»It was twenty years ago today« ? so setzt »Sgt. Pepper?s Lonely Hearts Club Band« ein, und in der Welt der Popmusik ist nichts mehr wie zuvor. Vom legendären Cover bis zu den Songtexten, die erstmals auf der Plattenhu?lle abgedruckt werden, als seien es Gedichte ? alles gehört zum Gesamtkunstwerk, an dem die Beatles monatelang tüfteln.1967 werden in den USA erstmals mehr Alben als Singles verkauft. Das Album wird zur medialen Bu?hne eines neuen Anspruchs: Pop will nicht mehr als bloße Unterhaltungsware gelten, Pop will fortan Kunst sein. Im »Summer of Love« herrscht ein Klima gegenseitiger Überbietungsversuche: Nicht nur Pink Floyd reiten auf der psychedelischen Welle. Bob Dylan beendet seine E-Gitarren-Experimente, Brian Wilson will das größte Album der Popgeschichte aufnehmen, und The Velvet Underground lassen Andy Warhol das Plattencover gestalten ? ihr Album kauft trotzdem niemand. Kenntnis- und anekdotenreich laden die Beiträge dieses Buchs dazu ein, jene Alben neu zu entdecken, die den Pop bis heute prägen ? und fu?hren wie nebenbei vor, was in diesem faszinierenden Jahr sonst noch geschah.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2017Wie man erwachsen wird, ohne seine Jugend zu verraten
Worauf sich Fans und Verächter einigen können: Ein Sammelband deutet Platten des Jahres 1967 als Meilensteine der Popgeschichte.
Von Peter Kemper
Im Jahr 1967 bombardierte die amerikanische Air Force Nordvietnam, Mao Tse-tungs Rote Brigaden wüteten in China, in den Vereinigten Staaten kam es zu schweren Massenunruhen, in Griechenland putschten sich die Obristen an die Macht - und westliche Jugendliche begingen ihren "Summer of Love". Der oft als fünfter Beatle bezeichnete Produzent George Martin erinnert sich: "Sie diskutierten über Revolution und ihr seelisches Gleichgewicht. ,Flowers' gaben ihnen ,Power'. Sie hatten Pot und Acid, Optimismus und Enthusiasmus. Sie hatten ,Happenings', ,Be-ins' und ,Love-ins'. Sie hatten Idealismus, Energie, Geld und Jugend. Und sie hatten noch etwas anderes: Sie hatten Musik."
1967 war auch das Jahr, in dem die Popmusik erwachsen wurde. Sie galt nicht länger bloß als klingende Tapete eines Lebensstils, sondern verwandelte sich von einer Unterhaltungsware mitunter sogar in Kunst, die ihre eigenen Bedingungen und Möglichkeiten mit reflektierte. Ein neuer Sammelband versucht anhand der wichtigsten Plattenproduktionen dieses Jahres, Stimmungslagen, Sehnsüchte und kulturelle Codes zu rekonstruieren. Nicht nur die drei Herausgeber, sondern fast alle Beiträger haben akademisch literaturwissenschaftlichen Hintergrund. Seit Jahren ist zu beobachten, dass Beiträge aus Disziplinen wie Philologie, Philosophie und Kulturtheorie den Pop-Diskurs erweitern.
Wenn Frank Kelleter das Debütalbum von "The Velvet Underground & Nico" in den Blick nimmt, wird noch einmal erlebbar, wie fernab vom "Swinging London" der Beatles in New York um Andy Warhol ein Kunstprojekt entstand, das mit seiner fast abweisenden Nüchternheit und konfrontativen Krach-Landschaft alle Flower-Power-Blütenträume unterminierte: "Die neue Bondage-Ästhetik der Factory harmonierte hervorragend mit den schwarzen Lederjacken und Sonnenbrillen der Velvet Underground. Leder und Samt signalisierten Begehren und Coolness zugleich."
Wenn Kelleter behauptet, Maureen Tucker sei die "erste weibliche Drummerin der Rockgeschichte" gewesen, hätte zwar ein genauerer Blick in ebenjene Rockgeschichte nicht geschadet, um zu sehen, dass bereits 1962 in England mit den Liverbirds eine rein weibliche Beatband am Start war (und wichtiger noch war sicherlich 1964 Ann Lantree als Schlagzeugerin der Honeycombs). Doch Kelleters Beitrag gibt ein eindringliches Bild der "Cliquenhölle" um Warhol und Lou Reed, das selbst die rätselhafte Nico etwas greifbarer werden lässt.
