Yuanmingyuan das ist: der größte Palastgarten Chinas. Ehemals ein idyllisches Wunderland aus Villen, Tempeln, Pagoden, Seen und Hügellandschaften heute ein Ruinenfeld. Im ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhundert entstanden, erstreckt sich das Parkgelände im Pekinger Nordwesten über eine Gesamtfläche von 350 Hektar. Die Herrscher der Qing-Dynastie nutzten es als ihren Sommerpalast, horteten hier zahllose Kostbarkeiten und imposante Schätze und erweiterten ihn fortwährend in Europa galt der Yuanmingyuan deswegen als Chinas Versailles , ein gleichsam bedeutender wie tragischer Ort: Hier suchten die Kaiser Erholung und Zerstreuung. Hier empfingen sie die Unterhändler aus dem Westen, schlossen Staatsgeschäfte ab. Im Zweiten Opiumkrieg wurde er von englischen und französischen Truppen zerstört und später auch von den Einwohnern Pekings weiter verwüstet und geplündert. Rainer Kloubert zeichnet diese Geschichte des Yuanmingyuan als einen Spaziergang auf den Spuren der Zerstörung nach. Der Erzähler porträtiert die versunkene Schönheit der Landschaft sowie der architektonischen Prinzipien und Besonderheiten des Palastes und flicht in seinen Bericht von der Zerstörung und Plünderung Episoden aus der chinesischen Kulturwelt ein, die dem Europäer mitunter kurios erscheinen. Eine Erzählung von Kaisern, Konkubinen und Eunuchen, Jesuiten, ausländischen Delegationen und Diplomaten, von Forschungsreisenden, Botanikern und Fotografen. Der zweite Band der Trilogie über Chinas jüngste Geschichte, großformatig, mit zahlreichen Abbildungen und einem Register.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013Komm in den alten Park und schau
Nach einem Sinologen mit besserer Kenntnis von Land und Sprache wird man lange suchen müssen: Rainer Klouberts Bücher über das nordchinesische Seebad Peitaiho und den Garten des Alten Sommerpalasts in Peking sind Pioniertat und Lesegenuss.
Von Jürgen Osterhammel
Es ist nicht leicht, einen Ton zu finden, in dem sich über China schreiben lässt. Der kühle Akademismus von Geschichte und Sinologie, die technizistische Sprödigkeit sozialwissenschaftlicher, besonders ökonomischer China-Forschung, alarmierte Hysterie angesichts eines erwarteten Griffs nach der Weltmacht, Empörung und Bitterkeit politischer Kritik an Polizeirepression und Kaderwillkür, ein Sarkasmus, der eine ältere Verachtung für den maoistischen Kommunismus als Spott über den Konsumismus der chinesischen Gegenwart erneuert: Das sind typische Haltungen, die jedoch Wünsche nach einem umfassenderen Zugriff offenlassen. Mit mehr Polychromie, verbunden mit einem wissenschaftlich untadeligen Stilwillen, hat allein der amerikanische Historiker Jonathan Spence eine große Leserschaft erreicht. Zu ihm gesellt sich nun Rainer Kloubert mit zwei großformatigen Bänden, in denen er ein originelles und unverwechselbares literarisches Verfahren praktiziert.
Kloubert, ein Sinologe mit tiefer Landeskenntnis und geradezu lexikomaner Sprachkompetenz, ist ein flanierender Dokumentarist. Einem chinesischen Karl Schlögel ähnlich, erschließt er sich auf ambulante Weise Orte, die er unbefangen auf sich wirken lässt und die er auch, sofern es der Veranschaulichung dient, fotografiert. Zugleich aber kennt er die historischen Quellen so gut, dass er über die inspizierten Lokalitäten unendlich viel weiß. Er liest Landschaften, erinnert an die längst verstorbenen Bewohner von Häusern, die man heute noch betreten kann, und beschreibt mit exakter Einbildungskraft Paläste und Monumente, von denen noch nicht einmal Trümmer erhalten sind, deren Abmessungen er aber aus alten Plänen zentimetergenau rekonstruiert. Detailsatte Exkurse - über Qualitätskriterien für Wassermelonen oder die korrekte Befestigung einer Taubenflöte - würzen beide Bände.
