"Das Gedicht handelt ununterbrochen von jedem Zweifel. / Seine Handlung setzt sich fort an der nächsten Ecke und zu jedem Zeitpunkt, in jeder Sprache ..." Diese Zeilen beschreiben genau Meckels poetische Haltung, die in den Gedichten des vorliegenden Bandes deutlich wird. Ein Band, der ganz unterschiedliche Formen und Themen vereint. Neben Beschwörung und Klage finden sich darin immer wieder auch ironische, leichte und leise Töne.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2001Nuß und Motte
Christoph Meckels neue Verse
Viel hat sich auf den ersten Blick an Christoph Meckels lyrischem Habitus nicht geändert. "Zähne", sein einundzwanzigster Gedichtband, beginnt mit einem "Gedicht in Ermangelung eines Besseren". Es weckt Erinnerungen, und keine unangenehmen, an andere Beispiele aus Meckels nun bald viereinhalb Jahrzehnte umspannendem Schaffen; Erinnerungen an gekonnt deklamatorische und verhalten pathetische Selbstfeiern des poetischen Mediums. "Das Gedicht ist ...", "Das Gedicht handelt ...", mit solchen Satzanfängen aus der "Mein-Gedicht-ist-mein-Messer"-Tradition arbeitet Meckel noch immer gern, und aus ihrer Fortsetzung wird ersichtlich, daß Gedichtsein und Gedichteschreiben noch immer als eine Art verstanden wird, sich quer zum Weltlauf zu stellen. Nicht in Ermangelung eines besseren Gedichts hat ja Meckel dieses spezielle Gedicht geschrieben, sondern in Ermangelung eines "Besseren. / In Ermangelung einer vierten Welt, einer süßen Revolution". Ja, von einer "Hoffnung ohne erkennbaren Anlaß" handelt das Gedicht sogar. Labt sich Meckel hier womöglich am süßen Nektar der Menschheitsutopien? Hat man sich den Sprecher dieser Zeilen als einen Komplizen des "nicht einverstandene(n) Peter", des "unversöhnliche(n) Klaus" oder des "aussortierte(n), mehrmals gehäutete(n) Hans" zu denken, erprobte Neinsager, die das Gedicht beim Namen ruft? Wie ernst darf man andererseits solche Hänse und Kläuse und ihresgleichen nehmen, wie sie rumlaufen, "allein, durch Babylon City" oder "gescheucht durch den Limbo"? Der tönende Zorn von Meckels Gedichten hat etwas vorsätzlich Anachronistisches. Im mythopoetischen Dämmer von Babylon City fühlen sie sich jedenfalls deutlich wohler als im hellen Land der Codes und Klammeraffen.
Manchmal nimmt die Zeitkritik sehr handfeste, ja predigthafte Formen an, vor allem im ersten Zyklus. "Ein Held unserer Zeit" heißt eines der Gedichte daraus, und es verbirgt keine Zeile lang, was es von seinem Helden hält: "Noface, Burnout / Wiederkäuer herrschender Weltbilder". Erneut ist von der Hoffnung die Rede, sie ist "das falsche Prinzip / oder Zeichen von Schwachsinn". Und weiter geht es dann: "Verantwortung - ein Relikt, / Nostalgia von Idealisten." Dies aber ist nun doch mehr und schlimmer als nur ein bißchen unzeitgemäß, es ist schlecht gedichtet, so schlecht, daß Christoph Meckel, gäbe es mehr solcher Verse in seinem Band, Gefahr liefe, seinen lyrischen Lebensleistungskredit zu verspielen.
Ein Glück, daß er nach dem zweiten Zyklus der Welt, die ihm nicht gefällt, erst einmal adieu sagt. Von der in Brecht/Weillschen Revuefarben schillernden "Big Synthetic"-Show geht es hinüber zur lyrischen Naturfaser. Und hier, jenseits der Ausbrüche und Bezichtigungen, weitab vom Zorn und nah bei der Liebe, entfaltete Meckels Lyrik schon früher ihren Charme und ihren Zauber. Man nehme ein unscheinbares kleines Gedicht wie "Telefon". Es beginnt: "Vom Gebirge kommend hörte ich / in meinem Haus, weit unter mir, das Telefon / wie Glöckchen einer Ziege, verirrt im Ginster". Vom Gebirge kommend, das Telefon vernachlässigend, beiläufig von einer Nuß oder einer Motte handelnd, sind Meckels Sprache und Anschauung bei sich. Vom Mund gewischt ist der Fertigschaum, zutage kommt Meckels Könnerschaft in pastoralen, elegischen Registern. "Die Machart von Sätzen scheint einfach geworden / seit die Anrufung und die Metapher verschwunden sind" heißt es in dem Gedicht "Das Wort zachor". Aus seinen Sätzen sind die Anrufung und die Metapher keineswegs gewichen, und wenn Meckel die Dinge anruft, die er kennt, die ihm lieb sind, dann ist das gut so.
