Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2005Tatami und Minimalismus
Schwach auflösende kulturelle Lupe: Peter Careys Tokio-Reise
Was ist das "echte Japan"? Liegt seine Essenz in jahrhundertealten Traditionen, Tempeln und Teezeremonien oder in seinen zeitgenössischen, populärkulturellen Formen? Der in Australien geborene und in New York lebende Schriftsteller Peter Carey macht sich gemeinsam mit seinem Sohn auf, das wahre Japan kennenzulernen. Angesichts des mangabegeisterten Teenagers stellt sich der Autor die Frage, "ob wir nicht die Wiege der japanischen Kultur durch diese strahlend hell erleuchtete Hintertür betreten konnten".
Sein Buch ist eine Mischung aus Fiktion, Essay, Reisebericht, Sach- und Tagebuch. Auf ihrer Zeitreise zwischen Science-fiction und Vergangenheit treffen Vater und Sohn Vertreter und Repräsentanten des alten und modernen Japan wie Schwertschmiede, Architekten, Mangazeichner und Anime-Regisseure. Dabei unterliegt die Reiseplanung den Interessen des Teenagers: "Er kaufte einen Stadtplan von Tokio und markierte ,schräge' Sachen mit violetten Sternen und ,coole' Sachen mit silbernen Kreisen." In der Vorstellung Careys verwischen sich die postmoderne Architektur Tokios, das "Labyrinth schmaler Gänge, Passagen, in denen nicht immer klar war, wo ein Geschäft endete und das nächste begann", mit den animierten Scheinwelten der Zeichentrickfilme. Entsprechend der kommerziell segmentierten Struktur Tokios durchqueren sie das Elektronikviertel Akihabara, das Amüsierviertel Shinjuku oder das Zentrum der Jugendkultur, Harajuku. In der "fließenden Welt" Tokios schildert Carey die Bekanntschaften mit Menschen, die im Alltag und nach Feierabend in unterschiedliche Rollen und Identitäten schlüpfen wie Punks oder Transvestiten. Gerade in den Anime wie "Die letzten Glühwürmchen" von Takahata Isao, das mit einem Kameraschwenk über das ausgebombte Tokio beginnt, entdeckt Carey "Artefakte, die es wert waren, unter die kulturelle Lupe genommen zu werden". Der Autor ergeht sich ferner in Gedankenexperimenten über Samurai und Salariman, Miyazaki und Walt Disney, Tatami und Minimalismus. Was aber als vergnügliches und selbstironisches Spiegelkabinett westöstlicher Kulturpraktiken beginnt, löst sich in der Folge zusehends in Platitüden, Mystifizierungen und Klischees auf. Indem er sich in seinen Stadtexkursionen im Reich der Zeichen verirrt, gerät er vom Lebensalltag in die Exotisierungsfalle.
Herausgekommen ist in Peter Careys Popmärchen ein Sammelsurium an Kuriositäten ohne tiefer gehende Bestandsaufnahme kultureller Unterschiede. Auch ist der Autor mit japanischen Wörtern und Begriffen, die zum Teil falsch geschrieben oder fehlinterpretiert werden, sichtlich überfordert. Im Gegensatz zur Vielschichtigkeit anderer Werke tritt in Careys auch im Tonfall wenig politisch korrektem Japan-Band ein reisephilosophischer Mehrwert, der aus dem Staunen und Reifen an Mißverständnissen gewonnen wäre, kaum zutage. So versäumt es der Autor entgegen seiner eigenen Bekundung, einen Blick hinter Japans grell-materielle und materialistische Manifestationen zu werfen. Vielmehr zeichnet Carey Japan in oberflächlicher Weise als In-Land der Popkultur.
STEFFEN GNAM
Peter Carey: "Wrong about Japan". Eine Tokyoreise. Erzählung. Aus dem Englischen übersetzt von Eva Kemper. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 144 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwach auflösende kulturelle Lupe: Peter Careys Tokio-Reise
Was ist das "echte Japan"? Liegt seine Essenz in jahrhundertealten Traditionen, Tempeln und Teezeremonien oder in seinen zeitgenössischen, populärkulturellen Formen? Der in Australien geborene und in New York lebende Schriftsteller Peter Carey macht sich gemeinsam mit seinem Sohn auf, das wahre Japan kennenzulernen. Angesichts des mangabegeisterten Teenagers stellt sich der Autor die Frage, "ob wir nicht die Wiege der japanischen Kultur durch diese strahlend hell erleuchtete Hintertür betreten konnten".
Sein Buch ist eine Mischung aus Fiktion, Essay, Reisebericht, Sach- und Tagebuch. Auf ihrer Zeitreise zwischen Science-fiction und Vergangenheit treffen Vater und Sohn Vertreter und Repräsentanten des alten und modernen Japan wie Schwertschmiede, Architekten, Mangazeichner und Anime-Regisseure. Dabei unterliegt die Reiseplanung den Interessen des Teenagers: "Er kaufte einen Stadtplan von Tokio und markierte ,schräge' Sachen mit violetten Sternen und ,coole' Sachen mit silbernen Kreisen." In der Vorstellung Careys verwischen sich die postmoderne Architektur Tokios, das "Labyrinth schmaler Gänge, Passagen, in denen nicht immer klar war, wo ein Geschäft endete und das nächste begann", mit den animierten Scheinwelten der Zeichentrickfilme. Entsprechend der kommerziell segmentierten Struktur Tokios durchqueren sie das Elektronikviertel Akihabara, das Amüsierviertel Shinjuku oder das Zentrum der Jugendkultur, Harajuku. In der "fließenden Welt" Tokios schildert Carey die Bekanntschaften mit Menschen, die im Alltag und nach Feierabend in unterschiedliche Rollen und Identitäten schlüpfen wie Punks oder Transvestiten. Gerade in den Anime wie "Die letzten Glühwürmchen" von Takahata Isao, das mit einem Kameraschwenk über das ausgebombte Tokio beginnt, entdeckt Carey "Artefakte, die es wert waren, unter die kulturelle Lupe genommen zu werden". Der Autor ergeht sich ferner in Gedankenexperimenten über Samurai und Salariman, Miyazaki und Walt Disney, Tatami und Minimalismus. Was aber als vergnügliches und selbstironisches Spiegelkabinett westöstlicher Kulturpraktiken beginnt, löst sich in der Folge zusehends in Platitüden, Mystifizierungen und Klischees auf. Indem er sich in seinen Stadtexkursionen im Reich der Zeichen verirrt, gerät er vom Lebensalltag in die Exotisierungsfalle.
Herausgekommen ist in Peter Careys Popmärchen ein Sammelsurium an Kuriositäten ohne tiefer gehende Bestandsaufnahme kultureller Unterschiede. Auch ist der Autor mit japanischen Wörtern und Begriffen, die zum Teil falsch geschrieben oder fehlinterpretiert werden, sichtlich überfordert. Im Gegensatz zur Vielschichtigkeit anderer Werke tritt in Careys auch im Tonfall wenig politisch korrektem Japan-Band ein reisephilosophischer Mehrwert, der aus dem Staunen und Reifen an Mißverständnissen gewonnen wäre, kaum zutage. So versäumt es der Autor entgegen seiner eigenen Bekundung, einen Blick hinter Japans grell-materielle und materialistische Manifestationen zu werfen. Vielmehr zeichnet Carey Japan in oberflächlicher Weise als In-Land der Popkultur.
STEFFEN GNAM
Peter Carey: "Wrong about Japan". Eine Tokyoreise. Erzählung. Aus dem Englischen übersetzt von Eva Kemper. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 144 S., geb., 17,90 [Euro].
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