Produktdetails
- Verlag: Pendo Verlag
- ISBN-13: 9783858423955
- ISBN-10: 3858423955
- Artikelnr.: 21257664
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2001Superman bleibt Tellerwäscher
Rumänisches Flüsterspiel: Catalin Dorian Florescus Debütroman
Manchmal sollen sich ja tatsächlich Wunder ereignen, wenn man nur fest genug daran glaubt. Ohne solchen Glauben wäre das Leben düster, zumal in einer Welt, die ihre Bewohner in "Genossen" und "Dissidenten" trennt und die streng vom "Obergenossen" Ceaucescu bewacht wird, vor dem sich besonders die Erwachsenen fürchten. An Wunder glauben muß man auch, wenn man als Junge an einer heimtückischen Muskelkrankheit leidet, die nur mit schweren orthopädischen Schuhen auszuhalten ist.
Der zehnjährige Alin ist zweifellos ein Alter ego des heute vierunddreißigjährigen, aus Rumänien stammenden Autors Catalin Dorian Florescu. In den vielen Träumen des Jungen kommen Außerirdische vor und attraktive Mädchen, vor allem aber die großen Helden aus den italienischen und amerikanischen Filmen, die zu Hause, in der engen Hochhauswohnung im rumänischen Temeswar, auf dem Fernsehbildschirm erscheinen. So wird das Leben im sozialistischen Alltag erträglicher, auch wenn wieder einmal die Schulnoten bedenklich ausgefallen sind und das Verhalten der Eltern dem Kind rätselhaft vorkommt: "Sie spielten das Flüsterspiel, wie es alle Erwachsenen in unserem Land kannten. Einer redet, so leise er kann, der andere schreckt alle paar Minuten auf und macht psst, psst."
Florescu spart in seinem Debütroman nicht mit solchen teils altklug, teils naiv klingenden Beschreibungen, schließlich kennt er das Leben im totalitären Staat aus eigener Anschauung. Entstanden ist aus seinen Beobachtungen ein moderner Schelmenroman mit dem hinkenden, träumerischen Alin im Mittelpunkt, einem jüngeren und harmlosen Bruder des kleinwüchsigen Oskar Matzerath. In den Augen des Kindes werden die vielen Absurditäten im rumänischen Alltag überaus anschaulich, verlieren durch eine oft verquere Logik aber zugleich ihre existentielle Bedrohlichkeit: "Dissident sein hieß, mit dem Milizmann nicht in der eigenen Küche über die Nachbarn zu reden und in einem Gefängnis Steine zu tragen, am besten einige Jahre lang."
Von diesem Schicksal bleibt Alins Vater zum Glück für die ganze Familie verschont, denn obwohl er seine Abneigung gegen Ceaucescus Regime kaum verbirgt, gelingt dem einfallsreichen Ingenieur Erstaunliches. Um der Krankheit seines Sohnes Einhalt zu gebieten, unternimmt dieser besorgte Vater enorme Anstrengungen, und hat - was noch erstaunlicher ist - Erfolg damit. So erhält er mitten in der Zeit des Kalten Krieges eine Ausreisegenehmigung und fährt mit Alin in die Länder ihrer bewunderten Filmhelden, nach Italien zuerst, wo sie warmherzige Freunde finden, dann aber nach Amerika, um dort Heilung für den kranken Sohn zu suchen. Alin erwidert die Fürsorge seines Vaters mit grenzenloser Bewunderung: "Väter schaffen's immer." Selten hat in der Literatur ein Sohn so ungehemmt für seinen Vater geschwärmt.
Doch auch die Wunder, die Alin seinem Vater zuschreibt, können nichts an der rauhen Wirklichkeit in der Neuen Welt ändern. Diesseits und jenseits des Atlantiks, im Kommunismus wie im Kapitalismus, so lautet das ernüchterte Fazit, leben die Menschen in Armut und flüchten vor ihren Problemen in Apathie oder Alkoholismus. Der allmächtige Superman ist eine Gestalt der Phantasie; auf der Karriereleiter bleibt Alins Vater auf der untersten Sprosse stecken. Er kommt über seinen Job als Tellerwäscher in einem schäbigen Lokal nicht hinaus. Alins Fuß wird zwar operiert, doch kehren Vater und Sohn bald nach Temeswar zurück, zum Kummer von Alins Mutter, für die dies einer Kapitulation vor dem sozialistischen Staat gleichkommt: Nur Spitzel oder Waschlappen kommen wieder.
