Die Psychoanalyse steckt heute in einer vehementen, noch nie dagewesenen Krise. Die Autorin sieht die Psychoanalyse konfrontiert mit den nicht zu bestreitenden Fortschritten der Psychiatrie und der Pharmakologie, für deren Vertreter Gedanken, Gefühle oder Triebe nichts anderes darstellen als Abläufe chemischer Reaktionen im Gehirn.
Der Vormarsch der Kognitions- und Neurowissenschaften, die "Amerikanisierung des Unbewußten" - ist das nicht ein Generalangriff auf die Psychoanalyse schlechthin?
Hat die Psychoanalyse also überhaupt noch eine Zukunft? Die symptomatischen Behandlungsansätze der kognitiven und pharmakologischen Therapie reduzieren den Menschen auf sein funktionales und biologisches Dasein ("Gehirn-Maschine"), in der er seine Subjektivität verliert. Von ihrer philosophisch-sozialwissenschaftlichen Position aus setzt die Autorin dem eine Konzeption von der Freiheit des Individuums entgegen, die in der Psychoanalyse nach wie vor eine zentrale Rolle spielt. Dabei diagn ostiziert Roudinesco zugleich den Zustand unserer Gesellschaft ("la societe depressive"), um sich schließlich mit der Psychoanalyse in ihrer heutigen institutionalisierten Form auseinanderzusetzen. Hierbei spart sie nicht mit Kritik und greift vor allem zentralistische und autoritär-bürokratische Zustände sowie ihre Fixierung auf "Meisterdenker" an.
Der Vormarsch der Kognitions- und Neurowissenschaften, die "Amerikanisierung des Unbewußten" - ist das nicht ein Generalangriff auf die Psychoanalyse schlechthin?
Hat die Psychoanalyse also überhaupt noch eine Zukunft? Die symptomatischen Behandlungsansätze der kognitiven und pharmakologischen Therapie reduzieren den Menschen auf sein funktionales und biologisches Dasein ("Gehirn-Maschine"), in der er seine Subjektivität verliert. Von ihrer philosophisch-sozialwissenschaftlichen Position aus setzt die Autorin dem eine Konzeption von der Freiheit des Individuums entgegen, die in der Psychoanalyse nach wie vor eine zentrale Rolle spielt. Dabei diagn ostiziert Roudinesco zugleich den Zustand unserer Gesellschaft ("la societe depressive"), um sich schließlich mit der Psychoanalyse in ihrer heutigen institutionalisierten Form auseinanderzusetzen. Hierbei spart sie nicht mit Kritik und greift vor allem zentralistische und autoritär-bürokratische Zustände sowie ihre Fixierung auf "Meisterdenker" an.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002Geh aus und suche Freud
Für Elisabeth Roudinesco lebt die Psychoanalyse in den freiheitlichen Traditionen Frankreichs / Von Caroline Neubauer
Jacques Derrida, der in den letzten Jahren mit dem Engagement eines Zola für die Psychoanalyse plädierte, schrieb kürzlich, man sähe sie gegenwärtig so an, "als wäre aus ihr eine Art Medikament geworden, gelagert im Hinterzimmer einer Apotheke, dessen Verfallsdatum abgelaufen ist". Elisabeth Roudinesco nimmt die Fackel auf und gibt mit Temperament und Libido eine Antwort auf die Frage: Wozu Psychoanalyse?
Roudinesco stellt am Anfang ihres Essays der heutigen Gesellschaft die Diagnose "Depression": ein Zustand, "der mit ,Müdigkeit', ,Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit' oder ,Schwächung der gesamten Persönlichkeit' umschrieben wird"; dabei wird das Subjekt des Begehrens aufgegeben zugunsten eines depressiven Individuums, "das auf der Flucht vor seinem Unbewußten ist", den Gedanken eines inneren Konflikts unterdrückt und einem permanenten Suchtverhalten frönt. In der depressiven Gegenwart ist die Widerstandskraft von Freiheitsunternehmungen im Namen der befreiten Psyche ausgehöhlt. Wenn es keine inneren Konflikte mehr gibt, entfällt am Ende auch der Begriff der psychischen Erkrankung. An ihre Stelle tritt die "Störung", die medikamentös behandelt werden muß. Die Therapie schnürt sich, wenn sie sich auf Entstörung reduziert, ihre aufklärerische emanzipatorische Lebensader ab. "Die Seele ist kein physikalischer Gegenstand", auch wenn das DSM, das unter Analytikern notorisch berüchtigte internationale Handbuch psychischer Störungen, das unterstellt.
