Cäcilies Beine sind unterschiedlich lang. Schon ihr ganzes Leben hinkt sie, kann nicht schnell rennen oder beim Sportunterricht mitmachen. Immer wieder wurde versucht, sie zu operieren, doch ohne Erfolg. Cäcilies Leben ändert sich, als eines Tages Melody in ihre Klasse kommt: Die beiden Mädchen werden beste Freundinnen. Aber Melody liebt es Fußball zu spielen und trainiert in jeder freien Minute. Wie soll Cäcilie da mithalten? Sie kann ja nicht Fußball spielen, nicht mal richtig laufen. Aber ist das eigentlich wichtig? Ein Buch über Fußball, Freundschaft und darüber, was es bedeutet, man selbst zu sein.
buecher-magazin.deCäcilie wurde mit zwei unterschiedlich langen Beinen geboren. Unzählige Operationen haben vergeblich versucht, sie anzugleichen. Immer hat es Dinge gegeben, die Cäcilie nicht wie andere erleben konnte: rennen, springen, zuletzt den Schulsport. Doch sie hat sich daran gewöhnt und es ist eher ihre Mutter, die zu einer erneuten Operation drängt. Dann taucht eine neue Mitschülerin auf, die Cäcilie sehr mag. Melody ist ihr von Anfang an zugewandt, nimmt in aller Offenheit ihr zurückhaltendes Wesen wahr - und spielt begeistert Fußball. Was keiner, am wenigsten Cäcilies Mutter, für möglich hält, genau dies wird die Schnittmenge der beiden Mädchen. Wieder einmal ist Rose Lagercrantz eine außergewöhnliche Freundschaftsgeschichte zweier Mädchen gelungen. Man vermisst ein wenig die besondere sprachliche Verdichtung, welche ihre Dunne-Geschichten zu Perlen der Kinderliteratur macht - was jedoch einer Beschwerde auf allerhöchstem Niveau entspricht. Denn der Roman hat eben doch alles, was ein gutes Kinderbuch ausmacht: zwei liebevoll gezeichnete Protagonistinnen, die gemeinsam durch dick und dünn gehen, ein Geheimnis und einen tollen Spannungsbogen, der doch noch ins Tor und damit zu einem guten Ende führt.
© BÜCHERmagazin, Jana Kühn (jk)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.03.2018Die Mundharmonika als Talisman
Eine Erstlesegeschichte, in der eine tapfere Heldin mit ihren Schwierigkeiten fertig wird
Erstlesegeschichten sind oft von einer gähnenden Langeweile, viel anspruchsloser und fantasiefreier als die meisten Bilderbücher. Mit ihnen wird das Kind zwar die Technik des Lesens lernen, doch die Liebe zum Buch, das Lesen selbst lieben zu lernen, ist bei dem eingeschränkten Wortschatz (oft von Schuldidaktikern ausgewählt) kaum möglich.
Natürlich gibt es Verlage, gibt es Autoren, die diese Vorgaben unterlaufen. Dazu zählt auch der Moritz Verlag, der mit seinen Kinderbüchern zwar bei Druck und Gestaltung berücksichtigt, dass die Erstleser große Schrift brauchen und viele Illustrationen – die ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie schon wahnsinnig schnell lesen können – aber auch weiß, dass die Geschichten das Wichtigste sind. Realistisches aus dem Kinderleben, das die Leser fasziniert, wie es die schwedische Autorin Rose Lagercrantz in ihrem neuen Buch „Wozu hat man eine Freundin?“, erzählt. Wieder einfühlsam ins Deutsche übertragen von Angelika Kutsch.
Ihre Hauptfigur Cäcilie erlebt eine schwierige Kindheit, mit ihrer schiefen Hüfte und einem kürzeren Bein, das sie beim Laufen behindert. Zu Hause herrscht finanzielle Not, nachdem der Vater die Familie verlassen hat, und die Stimmung wird auch nicht besser durch die gemeinen Kommentare der großen Schwester. Doch diese Schwierigkeiten werden bedeutungslos, als ein neues Mädchen, Melody, in der Klasse auftaucht, eine leidenschaftliche Fußballspielerin, von einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein und Optimismus. Ihre Antwort, als Cäcilie sie fragt, warum sie gut Fußball spielt: „Eigentlich kann das niemand! Man glaubt einfach nur, dass man es kann – und schon geht es“.