Am Ende steht die ganze Familie erneut vor einem Schlagbaum und hat das letzte, kaum vorstellbare Wunder vollbracht: Anfang der achtziger Jahre nach der ersten Ausreise zum zweiten Mal Pässe zu bekommen und mit viel Beziehungen und noch mehr Glück Rumänien endgültig zu verlassen. Über die Ankunft im Westen erfahren wir nichts mehr, doch der Klappentext setzt fort, was der Roman erzählt: Wie sein Protagonist emigrierte Florescu 1982, als Fünfzehnjähriger, aus Rumänien. Heute lebt er als Psychologe in Zürich.
Mit seinem ersten Roman malt er die Geschichte einer Kindheit, die seiner eigenen gleicht, in schillernden Farben. Skurrile Gestalten bevölkern den Kosmos des Romans, eifersüchtige Ehemänner und ständig betrunkene Nachbarn, junge Geschichtslehrerinnen mit verlockenden Formen und strengen Grundsätzen, schwitzende Onkel und hilfsbereite Angestellte des Vatikans. Angesichts dieser Fabulierlust nimmt man es in Kauf, daß Florescu es manchmal zu gut meint mit der kindlichen Perspektive und bedenkenlos Kalauer zum besten gibt. Der Sozialismus gerät so in die Nähe eines Slapstickprogramms, und auch die Naturgewalten können sich der vorpubertären Welterklärung nicht entziehen: "Wenn die Erde einen Spalt kriegt, muß man sich aus dem Staub machen. Wenn die Mädchen ihn zeigen, bleibt man lieber bei der Sache." Wer solche Vergleiche gern liest, wird sich mit Florescus Roman gut amüsieren.
SABINE DOERING
Catalin Dorian Florescu: "Wunderzeit". Roman. Pendo Verlag, Zürich und München 2001. 288 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rumänisches Flüsterspiel: Catalin Dorian Florescus Debütroman
Manchmal sollen sich ja tatsächlich Wunder ereignen, wenn man nur fest genug daran glaubt. Ohne solchen Glauben wäre das Leben düster, zumal in einer Welt, die ihre Bewohner in "Genossen" und "Dissidenten" trennt und die streng vom "Obergenossen" Ceaucescu bewacht wird, vor dem sich besonders die Erwachsenen fürchten. An Wunder glauben muß man auch, wenn man als Junge an einer heimtückischen Muskelkrankheit leidet, die nur mit schweren orthopädischen Schuhen auszuhalten ist.
Der zehnjährige Alin ist zweifellos ein Alter ego des heute vierunddreißigjährigen, aus Rumänien stammenden Autors Catalin Dorian Florescu. In den vielen Träumen des Jungen kommen Außerirdische vor und attraktive Mädchen, vor allem aber die großen Helden aus den italienischen und amerikanischen Filmen, die zu Hause, in der engen Hochhauswohnung im rumänischen Temeswar, auf dem Fernsehbildschirm erscheinen. So wird das Leben im sozialistischen Alltag erträglicher, auch wenn wieder einmal die Schulnoten bedenklich ausgefallen sind und das Verhalten der Eltern dem Kind rätselhaft vorkommt: "Sie spielten das Flüsterspiel, wie es alle Erwachsenen in unserem Land kannten. Einer redet, so leise er kann, der andere schreckt alle paar Minuten auf und macht psst, psst."
Florescu spart in seinem Debütroman nicht mit solchen teils altklug, teils naiv klingenden Beschreibungen, schließlich kennt er das Leben im totalitären Staat aus eigener Anschauung. Entstanden ist aus seinen Beobachtungen ein moderner Schelmenroman mit dem hinkenden, träumerischen Alin im Mittelpunkt, einem jüngeren und harmlosen Bruder des kleinwüchsigen Oskar Matzerath. In den Augen des Kindes werden die vielen Absurditäten im rumänischen Alltag überaus anschaulich, verlieren durch eine oft verquere Logik aber zugleich ihre existentielle Bedrohlichkeit: "Dissident sein hieß, mit dem Milizmann nicht in der eigenen Küche über die Nachbarn zu reden und in einem Gefängnis Steine zu tragen, am besten einige Jahre lang."