Auch Freud mußte sich in einem mühsamen Reflexionsprozeß von der Illusion verabschieden, das Seelenleben rein naturwissenschaftlich erfassen zu können. Dem Urteil von Roudinesco, daß Freuds Skepsis gegenüber der Reduktion von Denkprozessen auf chemische Vorgänge im Gehirn wissenschaftlicher sei als die Haltung der amerikanischen Psychiatrie, ist nur zuzustimmen.
Der emanzipatorische Impuls im Umgang mit der Psyche beginnt mit der Revolution von 1789, ohne die "es in Frankreich kein psychiatrisches Wissen gegeben hätte" - Pinel befreit die Geisteskranken von ihren Ketten -, "das fähig gewesen wäre, den universellen Charakter von Freuds Entdeckung zu integrieren, und ohne die Affäre Dreyfus hätte sich keine intellektuelle Avantgarde herausgebildet, die in der Lage gewesen wäre, eine subversive Auffassung des Freudschen Begriffs vom Unbewußten zu unterstützen". Hier kräht nun der gallische Hahn sehr laut, jedenfalls in unseren Ohren; in Frankreich ist die Berufung auf Dreyfus natürlich auch nicht sehr viel mehr als ein Standardbeschwörungsritual, auch weil man weiß, daß sich auch Intellektuelle an der Nase herumführen lassen. Und außerdem ist im Essay wie im Krieg und in der Liebe manches erlaubt und manches sogar geboten, beispielsweise, daß er nicht nur ein Ziel haben muß, das er erreichen will, sondern vor allem ein Angriffsziel.
Auch muß es ihm möglich sein, Pathosspuren in sich aufzunehmen. Man kann sich natürlich fragen, ob ein solches Großthema, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Psychoanalyse inklusive Schlachtung sämtlicher Psychoanalyse-Feinde, in Essayform noch angemessen zu verhandeln ist, und man wird berücksichtigen müssen, daß das Pathosproblem in Frankreich anders gelagert ist als in Deutschland - zur Psychoanalyse jedoch "passen" Pathosformen allemal, denn ohne Befreiungspathos könnte sie sich begraben lassen. Ob Frankreich das prädestinierte Land der Psychoanalyse ist, wie Roudinesco meint, mag dahinstehen, daß jedoch Freud in einer Zeit der fast weltweiten Psychoanalysefeindlichkeit als Mensch auch für seine wissenschaftlichen Gegner in Frankreich nach wie vor unantastbar ist, ist eine Tatsache.
Die Psychoanalyse ist nach Roudinesco resistent gegen die moderne Tendenz, den öffentlichen Diskurs um gesellschaftliche Konflikte durch sei es negative, sei es positive Diskriminierung - die "Fetischisierung von Differenzen" - zu ersetzen. Für sie bleibt Freud, dem gerade die Entdeckung des Unbewußten zu einer neuen Profilierung kritischer Subjektivität verhalf, das entscheidende Gegengift gegen die Tendenz, die Menschen auf bestenfalls selbstverliebte Behandlungsobjekte zu reduzieren.
Wie läßt sich nun die kritische Subjektivität ablösen von dem bei Freud bekanntermaßen zentralen Paradigma des ödipalen Kampfs gegen den Vater? Roudinesco konstatiert einerseits, daß die Verlagerung des Interesses auf die frühkindliche Mutterbeziehung, die sich in der Schule Melanie Kleins vollzogen hat, der Realität der demokratischen "depressiven" Gesellschaft näher kommt, und rühmt andererseits an Lacan dessen Rückkehr zum "Vater" mittels seines Theorems vom "Namen des Vaters". Hier wie auch an anderen Stellen beginnt die Autorin zu schwimmen, wenn sie zum Beispiel behauptet, Lacans Bild vom tragischen Menschen gehe unmittelbar auf die Theorie der Frankfurter Schule zurück, und sie in einem Atemzug mit der Hegelinterpretation A. Kojèves nennt. In Wahrheit ist Kojèves Hegelinterpretation mit dem Versuch, das "absolute Wissen" zu retten, ein Hauptangriffsziel der Frankfurter Schule. Ebensowenig leuchtet das Bild vom tragischen Menschen ein; die "Dialektik der Aufklärung" bedeutet ja nicht Bild eines "tragischen Menschen", sondern Bild eines Menschen, der sich noch nicht genügend darüber den Kopf zerbricht, wie er aus der Falle der Rationalisierungzwänge herauskommt. Die Wortwahl "der tragische Mensch" verrät das theoretische Dilemma, auf das man durch die Geschichte der Psychoanalyse aufmerksam wird: "Wie läßt sich ihr kritisch emanzipatorischer Gehalt neu formulieren, wenn die Erfahrung dazu zwingt, die zentrale Rolle des Ödipuskonflikts zu relativieren?"