Dieses Verfahren bewährt sich recht ordentlich im Falle des nordchinesischen Seebades Peitaiho (in heutigen Reiseführern unter "Beidaihe" zu finden) und triumphal für den Alten Sommerpalast in Peking (Kloubert verweigert sich der offiziellen Schreibweise "Beijing"), den Yuanmingyuan. Peitaiho wurde erst in den 1890er Jahren als mondäner Badeort für westliche Ausländer und wohlhabende Chinesen erschlossen; heute ist es teils Schauplatz touristischen Massenrummels, teils abgeschirmter Rückzugsort für Superreiche und die politische Nomenklatura. Indem der Chronist von einer verwunschenen Villa zur nächsten spaziert, evoziert er aus großem Quellenreichtum die Schicksale ihrer Bewohner aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Bekannte historische Persönlichkeiten sind darunter wie Sir Robert Hart (1835-1911), jahrzehntelang als Chef des Seezollamtes ein hoher Mandarin des kaiserlichen Staates, oder der avantgardistische Dichter Xu Zhimo (1897-1931), daneben nicht weniger prägnant und unterhaltsam beschriebene Gestalten von geringerer Prominenz: Warlords, Diplomaten, Abenteurer und "ausländische Experten", unter ihnen besonders faszinierend der österreichische Architekt Rolf Geyling (1884-1952), dem Peitaiho und die nahe Großstadt Tianjin zahlreiche gelungene Bauten verdanken.
Rainer Klouberts biographisches Potpourri aus der chinesischen Republikzeit wird alle Liebhaber von Intrige, Verbrechen und erotischer Leidenschaft, von Heldenmut, Geschäftstüchtigkeit und stillem Gelehrtentum im verflossenen China des revolutionären Übergangs für sich gewinnen. Als historisches Epochenporträt ist es nicht gedacht. Wer über die größeren Zusammenhänge nicht schon Bescheid weiß, erfährt von ihnen wenig. Probleme der historischen Analyse werden kaum angesprochen; die neue Aktualität der Republikzeit für das heutige China, das etwa an den embryonalen Kapitalismus vor 1949 anknüpft, bleibt unerwähnt.
Anspruchsvoller ist der Band über den Yuanmingyuan: ein Lesegenuss ebenso wie eine wissenschaftliche Pioniertat. Heute ein gepflegter Park am nordwestlichen Rand der Pekinger Innenstadt, den Rainer Kloubert so gut kennt, dass er dort immer wieder demselben weißen Kaninchen und denselben skurrilen Stammbesuchern begegnet, war der Yuanmingyuan nach seiner Fertigstellung 1775 für weniger als ein Jahrhundert ein riesiges ästhetisches Ensemble, einzigartig auf der Welt. Das Areal war mit 350 Hektar mehr als doppelt so groß wie der Londoner Hyde Park. 160 000 Quadratmeter davon waren bebaut, deutlich mehr als in der Verbotenen Stadt, dem eigentlichen Kaiserpalast im Herzen von Peking. Ein Wunderwerk von Palazzi, Pavillons, Tempeln, Pagoden, Wasserspielen, Teichen, Kanälen, Brücken, Anhöhen und Aussichtspunkten, diente der Yuanmingyuan seinem Schöpfer, dem Kaiser Qianlong und seinen Nachfolgern ebenso als sommerliche Bühne monarchischer Prachtentfaltung wie als Ort stiller Kontemplation. Eine Fülle chinesischer Quellen und vereinzelte Beschreibungen von Europäern ermöglichen es, Glanz und Raffinesse der Anlage zumindest ahnen zu lassen.
Sehen kann man von ihr so gut wie nichts mehr, denn sie wurde 1860 am Ende des Zweiten Opiumkrieges von britischen und französischen Truppen gründlich geplündert und kurz danach von den Briten (die Franzosen schauten zu) als Vergeltung für die Misshandlung und Ermordung von Emissären niedergebrannt: ein Akt der Barbarei, den Kloubert nicht, wie üblich, aus der moralischen Verworfenheit des Oberbefehlshabers Lord Elgin erklärt, sondern teilweise aus der Handlungslogik der Situation. Die Holzkonstruktionen im Palastgarten fielen den Flammen rasch zum Opfer. Was man heute noch sieht, sind pittoresk dekorierte Steintrümmer von Gebäuden in einem leicht sinisierten Barockstil, die der Kaiser bei Giuseppe Castiglione und anderen Baumeistern unter seinen Hofjesuiten für einen Nebenbezirk des Parks in Auftrag gegeben hatte. Die Europäer, so heute die offizielle Botschaft an die Besucher, hätten ihre "eigenen" Kunstwerke zerstört.