Und wie dann alles besser wird für Cäcilie, dafür braucht die Handlung eine Reihe glücklicher Zufälle. Sie sind erlaubt als literarische Kunstgriffe in Büchern für kleine Leser. Schließlich sollen sie stellvertretend erleben, wie man es schaffen kann, mit Schwierigkeiten fertigzuwerden. Das Mädchen wird selbständiger, Melodys gute Ratschläge helfen ihm, sich gegen die überängstliche Mutter durchzusetzen. Auch ein bisschen Magie kommt ins Spiel, wenn sie als Talisman die alte Mundharmonika des Vaters einsetzt, um das Schicksal zu beeinflussen. Und was es zu bedeuten hat, dass eines der Schlussbilder der Illustratorin Karen Krings sie als Fußballmädchen der Schulmannschaft im Tor zeigt, ahnen die kleinen Leser schon bald. (ab 6 Jahre)
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
Rose Lagercrantz: Wozu hat man eine Freundin. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Mit Illustrationen von Karen Krings. Moritz Verlag, Frankfurt 2018. 101 Seiten, 11,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eine Erstlesegeschichte, in der eine tapfere Heldin mit ihren Schwierigkeiten fertig wird
Erstlesegeschichten sind oft von einer gähnenden Langeweile, viel anspruchsloser und fantasiefreier als die meisten Bilderbücher. Mit ihnen wird das Kind zwar die Technik des Lesens lernen, doch die Liebe zum Buch, das Lesen selbst lieben zu lernen, ist bei dem eingeschränkten Wortschatz (oft von Schuldidaktikern ausgewählt) kaum möglich.
Natürlich gibt es Verlage, gibt es Autoren, die diese Vorgaben unterlaufen. Dazu zählt auch der Moritz Verlag, der mit seinen Kinderbüchern zwar bei Druck und Gestaltung berücksichtigt, dass die Erstleser große Schrift brauchen und viele Illustrationen – die ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie schon wahnsinnig schnell lesen können – aber auch weiß, dass die Geschichten das Wichtigste sind. Realistisches aus dem Kinderleben, das die Leser fasziniert, wie es die schwedische Autorin Rose Lagercrantz in ihrem neuen Buch „Wozu hat man eine Freundin?“, erzählt. Wieder einfühlsam ins Deutsche übertragen von Angelika Kutsch.
Ihre Hauptfigur Cäcilie erlebt eine schwierige Kindheit, mit ihrer schiefen Hüfte und einem kürzeren Bein, das sie beim Laufen behindert. Zu Hause herrscht finanzielle Not, nachdem der Vater die Familie verlassen hat, und die Stimmung wird auch nicht besser durch die gemeinen Kommentare der großen Schwester. Doch diese Schwierigkeiten werden bedeutungslos, als ein neues Mädchen, Melody, in der Klasse auftaucht, eine leidenschaftliche Fußballspielerin, von einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein und Optimismus. Ihre Antwort, als Cäcilie sie fragt, warum sie gut Fußball spielt: „Eigentlich kann das niemand! Man glaubt einfach nur, dass man es kann – und schon geht es“.
Und wie dann alles besser wird für Cäcilie, dafür braucht die Handlung eine Reihe glücklicher Zufälle. Sie sind erlaubt als literarische Kunstgriffe in Büchern für kleine Leser. Schließlich sollen sie stellvertretend erleben, wie man es schaffen kann, mit Schwierigkeiten fertigzuwerden. Das Mädchen wird selbständiger, Melodys gute Ratschläge helfen ihm, sich gegen die überängstliche Mutter durchzusetzen. Auch ein bisschen Magie kommt ins Spiel, wenn sie als Talisman die alte Mundharmonika des Vaters einsetzt, um das Schicksal zu beeinflussen. Und was es zu bedeuten hat, dass eines der Schlussbilder der Illustratorin Karen Krings sie als Fußballmädchen der Schulmannschaft im Tor zeigt, ahnen die kleinen Leser schon bald. (ab 6 Jahre)
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
Rose Lagercrantz: Wozu hat man eine Freundin. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Mit Illustrationen von Karen Krings. Moritz Verlag, Frankfurt 2018. 101 Seiten, 11,95 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2018Will denn keiner wissen, was ich möchte?
