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Von der amerikanischen Presse wurde sie mit Amy Tan und Toni Morrison verglichen: Nancy Kricorian schildert mit ebenso poetischer, klarer Sprache das bewegte Leben einer armenischen jungen Frau - ein klassisches amerikanisches Einwandererschicksal.

Produktbeschreibung
Von der amerikanischen Presse wurde sie mit Amy Tan und Toni Morrison verglichen: Nancy Kricorian schildert mit ebenso poetischer, klarer Sprache das bewegte Leben einer armenischen jungen Frau - ein klassisches amerikanisches Einwandererschicksal.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.1999

Vertreibung nach Amerika
Nancy Kricorians Roman "Zabelles Geschichte"

Das erste Kapitel, als Vorwort gekennzeichnet, beschreibt den Abschied einer alten Frau von der Welt, einer in Amerika ansässigen Armenierin. Sie wird noch in ihrer Sterbestunde von der Erinnerung an die Greuel heimgesucht, die in ihrer Jugend dem Armeniervolk in der Türkei zugefügt wurden. Der Rest des Buches ist ihre Lebensgeschichte, chronologisch von ihr selbst erzählt. Der Leser erhält keine Erklärung, wie diese Erzählsituation zustande kommt, er braucht auch keine. Ihm genügt, daß diese Frau alles, woran sie sich erinnert, ungemein anschaulich und lebendig werden läßt.

Die Geschichte beginnt mit dem Holocaust, dem armenischen, dem ersten dieses blutigen Jahrhunderts. Nach der Beschreibung einer Kindheitsidylle in einer kleinasiatischen Gebirgsstadt wird berichtet, wie die in der Türkei lebenden Armenier aus ihren Wohnungen gerissen und auf Todesmärschen in die Wüste getrieben werden. Die Männer werden von ihren Familien getrennt und umgebracht, die meisten anderen sterben unterwegs an Mißhandlungen und Entbehrungen. Genau das widerfährt dem Vater, der Mutter, dem Brüderchen der fünf- oder sechsjährigen Erzählerin.

Sie selbst bleibt dank der Fürsorge eines etwas älteren, willensstarken Mädchens am Leben, das sie zu betteln zwingt. Nachdem der Blutrausch verflogen ist, bringen die türkischen Soldaten die übriggebliebenen Kinder nach Istanbul in ein Waisenhaus. Die Freundin entflieht mit ihrem kleinen Bruder, die Erzählerin bleibt zurück. Nach Jahren kommt sie als Dienerin in einen türkischen Haushalt. Schließlich wird sie von der armenischen Gemeinde entdeckt, in einer armenischen Familie untergebracht und von dort als Sechzehnjährige nach Amerika mitgenommen, um die Gattin eines schon in mittleren Jahren stehenden Armeniers zu werden. Der politische Wandel, der diese Veränderungen ermöglicht, wird nicht erklärt. Man erfährt nichts, was sich außerhalb des Horizonts der Erzählerin abspielt.

Von diesem Zeitpunkt an bekommt das Buch den Charakter einer typischen Einwanderergeschichte, in der die Konflikte zwischen zwei Kulturen einsichtsvoll und mitunter höchst humorvoll erzählt werden. Alles mutet authentisch an, die Zwistigkeiten innerhalb der Familie zwischen einer herrschsüchtigen Schwiegermutter und der jungen Frau, die ihren Gatten, der aus altem Herkommen seiner Mutter gehorcht, nicht aus Liebe geheiratet hat. Man erlebt die zagen ersten Schritte in die amerikanische Welt mit, die nicht nachlassende Loyalität zum angestammten armenischen Christentum, zur Sprache, zur Gemeinde und den gleichzeitig stattfindenden Prozeß der Anpassung, die gegenseitige Annäherung der so verschiedenen Ehegatten.

Höhepunkte in der Existenz der Erzählerin sind die Geburt der Kinder, kleine, harmlose, aber nicht unbedeutende Verliebtheiten einer Frau, die niemals einem Mann eigener Wahl angehören durfte, und das unvermutete Wiederfinden der Kindheitsgefährtin aus schwersten Tagen. Der Leser wird Zeuge des Heranwachsens der nächsten Generation, zweier Söhne und einer Tochter, die bei ihren weitergehenden Konzessionen an das amerikanische Leben die Familie vor manche Zerreißprobe stellen. Eine erheiternde Episode ist die Einheirat eines der Söhne in eine skurrile uramerikanische Familie, eine betrübliche der Abfall des anderen, der sich seiner armenischen Herkunft schämt. Gemildert wird dieser Verlust durch die Rückkehr von dessen Sohn zum Armenischen nach dem bekannten Prinzip: Was der Vater vergessen will, dessen will sich der Sohn entsinnen.

Das alles ist so leicht einzusehen, so folgerichtig und plausibel, daß sich der Leser über die nicht nachlassende Spannung bei der Lektüre dieser Alltäglichkeiten wundert, bis er sich Rechenschaft darüber ablegt, welche Kunst in solcher Einfachheit steckt.

Das Ganze mutet einen an wie die Fortsetzung der "Vierzig Tage des Musa Dagh", eines Kultbuches, in dem die Armenier die meisterhafte Darstellung der tragischen Schicksale ihres Volkes verehren. Werfel ließ sein Werk mit der Rettung eines Häufleins Armenier enden, die eine Zeitlang erfolgreichen Widerstand gegen die türkischen Mörder leisten. Nancy Kricorians Roman könnte als die Geschichte einer der geretteten Personen angesehen werden. Überblickt man ihr Werk von seinem Ende her, dann könnte sich zunächst der Eindruck herstellen, als bestünde es aus zwei wenig miteinander verflochtenen Teilen, den stark voneinander abgesetzten Geschehnissen in der Türkei und denen in dem gründlich anderen amerikanischen Milieu. Was sie aber machtvoll miteinander verknüpft, ist die stets wieder aufbrechende Wunde des Kindheitstraumas in der Seele der Erzählerin. Noch in ihren letzten Sinnesverwirrungen vor dem Tode hat sie eine Schreckensvision: Sie kommen dich holen.

Nach einem dermaßen geglückten Erstlingsroman einer jungen Schriftstellerin wünscht man sich viele Fortsetzungen. EGON SCHWARZ

Nancy Kricorian: "Zabelles Geschichte". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Carina von Enzenberg und Hartmut Zahn. Piper Verlag, München/Zürich. 254 S., geb., 36,- DM.

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