CHRISTOPH BARTMANN
Christoph Meckel: "Zähne". Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 2000. 80 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christoph Meckels neue Verse
Viel hat sich auf den ersten Blick an Christoph Meckels lyrischem Habitus nicht geändert. "Zähne", sein einundzwanzigster Gedichtband, beginnt mit einem "Gedicht in Ermangelung eines Besseren". Es weckt Erinnerungen, und keine unangenehmen, an andere Beispiele aus Meckels nun bald viereinhalb Jahrzehnte umspannendem Schaffen; Erinnerungen an gekonnt deklamatorische und verhalten pathetische Selbstfeiern des poetischen Mediums. "Das Gedicht ist ...", "Das Gedicht handelt ...", mit solchen Satzanfängen aus der "Mein-Gedicht-ist-mein-Messer"-Tradition arbeitet Meckel noch immer gern, und aus ihrer Fortsetzung wird ersichtlich, daß Gedichtsein und Gedichteschreiben noch immer als eine Art verstanden wird, sich quer zum Weltlauf zu stellen. Nicht in Ermangelung eines besseren Gedichts hat ja Meckel dieses spezielle Gedicht geschrieben, sondern in Ermangelung eines "Besseren. / In Ermangelung einer vierten Welt, einer süßen Revolution". Ja, von einer "Hoffnung ohne erkennbaren Anlaß" handelt das Gedicht sogar. Labt sich Meckel hier womöglich am süßen Nektar der Menschheitsutopien? Hat man sich den Sprecher dieser Zeilen als einen Komplizen des "nicht einverstandene(n) Peter", des "unversöhnliche(n) Klaus" oder des "aussortierte(n), mehrmals gehäutete(n) Hans" zu denken, erprobte Neinsager, die das Gedicht beim Namen ruft? Wie ernst darf man andererseits solche Hänse und Kläuse und ihresgleichen nehmen, wie sie rumlaufen, "allein, durch Babylon City" oder "gescheucht durch den Limbo"? Der tönende Zorn von Meckels Gedichten hat etwas vorsätzlich Anachronistisches. Im mythopoetischen Dämmer von Babylon City fühlen sie sich jedenfalls deutlich wohler als im hellen Land der Codes und Klammeraffen.
Manchmal nimmt die Zeitkritik sehr handfeste, ja predigthafte Formen an, vor allem im ersten Zyklus. "Ein Held unserer Zeit" heißt eines der Gedichte daraus, und es verbirgt keine Zeile lang, was es von seinem Helden hält: "Noface, Burnout / Wiederkäuer herrschender Weltbilder". Erneut ist von der Hoffnung die Rede, sie ist "das falsche Prinzip / oder Zeichen von Schwachsinn". Und weiter geht es dann: "Verantwortung - ein Relikt, / Nostalgia von Idealisten." Dies aber ist nun doch mehr und schlimmer als nur ein bißchen unzeitgemäß, es ist schlecht gedichtet, so schlecht, daß Christoph Meckel, gäbe es mehr solcher Verse in seinem Band, Gefahr liefe, seinen lyrischen Lebensleistungskredit zu verspielen.
Ein Glück, daß er nach dem zweiten Zyklus der Welt, die ihm nicht gefällt, erst einmal adieu sagt. Von der in Brecht/Weillschen Revuefarben schillernden "Big Synthetic"-Show geht es hinüber zur lyrischen Naturfaser. Und hier, jenseits der Ausbrüche und Bezichtigungen, weitab vom Zorn und nah bei der Liebe, entfaltete Meckels Lyrik schon früher ihren Charme und ihren Zauber. Man nehme ein unscheinbares kleines Gedicht wie "Telefon". Es beginnt: "Vom Gebirge kommend hörte ich / in meinem Haus, weit unter mir, das Telefon / wie Glöckchen einer Ziege, verirrt im Ginster". Vom Gebirge kommend, das Telefon vernachlässigend, beiläufig von einer Nuß oder einer Motte handelnd, sind Meckels Sprache und Anschauung bei sich. Vom Mund gewischt ist der Fertigschaum, zutage kommt Meckels Könnerschaft in pastoralen, elegischen Registern. "Die Machart von Sätzen scheint einfach geworden / seit die Anrufung und die Metapher verschwunden sind" heißt es in dem Gedicht "Das Wort zachor". Aus seinen Sätzen sind die Anrufung und die Metapher keineswegs gewichen, und wenn Meckel die Dinge anruft, die er kennt, die ihm lieb sind, dann ist das gut so.
CHRISTOPH BARTMANN
Christoph Meckel: "Zähne". Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 2000. 80 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christoph Bartmann ist der Ansicht, dass sich Meckel mit diesem Band recht treu geblieben ist, was man im Kontext gesehen als durchaus positiv verstehen darf. Immer noch verstehe Meckel das Gedichteschreiben als "eine Art (...) sich quer zum Weltlauf zu stellen". Zeitkritisch und zornig zeige sich der Dichter auch in diesem Band: der "mythologische Dämmer von Babylon City" sei jedenfalls viel eher Meckels Welt als das "helle Land der Codes und Klammeraffen". Zwar gibt es auch Zeilen, die der Rezensent unverblümt als "schlecht" bezeichnet, doch fallen sie summa summarum für Bartmann offenbar kaum ins Gewicht. Die Stärken Meckels macht der Rezensent insgesamt weniger an den zornigen Stellen aus, sondern eher dort, wo es um die Liebe geht. Dort "entfaltete Meckels Lyrik wie schon früher ihren Charme und ihren Zauber".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Meckels Verse lassen sich befühlen. Sie sind konvex. Sie sind konkav: eine Sprache, die nichts gemein hat mit der gedanklichen Flächengeometrie der ausgehenden Neunziger."
Alexander Nitzberg, Die Zeit, 14.12.2000
Alexander Nitzberg, Die Zeit, 14.12.2000