In ihrem neuen Erstleserbuch erzählt Rose Lagercrantz hinreißend von einer ungleichen Freundschaft
Neben dem, was man sich nur wünschen kann, einer liebevollen Mutter, einer ganz sicher magischen Mundharmonika und bald schon einer besten Freundin, hat Cäcilie, was man niemandem wünscht. Ihre gnadenlose große Schwester erklärt es der Klavierlehrerin einmal so: "Sie ist mit einer schiefen Hüfte auf die Welt gekommen. Und wenn sie endlich eine Freundin findet, ist es ausgerechnet eine, die fußballverrückt ist." Ob man das nicht operieren könne? Versucht wurde es schon viele Male. "Beim letzten Mal ist etwas schiefgegangen und sie ist fast gestorben."
Eigentlich ist es Cäcilie selbst, die in "Wozu hat man eine beste Freundin?", dem neuen Buch von Rose Lagercrantz, ihre Geschichte erzählt. Die schwedische Kinderbuchautorin, die sich mit ihrer so liebevollen wie lebensklugen Erstleserreihe um die besten Freundinnen Dunne und Ella Frieda als Kennerin kindlicher Zuneigung in den Fährnissen des Lebens zeigt (F.A.Z. vom 26. November 2016), hat einen feinen Ton für ihre Heldin gefunden, der Cäcilies große Fragen, Gedanken und Gefühle unter dem klaren kindlichen Blick und den einfachen Sätzen, in denen sie erzählt, immer spürbar macht. Und doch ist es die Schwester Rikka, die Cäcilies Situation auf den Punkt bringt. Es ist ihre neue Freundin Melody, die mit ihrer mitreißenden Leidenschaft Cäcilies Leben eine neue Richtung gibt. Und es ist ihre Mutter, die mit einer großen Nachricht ihre schlimmsten Ängste wieder weckt.
Cäcilie soll überraschend doch noch einmal operiert werden. Ob denn keiner wissen wolle, was sie selbst möchte, stammelt das Mädchen nach dem ersten Schreck. "So was dürfen Kinder nicht bestimmen", ist die Antwort der Mutter, schlicht und wahr. Und schrecklich im Ungesagten: Für die Not ihrer Tochter, die aus dieser Frage spricht, hat die Mutter in diesem Augenblick einfach kein Ohr.
Am Abend vor der Operation schreibt Cäcilie drei Abschiedsbriefe, an ihren Vater, der die Familie verlassen hat, an Melody und an ihre Großmutter. Für den Fall, dass sie nicht überlebt. Als ihre Mutter mit ihr reden will, hält sie sich die Ohren zu, bis sie endlich wieder allein im Zimmer ist. Am Tag danach kommt gleich nach der Familie Mello sie im Krankenhaus besuchen und schenkt ihr unter den Augen der besorgten Mutter einen Fußball - unterschrieben von allen in der Klasse. Die fußballverrückte Freundin hat die anderen zu diesem Geschenk überredet, weil Cäcilie ja jetzt Fußball spielen kann. Und Mello wird ihre Trainerin. So viel steht schon mal fest. Jedenfalls für Mello.