Dies bezweifelt Rainer Kloubert. Er zieht Schriftquellen und frühe fotografische Dokumente heran, um die Vermutung zu stützen (ein unanfechtbarer Beweis ist unmöglich), dass die westlichen Gebäude im Yuanmingyuan dem Vandalismus von 1860 weithin entgingen und erst später peu à peu von der anwohnenden chinesischen Bevölkerung demontiert wurden; den buchstäblich letzten Stoß versetzte ihnen das Tangshan-Erdbeben von 1976. Auch von den viel umfangreicheren Hauptanlagen blieb nach 1860 zunächst noch manches erhalten. Die Verwüstung des schönsten Kleinods der Kaiserzeit wurde in einer langen Phase des Staatszusammenbruchs und der Schutzlosigkeit zwischen dem Boxeraufstand (1900) und der Kulturrevolution (1966-76) vollendet - von Chinesen auf der Suche nach Brennholz, Baumaterial und Ackerland.
Rainer Kloubert: "Peitaiho". Großer chinesischer Raritätenkasten.
Elfenbein Verlag, Berlin 2012. 250 S., geb., 39,- [Euro].
Rainer Kloubert: "Yuanmingyuan". Spuren einer Zerstörung.
Elfenbein Verlag, Berlin 2013. 243 S., geb., 39,- [Euro].
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Nach einem Sinologen mit besserer Kenntnis von Land und Sprache wird man lange suchen müssen: Rainer Klouberts Bücher über das nordchinesische Seebad Peitaiho und den Garten des Alten Sommerpalasts in Peking sind Pioniertat und Lesegenuss.
Von Jürgen Osterhammel
Es ist nicht leicht, einen Ton zu finden, in dem sich über China schreiben lässt. Der kühle Akademismus von Geschichte und Sinologie, die technizistische Sprödigkeit sozialwissenschaftlicher, besonders ökonomischer China-Forschung, alarmierte Hysterie angesichts eines erwarteten Griffs nach der Weltmacht, Empörung und Bitterkeit politischer Kritik an Polizeirepression und Kaderwillkür, ein Sarkasmus, der eine ältere Verachtung für den maoistischen Kommunismus als Spott über den Konsumismus der chinesischen Gegenwart erneuert: Das sind typische Haltungen, die jedoch Wünsche nach einem umfassenderen Zugriff offenlassen. Mit mehr Polychromie, verbunden mit einem wissenschaftlich untadeligen Stilwillen, hat allein der amerikanische Historiker Jonathan Spence eine große Leserschaft erreicht. Zu ihm gesellt sich nun Rainer Kloubert mit zwei großformatigen Bänden, in denen er ein originelles und unverwechselbares literarisches Verfahren praktiziert.
Kloubert, ein Sinologe mit tiefer Landeskenntnis und geradezu lexikomaner Sprachkompetenz, ist ein flanierender Dokumentarist. Einem chinesischen Karl Schlögel ähnlich, erschließt er sich auf ambulante Weise Orte, die er unbefangen auf sich wirken lässt und die er auch, sofern es der Veranschaulichung dient, fotografiert. Zugleich aber kennt er die historischen Quellen so gut, dass er über die inspizierten Lokalitäten unendlich viel weiß. Er liest Landschaften, erinnert an die längst verstorbenen Bewohner von Häusern, die man heute noch betreten kann, und beschreibt mit exakter Einbildungskraft Paläste und Monumente, von denen noch nicht einmal Trümmer erhalten sind, deren Abmessungen er aber aus alten Plänen zentimetergenau rekonstruiert. Detailsatte Exkurse - über Qualitätskriterien für Wassermelonen oder die korrekte Befestigung einer Taubenflöte - würzen beide Bände.
Dieses Verfahren bewährt sich recht ordentlich im Falle des nordchinesischen Seebades Peitaiho (in heutigen Reiseführern unter "Beidaihe" zu finden) und triumphal für den Alten Sommerpalast in Peking (Kloubert verweigert sich der offiziellen Schreibweise "Beijing"), den Yuanmingyuan. Peitaiho wurde erst in den 1890er Jahren als mondäner Badeort für westliche Ausländer und wohlhabende Chinesen erschlossen; heute ist es teils Schauplatz touristischen Massenrummels, teils abgeschirmter Rückzugsort für Superreiche und die politische Nomenklatura. Indem der Chronist von einer verwunschenen Villa zur nächsten spaziert, evoziert er aus großem Quellenreichtum die Schicksale ihrer Bewohner aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Bekannte historische Persönlichkeiten sind darunter wie Sir Robert Hart (1835-1911), jahrzehntelang als Chef des Seezollamtes ein hoher Mandarin des kaiserlichen Staates, oder der avantgardistische Dichter Xu Zhimo (1897-1931), daneben nicht weniger prägnant und unterhaltsam beschriebene Gestalten von geringerer Prominenz: Warlords, Diplomaten, Abenteurer und "ausländische Experten", unter ihnen besonders faszinierend der österreichische Architekt Rolf Geyling (1884-1952), dem Peitaiho und die nahe Großstadt Tianjin zahlreiche gelungene Bauten verdanken.
