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Produktdetails
  • Verlag: Lars Müller Publishers, Zürich
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 528
  • Erscheinungstermin: Mai 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 165mm x 240mm
  • Gewicht: 1355g
  • ISBN-13: 9783907044933
  • ISBN-10: 3907044932
  • Artikelnr.: 08170298
Autorenporträt
CLAUDE LICHTENSTEIN, born 1949, is a curator, lecturer, and author. 1985 2002 he was a curator at Museum fu r Gestaltung Zu rich. Since 2002, he has been working as an independent exhibition curator
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.1999

Mein Werk sei formschön, elegant und preiswert
Welcome to the Pleasure Dome: Buckminster Fullers Luftroller schlugen die tollsten Kapriolen

Seit sechzehn Jahren, seit seiner tödlichen Herzattacke 1983, muss die Welt ohne ihn auskommen. Richard Buckminster Fuller hatte ihr eine glänzende Zukunft prophezeit, vorausgesetzt, sie hielte sich an seine Direktiven. Wo gab es in unseren Tagen noch jemanden, der mit derartigem Zukunftsfrohsinn an ein naturbestimmtes Ziel endlicher Weltbeherrschung glaubte? Lange bevor die Astronauten den Blauen Planeten Erde als Raumkapsel im All schweben sahen, hatte Bucky Fuller das Wort vom Raumschiff Erde geprägt. Dessen großer Konstrukteur habe dem Bedienungspersonal der Menschheit absichtsvoll die Gebrauchsanweisung vorenthalten. Nun müsse die experimentierende Mannschaft ihre eigenen, heilsamen Lernerfahrungen machen.

Als Sicherheitsfaktor hat die Natur laut Fuller dem Menschen die Reichtümer dieser Erde mitgegeben. Sie sind das Startkapital, damit er in Ruhe das Management seines Planeten erlernen kann: perfektes Recycling, Nutzung der erneuerbaren Energiequellen, Ausbildung seiner Fertigkeiten und Kenntnisse, Beherrschung aller Konflikte. Irrtümer sind erlaubt, allerdings nur für begrenzte Zeit. Die Katastrophe droht dann, wenn der Mensch die ihm zugebilligte Schonfrist überschreitet. Für diesen Fall konnte auch der gelernte Optimist zur Kassandra werden. Sein weltlicher Heilsplan war nicht gegen das Scheitern gefeit.

Die Verbindung von Homo Faber und Homo doctus, die Fuller von den künftigen Weltmanagern erwartete, entsprach dem Mischungsverhältnis seiner eigenen Talente. Der Prophet aus Milton, Massachusetts, war Physiker und Mathematiker, Ökologe und Ökonom, Erfinder und Organisator, begnadeter Dauerredner (bis zu zweiundvierzig Stunden) und ein weniger begnadeter Kinderbuchautor. Er hat seine Zeitgenossen mit anschnallbaren Düsenaggregaten für den Einmannbetrieb beglücken wollen, mit einer Nebelpistole, die den zeitraubenden Vorgang des Waschens abkürzen sollte, mit seriell herstellbaren Sanitärzellen. Seine Weltkarte, die an die Stelle der üblichen Mercator-Projektion treten sollte, konnte mit ihren unterschiedlich anzuordnenden Teilflächen die wechselnden Interessen und Strategien der Mächtigen verdeutlichen. Fuller war überzeugt, dass die Menschen anders handeln würden, wenn sich das Bild, das sie von ihrer Welt hatten, änderte.

Wie in der guten alten William-Morris-Tradition sollte nur das erfunden und produziert werden, was nützt, und nicht, was überflüssig ist. Fuller hasste, was schwer und gewichtig ist, was lastet und belastet. Er war der Erste, der die Frage stellte, was ein Haus eigentlich wiegt. Design im Sinne Fullers sollte zu einem realen Vermögenszuwachs des Menschen führen. Synergie war sein Zauberwort. Darunter verstand er das Zusammenwirken der Teile zu einer Gesamtleistung, die mehr ist als die Addition der Einzelleistungen.

Es gehört zu den Paradoxien dieses Werks, dass trotzdem diejenigen seiner Erfindungen den größten publizistischen Erfolg hatten, die eine ungewöhnliche Ästhetik aufwiesen. Das Dymaxion-Haus von 1929 machte Sensation, weil man noch nie ein metallenes Gehäuse gesehen hatte, das an einem zentralen Mast hing, und nicht, weil es weniger Material verbrauchte, leicht montierbar war und in großer Auflage Kosten erspart hätte. Das dreirädrige Dymaxion-Auto, das auf der Weltausstellung 1933 in Chicago gezeigt wurde, faszinierte wegen seiner windschnittigen, tropfenförmigen Karosserie aus Aluminiumblech, nicht wegen seines (übrigens beklagenswerten) Fahrverhaltens.