Aus all den Kinderfreundschaftsgeschichten, in denen zwei durch dick und dünn gehen und einander dabei helfen, ihre eigenen Träume, Wünsche, Aufgaben zu erfüllen, ragt diese Geschichte interessant heraus. Hier ist es die Begeisterung einer mitreißenden Freundin, der sich die Erzählerin einfach anschließt. Weil Widerstand schlicht zwecklos ist: Cäcilies Ansatz zu einem Einwand wischt Melody kurzerhand hinweg: Dass die Freundin gar nicht Fußball spielen könne, ist doch völlig unwichtig, denn im Grunde könne überhaupt niemand Fußball spielen. "Man glaubt nur, dass man es kann." Erst der Blick auf den Rollstuhl in der Ecke des Krankenhauszimmers kann Mello bremsen: Bevor sie kicken kann, muss ihre Freundin erst einmal laufen lernen.
Doch kaum ist Cäcilie wieder zu Hause, steht Mello vor der Tür. "Zeit, dass wir mit dem Training anfangen." Die Mutter schickt sie weg. "Sie versteht nicht, dass du nicht bist wie sie", sagt sie der Tochter: "Du hast nicht so viel Kraft." Schlicht und wahr auch diese Sätze, und dass sich Cäcilie, von ihrer Freundin gedrängt, bald darüber hinwegsetzt, ist kein Wunder. Zum Beharren auf ihrem im Grunde von Melody fremdbestimmten Weg immerhin reicht Cäcilies Kraft. Auch als die Mutter sie beim heimlichen Torwarttraining erwischt. Selbst als auffliegt, dass Cäcilie in einer kuriosen Blitzeinwechslung die Mannschaft der verletzten Freundin vor einer Niederlage bewahrt.
Eine Fußball- und Freundschaftsgeschichte hätte mit dieser Szene ihr Finale gefunden. Aber Rose Lagercrantz ist es nicht allein darum zu tun, dass auch ein gerade noch gehbehindertes Mädchen als Torwart reüssieren kann, wenn sie es nur will. Ihr Blick liegt auch auf dem Konflikt, den Cäcilie mit ihrer Mutter riskiert und den die Autorin nicht einfach einem Erfolgs- und Glücksmoment ihrer Heldin opfert. Und noch dazu auf der familiären Konstellation, in der die Mutter ihren beiden Töchtern gegenüber Verantwortung tragen muss. Und sie, wie sich noch zeigt, doch nicht ganz allein trägt.
Es ist ein Kräftemessen auf Augenhöhe zwischen Tochter und Mutter, und dass man, obwohl Cäcilie ganz aus ihrer Sicht erzählt, auch als kindlicher Leser die Position der Mutter verstehen kann, zeigt, wie fein Lagercrantz hier balanciert. Dabei mutet die 1947 in Stockholm geborene Autorin ihren Figuren noch eine spezielle Wendung zu: Der Vater lebt mit seiner neuen Frau auf Gotland. Dass Cäcilie ihm verzeiht, die Familie verlassen zu haben, so traurig sie auch noch darüber ist, schreibt sie extra in ihrem Abschiedsbrief an ihn, es muss also etwas Neues sein.
Die Art, wie der ferne Vater in die familiären Entscheidungen einbezogen bleibt, ist ebenfalls ungewöhnlich für ein Kinderbuch: Auch er hat die Lehrerin angerufen und mit ihr besprochen, dass Cäcilie am Tag nach der Operationsnachricht bedrückt in die Schule kommen wird. Als Cäcilie ihn am Ende des Buchs für die Sommerferien besuchen kommt, muss sie nicht mehr um das Fußballspielendürfen kämpfen. Auch nicht um ihren Platz in der Familie, nicht einmal, als in den Ferien ihr kleiner Halbbruder auf die Welt kommt.
Dass ihr Vater Cäcilie schließlich sogar beibringt, wie man auf der magischen Mundharmonika richtig spielt, auf dem Instrument, das er beim Auszug vergessen hatte und das Cäcilie als Symbol der Trennung eigentlich zunächst nur vor der Mutter hatte verstecken wollen, rundet das Schlussbild des Buchs von Rose Lagercrantz aufs Schönste, ohne es dem Kitsch anheimzugeben.
Musik statt Magie also, dazu ein wachsendes Selbstbewusstsein, dem die mitreißend-rücksichtslose Freundin nur den richtigen Anfangsschwung gegeben hatte.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Rose Lagercrantz: "Wozu hat man eine Freundin?"
Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Mit Bildern von Karen Krings. Moritz Verlag, Frankfurt 2018. 104 S., geb., 11,95 [Euro]. Ab 6 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In ihrem neuen Erstleserbuch erzählt Rose Lagercrantz hinreißend von einer ungleichen Freundschaft
Neben dem, was man sich nur wünschen kann, einer liebevollen Mutter, einer ganz sicher magischen Mundharmonika und bald schon einer besten Freundin, hat Cäcilie, was man niemandem wünscht. Ihre gnadenlose große Schwester erklärt es der Klavierlehrerin einmal so: "Sie ist mit einer schiefen Hüfte auf die Welt gekommen. Und wenn sie endlich eine Freundin findet, ist es ausgerechnet eine, die fußballverrückt ist." Ob man das nicht operieren könne? Versucht wurde es schon viele Male. "Beim letzten Mal ist etwas schiefgegangen und sie ist fast gestorben."
Eigentlich ist es Cäcilie selbst, die in "Wozu hat man eine beste Freundin?", dem neuen Buch von Rose Lagercrantz, ihre Geschichte erzählt. Die schwedische Kinderbuchautorin, die sich mit ihrer so liebevollen wie lebensklugen Erstleserreihe um die besten Freundinnen Dunne und Ella Frieda als Kennerin kindlicher Zuneigung in den Fährnissen des Lebens zeigt (F.A.Z. vom 26. November 2016), hat einen feinen Ton für ihre Heldin gefunden, der Cäcilies große Fragen, Gedanken und Gefühle unter dem klaren kindlichen Blick und den einfachen Sätzen, in denen sie erzählt, immer spürbar macht. Und doch ist es die Schwester Rikka, die Cäcilies Situation auf den Punkt bringt. Es ist ihre neue Freundin Melody, die mit ihrer mitreißenden Leidenschaft Cäcilies Leben eine neue Richtung gibt. Und es ist ihre Mutter, die mit einer großen Nachricht ihre schlimmsten Ängste wieder weckt.
Cäcilie soll überraschend doch noch einmal operiert werden. Ob denn keiner wissen wolle, was sie selbst möchte, stammelt das Mädchen nach dem ersten Schreck. "So was dürfen Kinder nicht bestimmen", ist die Antwort der Mutter, schlicht und wahr. Und schrecklich im Ungesagten: Für die Not ihrer Tochter, die aus dieser Frage spricht, hat die Mutter in diesem Augenblick einfach kein Ohr.
Am Abend vor der Operation schreibt Cäcilie drei Abschiedsbriefe, an ihren Vater, der die Familie verlassen hat, an Melody und an ihre Großmutter. Für den Fall, dass sie nicht überlebt. Als ihre Mutter mit ihr reden will, hält sie sich die Ohren zu, bis sie endlich wieder allein im Zimmer ist. Am Tag danach kommt gleich nach der Familie Mello sie im Krankenhaus besuchen und schenkt ihr unter den Augen der besorgten Mutter einen Fußball - unterschrieben von allen in der Klasse. Die fußballverrückte Freundin hat die anderen zu diesem Geschenk überredet, weil Cäcilie ja jetzt Fußball spielen kann. Und Mello wird ihre Trainerin. So viel steht schon mal fest. Jedenfalls für Mello.
Aus all den Kinderfreundschaftsgeschichten, in denen zwei durch dick und dünn gehen und einander dabei helfen, ihre eigenen Träume, Wünsche, Aufgaben zu erfüllen, ragt diese Geschichte interessant heraus. Hier ist es die Begeisterung einer mitreißenden Freundin, der sich die Erzählerin einfach anschließt. Weil Widerstand schlicht zwecklos ist: Cäcilies Ansatz zu einem Einwand wischt Melody kurzerhand hinweg: Dass die Freundin gar nicht Fußball spielen könne, ist doch völlig unwichtig, denn im Grunde könne überhaupt niemand Fußball spielen. "Man glaubt nur, dass man es kann." Erst der Blick auf den Rollstuhl in der Ecke des Krankenhauszimmers kann Mello bremsen: Bevor sie kicken kann, muss ihre Freundin erst einmal laufen lernen.