Rainer Klouberts biographisches Potpourri aus der chinesischen Republikzeit wird alle Liebhaber von Intrige, Verbrechen und erotischer Leidenschaft, von Heldenmut, Geschäftstüchtigkeit und stillem Gelehrtentum im verflossenen China des revolutionären Übergangs für sich gewinnen. Als historisches Epochenporträt ist es nicht gedacht. Wer über die größeren Zusammenhänge nicht schon Bescheid weiß, erfährt von ihnen wenig. Probleme der historischen Analyse werden kaum angesprochen; die neue Aktualität der Republikzeit für das heutige China, das etwa an den embryonalen Kapitalismus vor 1949 anknüpft, bleibt unerwähnt.
Anspruchsvoller ist der Band über den Yuanmingyuan: ein Lesegenuss ebenso wie eine wissenschaftliche Pioniertat. Heute ein gepflegter Park am nordwestlichen Rand der Pekinger Innenstadt, den Rainer Kloubert so gut kennt, dass er dort immer wieder demselben weißen Kaninchen und denselben skurrilen Stammbesuchern begegnet, war der Yuanmingyuan nach seiner Fertigstellung 1775 für weniger als ein Jahrhundert ein riesiges ästhetisches Ensemble, einzigartig auf der Welt. Das Areal war mit 350 Hektar mehr als doppelt so groß wie der Londoner Hyde Park. 160 000 Quadratmeter davon waren bebaut, deutlich mehr als in der Verbotenen Stadt, dem eigentlichen Kaiserpalast im Herzen von Peking. Ein Wunderwerk von Palazzi, Pavillons, Tempeln, Pagoden, Wasserspielen, Teichen, Kanälen, Brücken, Anhöhen und Aussichtspunkten, diente der Yuanmingyuan seinem Schöpfer, dem Kaiser Qianlong und seinen Nachfolgern ebenso als sommerliche Bühne monarchischer Prachtentfaltung wie als Ort stiller Kontemplation. Eine Fülle chinesischer Quellen und vereinzelte Beschreibungen von Europäern ermöglichen es, Glanz und Raffinesse der Anlage zumindest ahnen zu lassen.
Sehen kann man von ihr so gut wie nichts mehr, denn sie wurde 1860 am Ende des Zweiten Opiumkrieges von britischen und französischen Truppen gründlich geplündert und kurz danach von den Briten (die Franzosen schauten zu) als Vergeltung für die Misshandlung und Ermordung von Emissären niedergebrannt: ein Akt der Barbarei, den Kloubert nicht, wie üblich, aus der moralischen Verworfenheit des Oberbefehlshabers Lord Elgin erklärt, sondern teilweise aus der Handlungslogik der Situation. Die Holzkonstruktionen im Palastgarten fielen den Flammen rasch zum Opfer. Was man heute noch sieht, sind pittoresk dekorierte Steintrümmer von Gebäuden in einem leicht sinisierten Barockstil, die der Kaiser bei Giuseppe Castiglione und anderen Baumeistern unter seinen Hofjesuiten für einen Nebenbezirk des Parks in Auftrag gegeben hatte. Die Europäer, so heute die offizielle Botschaft an die Besucher, hätten ihre "eigenen" Kunstwerke zerstört.
Dies bezweifelt Rainer Kloubert. Er zieht Schriftquellen und frühe fotografische Dokumente heran, um die Vermutung zu stützen (ein unanfechtbarer Beweis ist unmöglich), dass die westlichen Gebäude im Yuanmingyuan dem Vandalismus von 1860 weithin entgingen und erst später peu à peu von der anwohnenden chinesischen Bevölkerung demontiert wurden; den buchstäblich letzten Stoß versetzte ihnen das Tangshan-Erdbeben von 1976. Auch von den viel umfangreicheren Hauptanlagen blieb nach 1860 zunächst noch manches erhalten. Die Verwüstung des schönsten Kleinods der Kaiserzeit wurde in einer langen Phase des Staatszusammenbruchs und der Schutzlosigkeit zwischen dem Boxeraufstand (1900) und der Kulturrevolution (1966-76) vollendet - von Chinesen auf der Suche nach Brennholz, Baumaterial und Ackerland.
Rainer Kloubert: "Peitaiho". Großer chinesischer Raritätenkasten.
Elfenbein Verlag, Berlin 2012. 250 S., geb., 39,- [Euro].
Rainer Kloubert: "Yuanmingyuan". Spuren einer Zerstörung.
Elfenbein Verlag, Berlin 2013. 243 S., geb., 39,- [Euro].
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