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Mit einer Laudatio von Jens Beckert
Messungen und Trackings, Rangfolgen und Rankings: Enorme Datenmengen werden gesammelt und analysiert, immer mehr gesellschaftliche Bereiche sind einer ständigen Bewertung unterzogen. Das erleben wir im Alltag, auf dem Wohnungs- und Kreditmarkt, im Gesundheitswesen, in der Bildung und in sozialen Beziehungen. Digitalität ist zu einer bedeutenden Dimension moderner Bürgerschaft geworden. Die Gesellschaft der Gegenwart ist, so Marion Fourcade, von einer Logik der Ordinalisierung durchzogen.
Auf den ersten Blick scheint die neue Infrastruktur der
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Produktbeschreibung
Mit einer Laudatio von Jens Beckert

Messungen und Trackings, Rangfolgen und Rankings: Enorme Datenmengen werden gesammelt und analysiert, immer mehr gesellschaftliche Bereiche sind einer ständigen Bewertung unterzogen. Das erleben wir im Alltag, auf dem Wohnungs- und Kreditmarkt, im Gesundheitswesen, in der Bildung und in sozialen Beziehungen. Digitalität ist zu einer bedeutenden Dimension moderner Bürgerschaft geworden. Die Gesellschaft der Gegenwart ist, so Marion Fourcade, von einer Logik der Ordinalisierung durchzogen.

Auf den ersten Blick scheint die neue Infrastruktur der Datenanalyse mit einem verheißungsvollen politischen Projekt verknüpft. Die Ordinalisierung mit ihrem System der Benotungen und Rankings geht mit der Vorstellung einer individualistischen Gesellschaft einher, die hierarchisierende Klassifikationen von Gruppen hinter sich lasst. Das Versprechen ist, individuelle Gleichheit durch messbare, objektive Kriterien zu schaffen. Doch wie steht es um dieses Versprechen? Marion Fourcade seziert die Entwicklungen und zeigt, wie kategorische Unterschiede zu wertenden Klassifikationen gerinnen.
Autorenporträt
Marion Fourcade ist Professorin für Soziologie an der University of California, Berkeley. Außerdem ist sie Associate Fellow am Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Societies in Paris.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Julian Müller liest die drei hier versammelten Aufsätze von Marion Fourcade zum Thema Bewertungen und Bewertungssysteme mit Gewinn. Umgeben von Ranglisten, Zahlen und Tabellen wie wir sind, scheint ihm das Buch der Soziologin eine willkommene Handreichung zu sein, einerseits um das Forschungsfeld Klassifikation kennenzulernen, andererseits um die Arten des Klassifizierens (nominal, ordinal) besser unterscheiden zu lernen. Dass hinter all dem "ernste" gesellschaftliche Entwicklungen auszumachen sind (Datensammelwut, Meritokratie!), kann sich der Leser laut Müller leicht selbst zusammenreimen. Der Ton im Buch ist auch bisweilen düster, meint er. Dass die laut Rezensent gut lesbaren Texte aus den Jahren 2014 bis 2021 stammen, also schon etwas älter sind, ist für Müller kein Mangel. Wer noch nicht mit ihnen vertraut ist, sollte sie kennenlernen, findet er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.01.2023