Eher keine so gute Idee war es, den Schriftsteller Frank Witzel mit dem zentralen Essay über das Beatles-Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" zu betrauen. Mit Rückgriff auf Susan Sontag und Leslie Fiedler zeigt er zunächst, dass "Sgt. Pepper" das gelungene Resultat eines Übergangsritus ist. "Der offensichtliche Widerspruch bestand in den Sechzigern nun darin, diese sogenannte Jugendkultur nicht durch ein Erwachsenwerden zu verraten oder zu denunzieren und gleichzeitig nicht in die narzisstische Falle des ewigen Jugendlichen zu geraten." Gleichzeitig kommt Witzel aber zu einer bizarren Interpretation des Albums, wenn er behauptet, ausgerechnet Ringo halte "Sgt. Pepper" durch sein Spiel zusammen: "Das Schlagzeug ist das signifikante Instrument der Platte, das mit ungewöhnlichen Breaks und gitarrenähnlichen Riffs nicht länger allein den Rhythmus unterstreicht, sondern eine eigene Melodieführung übernimmt." Dabei ist es doch gerade die erstmals durch Studiotechnik realisierte kaleidoskopische Vielfalt der Instrumente, der Klangfarben und ihrer Verfremdungen, die das Album so innovativ machte.
Natürlich darf in diesem popkulturellen Kontext auch das Debütalbum von Pink Floyd nicht fehlen. Gerhard Kaiser demonstriert in seiner Betrachtung, warum "The Piper at the Gates of Dawn" das "einzige Pink-Floyd-Album (ist), auf das sich bis heute alle einigen können. Alle - das schließt neben den Abermillionen von Fans selbst die Verächter der Band mit ein, und das sind auch nicht gerade wenige . . .".
Von detektivischem Tiefgang ist Heinrich Deterings Analyse des Bob-Dylan-Albums "John Wesley Harding". In seiner Spurensuche deckt er auf, welche Verfremdungseffekte Dylan in diesem zunächst spröde und sperrig wirkenden Werk einsetzte, das bei seinem Erscheinen Ende 1967 bewusst quer stand zum psychedelischen Pop-Underground. Dessen Ursprünge an der amerikanischen Westküste zeichnen die Beiträge über die Debütalben von Grateful Dead und Jefferson Airplane detailliert nach. Dass die Byrds mit ihrer Platte "Younger Than Yesterday" wirklich zu den wichtigsten Exponenten des Pop-Schaltjahres 1967 zählen, kann man bezweifeln, wenn dafür gleichzeitig so zentrale Produktionen wie "Disraeli Gears" von Cream, "Absolutely Free" von den Mothers of Invention oder die Rolling-Stones-Platte "Their Satanic Majesties Request" auf der Strecke bleiben.
Das erste Album der Jimi Hendrix Experience, "Are You Experienced?", gehört natürlich zwingend zum Kanon von 1967 - danach war die E-Gitarre ein völlig anderes Instrument -, und auch das Debüt der Doors mit seinem Fokus auf "Rausch, Sex und Tod" mag ihm zuzuschlagen sein. Selbst das Beach-Boys-Album "Smiley Smile" lässt sich mit viel Wohlwollen zu den wichtigsten Veröffentlichungen von 1967 rechnen. Bei Aretha Franklins LP-Produktion "I Never Loved a Man the Way I Love You" stellt sich die Relevanz-Frage erst gar nicht: Vea Kaiser zeigt, dass die "Queen of Soul" hier mit seltenem Selbstbewusstsein die "Lust einer Lady" thematisiert und damit "einer breiteren Zuhörerschaft die Verbindung von Irdischem und Himmlischem in der Musik näherbringt".
Das heute fast vergessene Debütalbum von David Bowie, das schon damals floppte, möchte man aber eher nicht zu den Meisterwerken des Jahres zählen. Irritierend ist auch der abschließende Essay von Moritz Baßler über "Die neuen Pop-Paradigmen und ihre Rezeption in Deutschland". Er attestiert der bundesdeutschen Musikszene pauschal: "Deutschland hat Pop in den 1960er Jahren nicht verstanden." Dieses absurde Verdikt gründet er allein auf die Analyse von deutschen Coverversionen angloamerikanischer Hits und ihrer Resonanz in damaligen Szene-Blättern wie "Bravo" oder "Twen". Das Radio - namentlich die damaligen Piratensender - als vielleicht wichtigstes Medium popkultureller Sozialisation und Verständigung taucht bei ihm gar nicht auf. Und muss man hier nicht auch der ungeheuer breiten und reichen Band-Bewegung - mehr als dreitausend deutsche Rockgruppen gab es im Deutschland der sechziger Jahre - Rechnung tragen?
