen Sätzen die Welt weiter." Doris Kraus, Die Presse am Sonntag, 26.02.23

"'Wovon wir leben' verhandelt enorm viele gesellschaftliche Brennpunkte auf wenigen Seiten. Birnbacher schreibt beeindruckend feinfühlig und zeichnet unkitschige und treffsichere Bilder von dem, was ist. Erfrischend realistisch." Hanna Ronzheimer, Ö1 ex libris, 26.02.23

"Gut ausgedacht, karg, nüchtern geschrieben, und doch schwingt immer auch ein bisschen Poesie und unerwartete Helligkeit mit." Christine Westermann, WDR5 Bücher, 25.02.23

"Womit Birnbacher in ihrem neuen Roman erneut trifft und ihre Stellung in der Gegenwartsliteratur untermauert, ist die Klarheit der Erzählung, die Ökonomie der Beobachtung - und das Zusammenziehen von Beobachtung, Erzählung und Kommentar, oftmals auf der Satzebene. (...) Der Text ist mitunter so schonungslos, wie die Leute, die er beschreibt. (...) Nie erhebt sich die Erzählerin über die anderen." Gerald Heidegger, ORF, 24.02.23

"Literarisch und sprachlich fein gearbeitet. Sehr überzeugend!" Nicola Steiner, SRF, 24.02.23

"Eine exzellente Beobachterin zwischenmenschlicher Details. (...) Die Leerstellen dazwischen darf man selbst ausfüllen, auch ein Grund für die Faszination und den langen Nachhall dieses kurzen Romans." Judith Hoffmann, Ö1, 23.02.23

"Ein sprachlich herausragender Roman. (...) Ein herausragendes Beispiel für eine Gegenwartsliteratur, die sich nicht nur auf ihr Thema verlässt, sondern vor allem sprachlich überzeugt. (...) Diesen Text sollte man jedenfalls mit einem Stift in der Hand lesen. Es gibt so viel zu unterstreichen. Formulierungen, die man nicht vergessen möchte." Carsten Otte, Zeit online, 22.02.23

"Hier sitzt jeder Satz, hier passen die Bilder lotrecht zusammen. Wer billig kauft, zahlt zweimal, sagt man. Deshalb lieber gleich zu Birnbacher gehen. Die poetische Rendite übersteigt den Ladenpreis um ein Vielfaches." Jan Drees, Deutschlandfunk Büchermarkt, 22.02.23

"Obwohl die Autorin klare Worte für die zwischengeschlechtlichen Kümmernisse im Dorf findet, ist das Buch keine Klageschrift - eher teilnehmende Beobachtung. Kühl, protokollarisch, realistisch." Katharina Teutsch, FAZ, 18.02.23

"Ein Glücksfall von einem Buch. (...) Dieser künstlerische Akt wirkt bei Birnbacher nie gekünstelt, die Empathie ist unpathetisch, das soziale Anliegen nicht moralisierend. (...) Dieser fantastische Roman riecht nach Leben." Bernd Melichar, Kleine Zeitung, 18.02.23

"Ein kluger Roman!" Alice Pfitzner, ORF, 16.02.23

"Roman der Stunde (...) Schlicht, aber keineswegs ostentativ auf coole Lakonie getrimmt.(...) Immer wieder funkeln hier anmutig rhythmisierte und pfiffige Sätze." Klaus Nüchtern, Falter, 15.02.23

"Birnbacher schafft es, auf 192 Seiten eine komplexe Geschichte von Arbeitslebenswelten und Arbeitslosigkeit zu erzählen und dabei sehr genau ein Bild unserer Gesellschaft zu zeichnen." Judith Hoffmann, Ö1, 02.01.23
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