Doch kaum ist Cäcilie wieder zu Hause, steht Mello vor der Tür. "Zeit, dass wir mit dem Training anfangen." Die Mutter schickt sie weg. "Sie versteht nicht, dass du nicht bist wie sie", sagt sie der Tochter: "Du hast nicht so viel Kraft." Schlicht und wahr auch diese Sätze, und dass sich Cäcilie, von ihrer Freundin gedrängt, bald darüber hinwegsetzt, ist kein Wunder. Zum Beharren auf ihrem im Grunde von Melody fremdbestimmten Weg immerhin reicht Cäcilies Kraft. Auch als die Mutter sie beim heimlichen Torwarttraining erwischt. Selbst als auffliegt, dass Cäcilie in einer kuriosen Blitzeinwechslung die Mannschaft der verletzten Freundin vor einer Niederlage bewahrt.
Eine Fußball- und Freundschaftsgeschichte hätte mit dieser Szene ihr Finale gefunden. Aber Rose Lagercrantz ist es nicht allein darum zu tun, dass auch ein gerade noch gehbehindertes Mädchen als Torwart reüssieren kann, wenn sie es nur will. Ihr Blick liegt auch auf dem Konflikt, den Cäcilie mit ihrer Mutter riskiert und den die Autorin nicht einfach einem Erfolgs- und Glücksmoment ihrer Heldin opfert. Und noch dazu auf der familiären Konstellation, in der die Mutter ihren beiden Töchtern gegenüber Verantwortung tragen muss. Und sie, wie sich noch zeigt, doch nicht ganz allein trägt.
Es ist ein Kräftemessen auf Augenhöhe zwischen Tochter und Mutter, und dass man, obwohl Cäcilie ganz aus ihrer Sicht erzählt, auch als kindlicher Leser die Position der Mutter verstehen kann, zeigt, wie fein Lagercrantz hier balanciert. Dabei mutet die 1947 in Stockholm geborene Autorin ihren Figuren noch eine spezielle Wendung zu: Der Vater lebt mit seiner neuen Frau auf Gotland. Dass Cäcilie ihm verzeiht, die Familie verlassen zu haben, so traurig sie auch noch darüber ist, schreibt sie extra in ihrem Abschiedsbrief an ihn, es muss also etwas Neues sein.
Die Art, wie der ferne Vater in die familiären Entscheidungen einbezogen bleibt, ist ebenfalls ungewöhnlich für ein Kinderbuch: Auch er hat die Lehrerin angerufen und mit ihr besprochen, dass Cäcilie am Tag nach der Operationsnachricht bedrückt in die Schule kommen wird. Als Cäcilie ihn am Ende des Buchs für die Sommerferien besuchen kommt, muss sie nicht mehr um das Fußballspielendürfen kämpfen. Auch nicht um ihren Platz in der Familie, nicht einmal, als in den Ferien ihr kleiner Halbbruder auf die Welt kommt.
Dass ihr Vater Cäcilie schließlich sogar beibringt, wie man auf der magischen Mundharmonika richtig spielt, auf dem Instrument, das er beim Auszug vergessen hatte und das Cäcilie als Symbol der Trennung eigentlich zunächst nur vor der Mutter hatte verstecken wollen, rundet das Schlussbild des Buchs von Rose Lagercrantz aufs Schönste, ohne es dem Kitsch anheimzugeben.
Musik statt Magie also, dazu ein wachsendes Selbstbewusstsein, dem die mitreißend-rücksichtslose Freundin nur den richtigen Anfangsschwung gegeben hatte.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Rose Lagercrantz: "Wozu hat man eine Freundin?"
Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Mit Bildern von Karen Krings. Moritz Verlag, Frankfurt 2018. 104 S., geb., 11,95 [Euro]. Ab 6 J.
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