Wozu Psychoanalyse? Wir brauchen sie nach Roudinesco, wenn wir an der Hoffnung auf Heilung als einer existentiellen Veränderung des Subjekts festhalten und uns nicht mit dem "clownhaften Menschenbild des Behaviorismus" begnügen wollen. Ohne sie ist auch die Hoffnung auf eine neue Aufklärung Makulatur.
Wozu Roudinesco? Weil sie eine Übersicht der Geschichte und inneren Differenzierungen der Psychoanalyse engagiert mit einer Denunziation ihres Hauptfeindes verbindet, der modernen Psychiatrie mit Heerscharen bornierter Nachplapperer in deren Schlepptau, und einer Psychoanalyse, die, um diesen Feind zu bekämpfen, sich anpasserisch dessen Forderungen beugt.
"Wozu Psychoanalyse?" ist in Deutschland, wo engagierte Plädoyers von öffentlichen Personen für die Psychoanalyse fehlen, auch deshalb nützlich, weil Roudinesco den Lesern einen wirklichen Streit um die Psychoanalyse ermöglicht und nicht nur die vorhandenen Ressentiments hinter angeblicher Objektivität verschanzt. Den gallischen Hahn können wir nicht kopieren, wir haben unsere eigenen Formen des Pathos, unsere leiseren, nachdenklicheren Töne. Das professionelle psychoanalytische Leben ist nicht weniger "unmittelbar zu Gott" als in Frankreich. Aber engagierte Plädoyers für die Psychoanalyse von Außenseitern sind in Deutschland so gut wie unbekannt. Ob pathetisch oder unpathetisch, es wäre schon ganz gut, wenn die Psychoanalyse, die in Frankreich Ferment der gesellschaftlichen Reflexion geworden ist, während sie bei uns eine spezielle Wissenschaft geblieben ist, im öffentlichen Diskurs eine größere Rolle spielte, auch wenn der Preis dann Vereinfachungen sind. Bis dahin können die Gebildeten unter ihren Verächtern "Wozu Psychoanalyse?" lesen.
Elisabeth Roudinesco: "Wozu Psychoanalyse?" Aus dem Französischen von Werner Damson. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2002. 198 S., br., 19,-.
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Für Elisabeth Roudinesco lebt die Psychoanalyse in den freiheitlichen Traditionen Frankreichs / Von Caroline Neubauer
Jacques Derrida, der in den letzten Jahren mit dem Engagement eines Zola für die Psychoanalyse plädierte, schrieb kürzlich, man sähe sie gegenwärtig so an, "als wäre aus ihr eine Art Medikament geworden, gelagert im Hinterzimmer einer Apotheke, dessen Verfallsdatum abgelaufen ist". Elisabeth Roudinesco nimmt die Fackel auf und gibt mit Temperament und Libido eine Antwort auf die Frage: Wozu Psychoanalyse?
Roudinesco stellt am Anfang ihres Essays der heutigen Gesellschaft die Diagnose "Depression": ein Zustand, "der mit ,Müdigkeit', ,Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit' oder ,Schwächung der gesamten Persönlichkeit' umschrieben wird"; dabei wird das Subjekt des Begehrens aufgegeben zugunsten eines depressiven Individuums, "das auf der Flucht vor seinem Unbewußten ist", den Gedanken eines inneren Konflikts unterdrückt und einem permanenten Suchtverhalten frönt. In der depressiven Gegenwart ist die Widerstandskraft von Freiheitsunternehmungen im Namen der befreiten Psyche ausgehöhlt. Wenn es keine inneren Konflikte mehr gibt, entfällt am Ende auch der Begriff der psychischen Erkrankung. An ihre Stelle tritt die "Störung", die medikamentös behandelt werden muß. Die Therapie schnürt sich, wenn sie sich auf Entstörung reduziert, ihre aufklärerische emanzipatorische Lebensader ab. "Die Seele ist kein physikalischer Gegenstand", auch wenn das DSM, das unter Analytikern notorisch berüchtigte internationale Handbuch psychischer Störungen, das unterstellt.