Weißt du, wieviel Sternlein stehen?
Essen, kicken, lieben: Unser Leben ist von Zahlen bestimmt. Marion Fourcade erforscht, wohin das führt
Wählen Sie für Ihren nächsten Wochenendtrip wohl eher das Hotel, das von 131 Personen durchschnittlich mit 8,2 Punkten bewertet wurde, oder doch eher das mit 7,8 Punkten ausgezeichnete Hotel bei allerdings 11 567 Bewertungen? Wie stark ist der Marktwert von Serge Gnabry nach dem Vorrunden-Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft gesunken? Und wer führt eigentlich das diesjährige Cicero-Ranking der vermeintlich wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart an?
Tagtäglich sind wir umgeben von einer Vielzahl unterschiedlicher Ranglisten, Skalen, Tabellen und diffusen Qualitätsmarkern, die für Ordnung sorgen und Entscheidungen erleichtern sollen und in hohem Maße Anteil daran haben, was wir kaufen, wo wir übernachten, wen wir lieben, und ja, wer wir sind.
In den letzten Jahren ist die Bedeutung derartiger Bewertungssysteme in den Fokus der Soziologie geraten. Praktiken der Bewertung und ihre technischen Bedingungen wurden untersucht, dahinterliegende ökonomische Interessen ins Auge gefasst und Folgen für unser Zusammenleben skizziert. Eine der innovativsten Forscherinnen auf diesem Gebiet ist Marion Fourcade. In der Hamburger Edition sind nun unter dem Titel „Zählen, benennen, ordnen. Eine Soziologie des Unterscheidens“ drei Aufsätze von ihr in Buchform erschienen, die einen Einblick in das Forschungsfeld einer Soziologie der Bewertung und Klassifikation geben.
Fourcade unterscheidet zunächst drei Arten klassifikatorischer Urteile. So können schlicht qualitative Verschiedenheiten registriert und sortiert werden, wie das etwa bei Taxonomien der Fall ist; es können Daten aggregiert und somit quantitative Verschiedenheiten markiert werden, etwa im Falle von Einwohnerzahlen oder Covid-19-Fällen; oder es können Rangfolgen gebildet, also hierarchische Verschiedenheiten hervorgehoben werden. Fourcade spricht an dieser Stelle von nominalen, kardinalen oder ordinalen Urteilen, wobei es vor allem letztere sind, die zunehmend an Bedeutung gewinnen.
So kann man beim Kauf einer Flasche Wein auf die Rebsorte, das Anbaugebiet, den Preis oder eben zunehmend auf die Anzahl an Parker-Punkten achten. Während der Blick auf das Anbaugebiet zunächst schlicht geografische Unterschiede vergleicht, errichtet das nach dem Weinkenner Robert M. Parker benannte Punktesystem automatisch eine Rangfolge, die von Unterschieden der regionalen Herkunft, der Rebsorte und des Preises absehen kann. 99 Punkte sind in jedem Fall besser als 87 Punkte.
Nun weiß Fourcade, die selbst viel zur Geschichte der Klassifikation französischer Rotweine geforscht hat, nur zu gut, dass es im realen Leben permanent zu Überschneidungen von Art- und Werturteilen kommt. Auch die zunächst nominale Unterscheidung etwa von Rebsorten oder Terroir ist eben nicht selten mit impliziten Wertungen verknüpft. Gerade wegen solcher Überschneidungen sollten wir aufmerksam sein für die Logik und die Struktur von Klassifikationen. Schließlich ist die Art, wie geurteilt wird, die Frage, worauf sich Urteile stützen und welche Techniken im Hintergrund daran mitwirken, stets mit politischen wie moralischen Implikationen verbunden.
So hat die allgegenwärtige Zunahme an Ordinalität nicht nur mit statistisch-technologischen Möglichkeiten zu tun, sondern passt eben auch sehr gut zum Ideal liberaler Demokratien. Diverse Scores – etwa Messungen zur Kreditwürdigkeit, zur Größe des eigenen Netzwerks oder zu Konsum und Lebensstil – treten vermehrt an die Stelle nominaler Merkmale und versprechen eine faire Beurteilung von Personen.
Um diese Scores berechnen zu können, werden nun permanent und massenhaft Daten ganz unterschiedlicher Art und zum Teil auf undurchsichtige Weise erfasst, die wiederum Auswirkungen auf reale Lebenschancen haben. Fourcade spricht an dieser Stelle von „Überkapital“, um jene neue Kapitalsorte zu beschreiben, die auf technisch ermittelten Scorings beruht und zu neuen Formen sozialer Ungleichheit führt. Der gute alte Warenfetisch werde so zunehmend durch einen „Fetischismus der Daten“ ersetzt, und an die Stelle des Lumpenproletariats trete nunmehr ein „Lumpenscoretariat“.
Es sind also durchaus ernste Entwicklungen, die Fourcade nachzeichnet, und es ist auch ein bisweilen düsterer Ton, den sie dabei anschlägt. Wenn sie etwa über die Paradoxien des liberalen Versprechens von Meritokratie oder über die Gefahren ordinaler Bürgerschaft spricht, wird schnell klar, welche dramatischen Folgen die technisch möglich gemachte und meist durch den Markt induzierte Berechnung diverser Scores auf konkrete Teilhabechancen haben. Wessen Kreditkarte in Zukunft wo und aufgrund welcher Kriterien akzeptiert oder abgelehnt wird, hat mit im Vorfeld berechneten Profilen des Einzelnen zu tun und wird somit auch Bewegungen im öffentlichen Raum einschränken. Und so wird man beim Lesen des Buches lernen, dass es eben keineswegs nur wir selbst sind, die auf Punktesysteme und Rankings zurückgreifen, um uns womöglich am Weinregal ein wenig Orientierung zu verschaffen.
Die in „Zählen, benennen, ordnen. Eine Soziologie des Unterscheidens“ erstmals ins Deutsche übersetzten Aufsätze (einer davon in Co-Autorschaft mit Kieran Healy) stammen aus den Jahren 2014 bis 2021. Wer sich für das Feld der Soziologie der Bewertung interessiert, dürfte mit ihnen wahrscheinlich schon vertraut sein. Allen anderen aber ist diese Studie zu empfehlen, die gelehrt an Traditionen etwa aus der Wissenssoziologie, an Michel Foucaults Projekt einer Geschichte der Denksysteme oder an die Arbeiten Geoffrey Bowkers und Susan Leigh Stars anschließt und dabei doch beeindruckend klar und auf sehr zugängliche Weise ein Forschungsprogramm skizziert, das sich mit Fragen um die alltäglichen Praktiken des Urteilens und Beurteilt-Werdens beschäftigt.
JULIAN MÜLLER
Marion Fourcade:
Zählen, benennen,
ordnen. Eine Soziologie des Unterscheidens. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff.
Hamburger Edition,
Hamburg 2022.
148 Seiten, 25 Euro.
Steigt sein Wert? Sinkt er? Torschütze Serge Gnabry bei der Fußball-WM 2022 in Katar.
Foto: Moises Castillo/AP
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