Trotzdem, es gelingt dem Buch insgesamt ausgezeichnet, die Atmosphäre des popkulturellen Aufbruchs dieses Jahres wieder aufleben zu lassen.
"Younger Than Yesterday". 1967 als Schaltjahr des Pop.
Hrsg. von Gerhard Kaiser, Christoph Jürgensen und Antonius Weixler. Wagenbach Verlag, Berlin 2017. 256 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Worauf sich Fans und Verächter einigen können: Ein Sammelband deutet Platten des Jahres 1967 als Meilensteine der Popgeschichte.
Von Peter Kemper
Im Jahr 1967 bombardierte die amerikanische Air Force Nordvietnam, Mao Tse-tungs Rote Brigaden wüteten in China, in den Vereinigten Staaten kam es zu schweren Massenunruhen, in Griechenland putschten sich die Obristen an die Macht - und westliche Jugendliche begingen ihren "Summer of Love". Der oft als fünfter Beatle bezeichnete Produzent George Martin erinnert sich: "Sie diskutierten über Revolution und ihr seelisches Gleichgewicht. ,Flowers' gaben ihnen ,Power'. Sie hatten Pot und Acid, Optimismus und Enthusiasmus. Sie hatten ,Happenings', ,Be-ins' und ,Love-ins'. Sie hatten Idealismus, Energie, Geld und Jugend. Und sie hatten noch etwas anderes: Sie hatten Musik."
1967 war auch das Jahr, in dem die Popmusik erwachsen wurde. Sie galt nicht länger bloß als klingende Tapete eines Lebensstils, sondern verwandelte sich von einer Unterhaltungsware mitunter sogar in Kunst, die ihre eigenen Bedingungen und Möglichkeiten mit reflektierte. Ein neuer Sammelband versucht anhand der wichtigsten Plattenproduktionen dieses Jahres, Stimmungslagen, Sehnsüchte und kulturelle Codes zu rekonstruieren. Nicht nur die drei Herausgeber, sondern fast alle Beiträger haben akademisch literaturwissenschaftlichen Hintergrund. Seit Jahren ist zu beobachten, dass Beiträge aus Disziplinen wie Philologie, Philosophie und Kulturtheorie den Pop-Diskurs erweitern.
Wenn Frank Kelleter das Debütalbum von "The Velvet Underground & Nico" in den Blick nimmt, wird noch einmal erlebbar, wie fernab vom "Swinging London" der Beatles in New York um Andy Warhol ein Kunstprojekt entstand, das mit seiner fast abweisenden Nüchternheit und konfrontativen Krach-Landschaft alle Flower-Power-Blütenträume unterminierte: "Die neue Bondage-Ästhetik der Factory harmonierte hervorragend mit den schwarzen Lederjacken und Sonnenbrillen der Velvet Underground. Leder und Samt signalisierten Begehren und Coolness zugleich."
Wenn Kelleter behauptet, Maureen Tucker sei die "erste weibliche Drummerin der Rockgeschichte" gewesen, hätte zwar ein genauerer Blick in ebenjene Rockgeschichte nicht geschadet, um zu sehen, dass bereits 1962 in England mit den Liverbirds eine rein weibliche Beatband am Start war (und wichtiger noch war sicherlich 1964 Ann Lantree als Schlagzeugerin der Honeycombs). Doch Kelleters Beitrag gibt ein eindringliches Bild der "Cliquenhölle" um Warhol und Lou Reed, das selbst die rätselhafte Nico etwas greifbarer werden lässt.
Eher keine so gute Idee war es, den Schriftsteller Frank Witzel mit dem zentralen Essay über das Beatles-Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" zu betrauen. Mit Rückgriff auf Susan Sontag und Leslie Fiedler zeigt er zunächst, dass "Sgt. Pepper" das gelungene Resultat eines Übergangsritus ist. "Der offensichtliche Widerspruch bestand in den Sechzigern nun darin, diese sogenannte Jugendkultur nicht durch ein Erwachsenwerden zu verraten oder zu denunzieren und gleichzeitig nicht in die narzisstische Falle des ewigen Jugendlichen zu geraten." Gleichzeitig kommt Witzel aber zu einer bizarren Interpretation des Albums, wenn er behauptet, ausgerechnet Ringo halte "Sgt. Pepper" durch sein Spiel zusammen: "Das Schlagzeug ist das signifikante Instrument der Platte, das mit ungewöhnlichen Breaks und gitarrenähnlichen Riffs nicht länger allein den Rhythmus unterstreicht, sondern eine eigene Melodieführung übernimmt." Dabei ist es doch gerade die erstmals durch Studiotechnik realisierte kaleidoskopische Vielfalt der Instrumente, der Klangfarben und ihrer Verfremdungen, die das Album so innovativ machte.