Der neue Band, der im Zusammenhang mit einer Wanderausstellung des Zürcher Museums für Gestaltung entstand, ermöglicht einen spontanen und lustvollen Zugang zu Buckys Welt. Die Herausgeber, Joachim Krausse und Claude Lichtenstein, haben sich nicht für eine kontinuierlich-ordentliche Darstellung entschieden, sondern sich an einer fullerschen idée fixe orientiert. Dieser Apostel der Spontaneität erlegte seinem kreativen Chaos die peinlichste Ordnung auf und bewahrte Hotelrechnungen, Entwurfsskizzen und Patenteingaben in ledergebundenen Einbänden und Kassetten. Fuller fasste sein eigenes Leben als Dauerexperiment auf; die "Chronofiles", wie er seine Tagebücher nannte, waren der begleitende Rechenschaftsbericht. Sie nahmen schließlich mehr als hundert laufende Meter ein.

Auf diesen Umfang kommt das gewichtige Buch gottlob nicht. Doch Fullers Mixtur von Pedanterie und Chaos haben sich die Autoren bis ins Buchlayout zu Eigen gemacht. Textseiten sind mit farbigen Fonds unterlegt und vertikal oder horizontal akkurat zweigeteilt. Alle Fuller-Texte wurden in einer Antiquaschrift gesetzt, alle Herausgeberkommentare in Groteskschrift. Im Übrigen sieht sich der Leser oder Blätterer einem Konvolut von Zeitungsschnipseln, Erinnerungsfotos, unbeholfenen bis suggestiven Zeichnungen, Briefen, Fundstücken, großbuchstabigen Zitaten gegenüber: ein collagierter Buchfilm. Rem Koolhaas, der diese Art Montagen unter Architekten populär gemacht hat, lässt grüßen.

Mit dem bisher unveröffentlichten Material aus Fullers Archiven tritt der biographische Zusammenhang deutlicher hervor als in früheren Publikationen. In Fullers Jugend spielte ein Atlantikinselchen namens Bear Island eine große Rolle, das seine Großmutter als Sommerfrische der Familie erworben hatte. Der junge Mann, der später mit dem familieneigenen Boot Militärdienst in der Marine leistete, lernte hier die Technik kennen, sich die Kräfte der Natur - Wind und Strömung - zu Nutze zu machen, mit Hilfe der Sterne zu navigieren, funktionierende Lebenswelten auf engster Fläche zu konstruieren. Auch Schiffe sind Raumschiffe.

So war auch der Fortschritt der Menschheit für Fuller mit den Ozeanen verbunden, die drei Viertel des Globus bedecken. Ginge es nach ihm, hätte die Erde "Wasser" heißen müssen. Die Bevorzugung dieses Elementes hatte auch einen moralisch-ökologischen Aspekt. Wenn der Bauer pflügt, verletzt er die Erde. Wenn der Steuermann mit seinem Schiff das Meer durchpflügt, schließt es sich hinter ihm wieder, als sei nichts gewesen.

Die Texte, die von den Herausgebern stammen, konzentrieren sich auf Interpretation und verzichten weitgehend auf Kritik. Ihr Standpunkt deckt sich durchweg mit den Ansichten ihres Helden. Begründete Einwände wie die gegen das Dymaxion-Auto sind selten. Dabei hätte man gern erfahren, was beispielsweise die Statiker heute von Buckys Tensegrity-Systemen halten - Tragwerken, bei denen die druckbelasteten Stäbe diskontinuierlich im zugbelasteten Netzwerk "tanzen". Die megalomanen Kuppelprojekte Fullers, der halb Manhattan unter die Käseglocke einer Klimahülle stecken wollte, lassen die Autoren ungerügt durchgehen. Unvorstellbar, wenn das gewaltige Projekt von einem Schicksal betroffen worden wäre, wie es Fullers gefeierten amerikanischen Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal ereilte: Bei Schweißarbeiten an der Stahlkonstruktion ging die Acrylhülle in Flammen auf.

Die Kuppeln waren der große wirtschaftliche Erfolg Fullers. Innerhalb weniger Jahre soll er mehr als tausend entworfen oder in Lizenz gegeben haben. In immer neuen polygonalen Rastern entstanden sie für Reparaturbetriebe und Konzertveranstalter, als Lagerhallen und Flugzeughangars, als komfortable Wohnhäuser oder Unterkünfte in Notstandsgebieten. Den Grundsatz aller Technik, mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Wirkung zu erzielen, erfüllten sie perfekt. Zugleich befriedigten sie verborgenen Symbolbedarf. Die domes assoziierten Himmelskuppel und Mother Earth, erfüllten den Drang nach platonisch vollkommener Geometrie, versprachen unter ihrer schützenden Hülle den Garten Eden.

In seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten wurde Bucky Fuller zu einer Art Guru, halb Thomas Edison, halb Billy Graham, und ein Stück Ralph Waldo Emerson noch dazu. Der Club of Rome in einer Person. Die Nasa interessierte sich ebenso für ihn wie die Hippieszene, die sich ihre Aussteiger-Bleiben nach Fullers Anleitungen baute. Man darf annehmen, dass ihm die einen Anhänger so recht waren wie die anderen, gehörten sie doch sämtlich zur Crew des Raumschiffs Erde.

WOLFGANG PEHNT

Joachim Krausse, Claude Lichtenstein (Hrsg.): "Your Private Sky". R. Buckminster Fuller. Design als Kunst einer Wissenschaft. Aus dem Amerikanischen von den Herausgebern. Verlag Lars Müller, Zürich 1999. 524 S., zahlreiche Farb- u. S/W-Abb., geb., 98,- DM.

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