Auch Freud mußte sich in einem mühsamen Reflexionsprozeß von der Illusion verabschieden, das Seelenleben rein naturwissenschaftlich erfassen zu können. Dem Urteil von Roudinesco, daß Freuds Skepsis gegenüber der Reduktion von Denkprozessen auf chemische Vorgänge im Gehirn wissenschaftlicher sei als die Haltung der amerikanischen Psychiatrie, ist nur zuzustimmen.
Der emanzipatorische Impuls im Umgang mit der Psyche beginnt mit der Revolution von 1789, ohne die "es in Frankreich kein psychiatrisches Wissen gegeben hätte" - Pinel befreit die Geisteskranken von ihren Ketten -, "das fähig gewesen wäre, den universellen Charakter von Freuds Entdeckung zu integrieren, und ohne die Affäre Dreyfus hätte sich keine intellektuelle Avantgarde herausgebildet, die in der Lage gewesen wäre, eine subversive Auffassung des Freudschen Begriffs vom Unbewußten zu unterstützen". Hier kräht nun der gallische Hahn sehr laut, jedenfalls in unseren Ohren; in Frankreich ist die Berufung auf Dreyfus natürlich auch nicht sehr viel mehr als ein Standardbeschwörungsritual, auch weil man weiß, daß sich auch Intellektuelle an der Nase herumführen lassen. Und außerdem ist im Essay wie im Krieg und in der Liebe manches erlaubt und manches sogar geboten, beispielsweise, daß er nicht nur ein Ziel haben muß, das er erreichen will, sondern vor allem ein Angriffsziel.
Auch muß es ihm möglich sein, Pathosspuren in sich aufzunehmen. Man kann sich natürlich fragen, ob ein solches Großthema, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Psychoanalyse inklusive Schlachtung sämtlicher Psychoanalyse-Feinde, in Essayform noch angemessen zu verhandeln ist, und man wird berücksichtigen müssen, daß das Pathosproblem in Frankreich anders gelagert ist als in Deutschland - zur Psychoanalyse jedoch "passen" Pathosformen allemal, denn ohne Befreiungspathos könnte sie sich begraben lassen. Ob Frankreich das prädestinierte Land der Psychoanalyse ist, wie Roudinesco meint, mag dahinstehen, daß jedoch Freud in einer Zeit der fast weltweiten Psychoanalysefeindlichkeit als Mensch auch für seine wissenschaftlichen Gegner in Frankreich nach wie vor unantastbar ist, ist eine Tatsache.
Die Psychoanalyse ist nach Roudinesco resistent gegen die moderne Tendenz, den öffentlichen Diskurs um gesellschaftliche Konflikte durch sei es negative, sei es positive Diskriminierung - die "Fetischisierung von Differenzen" - zu ersetzen. Für sie bleibt Freud, dem gerade die Entdeckung des Unbewußten zu einer neuen Profilierung kritischer Subjektivität verhalf, das entscheidende Gegengift gegen die Tendenz, die Menschen auf bestenfalls selbstverliebte Behandlungsobjekte zu reduzieren.