Natürlich darf in diesem popkulturellen Kontext auch das Debütalbum von Pink Floyd nicht fehlen. Gerhard Kaiser demonstriert in seiner Betrachtung, warum "The Piper at the Gates of Dawn" das "einzige Pink-Floyd-Album (ist), auf das sich bis heute alle einigen können. Alle - das schließt neben den Abermillionen von Fans selbst die Verächter der Band mit ein, und das sind auch nicht gerade wenige . . .".
Von detektivischem Tiefgang ist Heinrich Deterings Analyse des Bob-Dylan-Albums "John Wesley Harding". In seiner Spurensuche deckt er auf, welche Verfremdungseffekte Dylan in diesem zunächst spröde und sperrig wirkenden Werk einsetzte, das bei seinem Erscheinen Ende 1967 bewusst quer stand zum psychedelischen Pop-Underground. Dessen Ursprünge an der amerikanischen Westküste zeichnen die Beiträge über die Debütalben von Grateful Dead und Jefferson Airplane detailliert nach. Dass die Byrds mit ihrer Platte "Younger Than Yesterday" wirklich zu den wichtigsten Exponenten des Pop-Schaltjahres 1967 zählen, kann man bezweifeln, wenn dafür gleichzeitig so zentrale Produktionen wie "Disraeli Gears" von Cream, "Absolutely Free" von den Mothers of Invention oder die Rolling-Stones-Platte "Their Satanic Majesties Request" auf der Strecke bleiben.
Das erste Album der Jimi Hendrix Experience, "Are You Experienced?", gehört natürlich zwingend zum Kanon von 1967 - danach war die E-Gitarre ein völlig anderes Instrument -, und auch das Debüt der Doors mit seinem Fokus auf "Rausch, Sex und Tod" mag ihm zuzuschlagen sein. Selbst das Beach-Boys-Album "Smiley Smile" lässt sich mit viel Wohlwollen zu den wichtigsten Veröffentlichungen von 1967 rechnen. Bei Aretha Franklins LP-Produktion "I Never Loved a Man the Way I Love You" stellt sich die Relevanz-Frage erst gar nicht: Vea Kaiser zeigt, dass die "Queen of Soul" hier mit seltenem Selbstbewusstsein die "Lust einer Lady" thematisiert und damit "einer breiteren Zuhörerschaft die Verbindung von Irdischem und Himmlischem in der Musik näherbringt".
Das heute fast vergessene Debütalbum von David Bowie, das schon damals floppte, möchte man aber eher nicht zu den Meisterwerken des Jahres zählen. Irritierend ist auch der abschließende Essay von Moritz Baßler über "Die neuen Pop-Paradigmen und ihre Rezeption in Deutschland". Er attestiert der bundesdeutschen Musikszene pauschal: "Deutschland hat Pop in den 1960er Jahren nicht verstanden." Dieses absurde Verdikt gründet er allein auf die Analyse von deutschen Coverversionen angloamerikanischer Hits und ihrer Resonanz in damaligen Szene-Blättern wie "Bravo" oder "Twen". Das Radio - namentlich die damaligen Piratensender - als vielleicht wichtigstes Medium popkultureller Sozialisation und Verständigung taucht bei ihm gar nicht auf. Und muss man hier nicht auch der ungeheuer breiten und reichen Band-Bewegung - mehr als dreitausend deutsche Rockgruppen gab es im Deutschland der sechziger Jahre - Rechnung tragen?
Trotzdem, es gelingt dem Buch insgesamt ausgezeichnet, die Atmosphäre des popkulturellen Aufbruchs dieses Jahres wieder aufleben zu lassen.
"Younger Than Yesterday". 1967 als Schaltjahr des Pop.
Hrsg. von Gerhard Kaiser, Christoph Jürgensen und Antonius Weixler. Wagenbach Verlag, Berlin 2017. 256 S., geb., 24,- [Euro].
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