Von diesem Schicksal bleibt Alins Vater zum Glück für die ganze Familie verschont, denn obwohl er seine Abneigung gegen Ceaucescus Regime kaum verbirgt, gelingt dem einfallsreichen Ingenieur Erstaunliches. Um der Krankheit seines Sohnes Einhalt zu gebieten, unternimmt dieser besorgte Vater enorme Anstrengungen, und hat - was noch erstaunlicher ist - Erfolg damit. So erhält er mitten in der Zeit des Kalten Krieges eine Ausreisegenehmigung und fährt mit Alin in die Länder ihrer bewunderten Filmhelden, nach Italien zuerst, wo sie warmherzige Freunde finden, dann aber nach Amerika, um dort Heilung für den kranken Sohn zu suchen. Alin erwidert die Fürsorge seines Vaters mit grenzenloser Bewunderung: "Väter schaffen's immer." Selten hat in der Literatur ein Sohn so ungehemmt für seinen Vater geschwärmt.
Doch auch die Wunder, die Alin seinem Vater zuschreibt, können nichts an der rauhen Wirklichkeit in der Neuen Welt ändern. Diesseits und jenseits des Atlantiks, im Kommunismus wie im Kapitalismus, so lautet das ernüchterte Fazit, leben die Menschen in Armut und flüchten vor ihren Problemen in Apathie oder Alkoholismus. Der allmächtige Superman ist eine Gestalt der Phantasie; auf der Karriereleiter bleibt Alins Vater auf der untersten Sprosse stecken. Er kommt über seinen Job als Tellerwäscher in einem schäbigen Lokal nicht hinaus. Alins Fuß wird zwar operiert, doch kehren Vater und Sohn bald nach Temeswar zurück, zum Kummer von Alins Mutter, für die dies einer Kapitulation vor dem sozialistischen Staat gleichkommt: Nur Spitzel oder Waschlappen kommen wieder.
Am Ende steht die ganze Familie erneut vor einem Schlagbaum und hat das letzte, kaum vorstellbare Wunder vollbracht: Anfang der achtziger Jahre nach der ersten Ausreise zum zweiten Mal Pässe zu bekommen und mit viel Beziehungen und noch mehr Glück Rumänien endgültig zu verlassen. Über die Ankunft im Westen erfahren wir nichts mehr, doch der Klappentext setzt fort, was der Roman erzählt: Wie sein Protagonist emigrierte Florescu 1982, als Fünfzehnjähriger, aus Rumänien. Heute lebt er als Psychologe in Zürich.
Mit seinem ersten Roman malt er die Geschichte einer Kindheit, die seiner eigenen gleicht, in schillernden Farben. Skurrile Gestalten bevölkern den Kosmos des Romans, eifersüchtige Ehemänner und ständig betrunkene Nachbarn, junge Geschichtslehrerinnen mit verlockenden Formen und strengen Grundsätzen, schwitzende Onkel und hilfsbereite Angestellte des Vatikans. Angesichts dieser Fabulierlust nimmt man es in Kauf, daß Florescu es manchmal zu gut meint mit der kindlichen Perspektive und bedenkenlos Kalauer zum besten gibt. Der Sozialismus gerät so in die Nähe eines Slapstickprogramms, und auch die Naturgewalten können sich der vorpubertären Welterklärung nicht entziehen: "Wenn die Erde einen Spalt kriegt, muß man sich aus dem Staub machen. Wenn die Mädchen ihn zeigen, bleibt man lieber bei der Sache." Wer solche Vergleiche gern liest, wird sich mit Florescus Roman gut amüsieren.
SABINE DOERING
Catalin Dorian Florescu: "Wunderzeit". Roman. Pendo Verlag, Zürich und München 2001. 288 S., geb., 39,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Offensichtlich gute Laune bereitet hat dieser Roman der Rezensentin Nicole Henneberg. Sie kann sich gar nicht genug begeistern für die Geschichte, die der rumänische Autor zu erzählen hat, ebenso wie für deren literarische Umsetzung: "seine anrührende, lebendige und schnörkellos erzählte Jugendgeschichte kommt so gut wie ohne Kunstgriffe aus". Fellinis "La Dolce Vita" spielt eine wesentliche Rolle für die Fantasiewelt der jugendlichen Protagonisten, der mit seinem Vater erst in Italien, dann unter ärmlichen Bedingungen in der Bronx lebt. Durch die Verbindung der "Realität mit Filmbildern" entsteht eine Welt, die nach Hennebergs Meinung "mehr Farbe und Intensität als die tatsächliche" besitzt und so scheint sie sich richtig angesteckt zu fühlen von dem guten Gefühl, das am Ende der Geschichte steht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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