Wie läßt sich nun die kritische Subjektivität ablösen von dem bei Freud bekanntermaßen zentralen Paradigma des ödipalen Kampfs gegen den Vater? Roudinesco konstatiert einerseits, daß die Verlagerung des Interesses auf die frühkindliche Mutterbeziehung, die sich in der Schule Melanie Kleins vollzogen hat, der Realität der demokratischen "depressiven" Gesellschaft näher kommt, und rühmt andererseits an Lacan dessen Rückkehr zum "Vater" mittels seines Theorems vom "Namen des Vaters". Hier wie auch an anderen Stellen beginnt die Autorin zu schwimmen, wenn sie zum Beispiel behauptet, Lacans Bild vom tragischen Menschen gehe unmittelbar auf die Theorie der Frankfurter Schule zurück, und sie in einem Atemzug mit der Hegelinterpretation A. Kojèves nennt. In Wahrheit ist Kojèves Hegelinterpretation mit dem Versuch, das "absolute Wissen" zu retten, ein Hauptangriffsziel der Frankfurter Schule. Ebensowenig leuchtet das Bild vom tragischen Menschen ein; die "Dialektik der Aufklärung" bedeutet ja nicht Bild eines "tragischen Menschen", sondern Bild eines Menschen, der sich noch nicht genügend darüber den Kopf zerbricht, wie er aus der Falle der Rationalisierungzwänge herauskommt. Die Wortwahl "der tragische Mensch" verrät das theoretische Dilemma, auf das man durch die Geschichte der Psychoanalyse aufmerksam wird: "Wie läßt sich ihr kritisch emanzipatorischer Gehalt neu formulieren, wenn die Erfahrung dazu zwingt, die zentrale Rolle des Ödipuskonflikts zu relativieren?"
Wozu Psychoanalyse? Wir brauchen sie nach Roudinesco, wenn wir an der Hoffnung auf Heilung als einer existentiellen Veränderung des Subjekts festhalten und uns nicht mit dem "clownhaften Menschenbild des Behaviorismus" begnügen wollen. Ohne sie ist auch die Hoffnung auf eine neue Aufklärung Makulatur.
Wozu Roudinesco? Weil sie eine Übersicht der Geschichte und inneren Differenzierungen der Psychoanalyse engagiert mit einer Denunziation ihres Hauptfeindes verbindet, der modernen Psychiatrie mit Heerscharen bornierter Nachplapperer in deren Schlepptau, und einer Psychoanalyse, die, um diesen Feind zu bekämpfen, sich anpasserisch dessen Forderungen beugt.
"Wozu Psychoanalyse?" ist in Deutschland, wo engagierte Plädoyers von öffentlichen Personen für die Psychoanalyse fehlen, auch deshalb nützlich, weil Roudinesco den Lesern einen wirklichen Streit um die Psychoanalyse ermöglicht und nicht nur die vorhandenen Ressentiments hinter angeblicher Objektivität verschanzt. Den gallischen Hahn können wir nicht kopieren, wir haben unsere eigenen Formen des Pathos, unsere leiseren, nachdenklicheren Töne. Das professionelle psychoanalytische Leben ist nicht weniger "unmittelbar zu Gott" als in Frankreich. Aber engagierte Plädoyers für die Psychoanalyse von Außenseitern sind in Deutschland so gut wie unbekannt. Ob pathetisch oder unpathetisch, es wäre schon ganz gut, wenn die Psychoanalyse, die in Frankreich Ferment der gesellschaftlichen Reflexion geworden ist, während sie bei uns eine spezielle Wissenschaft geblieben ist, im öffentlichen Diskurs eine größere Rolle spielte, auch wenn der Preis dann Vereinfachungen sind. Bis dahin können die Gebildeten unter ihren Verächtern "Wozu Psychoanalyse?" lesen.
Elisabeth Roudinesco: "Wozu Psychoanalyse?" Aus dem Französischen von Werner Damson. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2002. 198 S., br., 19,-
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Etwas "altbacken" findet Bettina Engels in einer Sammelrezension die Kritik der französischen Historikerin und Psychoanalytikerin an der angelsächsischen Unterwerfung der Psychoanalyse unter "naturwissenschaftliche Standards". Das hat man, so Engels, seit Lacan des Öfteren gehört. Zwar scheint sie der Französin zuzustimmen in dem, dass der "einmalige Verbund von psychiatrischem, psychotherapeutischem und philosophischem Wissen" hiermit aufgelöst würde und dies der Freudschen Lehre etwas ihr Wesentliches nähme, nämlich die Verortung in einer "existenziellen Grunderfahrung" des Menschen, also auch die besondere Beziehung zwischen Arzt und Patient. Aber enttäuschend wird die Lektüre für Engels, wenn nach der Kritik an angelsächsischen Verkürzungen nur mehr, wie sie findet, das altbekannte Lacan-Dogma vom "Begehren des Analytikers" bleibt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Die Autorin legt eine Bestandsaufnahme der neuen Widrigkeiten vor, mit denen sich die Psychoanalyse rund hundert Jahre nach ihrem Beginn auseinandersetzen muß. Wenn sie denn weiterbestehen will." (Hans-Dieter Gondek, NZZ)